ART

Daeira (Δάειρα) gehört nach Joh. Toepffer Attische Genealogie 95 ,zu den dunkelsten Gottheiten der eleusinischen Mysterienreligion‘, und an diesem Urteil haben auch die Ausführungen von H. von Prott Athen. Mitt. XXIV (1899) 258, der sie mit der aus eleusinischen Inschriften bekannten θεά identifizieren will, nichts zu ändern vermocht. D., die ,Schwägerin‘, führt uns in den engsten Kreis der Familien- und Geschlechtsgemeinschaft und ist, wie Toepffer in einem nach seinem Tode gedruckten Baseler Vortrage, einer mündlichen Anregung Ferd. Dümmlers folgend, ausgeführt hat, ein neuer Beleg dafür, dass ,der eleusinische Mysteriendienst aus gentilicischer Wurzel entsprungen ist‘ (Beiträge zur griechischen Altertumswissenschaft 340). Das eigentliche Wesen dieser schon im Altertum viel umstrittenen Göttin lehren uns die wenigen Zeugnisse, die wir über sie besitzen, nicht kennen.

Schon bei Aischylos in den Ψυχαγωγοί (frg. 277 Nauck²) war D. mit der Persephone identificiert, [1981] woraus hervorgeht, dass bereits dem in Eleusis geborenen, von eleusinischer Religion ganz geweihten Tragiker das eigentliche Wesen der D. nicht mehr deutlich gewesen ist. Andere sind ihm in dieser Identification gefolgt, z. B. Timosthenes (von Rhodos?) ἐν τῷ Ἐξηγητικῷ (Schol. Apoll. Rhod. III 847); vgl. Lykophr. Alex. 710 mit Schol. und Eustath. zu Ilias VI 378; θυγάτηρ Δήμητρος Hesych. s. Δμῖα. Etym. M. 244, 34. Pherekydes hielt sie für eine Schwester der Styx, weshalb sie dann οἱ παλαιοὶ ἐπὶ ὑγρᾶς οὐσίας τάττουσιν (Eustath. zu Il. VI 378 p. 648, 37). Da Styx schon bei Hesiod als Tochter des Okeanos und der Tethys gilt, darf es nicht wunder nehmen, wenn auch D. als Tochter des Okeanos erscheint; so bei Pausanias I 38, 7, der sich auf Autoren beruft, die den Heros Eponymos von Eleusis für einen Sohn des Hermes und der Okeanide D. halten; vgl. Hesych. s. Δμῖα (= Δάειρα): Ὠκεανοῦ θυγάτηρ καὶ Δήμητρος. Phanodemos (Eustath. a. a. O.) identificiert sie zugleich mit Aphrodite und Demeter; noch andere setzen sie der Hera gleich (Eustath. a. a. O.). Religionsgeschichtlich wichtig scheint nur die bei Serv. Aen. IV 58 erhaltene Notiz zu sein, dass der Tempel der Iuno in Eleusis geschlossen wird, cum Cereris sacrum fit, und umgekehrt der Tempel der Ceres, cum Iunoni Eleusine (sacrum) fit, nec sacerdoti Iunonis licet gustare, unde Cereri sit libatum. Denn dass mit Iuno die ihr von einigen Mythologen (vgl. Eustath. a. a. O.) gleichgesetzte D. gemeint ist, hat v. Prott a. a. O. 259 richtig bemerkt. Auf dieselbe Quelle wie Servius gehen folgende Worte des Eustath. a. a. O. zurück: διὸ καὶ πολεμίαν τῇ Δήμητρι νομίζουσι, ὅταν γὰρ θύηται αὐτῇ, οὐ πάρεστιν ἡ τῆς Δήμητρος ἱέρεια καὶ οὐδὲ τῶν τεθυμένων γεύεσθαι αὐτὴν ὅσιον. Nach anderen (Eustath. a. a. O.) soll D. von Pluton als Wächterin der Persephone eingesetzt sein. D. ist zweimal auch in die Genealogien der alteleusinischen Localsage aufgenommen worden, einmal als Mutter des Eleusis (Paus. a. a. O.) und dann als Gemahlin des Eumolpos und Mutter des Immaros (Clemens Alex. Protr. III 45 p. 39 Pott.; Bd. I p. 47, 26 Dind.). Auch die Inschriften bringen hier nicht die geringste Entscheidung und Aufklärung. Aus der Hautgelderinschrift CIA II 741 (Dittenberger Syll.² 620, 38) geht zwar mit Sicherheit hervor, dass D. vor den Lenaeen ihr Opfer von den Epimeleten erhält. Aber an welchem Feste und mit welchen Gottheiten zusammen, bleibt noch immer unsicher, da eine sichere Ergänzung noch nicht gefunden ist (vgl. namentlich Toepffer Attische Genealogie 95. 96, 1). Jedenfalls lässt sich weder aus dieser Inschrift noch aus dem Fragment CIA I 203 irgendwie erweisen, dass D. der Beiname der Persephone je gewesen ist, was u. a. Boeckh angenommen hat. Der Opferkalender aus Kukunari (v. Prott Leges Graecorum sacrae 26. 11) lehrt, dass der D. im Monat Gamelion in der attischen Tetrapolis ein trächtiges Schaf geopfert ist. Ihr Priester hiess Δαειρίτης (s. u.). Die Namensfonu Δαῖρα statt Δάειρα ist bezeugt für Aischylos, Timosthenes und Aelius Dionysios (E. Schwabe Aelii Dionysii et Pausaniae atticistarum fragmenta p. 134, 12 m. Anm. 4: vgl. Hesych. s. Δαῖρα.
[Kern.]

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