ART

353) P. Cornelius Scipio Nasica Corculum. Von seinem Vater Nr. 350 wird Nasica z. B. bei Cicero sorgfältig unterschieden, vgl. Brut. 79: P. Scipionem Nasicam, qui est Corculum appellatus, qui bis consul et censor fuit, habitum eloquentem aiunt, illius qui sacra acceperit filium; ebd. 212: duorum abavorum (des Metellus Scipio) quam est inlustre nomen, P. Scipionis, qui bis consul fuit, qui est Corculum dictus, alterius omnium sapientissimi, C. Laeli; Tusc. I 18: cor ipsum animus videtur, ex quo excordes, vaecordes [1498] concordesque dicuntur et Nasica ille prudens bis consul Corculum et ,egregie cordatus homo, Catus Aelius Sextus‘, womit Plin. n. h. VII 118 übereinstimmt: reliquis animi bonis praestitere ceteros mortales, sapientia, ob id Cati, Corculi apud Romanos cognominati; ferner Fest. ep. 61: Corculum a corde dicebant antiqui sollertem et acutum, und Auct. de vir. ill. 44, 6: eloquentia primus, iuris scientia consultissimus, ingenio sapientissimus, unde vulgo Corculum dictus. Sonst findet sich der Beiname Corculum weder bei den Schriftstellern, noch in den Fasten. Zuerst erregte Nasica 585 = 169 als curulischer Aedil durch seine Tierhetzen Aufsehen (Liv. XLIV 18, 8, vgl. P. Cornelius Lentulus Nr. 202). Im Jahre darauf zeichnete er sich im makedonischen Kriege aus. Er führte mit 5000 Mann die glückliche Umgehung des feindlichen Heeres aus, welche dieses zur Annahme der Entscheidungsschlacht bei Pydna zwang, forderte dann im Kriegsrate den Consul L. Aemilius Paullus zum Angriff auf und kämpfte in der Schlacht tapfer mit. Nach dem Siege wurde er abgeschickt, um das wichtige Amphipolis zu besetzen, und trat von hier aus mit dem nach Samothrake geflüchteten Perseus in Verhandlungen wegen dessen Capitulation ein; dann beteiligte er sich noch an dem kurzen illyrischen Feldzuge und schloss sich erst wieder im J. 587 = 167 in Orikon dem heimkehrenden Paullus an. Die uns vorliegenden Berichte des Livius (XLIV 35, 14. 36, 9–11. 38, 1ff. 46, 1. XLV 33, 8. 34, 8) und Plutarch (Aem. Paull. 15, 3–6. 16, 1–3. 17, 1f. 18, 2. 26, 6; apophth. Aemil. Paul. 5) über diese Kämpfe und Nasicas Anteil daran gehen nach Plutarchs eigenem Eingeständnis nur teilweise auf Polybios (frg. XXIX 14, 1–3. 15, 3) zurück, teilweise auf Nasica selbst, γεγραφὼς περὶ τῶν πράξεων τούτων ἐπιστόλιον πρός τινα τῶν βασιλέων (Plut. Aem. Paull. 15, 3, vgl. 21, 3. Peter Frag. hist. Rom. 115–117). Vermutlich war diese Schrift an Massinissa gerichtet und nicht frei von Entstellungen der Wahrheit, zu denen die persönliche Eitelkeit den Verfasser verleitete (vgl. Nissen Krit. Unters. 267ff. 300ff. Soltau Herm. XXXI 155ff.). Nasica wurde für 592 = 162 mit C. Marcius Figulus zum Consul gewählt und war bereits zum Heere nach Corsica abgegangen, als sein Schwager Ti. Gracchus, der die Wahlen als Consul geleitet hatte, nachträglich meldete, es sei dabei gegen die Auspicien gefehlt worden; Nasica und Figulus wurden nach Rom zurückberufen und als vitio facti zur Niederlegung des Amtes genötigt (Fasti Cap. Chronogr. Idat. Chron. Pasch. Cic. nat. deor. II 10f.; div. I 33. II 74; ad Quint. fr. II 2, 1. Licinian. p. 10 Bonn. Val. Max. I 1, 3. Obseq. 15. Ampel. 19, 11. Auct. de vir. ill. 44, 2. Cassiod. Plut. Marcell. 5, 1–3; vgl. Mommsen St.-R. I 103, 4. 116, 1). 595 = 159 gelangte Nasica mit M. Popillius Laenas zur Censur (Fasti Cap. Cic. Brut. 79. Gell. IV 20, 11. Non. p. 168, 18 [beide aus Masurius Sabinus]. Fest. p. 285); namentlich wird von ihrer Bauthätigkeit berichtet. Nasica liess die Ehrenstatuen, die auf dem Forum ohne Genehmigung von Senat und Volk errichtet worden waren, wieder beseitigen (Piso frg. 37 bei Plin. n. h. XXXIV 30. Auct. de vir. ill. 44, 3. Ampel. 19, 11) und stellte, wahrscheinlich ebendort, [1499] die erste Wasseruhr in Rom auf (Plin. n. h. VII 215. Censorin. de die nat. 23, 7, beide nach Varro; da Censorinus davon sagt: et ipsum ex consuetudine noscendi a sole horas solarium coeptum vocari, so wird darauf auch Varro l. l. VI 4 zu beziehen sein: solarium dictum id, in quo horae in sole inspiciebantur, quod Cornelius in basilica Aemilia et Fulvia inumbravit); ferner erbaute er auf dem Capitol eine Säulenhalle (Vell. II 1, 2. 3, 1; an der ersten Stelle die Zeitangabe ungenau, weil auch die Porticus des Cn. Octavius vor der Zerstörung Karthagos erbaut wurde). Zum zweitenmal erhielt Nasica das Consulat 599 = 155 (Fasti Cap. Chronogr. Idat. Chron. pasch. Cic. acad. prior. II 137. Cassiod.; bis consul bei Cic. s. o.) und damit den Oberbefehl im Kriege gegen die Dalmater. Es gelang ihm, dieses Volk vollständig zu unterwerfen und seine Bundeshauptstadt Delminium zu zerstören, so dass sie seitdem aus der Geschichte verschwindet (Liv. op. XLVII. Frontin. strat. III 6, 2. Ampel. 19, 11. Auct. de vir. ill. 44, 4. Strab. VII 315. Zonar. IX 25 Ende). Nach den Acta triumph., von denen hier nur geringe Reste erhalten sind (Z. 1: [P. Cornelius] P. f. C[n. n.]; Z. 2: [d]e De[lmaleis]) hat er triumphiert, dagegen berichtet Auct. de vir. ill. 44, 5: imperatoris nomen a militibus et ab senatu triumphum oblatum recusavit, und Ampel. 19, 11: oblatum a senatu triumphum repudiavit. Man kann beide Angaben dahin vereinigen, dass Nasica trotz seines anfänglichen Widerstrebens die Ehre schliesslich angenommen habe; man kann aber auch in der zweiten Angabe eine tendenziöse Erfindung sehen, die ihn in ein günstiges Licht stellen sollte. Berühmter als diese kriegerischen Erfolge ist ein Beweis der Sittenstrenge, den Nasica bald darauf gab. Die Censoren M. Valerius Messalla und C. Cassius Longinus unternahmen nämlich den Bau eines festen Theaters; Nasica erhob dagegen als gegen eine den Sitten schädliche Neuerung Einspruch und setzte durch sein entschiedenes Auftreten durch, dass der angefangene Bau auf Grund eines Senatsheschlusses eingerissen werden musste. Es knüpfen sich an diese Erzählung gewisse bisher nicht genügend beachtete Schwierigkeiten. Die Censur der beiden genannten Männer fällt 600 = 154; das Verbot des Theaterbaues hat Livius nach dem übereinstimmenden Zeugnis von ep. XLVIII und Oros. IV 21, 4 unter dem J. 603 = 151 erzählt; Val. Max. II 4, 2 nennt die Namen der Censoren und den Nasicas, dagegen Augustin. civ. dei II 5 nur den des letzteren, den er wieder mit seinem Vater zusammenwirft. Bei den von Livius unabhängigen Autoren Vell. I 15, 3 und Appian. bell. civ. I 28 meint F. Schöll (Rhein. Mus. LIII 512f.) eine ganz abweichende Tradition zu finden. Beide sprechen nur von einem Censor, nämlich Cassius, beide bezeichnen die den Einspruch erhebende Persönlichkeit als Consul und beide nennen sie nach den Hss. Caepio, hicht Scipio, wie die Ausgaben bieten. Appian erzählt ausserdem die Anekdote bei der Geschichte der Gracchenzeit und nennt den Censor Λεύκιος Κάσσιος statt Γάιος, so dass man auf den Gedanken kommen könnte, seine Quelle habe etwa die Sache unter dem J. 629 = 125 berichtet und den einen Censor dieses Jahres, Cn. Servilius Caepio, [1500] gegen seinen Collegen L. Cassius Longinus Ravilla auftreten lassen. Aber gegen diese Annahme spricht die Bezeichnung des Caepio als ὕπατος, und für die Einfügung der Nachricht in die Geschichte einer späteren Zeit hat Busolt (Jahrb. f. Philol. CXLI 348) unter der Voraussetzung, dass sie sich auf Scipio beziehe, eine freilich fast allzu scharfsinnige Erklärung gegeben. Bei Velleius wird eine Datierung des Ereignisses allerdings gebracht, jedoch die Rechnungsart des Autors ist so compliciert, und die Überlieferung der Zahlen bei ihm so unsicher, dass es kaum möglich ist, das von ihm gemeinte Jahr sicher zu bestimmen. Hält man sich aber an die Bezeichnung der Einspruch erhebenden Persönlichkeit als Consul, so vermag man weder einen Caepio zu finden, der während der censorischen Amtsperiode eines der beiden Cassii – C. Cassius 600–606, L. Cassius 629–633 – das Consulat bekleidet hätte, noch bei der Änderung des Namens in Scipio einen Scipio, der diese Bedingung erfüllte, da das Consulat Nasicas ein Jahr vor die Censur des C. Cassius fällt. Die Vertauschung der Cognomina Scipio und Caepio mit einander hat keine Schwierigkeit; z. B. nennt das Chron. Pasch. die Consuln der J. 551, 614 und 648, die zu den Servilii Caepiones gehören, sämtlich Scipio; aber die ganze Tradition über den vereitelten Theaterbau bereitet eine Reihe von Schwierigkeiten, die ich hier darzulegen versuchte, aber nicht zu lösen vermag. In den Jahren nach seinem Consulat wandte Nasica seine Aufmerksamkeit in erster Linie der Entwicklung der karthagischen Frage zu; er war der anerkannte Führer der Partei, die seines Schwiegervaters Scipio Africanus Maior Politik weiter verfolgte, und unbedingt für die Erhaltung Karthagos gegen Cato und dessen Gesinnungsgenossen eintrat. In der antiken Überlieferung wird als Nasicas Hauptargument hervorgehoben, dass die Existenz Karthagos eine der vornehmsten Bedingungen für die glückliche Entwicklung des römischen Staates und Volkes selbst sei; sicherlich hat er noch andere gewichtige Gründe für seine Meinung vorzubringen gewusst. Als Gesandter in Africa im J. 602 = 152 musste er sich allerdings durch den Augenschein von der Gefährlichkeit der Lage überzeugen lassen; Schritt für Schritt musste er vor den stärkeren Beweisgründen der Gegner zurückweichen; aber noch als der Krieg vor der Thür stand, machte er unter dem Einfluss platonischer Theorien einen letzten Vermittlungsvorschlag, die Verlegung der Stadt Karthago von der Küste hinweg ins Binnenland; sogar nach der Einnahme der Stadt empfahl er noch die Schonung der Bewohner (Liv. ep. XLVIII. XLIX. Flor. I 31, 5. Oros. IV 23, 9. Ampel. 19, 11. Diod. XXXIV 33, 3–6. Plut. Cato 27, 3f. App. Lib. 69. Zonar. IX 26. 30 [chronologisch unrichtig], vgl. Meltzer Jahrb. f. Philol. CXLIII 685–688). Vielleicht um ihn anderweitig zu beschäftigen, schickte man ihn im J. 604 = 150 vor dem Ausbruch des Krieges nach Griechenland. Er sollte dort den Umtrieben des falschen Philippos (Andriskos) entgegenwirken und stellte sich selbst an die Spitze des achaeischen Aufgebots, mit dem er wenigstens Thessalien gegen die Übergriffe des Prätendenten schützte; seine Berichte veranlassten die Entsendung eines [1501] römischen Heeres unter P. Iuventius im folgenden Jahre (Liv. ep. L. Zonar. IX 28). In demselben J. 604 = 150 wurde Nasica Pontifex maximus (Cic. Cato 50; nat. deor. III 5; de or. III 134; vgl. Bardt Die Priester der vier grossen Collegien 4) und im J. 607 = 147 Princeps senatus, in welcher Würde er bei der folgenden Lectio senatus von 612 = 142 bestätigt zu sein scheint (Val. Max. VII 5, 2. Diod. XXXIV 33, 1; vgl. Polyb. XXIX 14, 1 = Plut. Aem. Paull. 15, 3. Mommsen Rhein. Mus. XIX 455. Willems Le sénat de la rép. rom. I 113, 3). Kurz darauf ist er jedenfalls gestorben, denn die gracchische Bewegung hat er nicht mehr erlebt. Seine Beredsamkeit wird gerühmt (s. o.), und einzelne Reden, wie die im Kriegsrat bei Pydna, die gegen den Theaterbau und mehrere über die karthagische Frage gehaltene werden bei den Historikern citiert, waren aber schon dem Cicero nicht mehr aus eigener Lectüre bekannt (vgl. Brut. 79). Weil er wegen seiner Kenntnis des geistlichen und weltlichen Rechts gelobt wird (Cic. Cato 50, vgl. Auct. de vir. ill. 44, 6, s. o.), könnte er der bei Pompon. Dig. I 2, 2, 37 genannte Jurist Scipio Nasica sein, cui etiam publice domus in sacra via data est, quo facilius consuli posset. Denn der hier überlieferte Vorname C. ist der Gens Cornelia fremd, also sicher falsch, und die Verwechslung Nasicas mit seinem Vater, qui optimus a senatu appellatus est, findet sich ziemlich häufig (vgl. o. Nr. 350). Über die Schriftstellerei und die philosophischen Interessen Nasicas ist bereits gesprochen worden; in der Politik hat er das Erbe seines Schwiegervaters und Vaters angetreten und ihre Partei geleitet, bis Scipio Aemilianus seinen Platz einnahm. Die trümmerhafte Überlieferung über diese Zeit lässt nicht erkennen, ob sein Bild von einer bestimmten Hand mit gewissen Zügen gezeichnet worden ist. Charakteristisch ist die ihm zugeschriebene ironische Äusserung nach dem Falle von Karthago und der Unterjochung von Hellas, jetzt sei Rom wahrlich sicher, da es vor niemand mehr Furcht und vor niemand mehr Scham zu haben brauchte (Plut. de inimic. util. 3). Seine Gemahlin Nr. 406, sein Sohn Nr. 354.
[Münzer.]

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