ART

304) P. Claudius Pulcher. Den Vornamen geben Suet. Tib. 3. Plin. n. h. XV 2. Flor. I 18, 29 falsch an, nämlich Appius; Plin. a. O. nennt C. ausserdem noch irrig Caeci nepos. Er war vielmehr Ap. f. C. n. (Fasti Cap.) und Sohn des Ap. Caecus Nr. 91 (Cic. div. I 29. Schol. Bob. p. 337. Suet. Diod. XXIV 1, 5). Nach Schol. Bob. führte er zuerst den Beinamen Pulcher. Als curulischer Aedil wird er auf einer der ältesten Inschriften, einem Meilenstein der Via Appia, erwähnt (CIL X 6838 mit p. 1019 und Eph. epigr. VIII 676 p. 165). Er erhielt das Consulat für 505 = 249 (Fasti Cap. Chronogr. Idat. Chron. pasch. Cassiod. Plin. Censorin. de die nat. 17, 10) und das Commando auf Sicilien. Wenn er wirklich der Sohn des Caecus war, muss er damals schon ein bejahrter Mann gewesen sein, und seine Kriegführung, die Rom so schweren Schaden brachte, kann nicht aus jugendlichem Leichtsinn erklärt werden. Er fand als seine Aufgabe vor, die höchst wichtige Belagerung von Lilybaeum fortzusetzen; statt dessen entschloss er sich, mit seiner Flotte die karthagische, die im Hafen von Drepana lag, zu überfallen. Der feindliche Admiral Atarbas zog schleunigst seine Schiffe aus dem Hafen heraus, in den die Römer schon einfuhren; daraufhin mussten auch diese wieder die hohe See zu gewinnen suchen, kamen dabei in Verwirrung, wurden nach der Küste hin gedrängt und mussten die Schlacht in der ungünstigsten Stellung annehmen. Dazu kam noch die Überlegenheit der Karthager im Manövrieren zur See, und so war die Entscheidung keinen Augenblick fraglich. Das erkannte der Consul, gab das Zeichen zur Flucht und entkam mit 30 Schiffen, während 93 dem Feinde in die Hände fielen. Dies ist der Bericht des Polybios I 49, 3–51, 12, an den man sich zu halten hat; die übrigen Darstellungen der Schlacht sind ungenau (Diod. XXIV 1, 5. Zonar. VIII 15. Liv. ep. XIX. Flor. I 18, 29. Eutrop. II 26. 1. Oros. IV 10, 3. Frontin. strat. II 13, 9. Schol. Bob. p. 337) und geben besonders auch die Verluste übertrieben an (vgl. Niebuhr R. G. III 714. Neuling De belli Punici primi scriptorum fontibus [Göttingen 1875] 49f. Meltzer Gesch. d. Karthager II 581). Dass man in Rom den Feldherrn verantwortlich machte für diese furchtbare Niederlage, die mit einem Schlage das Ergebnis langer Anstrengung vernichtete, war berechtigt und natürlich. Diodor. XXIV 3 giebt eine Schilderung seines Hochmutes und seiner Härte gegen Untergebene. Die verbreitete römische Darstellung misst aber weniger diesen Eigenschaften, als seiner Gottlosigkeit die Schuld an dem Unglück bei: als die heiligen Hühner vor der Schlacht nicht fressen wollten, habe C. mit den Worten ut biberent quando esse nollent sie ins [2858] Meer werfen lassen; die Strafe folgte dem Frevel auf dem Fusse (Cic. nat deor. II 7; div. I 29. II 20. 71. Liv. ep. XIX. XXII 42, 9. Flor. I 18, 29. Eutrop. II 26, 1. Val. Max. I 4, 3. VIII 1 abs. 4. Suet. Tib. 2, vgl. Dio frg. 43, 32). Ihne (R. G.² II 90) meint, dass diese Anekdote vielleicht eine späte Erfindung sei; aber es entspricht ebenso dem Geiste jener Zeit, hierin die Hauptschuld des C. zu sehen, wie dem Geiste des Consuls, sich nach dem Beispiel seines Vaters über die geheiligten Gebräuche keck hinwegzusetzen. Er gab bald noch eine zweite Probe davon, als er zurückberufen nach Rom den Auftrag erhielt, einen Dictator zu ernennen, denn er nahm dazu einen seiner Subalternbeamten, M. Claudius Glicia, der sofort abgesetzt wurde (Liv. ep. XIX. Suet. Tib. 2, vgl. Nr. 166). Auch dies ist nur ein Fortschreiten auf den Bahnen des Appius Caecus, und zeigt C. als verwegenen radicalen Neuerer. Ihm selbst wurde der Process wegen Hochverrat gemacht. Polybios (I 52, 2f.) sagt nur: μεγάλαις ζημίαις καὶ κινδύνοις κριθεὶς περιέπεσεν, andere erzählen, dass eine erste Anklage durch zwei Tribunen erfolglos blieb, weil ein Gewitter die Volksversammlung unterbrach (Val. Max. VIII 1 abs. 4. Schol. Bob. p. 337), dass aber dann eine neue Klage anhängig gemacht und C. zu einer Geldstrafe verurteilt wurde (Cic. nat. deor. II 7; div. II 71. Schol. Bob. mit Angabe des Strafmasses). Eine ins J. 508 = 246 verlegte Anekdote (vgl. Nr. 382) hat seinen Tod zur Voraussetzung; deshalb ist von Neueren vermutet worden, dass er durch eigene Hand endigte. Er wird noch in modernen Werken verschieden beurteilt, wie manche andere historische Persönlichkeit, die ein hohes Spiel mit einem kühnen Wurf entscheiden wollte und es verlor.
[Münzer.]

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