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2) Von Samos, epischer Dichter des ausgehenden 5. Jhdts. v. Chr. Der Peripatetiker Praxiphanes hat ihn in seinem Dialoge Περὶ ἱστορίας (R. Hirzel Hermes XIII 46ff.) in Pella am Hofe des Königs Archelaos (413–399, Diod. XIV 37) von Makedonien neben Thukydides, dem Komiker Platon, dem Tragiker Agathon, dem ἐποποιός Nikeratos, dem Dithyrambiker Melanippides eingeführt (Marcell. vita Thukydid. § 29). Dass Ch. sich wirklich am Hofe dieses kunstsinnigen Königs aufgehalten hat, zeigt wohl Istros bei Athenaios VIII 345 D in der sonst thörichten Notiz, dass er sein tägliches Honorar von vier Minen εἰς ὀψοφαγίαν verwendet habe.

Als Ch. nach Pella mit andern litterarischen Grössen berufen wurde, muss er natürlich eine Berühmtheit gewesen sein. Vermutlich wird er sich wie die andern dahin zurückgezogen haben nach dem Sturze Athens und nachdem die Verhältnisse in seiner Heimat Samos für ihn, den Athenerfreund, unerträglich geworden waren. Lysanders Verkehr mit ihm und seine Versuche, ihn zur Besingung seiner Thaten zu veranlassen, wovon Duris von Samos zu erzählen wusste (bei Plutarch Lysand. 18 = FHG II 484, 65), fallen vermutlich vor seine Übersiedelung nach Makedonien und bestätigen, dass er damals auf der Höhe seines Ruhmes stand. Die Nachricht bei Suidas, dass Ch. in Pella gestorben sei, hat also nichts Unwahrscheinliches.

Weitere Daten für das Leben des Ch., die Suidas giebt, sind aus jenen abgeleitet oder irrtümlich oder wie die Notizen über seine Herkunft und sein Verhältnis zu Herodot fingiert. Aber es ergiebt sich von selbst, dass er sein Epos vom Perserkrieg beträchtlich vor Ende des 5. Jhdts. geschrieben haben muss, einerseits weil er von Lysander und Archelaos offenbar als erster Epiker seiner Zeit umworben wurde, andererseits, weil sein Werk, das die nationalen Grossthaten gegen die Barbaren feierte und Athen pries, seiner ganzen Tendenz nach nicht einer Zeit angehören kann, in der Athen niedersank und mit Sparta um die Gunst der persischen Satrapen buhlte.

Das einzige Gedicht des Ch., von dem wir sichere Kunde haben – denn die bei Suidas genannten Λαμιακά (Naeke p. 101 schlägt vor, es dem Dichter Alexanders d. Gr. Nr. 5 zu geben oder in Σαμιακά zu ändern) und die ἄλλα τινὰ ποιήματα, die dann der Fälscher der Eudokia genauer specialisiert hat, sind nicht fassbar oder fingiert – ist ein Epos, das von Herodian Περσικά, bei Stobaius Περσηίς und bei Suidas ἡ Ἀθηναίων νίκη κατὰ Ξέρξου genannt wird, ursprünglich titellos. Über seinen Umfang haben wir nur die Gewissheit, dass es mehrere Bücher ausfüllte (Herodian περὶ μονήρ. λέξ. II p. 919 Lentz: Χοιρίλος ἐν α'). Die Grenzen des Stoffes bezeichnet der von Suidas erhaltene Titel, kein Fragment giebt Veranlassung, den Kreis weiter zu ziehen. Über die Gestaltung wissen wir nichts, als dass Ch. wohl [2360] nach dem Vorbilde der Boiotie die Völker des Heeres des Xerxes, aber geschickter als jene, nämlich bei der Schilderung des Überganges über den Hellespont, aufgezählt hat (frg. 3. 4 K.), vielleicht schon im ersten Buch (frg. 2 K.). Gelegentlich hat er Sagen eingestreut, so die vom Raube der Oreithyia durch Boreas (frg. 5), nach schöner Vermutung Naekes bei der Schilderung der Seeschlacht bei Artemision und der vom Nordwind geleisteten Hülfe, so wie Herodot VII 189. Solche Übereinstimmungen dürfte es mehr gegeben haben; sie und die Gleichheit der Tendenz waren so auffallend, dass auf eine Benutzung des Herodot durch Ch. geschlossen wurde, was die antike litterarhistorische Novelle durch ein Liebesverhältnis zwischen beiden ausdrückt (Suidas).

Die Bedeutung des Ch. beruht darin, dass er das abgestorbene Epos neu belebte, indem er ihm einen neuen Inhalt gab, statt der Götter- und Heldensage den grossen Nationalkampf der Hellenen gegen die Barbaren unter Führung Athens, wie Panainos in der bunten Halle zu Athen (Paus. I 15, 3, vgl. V 11, 6) die Marathonschlacht neben die Thaten des Theseus und der Troiaeroberer gesetzt hat.

Es war ein epochemachender Bruch mit dem Herkommen, und sein Beispiel fand nicht wenige Nachfolger, die die Thaten – freilich nicht mehr eines Volkes – der Könige im Stile des heroischen Epos besangen, obgleich der jüngere Zeitgenosse des Ch., Antimachos von Kolophon, mit seiner Thebais stofflich wieder in die alten Bahnen einlenkte.

Ch. ist sich seiner grossen Änderung so bewusst gewesen, dass er es für notwendig gehalten hat, sie im Prooimion zu motivieren. Diese schönen Verse sind uns durch Scholien zu Aristoteles Rhetorik III p. 1415 a 1 erhalten, der auf sie hingewiesen hatte. Übrigens ist schwerlich, wie Naeke p. 106 meinte, der Vers ἆ µάκαρ, ὅστις ἔην κεῖνον χρόνον ἴδρις ἀοιδῆς wirklich der erste des Gedichtes gewesen. Es dürfte nach altem und stets beibehaltenem Stil die Anrufung der Muse vorangegangen sein; an sie knüpften die mit Evidenz von Naeke p. 111 dem Ch. zugesprochenen Verse an: ἥγεό μοι λόγον ἄλλον, ὅπως Ἀσίης ἀπὸ γαίης ἦλθεν ἐς Εὐρώπην πόλεμος μέγας, worauf dann die Klage des Epigonen gefolgt sein mag.

Die Wirkung des Ch. ist gross gewesen. Seine Umwerbung durch Lysander und Archelaos beweisen es, und die Notiz bei Suidas, dass sein Epos σὺν τοῖς Ὁμήρου ἀναγινώσκεσθαι ἐψηφίσθη, wird trotz der unklaren Fassung auf der Überlieferung beruhen, dass die Athener dasselbe neben Homer bei öffentlichen Agonen, also den Panathenaeen, zuliessen (Naeke p. 89). Zur Zeit des Aristoteles muss das Epos des Ch. noch allgemein bekannt gewesen sein, da jener mehrfach auf es Bezug nimmt; in der Top. VIII 153 a 14 tadelt er seine Gleichnisse gegenüber den homerischen. Ephoros hat ihn benutzt (Strab. VII 303). Platon soll ihm den Antimachos vorgezogen haben (Proklos in Platon. Tim. I p. 28). Später wurde sein Epos noch neu herausgegeben, wie die durch Herodian περὶ μονήρ λεξ. II p. 919 Lentz bezeugte Einteilung des Werkes in Bücher zeigt. Das Urteil über ihn schwankte. Duris nahm sich seines Landsmannes an (Proklos a. a. O. [2361] = FHG II 485, 67). Kallimachos (Proklos in Plat. Tim. I p. 28 = frg. 74 b) scheint wie Euphorion (Krates Anth. Pal. XI 318) ihn höher gestellt zu haben als Antimachos, umgekehrt Krates von Mallos (Anth. Pal. XI 318; vgl. über dies Epigramm Meineke An. Al. 30. Rohde Griech. Rom. 23, 1). Josephos scheint noch Ch. gelesen zu haben (c. Apion. I 22).

Ausführliche grundlegende Behandlung des Ch. und erste Sammlung seiner Fragmente gab A. F. Naeke, Lps. 1817. Seine Fragmente ferner bei Düntzer Fragm. der ep. Poesie d. Gr. bis z. Z. Alex. d. Gr., Cöln 1840. Dübner hinter dem Hesiod in den Frg. Epicor., Paris 1840. G. Kinkel Ep. Gr. frg. I 265ff. In den Fragmenta poetarum Graecorum auctore U. de Wilamowitz-Moellendorff collecta wird Ch. im 3. Bande von W. Schulze bearbeitet werden.
[Bethe.]

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