240) P. Cornelius Lentulus Sura, Enkel von Nr. 202 (Cic. Cat. III 10. IV 13. Dio XLVI 20, 5), nicht dessen Sohn, wie Pseudo-Ascon. div. in Caec. p. 124 Or. meint. Der Vater hiess vielleicht gleichfalls P. und kann Nr. 203 sein. Im J. 673 = 81 war er Quaestor. Die Bedenken von Willems (Le sénat de la rép. rom. I 447) gegen diese Annahme Drumanns (G. R. II 529f.) sind belanglos, da gerade dabei die Ämterlaufbahn des Lentulus als durchaus regelmässig erscheint. Das Jahr ergiebt sich aus der Angabe Ciceros Verr. I 37, C. Verres, der im J. 672 = 82 Quaestor des demokratischen Consuls Cn. Carbo gewesen, habe den Stadtquaestoren P. Lentulus und L. Triarius, offenbar seinen von Sulla bestimmten Nachfolgern, Rechenschaft über seine Kassenführung ablegen müssen. Dieselbe Zeit hat auch Plut. Cic. 17, 2 im Auge, der von Lentulus Sura erzählt: ἐν τοῖς κατὰ Σύλλαν χρόνοις ταμιεύων συχνὰ τῶν δημοσίων χρημάτων ἀπώλεσε καὶ διέφθειρεν. ἀγανακτοῦντος δὲ τοῦ Σύλλα καὶ λόγον ἀπαιτοῦντος ἐν τῇ συγκλήτῳ, προελθὼν ὀλιγώρως πάνυ καὶ καταφρονητικῶς λόγον μὲν οὐκ ἔφη διδόναι, παρέχειν δὲ τὴν κνήμην, ὥσπερ [1400] εἰώθησαν οἱ παῖδες, ὅταν ἐν τῷ σφαιρίζειν ἁμάρτωσιν. ἐκ τούτου Σούρας παρωνομάσθη· σούραν γὰρ οἱ Ῥωμαῖοι τὴν κνήμην λέγουσι. Jedenfalls war Sura nur ein Spitzname, wie der in der Bedeutung verwandte des L. Lentulus Crus Nr. 218, und ist daher von Cicero nur ausnahmsweise gebraucht worden (z. B. Brut. 230). Nach Cic. ad Att. I 16, 9 ist Lentulus zweimal vor Gericht freigesprochen worden, und Plut. Cic. 17, 2 knüpft an die eben angeführte Anekdote eine zweite: πάλιν δὲ δίκην ἔχων καὶ διαφθείρας ἐνίους τῶν δικαστῶν ἐπεὶ δυσὶ μόναις ἀπέφυγε ψήφοις ἔφη παρανάλωμα γεγονέναι τὸ θατέρῳ κριτῇ δοθέν· ἀρκεῖν γὰρ εἰ καὶ μιᾷ ψήφῳ μόνον ἀπελύθη. Die Zeit dieser zweiten Anklage ist unbekannt. Schon unter Sulla erfreute er sich eines gewissen Ansehens als Redner (Cic. Brut. 230. 308. 311). Die Praetur bekleidete er 679 = 75 und führte den Vorsitz bei den Repetundenprocessen (Pseudo-Ascon. div. in Caec. p. 109 Or.; im J. 691 = 63 als praetor iterum bezeichnet von Vell. II 34, 4 und Plut. Cic. 17, 1). Wahrscheinlich im folgenden Jahre – denn 681 = 73 kam Verres nach Sicilien – verwaltete er die Provinz Sicilien (Plin. n. h. VII 55, vgl. Val. Max. IX 14 ext. 3. Münzer Beiträge zur Quellenkritik des Plinius [Berl. 1897] 112) und wurde 683 = 71 Consul (Inschrift CIL X 3783. Tesserae CIL I 720. X 8070, 3. Chronogr. Idat. Chron. Pasch. Eutrop. VI 8, 1. Cassiod., vgl. die Bezeichnung als Consular bei Vell. II 34, 4. Dio XXXVII 30, 4). Im folgenden Jahre wurde er aber bei der grossen Säuberung des Senats durch die Censoren Cn. Lentulus Clodianus (Nr. 216) und L. Gellius Poplicola wegen seines unsittlichen Lebenswandels aus dem Senat ausgestossen (Plut. Cic. 17, 1. Dio XXXVII 30, 4; vgl. Cic. Cluent. 120. Liv. ep. XCVIII). Um wieder in den Senat zu kommen, wurde er 691 = 63 zum zweitenmale Praetor (Dio a. O.; vgl. Plut. a. O. Vell. II 34, 4), indes der gesetzmässige Weg, auf dem er zu Macht und Einfluss gelangen konnte, genügte ihm nicht, und daher wurde er der vornehmste Genosse des L. Catilina. Sowohl seine Abkunft, wie sein Rang und sein Alter verschafften ihm unter den Teilnehmern der Verschwörung einen Platz, für den ihn seine Begabung nicht befähigt hätte (vgl. z. B. die Schilderung bei Dio XLVI 20, 3–5; über deren Quelle vgl. Schwartz o. Bd. III S. 1719); er glaubte offenbar, wie es früher Crassus und Caesar gethan hatten, sich Catilinas nur als des Werkzeugs seiner eigenen Pläne bedienen zu können und auf dessen Schultern selbst den Gipfel der Herrschaft ersteigen zu können. Daher nahm er für sich die angebliche Weissagung der sibyllinischen Bücher in Anspruch, dass drei Corneliern die Herrschaft über Rom bestimmt sei, und gedachte sich als Dritter an Cinna und Sulla zu reihen (Cic. Cat. III 9ff. 16. IV 2. 12; Sulla 70. Sall. Cat. 47, 2. Flor. II 12, 8. Quintil. inst. or. V 10, 30. Plut. Cic. 17, 4. App. b. c. II 4); daher wurde er stets als das Haupt der Verschwörung neben Catilina betrachtet und ist es auch, nicht zum Glück des Unternehmens, nach Catilinas Abreise von Rom gewesen (vgl. z. B. Cic. Sulla 16. 30. 33. 53. 75. 76; Flacc. 95. 97. Sall. Cat. 17, 3. 32, 2. 39, 6. 43, 1. 51, 7. 52, 17. Liv. ep. CII. [1401] Vell. II 34, 4. Flor. II 12, 8. Iuven. X 287. Hieron. zu Euseb. chron. II 135 w Schöne. Diod. XL 5 [Müller FHG II, XXVI]. Plut. Cic. 17, 1. 18, 1. 24, 1; Caes. 7, 2; Cato min. 22, 1. App. b. c. II 2. Dio XXXVII 30, 4. 34, 1. XXXVIII 14, 5). Der Brief, den er als der Führer der Verschworenen in der Stadt an den in Etrurien weilenden Catilina sandte, ist fast in dem Tone eines Vorgesetzten, der zu einem Untergebenen spricht, gehalten (Cic. Cat. III 12. Sall. Cat. 44, 6; der Wortlaut nicht genau übereinstimmend), und der folgenschwerste Schritt, der in der Abwesenheit jenes von den Genossen in Rom unternommen wurde, ist anscheinend aus der persönlichen Initiative des Lentulus hervorgegangen. Catilina hatte zwar in ganz Italien Verbindungen angeknüpft und einzelne Fäden mögen noch weiter gereicht haben (vgl. Cic. Cat. IV 6), aber die Entscheidung lag in Rom, und auf ihre Vorbereitung sollte sich nach seinen Anordnungen die Thätigkeit der dort gebliebenen Genossen beschränken. Statt dessen wollte Lentulus die Sache in grösserem Massstabe angreifen und liess sich in Unterhandlungen mit den Gesandten der Allobroger ein (Sall. Cat. 40, 1). Diese verrieten ihn an die Regierung, und der Consul Cicero that rasch die nötigen Schritte zur Unschädlichmachung der Rädelsführer. Sowie er die Beweise ihrer Schuld in Händen hatte, verhaftete er sie; am Morgen des 3. December liess er sie zu sich bescheiden und festnehmen, zuletzt den Praetor Lentulus, den er selbst in den Senat brachte (Cic. Cat. III 6. Sall. Cat. 46, 3. 5). Dessen Verhör war der am meisten dramatische Teil der Senatsverhandlung, aber sein Leugnen war den erdrückenden Schuldbeweisen gegenüber nutzlos, und schliesslich legte er ein offenes Geständnis ab (Cic. Cat. III 10–12. Sall. Cat. 47, 2; vgl. John Jahrb. f. Philol. CXXXI 851ff.). Er wurde darauf zur Abdication gezwungen (vgl. Mommsen Staatsr. I 627, 2) und dem Aedilen P. Lentulus Spinther (Nr. 238) zur Bewachung übergeben (Cic. Cat. III 14f. IV 5. Sall. Cat. 47, 2–4. Plut. Cic. 19, 2. App. b. c. II 5. Dio XXXVII 34, 2). Die Entscheidung über sein Geschick wurde mit dadurch beschleunigt, dass es hiess, seine Freigelassenen und Clienten möchten ihn mit Gewalt befreien (Cic. Cat. IV 17. Sall. Cat. 50, 1. App. b. c. II 5. Dio XXXVII 35, 3); das Todesurteil wurde trotz Caesars Widerstand gefällt und der Consul selbst brachte wiederum am Abend des 5. December Lentulus nach dem Tullianum, wo er erdrosselt wurde (Sall. Cat. 55, 1–6. Liv. ep. CII. Vell. II 34, 4. Schol. Bob. Milon. p. 277 Or. Plut. Cic. 22. 1f.; Cato min. 26, 1. App. b. c. II 2. Dio XXXVII 36, 4. XLVI 20, 5). Seine Gemahlin war Iulia, eine Tochter des L. Iulius Caesar, Consuls 664 = 90, die in erster Ehe mit M. Antonius Creticus verheiratet gewesen war (Cic. Phil. II 14. Schol. Gronov. Catil. p. 412; vgl. o. Bd. I S. 2595); ihr Sohn, der Triumvir Antonius, behauptete später, Cicero habe ihm zuerst nicht einmal den Leichnam des Lentulus ausliefern wollen, doch ist dies nicht wahr (Cic. Phil. II 17. Plut. Ant. 2, 1). Sallust Cat. 58, 4 lässt Catilina nach dem Falle seiner Genossen in Rom sprechen: scitis equidem, milites, socordia atque [1402] ignavia Lentuli quantam ipsi nobisque cladem adtulerit; dieses Urteil ist im wesentlichen richtig und daher auch von den Neueren angenommen worden. Cicero, dessen Urteil sonst getrübt ist, wo er von seinen Gegnern redet, bemühte sich bisweilen, unparteiisch zu erscheinen; so erwähnt er Cat. III 11 von den Eigenschaften des Lentulus: ingenium illud et dicendi exercitatio … impudentia, qua superabat omnes (ein Beispiel dafür Sen. de ira III 38, 2) und schildert ihn später Brut. 235: cuius et excogitandi et loquendi tarditatem tegebat formae dignitas, corporis motus plenus et artis et venustatis, vocis et suavitas et magnitudo. Kinder scheint Lentulus nicht gehabt zu haben, denn der im J. 709 = 45 von Cic. ad fam. V 11, 1 erwähnte Sura hat offenbar nichts mit ihm zu thun; das Cognomen findet sich in republicanischer Zeit auch bei Bruttius Sura Bd. III S. 915 Nr. 10.
[Münzer.]
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