ART

168) Cornelius Labeo, antiquarisch-theologischer Schriftsteller der späteren Kaiserzeit, wichtig als Vermittler älterer römischer Gelehrsamkeit an die christlichen Apologeten und an spätere Compilatoren. Mit vollem Namen nennt ihn nur Macrobius (Sat. I 12, 20. 21. 16, 29. 18, 21. III 4, 6), doch beweist die Übereinstimmung von Macr. III 4, 6 mit Interp. Serv. Aen. I 378, dass der an letzterer Stelle genannte Labeo ebenfalls Cornelius Labeo ist, und weiterhin zeigt dasjenige, was Serv. Aen. I 378, ferner Augustinus (de civ. dei II 11. 14. III 25. VIII 13. IX 19. XXII 28), Fulgentius (serm. ant. p. 112, 11 Helm) und Johannes Laurentius Lydus (de mens. p. 11, 16. 47, 18. 63, 8. 83, 8 Wünsch; de ost. p. 8, 25. 93, 4 Wachsm.²) unter dem Namen Labeo anführen, sowohl unter sich als mit den bei Macrobius vorliegenden Fragmenten des Cornelius Labeo eine so grosse innere Verwandtschaft, dass man alle diese Stellen mit Sicherheit auf den letztgenannten Autor zurückführen kann. Endlich hat G. Kettner (Cornelius Labeo, ein Beitrag zur Quellenkritik des Arnobius, Progr. v. Pforta 1877), dessen Beweisführung dann von Jac. Mülleneisen (De Cornelii Labeonis fragmentis studiis adsectatoribus, Diss. Marburg 1889), namentlich aber von W. Kahl (Cornelius Labeo, ein Beitrag zur spätrömischen Litteraturgeschichte, Philol. Suppl. V 719ff.) und Alex. Röhricht (Die Seelenlehre des Arnobius nach ihren Quellen und ihrer Entstehung untersucht, Hamburg 1893, 30ff.) revidiert und verstärkt worden ist, an der Vergleichung mit den genannten Autoren dargethan, dass Arnobius den Cornelius Labeo, ohne ihn je zu nennen, in ziemlich weitem Umfange benützt und zugleich zu widerlegen versucht hat (bestritten von K. Buresch Klaros 128, dessen dort in Aussicht gestellte Widerlegung nie erschienen ist). Diese versteckte Polemik des Arnobius gegen Cornelius Labeo, bei der wir den Eindruck gewinnen, dass es sich hier um ,die Kritik eines jüngst erschienenen, von vielen genannten und viele verführenden Werkes‘ (Kettner a. a. O. 34, dazu A. Reifferscheid Coniectanea, Ind. lect. hib. Vratisl. 1879, 1 9) handelt, gibt nicht nur einen Terminus ante quem, sondern macht es auch wahrscheinlich, dass Cornelius Labeo kurz vor Arnobius, also um die Mitte oder in der zweiten Hälfte des 3. Jhdts. schrieb (anders Buresch a. a. O. 54ff.), wozu es sehr wohl passt, dass er nicht nur den Platon unter die Halbgötter rechnet (August. c. d. II 14. VIII 13), sondern auch ganz offenbar in seiner theologischen Gesamtanschauung bereits unter dem Einflusse des Neuplatonismus steht. Dahin weisen die beiden sicher bezeugten Titel seiner Werke, de oraculo Apollinis Clarii (Marc. I 18, 21) und de dis animalibus (Serv. Aen. III 168); denn in dem ersteren wurde allem Anschein nach ein System der Theokrasie und Theosophie im Anschlusse an Orakel des klarischen Apollon vorgetragen (Macr. a. a. O. führt ein Orakel dieses Gottes von fünf Versen – s. Buresch a. a. O. [1352] 48ff. – an und fährt dann fort: huius oraculi vim numinis nominisque interpretationem, qua Liber pater et Sol Ἰαώ significatur, exsecutus est Cornelius Labeo in libro cui titulus est de oraculo Apollinis Clarii), ähnlich wie es Porphyrios in seinem grossen Werke περὶ τῆς ἐκ λογίων φιλοσοφίας that (G. Wolff Porphyr. de philos. ex orac. haur. libr. reliqu. p. 38ff.), die andere Schrift aber behandelte nach dem Zeugnisse des Serv. a. a. O. (Labeo in libris qui appellantur de dis animalibus: in quibus ait esse quaedam sacra quibus animae humanae vertantur in deos, qui appellantur animales, quod de animis fiant. hi autem sunt di penates et viales) die Entstehung göttlicher Wesen, wie z. B. der Penaten und Laren, aus menschlichen Seelen, also eine Daemonologie in der Art, wie sie zuerst in den Ausführungen des Apul. de deo Socr. 15 p. 15, 15 Lütj. (= August. c. d. IX 11, vgl. Mart. Cap. II 162f.) über die Herkunft der Lares, Larvae, Lemures und Manes vorliegt (vgl. auch August. c. d. XXII 28 Labeo etiam dicit, duos uno die fuisse defunctos et occurrisse invicem in quodam compito, deinde ad corpora sua iussos fuisse remeare et constituisse inter se amicos se esse victuros, atque ita esse factum, donec postea morerentur); dass Cornelius Labeo dabei auch bereits christlichen Vorstellungen Rechnung trug, beweist August. c. d. IX 19: nonnulli istorum, ut ita dixerim, daemonicolarum, in quibus et Labeo est, eosdem perhibent ab aliis angelos dici, quos ipsi daemones nuncupant. bonos angelos isti esse non negant, sed eos bonos daemones vocare quam angelos malunt. In den labeonischen Fragmenten bei Augustin tritt uns als charakteristisch namentlich die Scheidung von numina bona und mala entgegen (August. c. d. II 11 Labeo quem huiuscemodi rerum peritissimum praedicant, numina bona a numinibus malis ista etiam cultus diversitate distinguit, ut malos deos propitiari caedibus et tristibus supplicationibus adserat, bonos autem obsequiis laetis atque iucundis, qualia sunt, ut ipse ait, ludi convivia lectisternia; vgl. III 25. VIII 13; danach bei Arnob. VII 23 di laevi und dexteri), die ebenso neuplatonisch ist (vgl. Kahl a. a. O. 780ff.) wie die Tendenz, verschiedene Gottheiten mit einander zu identifizieren und auf die Grundkräfte Sonne, Mond, Erde zurückzuführen (Macr. I 12, 21 Maia = Bona Dea = terra = Fauna = Ops = Fatua; I 18, 21 Liber = sol = Ἰαώ; vgl. Wissowa De Macrob. Saturn. fontibus 35ff.). Was aber den Schriften des Cornelius Labeo einen besonderen und dauernden Wert verlieh, war der Umstand, dass er – ähnlich wie auf griechischem Gebiete Porphyrios – seine Speculationen auf sehr umfassende und eindringende antiquarische Studien stützte und sich nicht damit begnügte, seine eigenen Deutungen vorzutragen, sondern auch mit grosser Gelehrsamkeit die in der älteren Litteratur niedergelegten Meinungen über Wesen und Bedeutung der Gottheiten beibrachte; ein Musterbeispiel dafür ist seine Zusammenstellung der älteren δόξαι über die (von Cornelius Labeo selbst als di animales gedeuteten, s. o.) Penaten, die Arnob. III 40 direct, Macr. III 4, 6ff. und der Interp. Serv. Aen. I 378. II 296. 325. III 119. 148 durch Vermittlung eines Vergilcommentars [1353] benützt haben und die sich aus diesen Parallelberichten vollständig wiederherstellen lässt (Wissowa Herm. XXII 1887, 33ff.); ausserdem beruft er sich zum Beweise für seine Speculationen auf Einzelheiten des Rituals (Macr. I 12, 20), benützt für die Deutung ausgiebig die Beinamen (ἐπικλήσεις) der Gottheiten nach den Indigitationsformularen (Macr. I 12, 21 hanc eandem Bonam Faunamque et Opem et Fatuam pontificum libris indigitari. Lyd. de mens. I 21 p. 11, 15 Wünsch:: τριακοσίοις ἐγγὺς ὀνόμασιν εὐφίσκομεν καλουμένην τὴν Ἀφροδίτην, κεῖται δὲ παρὰ Λαβεῶνι τὰ ὀνοματα; Aufzählung der Cognomina des Ianus ebd. IV 1) und kennt die disciplina Etrusca, welcher er seine Theorie von den di animales entlehnt zu haben scheint, wie der Vergleich von Serv. Aen. III 168 Labeo ... ait esse quaedam sacra, quibus animae humanae vertantur in deos, qui appellantur animales, quod de animis fiunt, mit Arnob. II 62 Etrusca libris in Acheronticis pollicetur, certorum animalium sanguine, numinibus certis dato, divinas animas fieri et ab legibus mortalitatis educi ergiebt (vgl. Müller-Deecke Etrusker II 26f.). Dass Varros Antiqu. rer. div. eine Hauptquelle für Cornelius Labeo waren, steht sicher (R. Agahd Jahrb. f. Philol. Suppl. XXIV 113ff.), aber auch Nigidius Figulus de diis (A. Swoboda P. Nigid. Figuli oper. reliqu. p. 25ff.), Granius Flaccus u. a. m. hat er herangezogen.

Von den genannten beiden Werken scheint das de dis animalibus das einflussreichere gewesen zu sein; wir kennen als Ausschreiber desselben Arnobius, Augustinus und einen Vergilcommentator des 4. Jhdts., auf den sowohl Macr. III 4, 6ff. und die entsprechenden Stellen des Interp. Serv. (s. o.) als auch Serv. Aen. III 168 zurückgehen; Benützung des Buches de oraculo Apollinis Clarii lässt sich mit Sicherheit nur bei einem Schriftsteller nachweisen, der im 4. Jhdt. unter Zugrundelegung von Iamblichs Schrift περὶ θεῶν und Heranziehung einiger anderer Quellen, namentlich eben des Cornelius Labeo, eine Darstellung der neuplatonischen theokrastischen Götterlehre gab (Wissowa De Macr. Sat. fοnt. 35ff.) und von Macrobius (I 17–23. 12, 20–29. 8, 4–12. 9, 1–16) sowie wahrscheinlich – wohl indirect – von Joh. Laur. Lydus de mens, compiliert worden ist. Schwierigkeiten bereitet eine angebliche dritte Schrift des Cornelius Labeo, die Macr. I 16, 29 citiert: Cornelius etiam Labeo primo fastorum libro nundinis ferias esse pronuntiat: das Citat steht nämlich innerhalb eines Abschnittes, der sicher ganz aus einer erheblich älteren Quelle (Sueton) geschöpft ist (Wissowa a. a. O. 16ff.), und lässt sich keineswegs so leicht auslösen, wie dies sonst bei den von Macrobius aus anderer Quelle aufgeflickten Zusätzen (Wissowa a. a. O. 9f. 16f. 35f.) der Fall ist; dazu kommt, dass eine Erörterung über die sacralrechtliche Natur der nundinae und überhaupt ein Werk de fastis zu Zeit und Persönlichkeit des Cornelius Labeo wenig passen will. Darum habe ich a. a. O. 28 einen Irrtum des Macrobius angenommen, der in seiner Vorlage gefunden habe etiam Labeo (nämlich Antistius Labeo, der Jurist) primo fastorum libro und in Erinnerung an den vorher I 12, 20. 21 aus anderer Quelle citierten [1354] Cornelius Labeo den Namen falsch vervollständigt habe. Trotz des von mehreren Seiten (Schwabe zu Teuffel Litt.-Gesch. § 390, 1. Mülleneisen a. a. O. 12. Wachsmuth Ausg. von Lyd. de ost.² p. XXVIII n. 31) erhobenen Widerspruches scheint mir noch heute dies die beste Lösung der thatsächlich bestehenden Schwierigkeit zu sein, und was Schanz (Röm. Litt.-Gesch. III 164) als das einzig Bedenkliche hervorhebt, dass wir keine Schrift des Antistius Labeo unter diesem Titel nachweisen können, will nicht viel besagen; jedenfalls passt der Gegenstand gut für einen Juristen, da ja auch Masurius Sabinus (s. d.) de fastis schrieb, und die Streitfrage, ob die nundinae als feriae anzusehen seien, in das Gebiet des ius pontificium fiel, über das Antistius Labeo ausführlich handelte (s. o. Bd. I S. 2550). Wohl aber scheinen gegen meinen Lösungsversuch zwei der bei Lydus erhaltenen Labeofragmente zu sprechen; die Etymologie des Namens Februarius (ὁ δὲ Λαβεὼν ἀπὸ τοῦ πένθους λέγει κληθῆναι τὸν Φεβρουάριον· φέβερ γὰρ παρὰ Ῥωμαίοις τὸ πένθος προραγορεύεται, de mens. IV 25 p. 83, 8 W.) und noch mehr die Angabe über die ursprüngliche Tageszahl der einzelnen Monate (ὅτι ὁ Λαβεών φησι τὸν Ἰανουάριον καὶ Φεβρουάριον, Ἀπρίλιον τε καὶ Ἰούνιον, Σεξτίλλιον Σεπτέμβριον ἀπὸ ἐννέα καὶ εἴκοσιν ἡμερῶν τὸ πάλαιλαχεῖν, Μάρτιον δὲ καὶ Μάιον, Κυντίλλιον τε καὶ Ὀκτώβριον ἀπὸ μιᾶς καὶ τριάκοντα, ὅθεν τοὺς ἀπὸ ἐννέα καὶ εἴκοσι ἡμερῶν πεμπταίας ἔχειν τὰς Νώνας u. s. w., de mens. III 10 p. 47, 18 W.) sehen wirklich so aus, als seien sie einem Werke de fastis entnommen. Aber wollte man sie als Bruchstücke dem von Macr. I 16, 29 citierten Werke des Cornelius Labeo zuweisen, so käme man in neue Schwierigkeiten; denn Lyd. de mens. p. 47, 18ff. deckt sich wörtlich mit Macr. I 13, 6f., wo an eine Loslösung aus der suetonischen Umgebung nicht gedacht werden kann. Die Entscheidung wird erst dann getroffen werden können, wenn die Frage nach der Zuverlässigkeit des Lydus in den Angaben über seine Gewährsmänner in vollem Umfange gelöst sein wird.

Wenn bei demselben Lydus de ost. 3 p. 8, 25 Λαβεών neben Capito, Fonteius, Apuleius, Vicellius, (Nigidius) Figulus und Plinius unter denen aufgeführt wird, ὅσοι τούτους – d. h. τοὺς Φούσκους – ἡρμήνευσαν und dementsprechend vor c. 42 die Überschrift steht καθολικὴ έπιτήρησις πρὸς σελήνην περὶ κεραυνῶν καὶ ἄλλων καταστημάτων ἐκ τῶν Λαβεῶνος καθ’ ἑρμηνείαν πρὸς λέξιν (über Herstellung und Beziehung dieser Überschrift s. Wachsmuth a. a. O. p. XXIXf.), so ist damit gewiss unser Cornelius Labeo ebenso gemeint, wie in dem Citat des Fulgentius serm. ant. p. 112, 11 Helm Labeo qui disciplinas Etruscas Tagetis et Bacitidis quindecim voluminibus explanavit, ita ait ,fibrae iecoris sandaracei coloris dum fuerint, manales tunc verrere opus est petras‘. Mit dem wirklichen Cornelius Labeo haben aber beide Citate, von denen das zweite jedenfalls ganz erschwindelt ist (vgl. auch Bd. II S. 2723), nichts zu thun, sondern der Name des angesehenen Schriftstellers, von dessen Beschäftigung mit etruskischen Dingen man wusste, deckt fremdes und minderwertiges Gut.

Dass der in Schol. Stat. Theb. IV 482 = Mythogr. [1355] Vatic. II 41 für die Genealogie der quattuor Mercurii citierte Corvilius, dessen Namen O. Jahn (Rh. Mus. IX 627) in Cornelius ändern und dann auf Cornelius Labeo beziehen wollte, mit diesem nichts zu thun hat, geht schon daraus hervor, dass Cornelius Labeo unmöglich schlechthin als Cornelius citiert werden konnte. Da die Stelle aus dem Interp. Serv. Aen. I 297 wörtlich abgeschrieben ist (nicht richtig beurteilt von Gu. Michaelis De origine indicis deorum cognominum, Diss. Berol. 1898, 21f.), so steckt in Corvilius (Cornificius Osann, Corvinus M. Hertz, Cornutus Vollmer) wohl der Name, unter dem der Statiusscholiast diesen erweiterten Vergilcommentar las.
[Wissowa.]

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