ART

9) Clemens Alexandrinus, christlicher Theolog und Schriftsteller um 200. Geboren wohl um 150 als Sohn begüterter heidnischer Eltern, mit vollem Namen Titus Flavius Clemens, scheint er von Athen aus – dies wegen Epiphan. Panar. h. 32, 6 – auf weiten Reisen sich eine ungewöhnliche Bildung und zugleich Liebe zur christlichen Religion erworben zu haben. In persönlichem Verkehr mit den Grössen seiner Zeit wie durch eifriges Studium älterer Litteratur gewann er jene Fülle von Wissen und Anschauungen, die neben dem ausgeprägten Kraftgefühl eines freien Geistes seinen Werken einen eigenen Reiz verleiht. In Alexandria traf er als Lehrer an der bereits berühmten Katechetenschule den Pantaenus, der ihn dort fesselte, so dass er erst sein Gehülfe, dann sein Nachfolger wurde, bis die Verfolgung des Septimius Severus 202 ihn zur Flucht nötigte. Er dürfte nicht wieder nach Alexandria zurückgekehrt sein, obwohl er noch über ein Jahrzehnt lebte, in Antiochien und Kleinasien hat er sich in der Zwischenzeit, wohl wieder herumwandernd, gelegentlich aufgehalten. In dem Briefe des Alexander an die Gemeinde zu Antiochien (Euseb. hist. eccl. VI 11, 6) ist der als Überbringer genannte Κλήμης ὁ μακάριος πρεσβύτερος natürlich der unsrige, und die dankbar rühmenden Prädicate, mit denen seiner gedacht wird, brauchen nur mit dem Urteil über C. in einem anderen Briefe desselben Alexander (Euseb. hist. eccl. VI 14, 8f.) zusammengehalten zu werden, um zu zeigen, mit welcher Verehrung Schüler und Freunde an ihm hingen. Dass er die Presbyterwürde erlangt hat, macht Alexander zweifellos, dazu stimmt des C. eigener Ausspruch Paedag. I 6, 37: εἴ γε ποιμένες ἐσμὲν οἱ τῶν ἐκκλησιῶν προηγούμενοι.

[12] Von seinen Werken ist nur ein Teil erhalten. Schon Eusebios, der hist. eccl. VI 13f. über sie referiert, kannte nicht alle, noch weniger gewiss Hieronymus, wenngleich er de vir. ill. 38 die aus Eusebios geschöpften Kenntnisse nach anderen Quellen zu ergänzen in der Lage ist. Sicher ist, dass nacheinander, indem der Plan sich dem Verfasser fortwährend erweiterte, aber die Absicht, eine zusammenhängende Unterweisung im Christentum zu liefern, fortbestand, die drei Hauptwerke entstanden sind: πρὸς Ἕλληνας λόγος ὁ προτρεπτικός (1 Buch), dann παιδαγωγός (3 Bücher), endlich στρωματεῖς oder στρώματα, genauer nach Photios, der biblioth. c. 109–111 über die von ihm gelesenen C.-Werke Bericht erstattet, Τίτου Φλαβίου Κλήμεντος πρεσβυτέρου Ἀλεξανδρείας τῶν κατὰ τὴν ἀληθῆ φιλοσοφίαν γνωστικῶν ὑπομνημάτων στρωματέων αʹ u. s. w. bis ηʹ. Das Verhältnis dieser drei eine Kette bildenden Werke ist noch nicht beschrieben mit der einfachen Erklärung, das erste vertrete die christliche Wahrheit gegenüber Ungläubigen, das zweite gegenüber Neugetauften, das dritte gegenüber Vollkommenen, zur Einweihung in die letzten Geheimnisse Befähigten, daher trage 1 einen apologetischen, 2 einen ethischen, 3 einen theoretischen Charakter, vielmehr wechseln mindestens in den Stromateis exoterische und esoterische Abschnitte sichtlich ab: die hier verfolgte Idee ist besonders feinsinnig entwickelt worden von F. Overbeck Über d. Anfänge d. patrist. Litt. in v. Sybels Hist. Ztschr. XII 1882. 454–468, wo auch die grundlegende Bedeutung des C. als Schöpfers einer christlichen Litteratur in des Wortes Vollsinn zur Würdigung gelangt. Der achte Stromateus befindet sich in einem neben den anderen sieben höchst auffallenden Zustande. Schon die handschriftliche Überlieferung ist da merkwürdig confus, s. Phot. cod. 111, aber wie man den Anschluss an das Ende des siebenten Buches vermisst, so fehlt öfters zwischen den einzelnen Abschnitten der Zusammenhang; auch der Umfang ist ein viel geringerer wie bei den andern Büchern, während andrerseits von blos gelegentlichen Aufzeichnungen hier wie bei den wahrscheinlich eng damit zusammengehörigen ἐπιτομαὶ ἐκ τῶν Θεοδότου und den ἐκ τῶν προφητικῶν ἐκλογαί schon der sorgfältigen Stilisierung halber kaum die Rede sein kann. Im Anfang des siebenten Stromateus hatte C. noch mehrere Bücher als Fortsetzung in Aussicht genommen; dass er das Werk nicht vollendet hat, liegt auf der Hand, die Frage aber, ob diese drei Gruppen von Bestandteilen des achten Buchs in ihrem jetzigen Bestande von der Hand des C., der dann eigentümlich gearbeitet haben würde, oder von einem verstümmelnden Abschreiber – so Th. Zahn – herrühren, mag unentschieden bleiben. Das einzige Werk von C., das wir sonst noch vollständig besitzen, ist eine gewiss seiner letzten Lebenszeit angehörige Predigt über Marcus 10, 17–31 τίς ὁ σωζόμενος πλούσιος, eine Auslegung, die bei höchst bedenklicher Anwendung der allegorisierenden Methode doch feine Gedanken herausbringt. Von anderen Arbeiten des C., z. B. περὶ τοῦ πάσχα, περὶ ἀρχῶν καὶ θεολογίας, περὶ προνοίας sind nur wenige oder gar keine Fragmente erhalten; umfangreiche Überreste besitzen wir nur noch von den wohl einer [13] früheren Periode angehörigen ὑποτυπώσεις, die Photios cod. 109 beschreibt, und die eine dogmatisch orientierte Exegese biblischer Bücher (wie Genesis, Psalmen, paulinische und katholische Briefe) bieten; das Hauptstück ist in einer lateinischen Übersetzung ex opere Clementis Al. cuius titulus est περὶ ὑποτυπώσεων, de scriptionibus adumbratis vorhanden.

Die gediegenste Ausgabe der Werke des C. war die von J. Potter, Oxon. 1715, jetzt ist neben ihrem Abdruck von R. Klotz, Lips. 1831–4, 4 Bde. am verbreitetsten die von W. Dindorf, Oxon. 1869, 4 Bde.; aber auch diese ist so unzuverlässig, dass eine Neuausgabe fast bei keinem Kirchenschriftsteller so notwendig wie bei C. ist. Tüchtige Vorarbeiten auf Grund der Hss. haben O. Stählin und J. B. Mayor geliefert. Eine unentbehrliche Ergänzung der Ausgaben, auch wertvolle Beiträge zu den litterargeschichtlichen Fragen enthaltend, ist Th. Zahn Forschungen z. Gesch. d. neutest. Kanons III, Erlang. 1884; Supplementum Clementinum und Gesch. d. neutest. Kanons II 2, Erlang. 1892, 961–964. Das Material der clementinischen Fragmente wird durch systematische Durchforschung von Florilegien und Catenen noch bedeutend anwachsen, wie sich schon aus Harnack Gesch. d. altchrist. Litt. I 317–327. 836–841. 926f. ergiebt. Die mit den philosophischen, dogmatischen, ethischen Anschauungen des C. A. und mit seinen Werken sich beschäftigende gelehrte Litteratur ist nicht so belehrend wie umfangreich. Seine Abhängigkeit von platonischen und stoischen Philosophen – neben der von Philon –, auch wenn er sie nicht nennt, ist beleuchtet worden von C. Merk Cl. Al. in s. Abhängigkeit von d. gr. Phil., Diss. Lpz. 1879. Ch. Bigg The christian Platonists of Alexandria, Oxf. 1886. P. Wendland Quaestiones Musonianae, Berl. 1886. E. Hiller Zur Quellenkritik des C. Al., Hermes XXI 1886, 126ff. Im Morgenlande haben die Alexandriner, auch Eusebios, im Abendlande vielleicht Hippolyt, jedenfalls Arnobius ihn vielfach benutzt. Aber wie ihm schliesslich die römische Kirche den Platz unter ihren Heiligen versagt hat, so hat die orientalische der nachnicaenischen Zeit sich darauf beschränkt, ihn zu verehren und einzelne Stellen aus ihm zu benutzen: verstehen konnte sie ihn nicht mehr. Er war ein leichter Schriftsteller mit seinen langen und pointenreichen Sätzen nie gewesen; die Absicht, zu verhüllen, macht ihn in den Stromata zu einem der dunkelsten. Er ist das Ideal eines kirchlichen Gnostikers auch in der Form seiner Schriften; vor einer ausdrücklichen Verdammung durch die spätere Kirche, wie sie seinem Schüler Origenes zu teil wurde, hat ihn nur die kluge Rätselhaftigkeit seiner Ausdrucksformen bewahrt. Eine alle Gesichtspunkte berücksichtigende Monographie über ihn ist noch nicht geschrieben worden; die Biographie von Fr. Böhringer Die Kirche Christi und ihre Zeugen V², Stuttg. 1874 erwähnt den C. eigentlich nur ein paarmal neben Origenes.
[Jülicher.]

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