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Codex Iustinianus. Schon im ersten Jahre seiner Regierung, am 13. Februar 528 (Const. Haec), begann Kaiser Iustinian das grosse Werk seiner Gesetzgebung damit, dass er die Abfassung einer neuen Sammlung der kaiserlichen Constitutionen anbefahl. Die Arbeit wurde einer Commission von zehn Männern übertragen, unter welchen bereits Tribonian, der in den späteren Stadien der Gesetzgebung eine so hervorragende Rolle spielte, genannt wird. Dieser Commission wurde (anders als der von Theodosius II. im J. 435 eingesetzten) der Auftrag zu teil, nicht nur die neueren Gesetze [168] (seit 439), sondern alle Constitutionen, so weit sie praktisch geltendes Recht enthielten, in die Form eines Gesetzbuches zu bringen. Aus den Codices Gregorianus, Hermogenianus, Theodosianus und den seit 439 ergangenen Novellen sollte das Material entnommen und ihm die bereits ergangenen Erlasse Iustinians hinzugefügt werden. Die Commission erhielt die Freiheit, die sachlich unerheblichen Einleitungen der Gesetze zu streichen, Constitutionen veralteten Inhalts, sowie solche, die sich mit früheren deckten oder anderen (aufgenommenen) widersprachen, wegzulassen, auch nach Bedürfnis Zusätze und Änderungen an dem Wortlaute vorzunehmen, namentlich auch mehrere ihrem Inhalte nach zusammentreffende Constitutionen in eine zusammenzuziehen. Eine Beschränkung auf leges generales (wie beim Codex Theodosianus) war der Commission nicht auferlegt; was aufgenommen wurde, sollte, auch wenn es ursprünglich personalen Charakter gehabt hatte, damit zum allgemeinen Gesetz werden. Die Commission hat ihre Arbeit schnell genug beendet; am 7. April 529 konnte der Kaiser den neuen Codex Iustinianus veröffentlichen, und ihm vom 16. April ab Gesetzeskraft verleihen (C. Summa). Mit diesem Tage verloren alle in das neue Werk nicht aufgenommenen Constitutionen, sowie deren bisherige Sammlungen, also die Codices Gregorianus, Hermogenianus, Theodosianus ihre Geltung. Nur solche Sanctiones pragmaticae (vgl. d. Artikel), welche personale Verleihungen an Gemeinden, Vereine, Behörden oder Sonderbestimmungen in öffentlichen Angelegenheiten enthielten, sollten, soweit sie dem neuen Codex nicht widersprachen, aufrecht erhalten bleiben (C. Summa 4).

Die nächsten Jahre nach dem Erlasse des Codex Iustinianus waren der Bearbeitung des Juristenrechts gewidmet. Sie erfolgte einerseits durch selbständige kaiserliche Constitutionen – die zum Teil in einer Sammlung, den sog. quinquaginta decisiones, zusammengefasst wurden – andrerseits durch die Abfassung der Digesten (530–533; s. den Artikel). Dem gegenüber musste der Codex, der noch auf der Grundlage der Geltung der Juristenschriften nach den Vorschriften des sog. Citiergesetzes von 426 erwachsen war und die wichtigen das bisherige Recht umgestaltenden und das Digestenrecht ergänzenden Constitutionen von 529 bis 533 nicht enthielt, schon bald nach seinem Erlasse als veraltet und einer Umarbeitung dringend bedürftig erscheinen. Iustinian setzte deshalb eine neue Commission, diesmal wie bei den Digesten unter Leitung des Tribonian, ein, der ausserdem noch drei Advocaten aus Constantinopel und der Rechtslehrer Dorotheos aus Berytos angehörten. Ihr wurde der Auftrag zu teil, den Codex von 529 im Sinne der neueren Gesetzgebung umzuarbeiten. Sie sollte vor allem jene neueren Constitutionen, soweit es ihr angebracht schien, in den Codex aufnehmen und erhielt wie die frühere die Befugnis durch Streichungen und Änderungen das Werk einheitlich zu gestalten und mit dem Digestenrecht in Einklang zu bringen. Die Arbeit kam während des J. 534 zu stande und konnte am 16. November (C. Cordi) als Codex repetitae praetectionis mit Gesetzeskraft vom 29. December ab veröffentlicht werden. Zugleich wurde das bisherige Constitutionsrecht, insbesondere der Codex von 529 [169] und die seither ergangenen Erlasse Iustinians ausdrücklich ausser Kraft gesetzt.

Erhalten ist uns nur der jüngere Codex von 534 (über die Frage einer Benützung des älteren Codex in der späteren Litteratur s. Krüger in der Vorrede zu seiner grossen Ausgabe p. XIIIIff., der sie gegen Zachariae [Ztschr. f. R.-G. X 62ff.; Krit. Viertelj.-Schr. XVI 221ff.] verneint hat). Über die Geschichte seiner Überlieferung s. Krüger a. a. O. p. Vff.; vgl. von demselben Verfasser Kritik des iustinianischen Codex (1867); Ztschr. f. R. G. VIII 1ff.; dazu neuerdings Fitting Ztschr. d. Sav.-Stiftg. X 139f. Mommsen ebd. XII 149ff. Gundermann Rh. Mus. XLV 361ff. Patetta Bull. d. Ist. di dir. R. IV 249. Eine Nachbildung der leider nur sehr bruchstückweise als Palimpsest erhaltenen ältesten Hs. (6.–7. Jhdt.) giebt Krüger Codicis Iustiniani fragmenta Veronensia (1874). Das Material ist, wie die obigen Ausführungen zeigen, für die älteren Constitutionen bis auf Constantin den Codices Gregorianus und Hermogenianus, für die Gesetze von Constantin bis auf Theodosius II. (438) dem Codex Theodosianus entnommen; sodann sind die posttheodosianischen Novellen und nur für die jüngsten Constitutionen die Archive unmittelbar benützt.

Der Codex zerfällt in 12 Bücher. Die Anordnung des Stoffes scheint aus dem älteren Codex von 529 übernommen zu sein, für welchen im allgemeinen der Codex Theodosianus als Muster diente. Indessen finden sich diesem gegenüber (vgl. Codex Theodosianus) doch mancherlei Abweichungen; der C. I. ist im ganzen übersichtlicher und einheitlicher disponiert als der Codex Theodosianus. Den Gedanken einer Umarbeitung des neuen C. I. gegenüber dem alten nach Massgabe des Systems der inzwischen veröffentlichten Digesten (Karlowa 1017) muss man mit Krüger (342) zurückweisen. Buch I beginnt mit dem Kirchenrecht (1–13), behandelt sodann die Rechtsquellen (14–23) und schliesslich (von vereinzelten Einschiebungen abgesehen) die Beamten (24–57). Buch II bis VIII geben das Privatrecht und schliessen sich im ganzen der Ordnung des Edicts an; die im Codex Theodosianus (V. VIII 12–19) extravagierenden Materien sind zum Teil eingereiht, zum Teil an den Schluss des Privatrechts gestellt. Auch das Recht der Appellationen (Cod. Theod. XI 29–38) hat hier in passender Weise in Verbindung mit der Behandlung des richterlichen Urteils in Buch VII 61–75 einen Platz gefunden. Buch IX betrifft das Strafrecht und den Strafprocess, Buch X–XII behandeln das öffentliche Recht (insbesondere Fiscalrecht und Steuern, Gemeinden, Beamte) soweit es nicht schon im ersten Buch zur Darstellung gelangt ist.

Die einzelnen Bücher zerfallen in sachliche Titel, denen die einzelnen Constitutionen grundsätzlich chronologisch eingereiht sind. Die Constitutionen benennen gerade wie in den früheren Sammlungen regelmässig zu Anfang den Kaiser und Adressaten (Inscriptio) und geben am Schlusse Ort und Zeit ihres Erlasses an (Subscriptio). Doch ist gerade in dieser Hinsicht die Überlieferung keineswegs immer zuverlässig; vgl. Mommsen Abh. Akad. Berl. 1860, 349ff. Krüger Vorr. z. grossen Ausg. p. XXIIIff. XXVIIff.; Ztsch. f. R.-G. VIII 1ff. XI 166ff.; Ztschr. d. Sav.-Stiftg. XIII [170] 287ff. Soweit die Compilatoren von der ihnen gewährten Erlaubnis, Constitutionen zusammenzuziehen, Gebrauch gemacht haben (die Stellen sind im kritischen Apparat der Ausgaben von Krüger kenntlich gemacht), wurde solchen Stücken regelmässig Inscriptio und Subscriptio derjenigen von ihnen gegeben, aus welcher der Anfang entnommen war. Die Constitutionen sind grösstenteils in lateinischer Sprache abgefasst, die ja bis auf Iustinian im allgemeinen als die officielle der Gesetze festgehalten wurde. Doch finden sich auch schon einige griechische von diesem Kaiser und seinen nächsten Vorgängern. Eine Anzahl von Constitutionen findet sich mehrfach (sog. Geminationen); sie sind bei Biener Beitr. z. Revision d. iust. Codex 192ff. bes. 203ff. zusammengestellt. Die älteste Constitution rührt als die einzige dieses Kaisers von Hadrian her (VI 23, 1 sine die et consulibus). Auch die folgenden Kaiser sind nur mit wenigen Stellen vertreten; grösser ist das Material, das wir von Severus und seinen Nachfolgern erhalten haben; die meisten Constitutionen stammen – was der Anlage der Codices Gregorianus und Hermogenianus entspricht – von Diocletian und Maximian. Ihre Nachfolger sind wieder in geringerem Masse vertreten; die Gesetze von Iustinian werden mit sehr viel geringeren Verkürzungen gegeben als die früheren. Das jüngste von ihnen (I 4, 34) ist erst kurz vor dem Abschluss des Werkes am 4. November 534 ergangen. Eine chronologische Zusammenstellung aller Constitutionen findet sich am Schlusse der beiden Ausgaben Krügers, ferner in Verbindung mit den aus den übrigen Codices bekannten Gesetzen bei Haenel Corpus legum Index p. 3ff. (dazu Mommsen Abh. Akad. Berl. 1860, 421). Vgl. insbesondere für die Constitutionen des Diocletian Mommsen a. a. O. 349ff., für die des Constantin Seeck Ztschr. d. Sav.-Stiftg. X 1ff. 177ff., für die Iustinians Krüger Ztschr. f. R.-G. XI 166ff.

Von den Ausgaben entsprechen den Anforderungen heutiger Textkritik nur die von Krüger: 1) Codex Iustinianus rec. P. Krüger (1877, sog. grosse Ausgabe, mit ausführlichem kritischen Commentar). 2) Im Corpus iuris civilis ed. stereotypa (ed. Mommsen, Krüger, Schöll) Vol. II (1877; sog. kleine Ausgabe: Abdruck des Textes mit dem wichtigsten kritischen Apparat).[WS 1] Über die älteren Ausgaben s. Krüger Vorr. z. grossen Ausgabe p. XIff.; Quell. u. Litt. 386ff.

Neuere Litteratur: Zimmern Gesch. d. R. Priv.-R. I 172f. 176ff. Puchta Inst. I¹⁰ 390. 398f. Rudorff R. R.-G. I 295ff. 314ff. Teuffel R. Litt.-Gesch. § 488, 4. 5. Karlowa R. R.-G. I 1005. 1016ff. Krüger Quell. u. Litt. d. R. R. 322ff. 342ff. Landucci Stor. d. dir. R. I² 283ff. 298ff. Kipp Quellenkunde 102f. 109ff.


[Jörs.]


Anmerkungen (Wikisource)

↑ Internet Archive

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