ART

Candidatus principis. Wie heutzutage die Führer der politischen Parteien, oder wie Körperschaften und Vereine in corpore die Wahl von Candidaten ihrer Richtung den Wählern empfehlen, die meist schon wegen Mangels näherer Bekanntschaft mit den Candidaten einer Orientierung und Beeinflussung bedürfen, so ist im Altertume die Empfehlung von Candidaten durch angesehene Bürger oder durch Körperschaften ganz gewöhnlich. Der Candidat wird von einem bei den Wählern einflussreichen Freunde oder Gönner diesen persönlich vorgestellt, nebenbei wird in gleichem Sinne auch durch Mauerinschriften für ihn gewirkt. Augustus hat es ebenso gehalten und seine Empfehlung geübt, indem er den Candidaten begleitete: quotiens magistratuum comitiis interesset, tribus cum candidatis suis circumibat supplicabatque more sollemni Suet. Aug. 56, und erst als sein vorgerücktes Alter ihm diese Mühe zu beschwerlich machte (seit 8 n. Chr.), sich auf schriftliche Empfehlung beschränkt: γράμματά τινα ἐκτιθεὶς συνίστη τῷ τε πλήηει καὶ τῷ δήμῳ ὅσους ἐσπούδαζε Dio LV 34, 2. Diese Maueraufschriften werden sich kaum besonders von jenen unterschieden haben, die wir aus Pompei kennen, z. B. CIL IV 1059 M. Epidium Sabinum IIvir. iur. dic. o(ro) v(os) f(aciatis), dignum iuvenem, Suedius Clemens sanctissimus iudex facit vicinis rogantibus oder 171 A. Vettium Firmum aed(ilem) o. v. f., dign(us) est; Caprasia cum Nymphis rog(at), una et vicini o. v. f., s. Suffragatio.

Auch nachdem die Wahlen im J. 14 durch Tiberius dem Senat übertragen worden waren, übten die Kaiser die alte Sitte der suffragatio fort, was zwar, da die Empfehlung noch lange keine Ernennung in sich schloss, nicht formell, wohl aber factisch eine wesentliche Einschränkung der Wahlfreiheit des Senats darstellte. Ohnehin war durch die Neuformulierung der die Ämterfolge regulierenden Vorschriften und durch die Verringerung der Zahl der Mitglieder in den einzelnen Beamtencollegien gegenüber den Ordnungen des Dictators Caesar für die Auswahl der Candidaten wenig Spielraum übrig gelassen. Da dem Kaiser die Prüfung der Qualification rechtlich zustand (Mommsen St.-R. II³ 917ff.), zogen die Candidaten es vor, ihre Candidatur beim Kaiser anzumelden, obwohl die professio auch vor den Consuln geschehen durfte (Tac. ann. I 81). Es was ein kluger Act Tibers, der in der Stärkung der monarchischen Idee die wichtigste Aufgabe der römischen Politik sah, dass er trotz der Bitten des Senats für die zwölf (oder nicht viel mehr) Stellen des Praetorencollegiums einerseits nur [1470] zwölf Candidaten namhaft machte (nominavit), numerum ab Augusto traditum (Tac. ann. I 14), andererseits sich damit begnügte, ne plures quam quattuor candidatos commendaret sine repulsa et ambitu designandos (I 15). In der kaiserlichen Liste der Bewerber, die doch vor der consularischen besondere Berücksichtigung erheischte, nur soviel Namen aufzuzählen, als Posten zu besetzen waren, den Consuln die volle Freiheit der Anfertigung einer eigenen Liste oder vielmehr der Erweiterung der kaiserlichen Liste zu belassen – der Kaiser übergab seine Liste den Consuln – und nur für einen Teil der ohnehin so gut wie gesicherten Namen der kaiserlichen Liste seinen Einfluss geltend zu machen, das waren Mittel im Sinne der tiberianischen und der späteren Politik, welche davon überzeugt war, dass die republicanischen Gewalten sich ausgelebt hatten, aber immer noch schwere Gefahren auf das Haupt jenes Mannes heraufbeschwören konnten, der ihre Formen vernichten wollte (vgl. auch die Rede des Maecenas bei Dio LII 20, 2. 3). Die politische Bedeutung des Senats zu mehren lag nicht im Sinne Tibers, und darum wies er auch (Tac. ann. II 36) den Versuch des Asinius Gallus zurück, der die Designierung der Praetoren auf ein volles Quinquennium hinaus, unter der Voraussetzung, dass der Kaiser für jedes dieser fünf Jahre zwölf Bewerber als qualifiziert namhaft mache, zur Norm machen und auf diesem Umwege eine gewisse persönliche Selbständigkeit dieser Mitglieder des Senats erreichen wollte; favorabili in speciem oratione vim imperii tenuit (Tiberius).

Diejenigen Bewerber, die der Kaiser commendat, denen er seine suffragatio (oder suffragium Hist. Aug. Iul. 1, 5) gewährt, sind vor allen anderen, die beim Kaiser oder bei den Consuln ihre Bewerbung angemeldet haben, besonders zu berücksichtigen; vgl. das Bestallungsgesetz für den Kaiser Vespasian, CIL VI 930, 10ff. utique quos magistratum potentiam curationemve cuius rei petentes senatui populoque Romano commendaverit, quibusque suffragationem suam dederit promiserit, eorum comitiis quibusque extra ordinem ratio habeatur. Diese Bewerber nennen sich auch späterhin, wenn sie schon längst das Amt, zu dem sie so empfohlen worden waren, verwaltet hatten und etwa zu höheren aufgestiegen waren, candidati Caesaris, candidati Augusti oder auch (etwa seit dem Ende des 2. Jhdts.) blos candidati; ja die Bedeutung von c. beschränkt sich in speciellem Sinne nur mehr auf diejenigen, welche durch den Kaiser commendiert sind; Hist. Aug. Sever. 3, 3 praetor designatus a Marco est non in candida (dazu Mommsen St.-R. II³ 927, 2), sed in competitorum grege. Formell erledigt sich die Sache so, dass der Kaiser honoribus nostris suffragator in curia ist, Plin. paneg. 92, wenn irgend möglich durch persönliche Empfehlung und wohl auch durch Begründung dieses Schrittes (Plin. paneg. 70); darauf äussern sich die Senatoren zustimmend: vos (patres conscripti) destinationem consulatus mei his adclamationibus adprobavistis, wohl lediglich durch Acclamation; nur so kann ich es verständlich finden, dass sofort die Gratulationen erfolgen, ebd. 71 (natürlich in sehr verschiedenen Graden der Wärme, [1471] daher Traians Auftreten – candidatis, ut quemque nominaveras, osculo occurreres, devexus quidem in planum et quasi unus ex gratulantibus, während Domitian und andere velut adfixi curulibus suis manum tantum et hanc cunctanter et pigre et inputantibus similes promerent; jedenfalls folgen dann eine oder mehrere Dankreden der Gewählten, wovon ein übrigens wenig erfreuliches Exemplar in dem Panegyricus des jüngeren Plinius, vgl. c. 4, uns gegeben ist). Nun war der Bewerber für seinen Posten destinatus (pan. 95; vgl. CIL IX 2342 per commendation. Ti. Caesaris Augusti ab senatu cos. dest.). Noch immer sind die Gewählten als candidati zu betrachten (Plin. paneg. 77). Daraufhin erfolgt die Renuntiierung vor dem Volke: Plin. paneg. 92 ist der Kaiser selbst declarator in campo; 77: tantum ex renuntiatione eorum (der Consularcandidaten) voluptatis quantum prius ex destinatione capiebat; stabant candidati ante curulem principis, ut ipse ante consulis steterat, adigebanturque in verba in quae paulo ante ipse iuraverat princeps. Dem mochte auch oft genug eine Art Gratulationscour im Theater und im Circus folgen (Vitellius, Tac. hist. II 91 comitia consulum cum candidatis civiliter celebrans omnem infimae plebis rumorem in theatro ut spectator, in circo ut fautor adfectavit). Erst durch die Renuntiierung ist der Gewählte designatus.

Aber, da die Empfehlung (commendatio) des Kaisers, ja auch selbst schon seine Billigung einer Bewerbung durch Aufnahme in die officielle Liste soviel als die Wahl selbst bedeutete (vgl. die Anekdote bei Quintilian inst. VI 3, 62), alle anderen Schritte formale Acte sind, verwischt sich der Gebrauch der Terminologie im gewöhnlichen Verkehr. So darf man sich nicht darüber wundern, dass der Kaiser die consules facit (Plin. paneg. 77. Appian. b. c. I 103. CIL XIV 3608, 37), dass er die Quaestoren ,designiert‘ (Hist. Aug. Sever. 3, 3. CIL VIII 5528), dass Tribunen bestellt werden imperatore decernente (Hist. Aug. Sever. 3, 1) u. a. m., gerade so, wie man sich nicht dadurch täuschen lassen darf, dass mitunter anderen Factoren, besonders dem Senat (Tac. hist. IV 3. Hist. Aug. Alexand. 43, 2), ein besonderer Einfluss auf die Wahl zugemessen wird. An moralischen Einfluss und private oder mehr oder minder officielle Einwirkungen auf die kaiserlichen Entschliessungen, die ja naturgemäss nicht alle motu proprio erfolgten, wird man ohnehin glauben müssen, und dass solche Einflüsse bei schwächeren oder concilianteren Naturen wie Alexander Severus einen breiteren Raum einnahmen, dass man ferner die Übernahme des Consulats durch den Kaiser oder durch Mitglieder des kaiserlichen Hauses mitunter lieber mit einem Bitten und Drängen des Senats (Plin. paneg. 78 senatus, ut susciperes quartum consulatum, et rogavit et iussit; imperii hoc verbum, non adulationis esse obsequio tuo crede) motivierte als mit anderen Gründen, liegt auf der Hand.

Diejenigen Beamten, welche zu einem oder zu mehreren Ämtern durch kaiserliche commendatio gelangt sind, bezeichnen sich in der Angabe ihres Cursus honorum ausdrücklich als c. pr., z. B. CIL XIV 3610 praetori, tribuno plebis, q(uaestori) divi Hadriani Aug., in omnibus candidatus [1472] imperator(is), augenscheinlich um eine Wertsteigerung ihrer honores damit zu bezeugen; man darf daher von vornherein annehmen, dass die Kaiser von ihrem Commendationsrecht keinen zu häufigen Gebrauch gemacht haben, womit auch die Zahl der uns bekannten c. pr. sich gut verträgt. Nach Stobbe hat neuerdings Kübler in Ruggieros Dizionario II 67ff. das Verzeichnis derselben mitgeteilt und ergänzt.

Für die unterste Stufe der magistratischen Hierarchie, für den Vigintivirat, ist kein einziger c. pr. nachzuweisen. Für die Quaestur commendiert der Kaiser regelmässig nur die beiden quaestores Augusti (qui candidati principis dicebantur quique epistulas eius in senatu legunt Ulpian. Dig. I 13, 1, 4), nur ausnahmsweise auch andere (Mommsen St.-R. II³ 529f.). Über dreissig Tribunen- und über vierzig Praetorennamen sind uns unter den c. pr. erhalten, hingegen nur ein einziger curulischer Aedil, was, wie Mommsen 901. 927 ausführt, wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass die Bestellung eines Quaestorius oder Tribunicius zum curator actorum senatus (s. o. Bd. I S. 325f.) zugleich die Commendierung für die curulische Aedilität in sich schloss. Ferner ist uns ausser dem bereits erwähnten Anonymus per commendation(em) Ti. Caesaris Augusti ab senatu cos. dest. CIL IX 2342 kein Consul als c. pr. genannt, dies wohl deshalb, weil die Ausübung des Commendationsrechtes bei dem Consulat für selbstverständlich angesehen wurde, weil also jeder Consul eigentlich c. pr. war. Mommsen hat 923f. für die vorneronische Zeit auf das Fehlen eines Commendationsrechtes für das Consulat geschlossen.

Litteratur. Mommsen St.-R. II³ 921ff. (einer der allerbesten und lehrreichsten Abschnitte des ausgezeichneten Buches). Stobbe Philologus XXVII 88ff. XXVIII 648ff. Willems Droit public⁵ 457.
[Kubitschek.]

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