ART

308) Q. Claudius Quadrigarius, römischer Historiker, lebte nach Velleius II 9, 4 gleichzeitig mit [2859] Sisenna und Valerius Antias in der sullanischen Zeit. Den patricischen Claudiern gehört er ohne Zweifel nicht an, wie schon der Beiname Quadrigarius lehrt, der ihm vielleicht erst später zur Unterscheidung beigelegt worden ist (Mommsen Röm. Forsch. II 426). Die Zeitangabe des Velleius wird bestätigt und zugleich näher begrenzt durch die Reste seines Werkes; die letzten Bücher behandelten den sullanischen Bürgerkrieg, vielleicht auch den Kampf gegen Sertorius (79–72 v. Chr.), folglich hat er erst nach dieser Zeit sein Werk vollendet und ragt noch in das ciceronische Zeitalter hinein.

Sein Werk, römische Geschichte, wird meist annales, aber auch historiae genannt und zählte mindestens 23 Bücher. Zum Unterschiede von andern Historikern begann er erst mit dem gallischen Brande (390 v. Chr.), vermutlich weil er erst seit dieser Zeit eine Darstellung der römischen Geschichte für möglich hielt, da die älteren Aufzeichnungen durch die Gallier vernichtet seien (vgl. Liv. VI 1. Plut. Num. 1). Das 1. Buch ging etwa bis zum Ende des grossen Samniterkrieges (304 v. Chr.), im 3.–6. Buche wurde der pyrrhische und die beiden punischen, im 7. die makedonischen Kriege erzählt, im 8. der achaeische, im 9. der numantinische, im 13. die Rückkehr des Metellus (99 v. Chr.), im 18. und 19. etwa die Ereignisse der J. 90–80 v. Chr. Man sieht, das Frühere war kurz erzählt, und je mehr der Schriftsteller sich seiner Zeit näherte, desto ausführlicher ward er.

Die Darstellung war annalistisch (frg. 12. 28); im übrigen entsprach sie dem Geschmack der Zeit. Ohne Zweifel war Quadrigarius Rhetor, hat griechische Muster studiert und sich bemüht, diesen Beispielen zu folgen. Daher hat er seinen oft dürftigen Stoff durch allerlei Zuthaten zu beleben gesucht. Wir finden Reden und Briefe eingelegt (frg. 40. 89. 93), Heldenthaten, wie die berühmten Zweikämpfe des Manlius Torquatus und Valerius Corvinus (frg. 10. 12; vgl. frg. 42), Anekdoten, wie die Geschichte vom Arzte des Pyrrhos, der sich erbietet, seinen Herrn zu vergiften (frg. 40; vgl. frg. 80), Ortsbeschreibungen, Antiquarisches u. dgl. (frg. 29. 31. 91). Dem gleichen Streben entspringen die gelegentlichen Übertreibungen und Zusätze (frg. 62. 63), die seinem Rufe so sehr geschadet haben. Sein Stil war einfach und klar; er liebte kurze parataktische Sätze.

Er gehört nicht zu den angesehensten Schriftstellern der römischen Litteratur und ist bald vergessen worden; in neuerer Zeit ist mehr von ihm die Rede gewesen als bei den Alten. Cicero streift ihn kurz (als Clodius de leg. I 6); dann hat ihn Livius benutzt. Er nennt ihn nur Claudius ohne Beinamen, und deshalb hat Nissen (Krit. Unters. 39) mit Unrecht gemeint, der livianische C. sei von Quadrigarius verschieden. Seit dem 6. Buche und dann in den sog. annalistischen Partien der Bücher 31–45 und weiter bei Orosius finden wir seine deutlichen Spuren. Schon Nissen hat übrigens treffend bemerkt, dass in diesen Büchern eine Scheidung der claudischen Stücke von dem aus andern, verwandten Schriftstellern Entlehnten unmöglich ist; denn Livius hat ihn und die übrigen Annalisten nicht wörtlich ausgeschrieben, sondern bearbeitet, erweitert und verschönert [2860] (vgl. frg. 10. 12 mit Liv. VII 9. 25). Der Versuch Ungers, die claudischen Elemente aus Livius herauszuschälen, ist ganz hinfällig. Soltau (Philol. N. F. VI 664f.) hat ihn mit Recht bekämpft, ist aber selbst ebensowenig zu annehmbaren Resultaten gelangt. Die Benutzung des C. durch Dionys ist mehr als zweifelhaft; später nennt ihn Seneca einmal (de benef. III 23, 2), vielleicht durch Vermittelung einer Anekdotensammlung. Liebhaber fand unser Schriftsteller erst in der hadrianischen Epoche; dem Gellius verdanken wir die meisten grösseren Fragmente, Fronto epist. I 1 (p. 114 Naber) lobt ihn, und die Grammatiker haben seine Archaismen aufgezeichnet. Schade, dass sie uns nicht mehr geben; hätten wir ihn ganz oder in grösseren Stücken, so würde unser Urteil über die römischen Annalen, besonders über Livius, sehr an Sicherheit gewinnen; denn er schrieb vor der Zeit, die der römischen Geschichtschreibung die schlimmsten Fälschungen eingebracht hat.

Es ist noch zu erörtern, in wie weit einige Zeugnisse, in denen ein Historiker C. genannt wird, auf Claudius Quadrigarius zu beziehen seien oder nicht. Livius citiert zweimal (XXV 39, 12. XXXV 14, 5) einen C., der die griechischen Annalen des Acilius (Bd. I S. 251) ins Lateinische übersetzt habe. Nissen a. O. Mommsen (Röm. Forsch. II 426) und Teuffel-Schwabe nehmen an, dass dieser C. kein anderer sei, als der sonst von Livius benutzte Annalist, also Quadrigarius. Dieser würde also das acilische Werk vom gallischen Brande ab unter Weglassung des ersten Teiles übersetzt oder bearbeitet und bis auf seine Zeit fortgesetzt haben. Dies ist möglich; aber nach den Worten des Livius, der diesen C. offenbar von einem andern unterscheidet, ist es wahrscheinlicher, dass wir es hier mit einem andern Werk und einem andern Verfasser zu thun haben (H. Peter Rell. CCLXXXXVII). Von diesem acilianischen C. vermutet Soltau (Quellen des Liv. i. d. 3. Dekade und Philol. LVI [N. F. X] 418ff.), dass Livius ihn in der Geschichte der spanischen Kriege stark benutzt habe. Von einem andern gleichnamigen Schriftsteller Clodius citiert Plutarch Num. 1 ein Werk ἔλεγχος χρόνων. Hier war auf die Unsicherheit der älteren römischen Überlieferung hingewiesen und u. a. die auch von Cicero de rep. II 28 widerlegte Meinung bekämpft, dass Numa ein Schüler des Pythagoras gewesen sei. Niebuhr und Schwegler haben dies Werk mit den Annalen des Claudius Quadrigarius zusammengeworfen, aber mit Unrecht; andere denken an Clodius Licinus als Verfasser. Wahrscheinlich handelt es sich um eine besondere Schrift, die sich etwa mit der Widerlegung chronologischer Irrtümer befasste (Peter Rell. CCC). Endlich citiert Appian Kelt. 1 p. 14 Mendelss. einen Paulus Claudius ἐν χρονικαῖς συντάξεσιν über ein Ereignis der cimbrischen Kriege. Dem Citate nach war dies eine Chronographie, ein kurzer Abriss der Geschichte. Sie mit den Annalen des Claudius Quadrigarius oder auch, wie von Peter geschieht, mit dem ἔλεγχος des Clodius zusammenzuwerfen, liegt kein Grund vor. Schliesslich sei noch die Vermutung G. F. Ungers (a. O. 11) erwähnt, der zwar sowohl den ἔλεγχος wie die Übersetzung des Acilius [2861] als besondere Werke anerkennt, sie aber beide dem Quadrigarius zuschreibt, der demnach drei Werke, zuerst die Übersetzung des Acilius, dann die eigenen Annalen, endlich als reifste Frucht den ἔλεγχος χρόνων hervorbrachte. Auch diese Meinung ist wenig begründet. Der Name Claudius war in Rom in allen Ständen so ausserordentlich gemein, dass es in einem Zeitraum von 150 Jahren sehr wohl drei, vier und auch mehr historische Schriftsteller dieses Namens gegeben haben kann. Es liegt durchaus kein Grund vor, sie alle unter einen Hut zu bringen.

Litteratur: Giesebrecht Q. Claudius Quadrigarius, Prenzlau 1831. Peter Vet. historic. Rom. rell. CCLXXXVII. 205f. Nissen Krit. Untersuch. 39f. 91f. Mommsen Röm. Forsch. II 426. Unger Philol. Supplem. III 2, 4ff. Teuffel-Schwabe Geschichte d. röm. Litt.⁵ 256f. Schanz Röm. Litt.-Gesch. I 157.
[Niese.]

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