Contorniaten nennt man gewisse medaillenähnliche Bronzen aus der römischen Kaiserzeit, die in ziemlich beträchtlicher Zahl erhalten und in allen Münzsammlungen zu finden sind. Sie sind von kreisrunder Gestalt, in dieser Hinsicht genauer gearbeitet als die Münzen, teils geprägt, teils gegossen. Der Durchmesser ist verschieden; doch ist die gewöhnlichste Grösse 37–38 mm., zuweilen auch einige Millimeter mehr oder weniger; Stücke unter 30 mm. sind sehr selten, solche über 40 mm. (45, 50 und etwas darüber), mit den Bildern des Iulianus und späterer Kaiser, etwas häufiger. Wie die Münzen sind auch die C. mit Bild und Schrift versehen, in der Regel auf beiden Seiten, einseitige sind sehr selten; die Schrift kann auch fehlen. Ausnahmen bilden die C. mit vertieften Darstellungen und Inschriften und diejenigen, bei denen die Schrift erst nachträglich eingraviert ist. Die Hauptmasse ähnelt den grossen Kupfermünzen und sog. Medaillons; und wenn sie sich von denjenigen der früheren Kaiserzeit durch das flachere Relief besonders der Rückseite [1154] und den schlechteren Stil leicht unterscheiden lassen, so kann man bei den Kaisern des 4. Jhdts. zuweilen in Zweifel sein, ob man es mit einer Münze oder mit einem C. zu thun hat. In den meisten Fällen sind aber die C. auch ohne Berücksichtigung des Stils leicht als solche zu erkennen. Abgesehen von dem, was unten über die Zeit ihrer Herstellung und über ihre Bestimmung gesagt werden wird, genügen auch schon ihre äusseren Merkmale fast immer zur Unterscheidung von den Münzen: die auf beiden Seiten ganz nahe am Rande mehr oder weniger tief eingegrabene Kreislinie und der überstehende Rand. Dem ersteren Merkmal verdanken die C. ihren modernen Namen (vom ital. contorno), aber ursprünglich ist wohl das andere das wichtigere gewesen; denn der überstehende Rand ist gleich bei der Fabrication der C. mit hergestellt, wogegen die vertiefte Kreislinie erst nachträglich eingerissen ist, was daraus zu erkennen ist, dass die Buchstaben der Umschrift oft von ihr durchschnitten sind. Wozu die vertiefte Linie diente, ist nicht klar; der erhöhte Rand hatte, wie wir sehen werden, einen praktischen Zweck bei der Benutzung der C. Bei sehr vielen Stücken kommt zu diesen beiden Merkmalen als drittes hinzu, dass sie, meistens auf der Vorderseite, mit eingravierten Zeichen versehen sind, die zuweilen mit Silber ausgelegt sind. Solche Zeichen sind ein Palmzweig, Blatt, Kranz u. a., am häufigsten aber das Monogramm (oder ähnlich; EP oder PE, lateinisch oder griechisch ?), das wie einige der übrigen Zeichen auch auf anderen Denkmälern vorkommt, aber noch nicht zuverlässig erklärt ist (vgl. Bruzza Ann. d. Inst. 1877, 58–72. Blanchet Revue num. 1890, 480–486. Ihm Röm. Mitt. 1891, 216ff. zur Spieltafel nr. 70, wo aber das zweimalige PER gewiss nur auf willkürlicher Auflösung des Monogramms durch Jucundus beruht). Auf Münzen finden sich diese eingravierten Zeichen äusserst selten; sie beweisen dann, dass die so bezeichneten Stücke zu demselben Zweck wie die C. benutzt worden sind.
Wie bei den Münzen unterscheidet man auch bei den C. Vorderseite und Rückseite. Die eine Seite zeigt in der Regel einen Kopf oder ein Brustbild; diese können wir hier um so mehr als die Haupt- oder Vorderseite bezeichnen, als auch das Relief meistens höher ist als auf der andern Seite. Gewöhnlich ist es der Kopf eines Kaisers, wobei Nero und Traianus am häufigsten erscheinen (weit mehr als die Hälfte aller bekannten C. zeigt ihr Bild); andere Herrscher und Mitglieder der Kaiserhäuser des 1. und 2. Jhdts. sind selten; von Kaisern des 3. Jhdts. findet sich nur Caracalla, dann erst wieder aus dem 4. Jhdt. Constantin d. Gr. und seine Söhne Constans und Constantius, ferner Iulianus (Iovianus aber nicht, sein Name auf dem C. bei Sabatier IX 12 ist gefälscht; vgl. Cohen VIII 314), Theodosius I., Honorius, Valentinian III., Maiorianus und Anthemius, nach der Reichsteilung also nur weströmische Kaiser, was beachtenswert ist. Von anderen Persönlichkeiten ist am häufigsten Alexander d. Gr. dargestellt, auch der Kopf seiner Mutter Olympias findet sich, wenn auch nur selten; dann erscheint ziemlich oft das conventionelle Porträt des Homer, während Euripides und Demosthenes nur je einmal nachweisbar sind. [1155] Das Stück mit den Köpfen des Nikokreon und Anaxarchos (Sabatier XV 2) ist gefälscht (s. Cohen VIII 283). Von römischen Schriftstellern findet sich am häufigsten Sallust, nächst ihm Horaz, aber auch Appuleius und Terenz; diese Porträts scheinen nicht willkürlich erfunden zu sein, sondern, auf zuverlässige Vorlagen zurückzugehen (für Horaz vgl. O. Rossbach Neue Jahrb. 1899, 20). Auch der Kopf des Apollonius von Tyana findet sich einmal; er verdankt das vielleicht weniger seiner Schriftstellerei als seinem Ruf als Wunderthäter; auch für Appuleius könnte dasselbe gelten. Götterköpfe erscheinen selten; nur von Roma ist eine grössere Anzahl, zum Teil beachtenswerter Darstellungen vorhanden. Von anderen Bildern der Vorderseiten sei noch das der zwei Masken und das besonders häufige eines Kutschers (?) mit seinem Pferde, gewöhnlich in halber Figur, erwähnt. Die Inschriften geben die Namen der dargestellten Persönlichkeiten an, gewöhnlich im Nominativ, aber auch als Dedication im Dativ; bei den Kaisern oft auch die Titel, aber mit so vielen Fehlern, dass schon dadurch der nichtofficielle Ursprung dieser Denkmäler erwiesen wird. Die Sprache ist gewöhnlich die lateinische, auch bei den Köpfen Alexanders d. Gr. (mit einer Ausnahme), mit mancherlei Fehlern in der Schreibung der griechischen Eigennamen. Die Namen der griechischen Schriftsteller, mit Ausnahme des Apollonius, sowie der Olympias und des Antinoos sind griechisch angegeben, der des Homer regelmässig ωΜΗΡΟC geschrieben; von Fehlern im Lateinischen verdient die Legende SALVSTIVS AVTOR (so auf allen Exemplaren) Beachtung.
Die Betrachtung der Rückseiten ergiebt schon beim ersten Überblick, dass die Darstellungen, die sich auf Circus und Amphitheater beziehen, weit zahlreicher sind als alle anderen zusammen. Ausser den Gebäuden selbst, deren Abbildungen nicht ohne Wert sind, finden wir die verschiedenen Arten von Kämpfen und Kämpfern, besonders die Quadrigen dargestellt, wobei oft die Namen der Kämpfer oder Sieger und auch der Pferde beigeschrieben sind. Dazu kommen einige Typen, welche theatralische und musikalische Aufführungen wiederzugeben scheinen; auch von den mythologischen und anderen Scenen mag einiges auf Dramen zurückgehen. Aber die Ansicht von Ch. Robert und Gnecchi, dass alle Darstellungen mythologischen, heroischen und historischen Inhalts von der Bühne hergenommen seien, also auch diese C. auf öffentliche Spiele Bezug hätten, ist sicher zu verwerfen; es handelt sich vielmehr sehr oft um Wiedergabe von bekannten Münztypen und Werken der bildenden Kunst. Von Göttern sind am häufigsten Dionysos (namentlich sein Zug), Kybele (gewöhnlich mit Atys) und Herakles dargestellt, andere nur vereinzelt. Wertvoller sind die Illustrationen von Mythen und Sagen, wie die Bestrafung der Dirke, die Schindung des Marsyas, Endymion und Selene, Hero und Leander, Achill und Penthesilea, Odysseus in verschiedenen Scenen (Kirke; Skylla; unter dem Widder verborgen), die Flucht des Aeneas. Zuweilen stehen die Darstellungen nicht mit der geläufigen Form der Sagen in Einklang; so findet sich öfters ein Bild, auf dem eine Frau mit einem Kinde im [1156] Arm entflieht, während am Boden ein zweites Kind mit einer oder zwei Schlangen sitzt; man würde an Alkmene mit Iphikles und Herakles denken, wenn nicht die Umschrift ΥΨΙΠΥΛΗ lautete (s. Cohen nr. 236. 394. Gnecchi nr. 76. Cat. Robert nr. 1281. 1347 mit Abb. auf Taf. XVI und XX). Der Typus ist gewiss nicht von den untergeordneten Leuten erfunden, die die C. herstellten, sondern er geht auf ein gutes Vorbild zurück; aber man könnte allenfalls annehmen, dass der Handwerker die Scene nicht erkannte und daher eine falsche Beischrift hinzufügte, falls nicht doch eine besondere Version der Hypsipyle-Sage vorliegt. Auch sonst verdienten viele Bilder der C. grössere Aufmerksamkeit der Archaeologen; nur ist bei der Behandlung grosse Vorsicht nötig, weil die Exemplare oft überarbeitet sind. In manchen Fällen lässt sich aus der Gleichheit der Vorderseiten feststellen, dass zwei verschiedene Typen als Gegenstücke zusammengehören, so die Flucht der Hypsipyle und die Flucht des Aeneas; doch ist es zweifelhaft, ob daraus etwas für die Erklärung gewonnen werden kann. Von historischen Persönlichkeiten bieten die Rückseiten der C. wiederum besonders gern Alexander d. Gr., und ein sehr beliebter Typus ist seine Mutter Olympias, auf der Kline liegend, vor ihr die Schlange; ferner kommt hier die sitzende Figur des Pythagoras einmal vor. Von römischen Typen verdient nur der öfters erscheinende Raub der Sabinerinnen Erwähnung, die Darstellung geht vielleicht auf ein theatralisches Vorbild zurück; die von Cohen für Münzen gehaltenen Stücke des Constantius mit derselben Scene dürften ebenfalls C. sein. Umgekehrt würde man das merkwürdige Stück des Constans mit der Inschrift BONONIA OCEANEN (d. i. Boulogne) trotz der vertieften Kreislinien eher für ein Medaillon halten (Eckhel VIII 110. Cohen VIII 313 nr. 331 mit Abb.). Auf der Rückseite eines Horaz-C. erscheint ein sitzender Mann mit der Beischrift ACCIVS; man will darin die Statue des Dichters Accius (Plin. n. h. XXXIV 19) erkennen. Von Scenen des täglichen Lebens findet sich nur wenig; ein Typus zeigt drei Männer bei einem Fass mit Getreide (?) beschäftigt (Cohen nr. 201 mit Abb. Cat. Robert nr. 1254 mit Abb. auf Taf. XV); häufiger ist ein anderer, bei dem drei Männer in einem Gewölbe um einen Tisch stehen, auf dem runde Gegenstände liegen (Sabatier Taf. XIX 3. Gnecchi Riv. ital. 1895, 32 und sonst); Gnecchi sieht darin ein Spiel mit C. Endlich sind als eine besondere Gruppe der C. diejenigen zu nennen, welche Münztypen wiedergeben, Darstellungen jeder Art. mehr oder weniger genau den Münzen nachgeahmt, oft sogar mit Herübernahme der Buchstaben S. C., des Zeichens der senatorischen Prägung. Die Inschriften geben wie die der Vorderseiten grösstenteils die Erklärung der Darstellung, die Namen der Götter, Heroen und menschlichen Figuren, bei den Kämpfern auch wohl die der Rosse und vereinzelt die Angabe der Faction (IN PRASINO, IN VENETO) u. dgl., öfter lateinisch als griechisch, zuweilen beide Sprachen gemischt. Die Namen der Kämpfer stehen öfters auch im Vocativ, unter Beifügung der Acclamation VINCAS oder NIKA (dafür auch NICA und selbst NICAS). Die verwandte [1157] Acclamation PLACEAS findet sich nur in zwei, vielleicht zusammengehörigen Fällen, in denen es sich um Vorführung einer Orgel handelt (PETRONI PLACEAS ein Römer mit dem Modell einer Orgel zwischen zwei anderen Römern, auf C. des Sallustius bei Sabatier X 4; PLACEAS PETRI eine grosse Orgel, von zwei Männern bedient, dahinter ein dritter, auf einem C. des Valentinianus bei Sabatier X 6). Zahlreich sind auch auf der Rückseite die orthographischen Fehler, namentlich wieder bei der lateinischen Schreibung griechischer Namen. Dahin gehört vermutlich auch die bisher unverstandene Inschrift OLEXIVS (Sabatier XIII 17 und sonst); da es die Beischrift zu einem Odysseus-Typus ist, so darf man wohl eine Entstellung von Ulixes darin erkennen. Etwas Ähnliches mag auch bei der Inschrift SABVCIVS PINIAN... auf einem andern C. (Sabatier XIII 16 und sonst) vorliegen, der wegen seiner genau gleichen Vorderseite mit diesen zusammengehört; sein Typus, ein Mann mit Stange an einem Baume, unten eine Leiter und eine Schlange, ist noch nicht erklärt. Zuweilen sind die Inschriften auch ganz unverständlich; und es ist nicht unmöglich bei dieser Art von Denkmälern, dass es sich um absichtliche Spielereien handelt, so z. B. bei dem sitzenden Manne mit der Umschrift NVSMAGCON MONIMVS, der mit verschiedenen Vorderseiten vorkommt.
Um die Zeit festzustellen, aus der die C. stammen, darf man sich nicht daran halten, dass auf den Vorderseiten meistens historische Persönlichkeiten erscheinen. Es ist nicht nur die Zeit Alexanders d. Gr. ausgeschlossen, sondern auch noch die des Nero und Traianus und der andern Kaiser bis zu Caracalla einschliesslich. Ausser dem Stil beweisen die zahlreichen Fehler in der Titulatur und der Orthographie, dass kein uns bekannter C. in das 1. oder 2. Jhdt. gehören kann, und selbst an das 3. Jhdt. ist kaum zu denken. Wann ihre Herstellung begonnen hat, ist nicht sicher festzustellen; wahrscheinlich geschah es in der Zeit Constantins und seiner Söhne, weil gerade bei ihnen die Unterscheidung der C. von den sog. Medaillons mit Porträts desselben Herrschers schwierig ist, wogegen bei den Stücken mit Porträts der älteren Kaiser (bis Caracalla) und der späteren (seit Iulianus) eine Verwechslung mit ihren Münzen nicht gut möglich ist. Cohen wollte die Entstehung der C. bestimmter unter Constans ansetzen, weil auf zwei Medaillons dieses Kaisers Merkmale erscheinen, die den C. zukommen, einmal ein Palmzweig und einmal die vertiefte Kreislinie (Méd. imp. I² Introd. S. XXV und VII² 405); aber das beweist nichts, weil auch auf sicheren Münzen älterer Kaiser, wie Gnecchi (Riv. ital. 1895, 285) nachgewiesen hat, solche Zeichen nachträglich eingraviert erscheinen. Mit einiger Sicherheit kann man nur sagen, dass die Herstellung der C. im 4. Jhdt. begonnen hat und im 5. Jhdt. fortgeführt worden ist. Der späteste trägt das Porträt des Anthemius; und auch von den Stücken ohne Kaiserbild scheint dem Stile nach keins in spätere Zeit zu gehören. Es bleibt noch die Frage zu erörtern. für welchen Zweck die C. bestimmt waren. Sicher ist, dass sie nicht als Geld gedient haben. Denn bei staatlichen Denkmälern, wie es die Münzen [1158] sind, dürften Fehler in der Titulatur u. s. w., wie sie oben geschildert wurden, nicht in solcher Menge vorkommen, wenn auch hin und wieder auch bei Münzen Versehen der Stempelschneider nachweisbar sind. Ebensowenig wäre es da möglich, dass in so vielen Fällen Vorder- und Rückseite eines Stückes gar nicht zusammenpassen; es genügt zu erwähnen, dass auf C. mit dem Kopfe Alexanders der Raub der Sabinerinnen, die römische Wölfin u. dgl. erscheint, oder dass auf der einen Seite der Kopf des Nero und auf der anderen Faustina dargestellt ist; die Stempelvertauschungen der sog. hybriden Münzen sind etwas anderes. Endlich ist es undenkbar, dass die Münzherren des 4. und 5. Jhdts. statt des eigenen Bildes diejenigen verschiedener Kaiser der Vorzeit und anderer Leute auf ihre Münzen setzten, da es sich weder um Ehrung von Vorfahren noch um sog. restituierte Münzen handelt. Es blieben also nur die C. mit den Porträts des Constantin und der späteren Kaiser übrig, welche in der That unter der Regierung der auf ihnen abgebildeten Herrscher hergestellt zu sein scheinen. Aber auch von diesen könnten nur einige des Constantin und seiner Söhne allenfalls als Geld gedient haben; die der späteren Kaiser unterscheiden sich doch zu sehr von den Münzen. Dagegen wäre es möglich, dass einige von den letzteren als Medaillen bei besonderer Gelegenheit hergestellt worden wären, wenn nicht von den Kaisern, so doch von anderen Stellen; namentlich die ganz grossen Stücke, die durch bessere Porträts mit richtiger Titulatur ausgezeichnet sind und meistens auch den früher fast immer fehlenden Perlkreis haben, könnte man wohl als Denkmünzen betrachten. Wenn das richtig ist, so kann z. B. der merkwürdige C. Valentinians III., auf dessen Rückseite sein Günstling Petronius Maximus mit der Umschrift PETRONIVS MAXSVMVS V C CONS dargestellt ist (Sabatier XVI 4), eine Medaille sein, die der letztere bei Gelegenheit seines ersten Consulats verteilt hat. Ähnlich sind vielleicht die C. aufzufassen, die auf der Vorderseite das behelmte Brustbild der Roma mit der Beischrift INVICTA ROMA FELIX SENATVS haben und auf der Rückseite die Inschrift REPARATIO MVNERIS FELICITER mit verschiedenen Typen (Sabatier X 1. XIX 13); diese wären dann vom Senat bei Erneuerung gewisser Spiele ausgegeben. Natürlich können solche Stücke, wenn sie ursprünglich auch als Medaillen gedacht waren, nebenbei auch in derselben Weise wie die gewöhnlichen C. benützt worden sein. Über diese gewöhnliche Verwendung sind früher sehr verschiedene Vermutungen aufgestellt worden, die alle von dem Überwiegen der Circus- und ähnlichen Typen ausgingen; danach wollte man in den C. Preise für die Sieger, Eintrittsmarken, Reklamen der Kämpfer u. dgl., Talismane und Amulette sehen. Alle diese Erklärungen sind von Fröhner und dann von Gnecchi mit Recht abgelehnt worden. Fröhner schlug vor, in den C. Damenbrettsteine zu sehen, während Gnecchi vielmehr Spielmedaillen, gewissermassen Vorläufer der Spielkarten, in ihnen erkennen will. Gnecchi hat sich aber ohne Not gegen Fröhners Vorschlag gesträubt; er bedachte nicht, dass es sehr verschiedene Arten von Brettspielen gegeben hat, im Altertum so gut wie [1159] heute, für die zahllose verschiedene Brettsteine verwendet worden sein müssen. Es ist durchaus zutreffend, dass eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Elfenbeintesserae der ersten Kaiserzeit und den späten C. besteht, wie es Fröhner hervorgehoben hat. Das wichtigste gemeinsame Merkmal war der überstehende Rand, der den Zweck hatte, die Typen beim Hinundherschieben der Steine auf dem Brett gegen zu schnelle Abscheuerung zu schützen. Wir haben oben gesehen, dass auch die C. mit einem solchen Rand hergestellt wurden, der nur infolge der Abnutzung durch langen Gebrauch zuweilen nicht mehr erkennbar ist. Ferner hat Gnecchi als eine Vorstufe der C. jene grossen Kupfermünzen der älteren Kaiserzeit nachgewiesen, deren Rand nachträglich so gehämmert ist, dass er überstehend beide Seiten der Münze beschützt. Dieser überstehende Rand hätte keinen Zweck gehabt, wenn nicht diese Münzen und die C. ebenso wie die alten Tesserae dazu bestimmt gewesen wären, auf Spielbrettern hin und hergeschoben zu werden. Die C. scheinen also in der That als Brettsteine gedient zu haben. Den Münzen mit gehämmertem Rand gegenüber bezeichnen sie einen Fortschritt, weil sie eigens für diesen Zweck hergestellt sind und bei der Wahl ihrer Typen auf die Verschiedenheit der Spiele Rücksicht genommen werden konnte. Auch das hat Fröhner schon angedeutet, dass die uns bekannten römischen Spieltafeln, die sog. tabulae lusoriae (gesammelt von Ihm Bonner Studien R. Kekulé gewidmet 223–239; Nachträge Röm. Mitt. 1891, 208–220), mancherlei Beziehungen zu den C. haben. Die verhältnismässig zahlreichen Spieltafeln mit Inschriften wie CIRCVS PLENVS CLAMOR POPVLI u. s. w. (Ihm nr. 39–46) erinnern an die grosse Masse der C. mit Circusdarstellungen, ebenso diejenigen mit der Acclamation VINCAS; das war vielleicht ein Brettspiel wie unser ,Wettrennspiel‘. An die Inschrift mit Erwähnung von Nahrungsmitteln (Ihm nr. 47: ABEMVS IN CENA PVLLVM PISCEM PERNAM PAONEM) erinnern die C. mit Darstellung von Fischen (Sabatier XIX 4) oder mit Schinken, Schweinskopf, Brot und Messer (Cohen nr. 188 = Cat. Robert nr. 1253). Auch die Zeichen zur Trennung der Gruppen auf den Spieltafeln, wie Zweig, Blatt und das Monogramm P, kehren eingraviert auf den C. wieder; einmal sind auch die sämtlichen Felder des Brettes mit jenem Monogramm bezeichnet (Ihm nr. 76). Wir sind natürlich nicht im stande, die Spielregeln für alle diese Brettspiele und die Verwendung der C. bei diesen Spielen zu erkennen. Manches hat Gnecchi schon richtig hervorgehoben: da die Rückseiten meistens viel stärker abgenutzt sind, darf man annehmen, dass sie beim Spiel unten lagen; die Seite mit dem Kopf war immer die Hauptseite; bei den einseitigen C. weist die leere Rückseite darauf, dass sie als Null oder Niete zu gelten hatten, und anderes. Man wird weiter kommen, wenn einmal ein vollständiges Corpus alle bekannten C. genau beschreibt, wofür Gnecchi gute Regeln aufgestellt hat. Zur Vergleichung wären die sämtlichen Spielbretter, auch diejenigen ohne Inschriften, und alle Arten von Tesserae, besonders auch einige Gruppen von Bleimarken (vgl. über diese namentlich Rostowzew Revue [1160] num. 1899, 54ff.), heranzuziehen. Auf diese Weise könnte noch manche sichere Erkenntnis über die C. und die römischen Brettspiele gewonnen werden.
Litteratur. Sammlungen: Sabatier Description générale des Médaillons Contorniates (Paris 1860) und Cohen Médailles impériales VIII 273–322; ferner Gnecchi Rivista Ital. di Numismatica VIII (1895) 287–306 (besonders aus seiner Sammlung und der Brera) und Cat. Robert (Auctionscatalog von Sambon 1898 nr. 5; er enthält unter nr. 1150–1356 die von Ch. Robert hinterlassenen C). Bearbeitungen: Eckhel D. N. VIII 277–314. Sabatier a. a. O. F. Lenormant La monnaie dans l’antiquité I 49ff. und im Dictionnaire des ant. I 1485ff. Ch. Robert besonders Revue belge 1892, 97ff und 364ff. Blanchet Revue Num. 1890, 480ff. Fröhner Annuaire de Num. 1894, 83ff. Gnecchi Rivista Ital. VIII (1895) 31ff. und 277ff. Scholz Wiener num. Monatsblatt nr. 173f.
[Pick.]
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