.
2) Decemviri legibus scribendis. Im J. 292 = 462 erklärte der Volkstribun Terentilius Arsa, er wolle beim Volke einen Gesetzesvorschlag einbringen, ut quinqueviri creentur legibus de imperio consulari scribendis. quod populus in se ius dederit, eo consulem usurum (Liv. III 9, 5). Die Mitglieder der Commission sollten sämtlich Plebeier sein (Liv. III 31, 7). Die Absicht ging also auf Beschränkung der consularischen Gewalt (vgl. Liv. III 24, 9) und Aufstellung plebeischer Standesrechte. Sie wurde nicht erreicht. Nach achtjährigem heissen Ringen mässigten die Führer des Volkes ihre Forderung. Es sollten zu gleichen Teilen Patricier und Plebeier gewählt und ein Gesetz erlassen werden, das für beide Stände in gleicher Weise nützlich sei (Liv. III 31, 7 si plebeiae leges displicerent, at illi communiter legum latores et ex plebe et ex patribus, qui utrisque utilia ferrent quaeque aequandae libertatis essent, sinerent creari). Über diesen Vorschlag kam ein Compromiss zu stande, nach welchem die Abfassung eines Gesetzes im Princip zugestanden, als Mitglieder der Commission aber ausschliesslich Patricier vorgesehen wurden. Vorläufig wurden drei Männer nach Athen gesandt, um die dortigen Gesetze und diejenigen anderer griechischer Staaten zu studieren (Liv. III 31, 8). Nach deren Rückkehr schritt man endlich unter Aufhebung aller andern Ämter zur Wahl von zehn Männern, welche die neuen Gesetze verfassen sollten; ein nochmaliger Versuch, Plebeier in die Commission zu bringen, misslang wiederum (Liv. III 32, 7). Gewählt wurden also nur Patricier, und zwar Ap. Claudius, T. Genucius, P. Sestius, L. Veturius, C. Iulius, A. Manlius, P. Sulpicius, P. Curiatius, T. Romilius, Sp. Postumius (so Liv. III 33, 3, dessen Angaben durch die capitolinischen Fasten im grossen und ganzen bestätigt werden; statt L. Veturius haben die Fasti Cap. mit Diodor Sp. Veturius, vgl. Borghesi Oeuvres IX 76f., mehr oder weniger abweichend Dionys. X 56. Diod. XII 23. Isid. orig. V 1, 4. Schwegler Röm. Gesch. III² 23).
Von diesem hier kurz skizzierten livianischen Bericht weicht der des Dionysios, wie auch in der Folge, nicht unerheblich ab. Nach ihm war von vornherein die Wahl von 10 Männern ins Auge gefasst; davon, dass sie alle oder zum Teil plebeischen Standes sein sollten, sagt Dionys nichts, und der Zweck des zu erlassenden Gesetzes ging nach ihm nicht auf Beschränkung des Consulates, sondern vielmehr auf Codificierung des bestehenden Rechts, um der herrschenden Rechtsunsicherheit ein Ende zu machen (Dionys. X 1 κατὰ νόμους [2258] ἠξίου διοκεῖσθαι τά τε ἰδιωτικὰ καὶ τὰ δημόσια; c. 3 ἄνδρας αἱρεθῆναι δέκα .. τούτους δὲ συγγράψαντας τοὺς ὑπὲρ ἁπάντων νόμους τῶν τε κοινῶν καὶ τῶν ἰδίων εἰς τὸν δῆμον ἐξενεγκεῖν). Obwohl nun aber die Darstellung des Dionysios auf eine gute Quelle zurückgeht und sicherlich in manchen Stücken vor der livianischen den Vorzug verdient, wie sich ihr denn auch Ranke (Weltgesch. II 65f. III 2, 143f.) anschliesst, so darf man deshalb doch dem Livius nicht allen Glauben absprechen oder gar den Grund seiner Angabe, es habe sich bei der Rogation des Terentilius Arsa ursprünglich um Beschränkung der consularischen Gewalt gehandelt, mit Mommsen (St.R. II³ 702, 2) und andern in einem Missverständnis suchen (vgl. zu Liv. III 9, 5 besonders III 24, 9).
Der volle Titel der ausserordentlichen Magistratur lautete nach den capitolinischen Fasten zum J. 303 decemviri consulari imperio legibus scribendis, doch wird er meist verkürzt bezeichnet als decemviri legibus scribundis CIL VI 2011 = XIV 2236. Suet. Tib. 2. Gell. XVII 21, 15. Aurel. Vict. de vir. ill. 21, 1 und hienach Isid. orig. V 1, 3. 4; decemviri ad condenda iura creati Liv. XXXIV 6, 8, vgl. III 34, 1; δέκα ἄνδρες νομογράφοι Diod. XII 23, 1; eigentümlich Ampel. 29, 2 legum ferendarum et rei publicae constituendae causa. Die D. waren vom Volke auf ein Jahr gewählt (Liv. III 32, 6. Dionys. X 55. Pomp. Dig. I 2, 2, 4. 24). Ihre Machtbefugnis wird gewöhnlich als die consularische (Fasti Cap. Varro bei Gell. XIV 7, 5), daneben auch als die höchste (Cic. de rep. II 61 qui summum imperium haberent, vgl. Pomp. Dig. I 2, 2, 4) bezeichnet. Sie haben die consularischen Insignien, die Lictoren mit den Fasces, und vollziehen die Functionen des Consulats, sie führen den Oberbefehl im Kriege (Liv. III 41, 7), sprechen Recht und berufen den Senat (Varro bei Gell. XIV 7, 5), nicht alle gleichzeitig, sondern jeder allein im Turnus, der von Tag zu Tag wechselt (Liv. III 33, 8. Dion. X 57. Zonar. VII 18, 3). Während ihrer Amtsdauer waren alle übrigen Magistrate suspendiert, auch der Volkstribunat, dessen Befugnisse gleichfalls auf die D. übergegangen sind (Liv. III 32. 6. Cic. de rep. II 61. 62; de leg. III 19. Dionys. X 55. 56. XI 6. Zonar. VII 18, 2. Pomp. Dig. I 2, 2, 24. Ampel. 29, 2). Ihre Amtsgewalt ist durch die Provocation nicht eingeschränkt (Liv. III 32, 6. 36, 4. 41, 7. Cic. de rep. II 61. 62. Pomp. Dig. I 2, 2, 4; στρατηγοὶ αὐτοκράτορες Zonar. VII 18, 2), doch gilt die Intercession der gleichberechtigten Collegen (Liv. III 36, 6. Dionys. X 59).
Die D. des ersten Jahres verfertigten zehn Gesetzestafeln, die sie in Centuriatcomitien vom Volke genehmigen liessen: qui nunc quoque in hoc immenso aliarum super alias acervatarum legum cumulo fons omnis publici privatique est iuris Liv. III 34, 6; vgl. Dionys. X 55. 57. Zonar. VII 18, 3. Für das folgende Jahr (304 = 450) wurde ein gleiches Collegium von Zehnmännern mit derselben Machtbefugnis gewählt, um noch zwei Tafeln hinzuzufügen (Liv. III 35. Cic. de rep. II 61. Diod. XII 21. Dionys. X 58). Djre Namen sind nach Liv. III 35, 11 und Dionys. X 58: Ap. Claudius, M. Cornelius Maluginensis, M. (?) Sergius, L. Minucius, Q. Fabius Vibulanus, [2259] Q. Poetilius, T. Antonius Merenda, K. Duillius, Sp. Oppius Cornicen, M’. Rabuleius. Bei Diodor. XII 24, 1 werden nur sieben genannt; es fehlen Fabius, Antonius und Duillius; statt Sp. Oppius wird Sp. Veturius genannt (vgl. Borghesi Oeuvres IX 85. 199. Schwegler III² 43). Nach Dionys waren Poetelius, Duilius und Oppius Plebeier. Livius sagt dagegen, dass sie alle Patricier gewesen seien (IV 3, 17). Die Namen des Antonius und Rabuleius legen die Vermutung nahe, dass auch diese beiden Plebeier waren. Wäre das richtig, so hätte die Hälfte des Collegiums aus Plebeiern bestanden, demnach die Plebs bei den Wahlen des zweiten Jahres einen bedeutenden politischen Sieg errungen (Niebuhr R.-G. II 364 Anm. 755. II 480).
Die neuen D. erfüllten zwar ihre Mission, indem sie die noch fehlenden beiden Tafeln herstellten (Liv. III 37, 4. Dionys. X 60. Cic. de rep. II 63). Im übrigen aber unterschieden sie sich nach der Tradition sehr zum Nachteil von ihren Vorgängern. Namentlich ihr Haupt, Appius Claudius, schien mit der Wiederwahl ein ganz anderer geworden zu sein. Sie führten die Amtsgewalt und die Fasces alle gleichzeitig, so dass am Tage ihres Amtsantrittes das Forum von 120 Lictoren bevölkert war, die aus den Rutenbündeln die Beile hervorblinken liessen (Liv. III 36, 3. Dionys X 59). Sie fällten zu Hause bei verschlossenen Thüren die Rechtssprüche und verkündeten sie nur öffentlich (Liv. III 36, 8); die Intercession der Collegen hoben sie auf oder machten sie durch ihre Amtsführung unwirksam (Liv. III 36, 6. 8. Dionys. X 60). Die beiden Gesetzestafeln, die sie verfasst hatten, legten sie dem Volke nicht zur Bestätigung vor (Liv. III 51, 13. Dionys. XI 6), um einen Vorwand zu haben zur Fortführung des Amtes. Nach einer geheimen, eidlich bekräftigten Verabredung waren sie untereinander übereingekommen, ihr Amt überhaupt nicht niederzulegen (Liv. III 36, 9. Dion. X 59. Pomp. Dig. I 2, 2, 24). So unterliessen sie während ihres Amtsjahres und auch nach Ablauf desselben die Berufung der Comitien. Sie wurden daher durch eine Revolution, die infolge einer von Appius Claudius an der schönen Plebeierin Virginia versuchten Gewaltthat ausbrach, von den Plebeiern unter Mitwirkung der Patricier gestürzt (Liv. III 54, 6. Diod. XII 25. Dionys. XI 40f.). Die beiden letzten Tafeln wurden dann auf Antrag der neuen Consuln Valerius und Horatius vom Volk in Centuriatcomitien genehmigt (Diod. XII 26, 1. Mommsen St.-R. II³ 726, 2). Die sämtlichen von den D. verfassten Gesetze wurden in Erztafeln gegraben und öffentlich aufgestellt (Liv. III 57, 10. Diod. XII 26, 1. Dionys. X 57. Pomp. Dig. I 2, 2, 4 in tabulas eboreas pro rostris composuerunt; statt eboreas hat man aereas, roboreas u. a. vermutet, während andere die Überlieferung verteidigen). Über ihren Inhalt und ihre Bedeutung s. Art. Zwölftafelgesetz.
Litteratur: Mommsen St.-R. II³ 702f. Niebuhr R. G. II 313f. Karlowa Röm. Rechtsgesch. I 103f. Schwegler R. G. III² 1–70. Lange Röm. Altert. I³ 616f. M. Voigt Die XII Tafeln, Leipzig 1883. B. W. Nikolsky System und Text des Zwölftafelgesetzes. Eine Untersuchung [2260] aus der römischen Rechtsgeschichte. In russischer Sprache erschienen bei A. Ssuworin, St. Petersburg 1897, VIII und 480 S., mir nur bekannt und zugänglich durch die Anzeige von Pergament Ztschr. der Savignystiftung XIX (1898) 374ff. Nikolsky nimmt an, dass nur ein Zehnmännercollegium existiert habe; ,die D. habe man von Anfang an usque ad leges absolvendas gewählt, ihre Beschränkung sei mithin nicht eine doppelte – durch Lösung der Aufgabe und Zeit –, sondern blos eine einfache gewesen. Die Erzählung von der Forderung nach Decemvirn zum zweitenmal beruht auf nichts weiter als Erfindung.‘ (Referat von Pergament). Derartige Hypothesen sind wohlfeil gegenüber einer Tradition, die noch kein Forscher von Rang seit Niebuhr für einen treuen historischen Bericht gehalten hat. Wenn sich aber Nikolsky, wie es nach dem Referate Pergaments den Anschein hat, für seine Hypothese auf den Bericht des Pomponius stützt, so hat dies keine Berechtigung; Pomponius kennt keine andere Tradition, als die conventionelle der römischen Annalistik, welcher Cicero, Livius und Dionysius folgen (constituti anno uno cum magistratum prorogarent sibi et cum iniuriose tractarent neque vellent deinceps sufficere magistratus [so Haloander; magistratibus Hss.] Dig. I 2, 2, 24; datum est eis ius eo anno in civitate summum ... qui ipsi animadverterunt aliquid deesse istis primis legibus ideoque sequenti anno alias duas ad easdem tabulas adiecerunt Dig. I 2. 2, 4).
[Kübler.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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