Inhaltsverzeichnis
I. Quellen
II. Tacitus als Privatmann
III. Thronbesteigung
IV. Regierung
V. Chronologie
VI. Privatleben; Persönlichkeit; Andenken
VII. Litteratur
361) M. Claudius Tacitus, römischer Kaiser von 275–276 n. Chr.
I. Quellen. a) Sowie die Geschichtsquellen für die zweite Hälfte des 3. Jhdts. n. Chr. überhaupt nahezu versiegt sind, so gilt dies besonders von der Regierungsgeschichte des Kaisers Tacitus, die sowohl an sich, als durch das unmittelbar vorhergehende Interregnum eine Merkwürdigkeit in staatsrechtlicher Beziehung bietet. Der Stand unserer Kenntnisse über diese Regierung ist am besten gekennzeichnet durch den Umstand, dass die Biographie in den Scriptores Historiae Augustae (im folgenden citiert als Tac., die andern Vitae als Aur., Prob. u. s. w.) uns noch am meisten darüber Aufschluss giebt. Was sonst noch herangezogen werden muss, Eutrop, Victor, Eusebios-Hieronymus, Orosius, das ist alles grossenteils aus denselben trüben Quellen geschöpft, nur befreit von den vielen verdächtigen Zuthaten, von denen die Scriptores strotzen. Wenig neues erfahren wir noch aus Zosimus und Zonaras, während für chronologische Fragen einige feste Ansätze aus den späteren lateinischen, zum Teil auch aus den griechischen Chronographen zu gewinnen sind. Eine ausführliche Biographie des Kaisers soll Suetonius Optatianus geschrieben haben (Tac. 11, 7); auch wenn diese Vita überhaupt jemals existiert hat, ist ihr Verlust – schon nach dem wenigen, was aus ihr citiert wird, zu schliessen – nicht zu beklagen. An der Echtheit der Urkunden in der Hist. Aug. wird jetzt allgemein und wohl mit Recht gezweifelt. Daraus ergiebt sich, was von der Rede (Aur. 41, 4–14) und dem Brief des Kaisers Tacitus (Prob. 7, 3. 4) zu halten ist.
b) Völlige Klarheit über Namen und Titel des Kaisers, sowie einen wichtigen Beitrag zur Lösung der chronologischen Fragen gewähren die Inschriften, deren es bei der kurzen Regierungsdauer des Tacitus nicht gar viele giebt. Die meisten sind in Spanien und Africa gefunden worden, s. Index zu CIL II und VIII, sowie zu Ephem. epigr. VII; ferner CIL III 3204. 11328. 13313. 13328. 13717. IX 2328. XII 5563. 5676 b (?). Inscr. Helv. 337. Mitt. der Central-Comm. zur Erforsch. hist. Denkm. XXI (1895) 98. Vgl. auch Dessau Inscriptiones Latinae selectae I 588–591.
c) Münzen bei Eckhel VII 496–498. Cohen VI² 219–239 (im folgenden nur nach den Nummern citiert). Alexandrinische Münzen bei Mionnet VI 483f.; Suppl. IX 132f. Poole Catalogue of the Greek coins in Alexandria, London 1892. 312. Vgl. J. v. Kolb Numism. Ztschr. IX 123–131. A. Missong ebd. XII 321–323.
II. Tacitus als Privatmann. a) Name. Vor seiner Thronbesteigung hiess er M. Claudius Tacitus, CIL VIII Suppl. 18844; ein Mann des gleichen Namens CIL III 10510. Sein voller Name als Kaiser, wie er auf Inschriften und Münzen erhalten ist, lautet Imp. Caes. M. Claudius Tacitus pius felix invictus Aug. Dazu erhielt er später den Siegerbeinamen Gothicus (s. u.). Fälschlich wird sein Name Aur. 41, 4 als Aurelius Tacitus angegeben, ein Versehen, das, wie es scheint, entstanden ist durch den unmittelbar vorher genannten Namen Aurelius Gordianus. Sonst wird der Kaiser bei den Autoren und [2873] in den Consularfasten ausnahmslos Tacitus genannt.
b) Abstammung. C. stammte aus sehr reichem, aber kaum vornehmem Geschlecht. Jenes ergiebt sich daraus, dass die Einkünfte aus seinen ererbten Besitzungen, die er dann staatlichen Bedürfnissen zuwendete, 280 Millionen Sesterzen betrugen (Tac. 10, 1). Als sein Heimatsort wird Interamna angegeben (Tac. 15, 1), doch hatte er auch Besitzungen in Mauretanien, vielleicht auch in Numidien (Tac. 10, 5). Sein Nachfolger auf dem Kaiserthron, M. Annius Florianus, der sein Bruder genannt wird (Tac. 9, 6. 14, 1; vgl. 5, 2), ist, wie sein Name zeigt, und wie der Biograph zweifelnd berichtet (Tac. 17, 4), nicht der Sohn desselben Vaters, sondern nur derselben Mutter. Auf jeden Fall ist es ausgeschlossen, dass er irgendwie von dem Geschichtschreiber Cornelius Tacitus abstamme, obwohl er selbst dies behauptete (Tac. 10, 3).
c) Laufbahn. C. gehörte lange Zeit vor dem Antritt seiner Herrschaft dem Senat an (vgl. Tac. 7, 3 hactenus sententiis suis rem publicum, sc. adiuvit). Der Ausdruck qui de aliis principibus iudicasti (Tac. 4, 4) weist darauf hin, dass er im Senat schon zu einer Zeit sass, als über einen Kaiser die Damnatio memoriae ausgesprochen wurde; der letzte Kaiser vor ihm, dem dieses Schicksal zu teil wurde, war Gallienus, woraus zu schliessen ist, dass C. spätestens 268 Senator war, vielleicht sogar damals schon Princeps senatus (an die Consecration eines Kaisers ist bei diesem Ausdruck kaum zu denken; sonst müsste man freilich annehmen, dass sich diese Worte auf den kurz vorher von Tacitus selbst gestellten Antrag beziehen, Aurelian unter die Götter zu erheben, s. u.).
Im J. 275 war er zum erstenmal Consul Ordinarius mit Iulius Placidianus, Mommsen Chron. min. I 60. 66. 229. 289. 442. 706. II 148. III 395. De Rossi Inscr. Christ. urb. Rom. I 12. CIL VIII 18844; doch ist möglicherweise in diesen beiden Inschriften der zweite Consulat gemeint. Als consularis wird er auch erwähnt Tac. 4, 1. Vict. Caes. 36, 1; ebenso wird er auf Münzen aus seinem ersten (tribunicischen) Regierungsjahr als cos. bezeichnet, Eckhel VII 497. Cohen 84. Missong a. a. O. Auch auf Inschriften des Kaisers Tacitus aus dem zweiten tribunicischen Jahr findet sich die Angabe cos. (CIL II 4635f.); wenn hier nicht, was sehr wahrscheinlich ist, der Zusatz II ausgelassen ist, dann würde die Zeit dieser Inschriften zwischen dem 10. und 31. December 275 anzusetzen sein, da er zu Beginn des J. 276 cos. II war (s. u.). Zur Zeit des Todes Aurelians war er Princeps senatus (Aur. 41, 4; Tac. 4, 1. 3).
III. Thronbesteigung. Nach der Ermordung Aurelians trat ein Interregnum ein, angeblich von sechsmonatlicher Dauer, das durch Zweifel über das gegenseitige Competenzverhältnis zwischen Senat und Heer in Betreff der Kaiserwahl veranlasst wurde. Keiner dieser Factoren wollte sich das Recht der Kaiserernennung ohne den andern zusprechen, eine Mässigung, die von Seite der Soldaten geradezu unerhört war und deren Reue über die Ermordung Aurelians entsprungen sein soll (Vict. Caes. 35, 9–13. 36, 1. Tac. 2, 4–6; [2874] Aur. 40; ein [gefälschter?] Brief der Truppe an den Senat Aur. 41, 1. 2). Nach dreimaligem Meinungsaustausch kam aber schliesslich der Senat den immer dringenderen Aufforderungen des Heeres nach. Die Wahl der Senatoren fiel auf C., den angesehensten aus ihrer Mitte (Tac. 3–7; Prob. 7, 3. 11, 2; Aurel. 40, 1. 41, 4. 15. Vict. Caes. 36, 1). Der genaue Bericht des Biographen über diese Wahl ist in manchen Einzelheiten verdächtig, gar nicht zu reden von der Echtheit der Einlagen, die durch die kindischen und aufdringlichen Versicherungen von der Authenticität der Berichte (Tac. 8, 1. 2; vgl. Prob. 7, 1) nichts an Glaubwürdigkeit gewinnen (vgl. auch H. Dessau Herm. XXVII 569f. 577). Danach forderte in einer Senatssitzung, die angeblich am 25. September in der curia Pompiliana stattfand, der Consul Velius Cornificius Gordianus zur Kaiserwahl auf, für die nachträglich die Zustimmung des Heeres eingeholt werden sollte (Tac. 3, 2–7). Gewählt wurde durch Acclamation der Princeps senatus Tacitus (Tac. 4–6).
Dieser hatte nach dem Tode Aurelians zufolge einer vom Heere selbst ausgehenden Forderung (Aur. 41, 2) dessen Consecration beantragt; desgleichen forderte auf seine Anregung hin der Senat das Heer zur Wahl eines neuen Kaisers auf (Aur. 41, 13–15). Als er aber merkte, dass die Wahl ihn treffen würde, verliess er Rom und begab sich nach Baiae. Er wurde aber veranlasst, zurückzukehren und war in der Sitzung wieder anwesend, in der er zum Kaiser ausgerufen wurde (Tac. 7, 5–7; hier wird eine abweichende Version bekämpft, die sich auch bei Zonar. XII 28 findet). Auch dann noch wollte er anfänglich die Wahl nicht annehmen und wies auf sein hohes Alter und darauf hin, dass es tüchtigere und für den Thron geeignetere Männer gäbe; unter anderem soll er Probus als einen würdigeren Kaiser bezeichnet haben (Tac. 4, 5–8; Prob. 7, 1). Aber durch den Zuruf der Senatoren ermutigt und vor allem durch die Rede des Consulars Maecius Faltonius Nicomachus (Tac. 6) liess er sich doch zur Annahme der Wahl bestimmen (Tac. 7, 1). Nach der Wahl stellte der Praefectus urbi Aelius Cesettianus (der Chronogr. von 354 nennt nur Postumius Suagrus als Praefectus urbi für das J. 275, Mommsen Chron. min. I 66) auf dem Marsfeld den neuen Kaiser dem Volk und den Praetorianern vor (Tac. 7, 2–4; vgl. Mommsen St.-R. II³ 874, 3. 1069). Sobald dann Tacitus bei den Truppen angelangt war, verkündete hier der Gardepraefect Moesius Gallicanus das Ergebnis der Wahl, und der Kaiser zeigte sich auch dem Heere (Tac. 8, 3–5; vgl. die Münze mit dem Revers adlocutio Aug., Cohen 1; dass die Rede des Kaisers an die Truppen in ihrem Inhalt von der Erzählung des Biographen abweicht, indem nach jener das Heer zuerst die Wahl vorgenommen hätte, dann erst der Senat, kann nicht gar zu auffallend erscheinen, vgl. Bernhardt 217, 1; diese Auffassung wird durch alle andern Nachrichten bestätigt; Brunner 80f. irrt wohl, wenn er das in der Rede Enthaltene für allein richtig hält). Über die staatsrechtliche Bedeutung dieser Kaiserwahl vgl. Mommsen St.-R. II³ 842. III 1267.
IV. Regierung. A. Consulat; Gothenkrieg; Tod. a) Im J. 276 war C. Consul Ordinarius mit [2875] Aemilianus (CIRh. 1130; die Consularfasten bei Mommsen Chron. min. a. a. O.; als cos II genannt CIL XII 5563 = Dessau 591; unrichtig ist die Angabe Prob. 7, 4, dass er Probus zu seinem Mitconsul bestimmt habe; auf einer Münze aus seinem ersten tribunicischen Jahr wird er als cos. des(ignatus) II bezeichnet, Cohen 85; vereinzelt ist die Münze mit der Angabe cos. III, Cohen 92, was sicher auf einem Versehen beruht). Den Vorschlag, seinen Bruder Florianus zum Consul suffectus in diesem Jahre zu wählen, lehnte der Senat ab, da schon für alle Nundinien die Consules suffecti designiert worden seien (Tac. 9, 6). Dass Tacitus seinen zweiten Consulat nicht in Rom antrat, geht daraus hervor, dass er nach dem Zeugnis der Inschriften, auf denen er schon zur Zeit der I. Tribunicia potestas proconsul genannt wird (CIL II 4638. 4830. Mommsen Inscr. Helv. 337), schon vorher zum Heere abgegangen war, und zwar, wie wir aus Tac. 8, 3 erfahren, unmittelbar nach seiner Wahl. Seither ist er nicht nach Rom zurückgekehrt (CIL II 4636: trib. pot. II, procos.; die Tac. 9, 1 erwähnte oratio ist als Brief an den Senat aufzufassen, geradeso wie Prob. 11, 1; vgl. Herzog II 588, 1); denn gleich darauf wurde er durch einen Einbruch der Gothen ins Reich nach dem Orient gerufen, obwohl auch die Alamannen und Franken schon nach Aurelians Tode plündernd über den Limes ins Rheingebiet eingefallen waren (Tac. 3, 4).
b) Die Gothen waren unter dem Vorwand, von Aurelian gegen die Perser zu Hülfe gerufen worden zu sein, von den Gestaden des asowschen Meeres aus längs der Ostküste des schwarzen Meeres gezogen und nach Kleinasien vorgedrungen. Tacitus übernahm die Führung des Krieges gemeinsam mit seinem Bruder Florianus, den er zu seinem Praefectus praetorio erhoben hatte. Schon waren die Feinde bis nach Kilikien gelangt, da wurden sie von C. besiegt (Tac. 13, 2. 3. Zosim. I 63, 1. Zonar. XII 28. Malal. XII 301; wie weit die Angabe Mos. Choren. II 76 richtig ist, wo Ardaschir als Anführer genannt ist, ein Name, der sich sonst nur bei den Sassanidenfürsten findet, ist schwer zu ermessen). Dieser Erfolg verschaffte ihm den Siegerbeinamen Gothicus maximus (CIL XII 5563 = Dessau 591; Münzen mit der Aufschrift victoria Gothica Eckhel VII 498. Cohen 157–164; Mars victor Cohen 55–58; die bei Eckhel a. a. O. als victoria Pontica gelesene Umschrift heisst richtig victoria perpetua, J. v. Kolb Numism. Ztschr. IX 123–131. Cohen 165–168; victoria Aug. Cohen 150–156).
c) Nach der raschen Beendigung des Krieges wollte Tacitus nach Rom zurückkehren, fand aber durch seine eigenen Soldaten den Tod. Als Veranlassung dazu wird angegeben, dass der Kaiser seinen Verwandten Maximinus zum Statthalter von Syrien eingesetzt hatte; da sich dieser bald missliebig machte, fiel er einer Soldatenverschwörung zum Opfer, deren Urheber, um der Strafe zu entgehen, auch den Kaiser selbst umbrachten (Zosim. I 63, 1 = Io. Antioch. FHG IV 599, 157. Zonar. Malal. a. a. O. Kedren. I 463; nach diesem wäre Florianus der Anstifter des Mordes gewesen). Der Umstand, dass sich unter den Schuldigen auch Leute fanden, die schon an der Ermordung [2876] Aurelians beteiligt waren (Zosim. I 63, 2. 65, 1 = Io. Ant. a. a. O. Zonar. XII 29; bei Prob. 13, 2. 3 scheint ein Missverständnis vorzuliegen, wenn die Mörder Aurelians von denen des Kaisers Tacitus unterschieden werden), muss die Vermutung wachrufen, dass wohl auch die Furcht dieser Übelthäter mit ein Beweggrund zu Tacitus Tötung war, umsomehr als ja Tacitus diejenigen von den Mördern Aurelians, deren er habhaft werden konnte, töten liess und den andern das gleiche Schicksal drohte (s. u.). Jedenfalls aber scheint dagegen die andere Nachricht, derzufolge er eines natürlichen Todes starb (Prob. 10, 1; Carus 3, 7. Eutrop. IX 16; Tac. 13, 5 kennt beide Versionen), auf Irrtum zu beruhen, vgl. Herzog II 388, 3. Aus Vict. Caes. 36, 2 und Consular. Const. Mommsen Chron. min. I 229 erfahren wir, dass er in Tyana ums Leben kam, während Hieronymus und nach ihm Orosius und die Chronographen ungenau angeben, im Pontus (Hieronym. chron. ad a. Abr. 2293 = Euseb. 2295 arm. 2294. Oros. VII 24, 1. Mommsen Chron. min. I 148. 443. 642. II 148. 464. III 293. Synkell. I 722. Nikephor. I 749). Die Notiz, die sich nur Epit. de Caes. 36, 1 findet, dass er in Tarsus gestorben sei (angeblich am Fieber), ist augenscheinlich durch Verwechslung mit Florianus entstanden, der, wie die Überlieferung widerspruchslos angiebt, zu Tarsus von seinen Soldaten getötet wurde (Tac. 14, 2; Prob. 10, 8. 13, 4. Vict. Caes. 37, 1. Zosim. I 64, 4. Hieron. a. a. O. und die Chronographen); vgl. auch Sadée 50, 2, der einer unverlässlichen Nachricht bei Malal. XII 301 und Mos. Choren. II 76 folgt, welche als Todesort des Tacitus das sonst nicht bekannte Σταννικὴ τῆς Ποντου (Djanik dans le Pont, c’est à dire la Chaldie) angeben.
B. Verwaltung. Die Art, wie Tacitus zur Herrschaft gelangt war, zeichnete ihm den Gang seiner Politik mit Bestimmtheit vor. Seine Wahl bedeutete den Sieg der Senatsidee, und in diesem Sinne wurde sie auch von den Zeitgenossen aufgefasst. Der Kaiser selbst that nichts, um diese Auffassung zu widerlegen. Die Worte, die er gleich zu Beginn seiner Regierung an den Senat richtete (Tac. 9, 1), gewissermassen sein Regierungsprogramm (vgl. Herzog II 587), beweisen, dass er sich nur als ausübendes Organ des Senates fühlte. So stieg der Einfluss des Senates auf allen Gebieten. Unter Tacitus erhielt der Senat wieder (vorübergehend) das Recht der Münzprägung zurück, das ihm Aurelian entzogen hatte (Cohen 116. 120 Münzen mit S. C.; vgl. Mommsen Gesch. d. röm. Münzwesens 747), und den Senatoren wurde wieder die militärische Laufbahn eröffnet, die ihnen seit Gallienus versagt war (Vict. Caes. 37, 6). Es war wohl auch nur ein Zugeständnis an den Senat, wenn er im Sinne der Aufforderung eines Senators (Tac. 6, 8) versprach, er werde zu seinem Nachfolger nicht einen seiner Söhne, sondern den Würdigsten empfehlen (Tac. 14, 1), sowie wenn er dem Stadtpraefecten das Recht der obersten Appellation zuwies (Tac. 18, 3. 5. 19, 2; vgl. Mommsen St.-R. II³ 106, 1. 987), und von demselben Gesichtspunkt ist die Ablehnung zu beurteilen, die Tacitus erfuhr, als er seinen Bruder Florianus zum Consul vorschlug (s. o.). [2877]
Kein Wunder, dass man in den senatorischen Kreisen Roms über den kaum mehr erhofften Umschwung der politischen Machtverhältnisse jubelte (Vict. Caes. 36, 1. Tac. 12, 1. 2. 18f.; vgl. 13, 4; senatsfreundliche Färbung der Ereignisse ist bei diesen Autoren kaum zu verkennen). Das drückt sich auch in den Bezeichnungen aus, die dem Kaiser auf Inschriften und Münzen gegeben werden. Er wird da verae libertatis auctor (CIL XII 5563 = Dessau 591), pacator orbis (CIL VIII 10072. Ephem. epigr. VII 619. 615. 590 = Dessau 589), pacatissimus imperator (Ephem. epigr. VII 612. 613 = CIL 10089 = Dessau 590), restitutor orbis (Cohen 108f.), restitutor reipublicae (Cohen 107) genannt, freilich alles Phrasen, die auch später in der Kaisertitulatur reichlich verschwendet worden sind, vgl. Peter Die geschichtl. Litteratur in der Kaiserzeit II (1897) 14.
Trotzdem, dass Tacitus fast während der ganzen Zeit seiner kurzen Regierung von Rom abwesend war, stammen von ihm mehrere Reformen, die er gleich zu Beginn seiner Regierung durch das erwähnte Schreiben an den Senat beantragte: harte Strafbestimmungen gegen Münzverschlechterung, ein Verbot der Zeugenschaft von Sclaven gegen den eigenen Herrn (vgl. Tac. ann. II 30. III 67), die Einrichtung eines gemeinsamen Cultes aller divinisierten Kaiser (Tac. 9, 3–5; vgl. Mommsen Röm. Münzw. 794. 832). Auch erliess er Luxusverbote, wie er solche schon unter Aurelian im Zusammenhang mit dessen Münzpolitik beantragt hatte, indem er die Verwendung des Goldes zu Luxusgegenständen einschränkte, um es nicht der Münzprägung zu entziehen (Tac. 11, 6 vgl. mit Aurel. 46, 1), und traf Massregeln polizeilicher Natur. So liess er zur Aufrechthaltung der Ordnung die Thermen schon bei Einbruch der Dunkelheit schliessen und verbot Freudenhäuser innerhalb der Stadt, eine Verfügung, die sich allerdings nicht halten konnte (10, 2. 4). Endlich verdankte man seiner Freigebigkeit zahlreiche Wohlfahrtseinrichtungen und Acte der Wohlthätigkeit. Mit seinem bedeutenden Privatvermögen kam er den Staatsfinanzen zu Hilfe, unterstützte er Gemeinden und Private. Einen grossen Teil davon wendete er öffentlichen Bauten und Culten zu. Er gab das übliche Donativum an das Heer und verlieh auch dem Volke ein Congiarium (Tac. 9, 1. 10, 1. 4–6. 16, 1; Münzen mit der Umschrift annona Cohen 13f.). Er schenkte städtischen Sclaven beiderlei Geschlechts die Freiheit und zwar in Gemässheit der Lex (Fufia) Caninia nicht mehr als hundert (Tac. 10, 7). Der Monat September, in welchen der Tag seiner Geburt und seiner Wahl zum Kaiser fällt (s. u.), wurde Tacitus genannt (Tac. 13, 6). was sich nach seinem Tode kaum erhalten haben wird. Ebensowenig scheint die Verordnung zur Ausführung gelangt zu sein, dass man alljährlich zehnmal die Werke des Geschichtschreibers Cornelius Tacitus abschrieb und diese Bücher, sowie die Statuen des Schriftstellers in allen Bibliotheken aufstellte (Tac. 10, 3). Sowie C. unmittelbar nach Aurelians Tode dessen Consecration veranlasst hatte, so liess er auch als Kaiser seinem Vorgänger eine Reihe von Ehren decretieren (Tac. 9, 2. 5) und verfuhr mit unnachsichtlicher Grausamkeit gegen die Mörder Aurelians (Tac. 13, 1; Prob. 13, 2. Vict. Caes. 36, 2). [2878]
V. Chronologie. Die Termini für die Zeit, in welche das Interregnum, sowie die Regierung des Tacitus und die des Florianus fällt, ergeben sich daraus, dass wir von Aurelianus alexandrinische Münzen mit der Angabe des 7. (Poole Catalogue of the Greek coins, Alexandria, London 1892, 305. 308. v. Sallet Daten der alex. Kaisermünzen 81f.) und von Probus solche mit der Angabe des 8. Regierungsjahres (Poole 315. v. Sallet 88) besitzen. Folglich wurde Aurelianus, wenn auch nicht notwendig nach dem 28. August 275, so doch nicht lange vorher getötet (vgl. Herzog II 585, 1. Sadée 54. Klebs Prosopogr. I 401; die wenigen Inschriften Aurelians mit der VII. trib. pot., wonach er bis Ende des J. 275 gelebt hätte, haben bei der grossen Verwirrung, die in diesen Zahlenangaben gerade auf den Inschriften Aurelians herrschen, wenig zu bedeuten), und gelangte Probus noch vor dem 29. August 276 zur Herrschaft. Daraus geht aber auch hervor, dass bei der ziemlich gut und mit annähernder Übereinstimmung bezeugten Regierungsdauer des Tacitus und des Florianus das Interregnum nicht, wie mehrfach überliefert wird (Tac. 1, 1. 2, 1. 6 [mehr als 6 Monate]; Aur. 40, 4. Vict. Caes. 36, 1; nach Epit. 35, 9 währte das Interregnum gar 7 Monate), sechs Monate gedauert hat. Gegen die Annahme eines so lange bestehenden Interregnums spricht auch der Umstand, dass in dieser Zwischenzeit keine Unruhen und Verwicklungen vorkamen (Aur. 40, 4), vgl. Herzog II 586. Wahrscheinlich liegt hier eine Verwechslung mit Tacitus Regierungsdauer vor, worauf auch der Ausdruck interreges für Tacitus und Florianus (Tac. 14, 5) hinweist (Sadée 50f.).
Auf keinen Fall aber haben wir Grund, die Nachricht zu bezweifeln, dass Tacitus im Monat September, der auch der Monat seiner Geburt ist, zur Regierung gelangte (Tac. 13, 6); weniger sicher ist das Datum des 25. September für die Senatssitzung, in der seine Wahl zum Kaiser erfolgte (Tac. 3, 2); es ist durchaus möglich, dass der Biograph, dem vielleicht nur die erste Nachricht bekannt war, die genauere Angabe des Tages selbst erfunden hat (Klebs Prosopogr. s. v.). Ebenso gefälscht und auch sonst mit keinem Zeugnis vereinbar ist das Datum des 3. Februar für die Senatssitzung, in welcher der Tod Aurelians in Rom gemeldet wurde (Aur. 41, 3; verdächtig ist schon der Umstand, dass dieses Datum auch für eine Sitzung unter Probus angegeben wird, Prob. 11, 5, wo es ebensowenig passt; vgl. Herzog II 581, 1. Sadée 57); von dieser Zeitbestimmung, die sich auf irgend eine andere bestimmte Sitzung zu beziehen scheint (der Tag ist nach Philocalus und Polem. Silv., CIL I² p. 258f., ein senatus legitimus), kann ganz abgesehen werden.
Die Regierungsdauer des Kaisers Tacitus lässt sich mit annähernder Sicherheit bestimmen. Sie wird im allgemeinen mit sechs Monaten (Tac. 13, 5. 14, 5. 16, 1. Eutrop. IX 16 = Euseb. arm. 2294. Hieron. chron. 2292 = Oros. VII 24, 1. Mommsen Chron. min. I 443. 642. II 148. 500. III 414. 417. 421; ebd. II 464: ein Jahr; Io. Antioch. a. a. O. Synkell. I 722. Nikephor. I 749. Mommsen Chron.-min. III 436 [Laterc. imper. Malal.] und Malal. XII 301: sieben Monate; Zonar. XII 28: nicht ganz sieben Monate, aber nach einer [2879] andern Angabe [die sich auch bei Malal. XII 301. Kedren. I 463. Glyk. III 456 findet], nicht ganz 2 Jahre), genauer mit 200 Tagen angegeben (Vict. Caes. 36, 2. Epit. de Caes. 36, 1); die Angabe des Chronogr. vom J. 354 (Mommsen Chron. min. I 148), 8 Monate 12 Tage, bezeichnet wohl die Dauer der Regierung samt dem vorhergehenden Interregnum, wie Sadée 50–54 mit Recht annimmt; desgleichen ist dessen Annahme, dass mit den zwei Regierungsjahren, von denen Zonaras und die andern (s. o.) sprechen, die zwei Tribunenjahre gemeint seien, die wahrscheinlichste; zu verwerfen ist aber die Meinung Brunners 82, 1, dass dem Schriftsteller eine Verwechslung mit Kaiser Claudius untergelaufen sei. Hingegen werden sich diese Fragen mit den vorhandenen Hülfsmitteln kaum, wie Sadée thut, bis auf den Tag genau entscheiden lassen. Es lässt sich nach dem Gesagten nur so viel behaupten, dass Aurelian im Sommer, etwa im Juli, des J. 275 starb, dass im September nach einem ungefähr zweimonatlichen Interregnum (vielleicht ist in der Angabe von zwei Monaten, während welcher sich nach dem Bericht des Biographen, Tac. 7, 6, Tacitus vor seiner Wahl in Baiae aufgehalten haben soll, die Dauer des Interegnums überliefert) C. Kaiser wurde, und dass ihm nach einer fast siebenmonatlichen Herrschaft (also im April 276) sein Bruder Florianus folgte, der 88 Tage (Euseb. [arm. 2294: 82 Tage]. Hieron. chron. 2293. Mommsen Chron. min. I 148. 443. II 148. 500. III 293. 414. Mos. Choren. II 76. Synkell. I 722; Chron. min. I 642 und II 464: 89 Tage; III 417: 3 Monate; Zonar. XII 29: nicht ganz 3 Monate; Oros. VII 24, 1: im dritten Monat; aber dessen Angabe VII 27, 12, dass von Aurelians bis zu Florianus Tod nur sechs Monate verflossen seien, ist unrichtig; Eutrop. IX 16. Jo. Ant. a. a. O.: 2 Monate 20 Tage; Epit. de Caes. 36, 2. Chron. min. III 421. 436. Malal. XII 301: 60 Tage; Tac. 14, 2. 5: kaum 2 Monate; Vict. Caes. 37, 1: 1 oder 2 Monate), das ist von April bis Juli 276 Kaiser war. Damit stimmt, dass Probus Kampf gegen seinen Nebenbuhler Florianus zur Zeit der Sommerhitze stattfand (Zosim. I 64, 2). Damit sind ferner in Übereinstimmung die erhaltenen Inschriften des Kaisers, welche bis zur zweiten tribunicia potestas reichen (vgl. CIL II 4635f. XII 5563 = Dessau 591), sowie der Umstand, dass er im J. 276 Consul ordinarius war (s. o.). Entgegen steht diesem Ansatz nur eine alexandrinische Münze des Tacitus mit der Angabe des zweiten Regierungsjahres nach ägyptischer Zählung (Mionnet Suppl. IX 132f. nr. 619), die also beweisen würde, dass Tacitus noch im August 276 auf dem Thron war. Da aber die Echtheit dieser Münze schon an sich in Frage steht (v. Sallet Die Daten der alexandrinischen Kaisermünzen 88), so kann dieser Einwand nicht bestehen. Alle übrigen uns bekannten alexandrinischen Münzen des Tacitus stammen aus dem ersten Regierungsjahr (Eckhel VII 498. Mionnet VI 483f. nr. 3539–3545. Poole a. a. O. 312 nr. 2402–2408). Trotz der kurzen Dauer dieser Regierung giebt es Münzen, welche vota decennalia et vicennalia ausdrücken, Eckhel VII 498 = Cohen 174; vgl. den Revers aeternitas Aug., Cohen 11 f. [2880]
Schon aus dem wenigen, was wir über C.s Laufbahn wissen, ergiebt sich, dass er erst in hohem Alter zur Regierung gelangte, was in den erhaltenen Berichten teils direct, teils mittelbar bestätigt wird. Wiederholt wird er als senex bezeichnet (Tac. 4. 5. 6. 8, 5. 11, 3. 8. 16, 3; Prob. 11, 8 wird erwähnt, dass er älter als Probus war; dieser war aber zur Zeit der Regierung des Tacitus erst 43 Jahre alt, vgl. Clinton Fast. Rom. ad a. 282). Der genauen Angabe von 75 Jahren (Zonar. XII 28. Malal. XII 301; dieser giebt auch das Alter des Florianus an, 65 Jahre, wie es scheint, eine ganz freie Erfindung des lügenhaften Autors) ist nicht so unbedingt Glauben zu schenken. Die Annahme eines so hohen Alters verliert einigermassen an Glaubhaftigkeit durch die Erwähnung des Umstandes, dass seine Söhne zur Zeit seiner Thronbesteigung noch minderjährig waren (Tac. 6, 8). Vgl. zu diesen chronologischen Fragen auch H. F. Stobbe Philol. XXXII 76–78.
VI. Privatleben; Persönlichkeit; Andenken. a) C. war verheiratet (Tac. 11, 6); doch ist uns der Name seiner Gattin nicht erhalten. Er hatte mehrere Söhne, die zur Zeit seiner Herrschaft noch in jugendlichem Alter standen (Tac. 6, 8. 16, 4; vgl. 11, 5).
Unter seinen Günstlingen wird vor allen Probus genannt, an dessen Umsicht und thatkräftige Unterstützung er bei Antritt seiner Regierung appellierte; das darauf bezügliche Schreiben, das Tac. 7, 2–5 im Wortlaut mitgeteilt wird, trägt durchaus den Stempel nicht nur der Unechtheit, sondern auch der Unrichtigkeit an sich; des Irrtums, dass Probus damals zum Consul designiert worden sei, ist schon früher gedacht worden; über den hier erwähnten ducatus orientis vgl. Mommsen Herm. XXV 238. Auch bei Tacitus fehlt es nicht an den herkömmlichen Prodigien, die seine Herrschaft vorausverkündet haben sollten; einige davon werden Tac. 17, 1–3 mitgeteilt; ebd. 4–5 Vorzeichen seines nahen Todes.
Einfache Erwähnungen seiner Regierung tyr. trig. 31, 8; Aur. 41, 15; Prob. 1, 5; Firm. 1, 4; Numerian. 15, 3.
b) Aus den erhaltenen Münzbildern gewinnen wir eine hinreichend deutliche Vorstellung von seinem Äussern. Es fällt da vor allem der buschige, dichte Vollbart auf, der stark in den Hals hinein wächst. Seine Gesichtszüge weisen bei schöner Regelmässigkeit einen angenehmen, edlen Ausdruck auf. Dass er sich guter Gesundheit erfreut habe, wird ausdrucklich berichtet (Tac. 11, 3). Die Personalbeschreibung des Kaisers, die Malal. XII 301 liefert, ist wertlos und zum Teil widerspruchsvoll in sich; vgl. J. J. Bernoulli II 186f. C.s Eigenart tritt in den spärlichen und unbeholfenen Schilderungen wenig ausgeprägt entgegen. Die Angabe, dass er einerseits gravis (Tac. 4, 3), anderseits mitis (Vict. Caes. 36, 1) gewesen sei, ist wie aus dem Stegreif niedergeschrieben und passt im Grunde genommen auf jeden älteren Herrscher. Dass er als litteratus bezeichnet wird (Tac. 4, 4), geht wahrscheinlich auf seine Verfügung zurück, die Werke seines vermeintlichen Vorfahrs abschreiben zu lassen. Als sicherer Charakterzug lässt sich höchstens seine Neigung zu einfacher, nüchterner Lebensweise [2881] erkennen, die er auch von andern verlangte; darauf gehen die früher erwähnten Erlässe zurück (Tac. 10, 1. 11. 14, 4). Das Gesamturteil fasst Eutrop. IX 16 in die sehr allgemein gehaltenen Worte, die zum Teil in Epit. 36, 1 wiederkehren, vir egregie moratus et rei publicae gerendae idoneus.
c) Ein Kenotaph des Kaisers Tacitus befand sich in seiner Heimat Interamna, und hier wurde ihm auch eine grosse Marmorstatue errichtet, die später durch den Blitz zertrümmert wurde, Tac. 15, 1; daran knüpfte angeblich eine tolle Weissagung, die der Biograph 15, 2–5 mitteilt. Auch in Rom befand sich ein Bild von ihm, wo er auf einer Tafel fünfmal in verschiedener Tracht dargestellt war (Tac. 16, 2. 3).
So wie Tacitus die Mörder Aurelians, so strafte Probus die, welche dem Tacitus den Tod bereitet hatten, und welche zugleich auch die Mörder Aurelians waren; hatte ja Probus selbst seine Stellung zum Teil dem Kaiser Tacitus verdankt (Prob. 13, 3. Zosim. I 65, 1. Zonar. XII 29).
VII. Litteratur. E. Herzog Geschichte und System der römischen Staatsverfassung II (Leipzig 1887) 585–589. H. Schiller Geschichte der römischen Kaiserzeit I² (Gotha 1883) 872–875. Th. Bernhardt Geschichte Roms von Valerians bis zu Diocletians Tod I (Berlin 1867) 214–222. J. Brunner in Büdingers Unters. z. röm. Kaisergesch. II 77–87. J. Burckhardt Die Zeit Constantins des Grossen² Leipzig 1880, 28f. Klebs Prosopogr. imp. Rom. I 401f. E. Sadée De imperatorum Romanorum III p. Chr. saeculi temporibus constituendis, Diss. Bonn. 1891, 48–57. J. J. Bernoulli Römische Ikonographie II 3 (1894) 186f.
[Stein.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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