Calabria (Καλαβρία, Καλαβροί, nach Eustath. zu Dion. Perieg. 378 auch Καλαυρία). Die südöstliche Halbinsel Italiens, zwischen der Hadria und dem Sinus Tarentinus, ist ein flaches Hügelland aus weissem Kalk, das nur selten bis zu 500 m. steigt. Die Küstenränder sind niedrig aber steil, die Küste ungegliedert, ein Name eines Caps aus dem Altertum nur überliefert für die Südspitze, Leuca, auch Iapygium oder Sallentinum promuntorium, jetzt Capo S. Maria di Leuca. Der Boden ist gleich dem nördlich angrenzenden Apulien (s. Bd. II S. 289) wasserarm. Flüsse von einiger Bedeutung fehlen ganz; der von Plinius und auf der Tab. Peut. verzeichnete Pactius zwischen Brundisium und Baletium, ebenso der Galaesus bei Tarent sind kleine Wasserläufe; der von Plin. III 102 genannte Iapyx ist nicht näher zu localisieren. Trotzdem war C. fruchtbar und ertragreich, namentlich durch seine Wälder und Weiden (Strab. VI 281). Ausgezeichnete Wolle lieferten Tarent und Brundisium; bei Tarent bestanden Wollfärbereien (Serv. Georg. IV 335), welche in später Zeit unter kaiserlicher Verwaltung standen (Not. dign. occ. 10 procurator bafii Tarentini Calabriae). Schlangen, zum Teil immensae molis, waren nach Solin. II 33 in C. häufig.
Durch die ganze Halbinsel zerstreut finden sich Spuren einer Urbevölkerung, welche der Stein- und der älteren Bronzezeit angehört. Ganz einzig auf dem italienischen Festlande sind die megalithischen Denkmäler, pietre fitte, den nordischen Menhirs entsprechend, die sich z. B. bei Lecce, Gallipoli, Muro Leccese erhalten haben, zum Teil von bedeutenden Dimensionen (4–5 m. hoch). Nur in Sardinien finden sich ähnliche; ebenso haben die calabrischen specchie und truddhi, runde turmähnliche Steinbauten, ihre nächsten Analogien in den sardinischen Nuraghen. S. darüber Nicolucci Bullettino di Paletnologia Italiana V (1879) 139–148 und in den Atti dell’ Accad. Pontaniana XXIII 1893. Lovisato Atti dell’ Acc. dei Lincei Ser. III vol. 9, 1881; weitere Litteratur bei Pigorini Bull. di paletnol. XIX 1893, 347. Fr. Lenormant Gazette archéologique VII (1882) 30–39.
In historischer Zeit finden wir die Halbinsel besetzt von einem Volke graecoitalischen Namens, das vielleicht den Illyriern am nächsten steht und Iapyges oder Messapii (s. d.) genannt wird. Als Unterabteilungen desselben gelten die Sallentiner an der West- und die Calabrer an der Ostküste; der Name Καλαβροί ist vielleicht verwandt mit dem der Γαλάβριοι in Illyrien. In der Eroberungsgeschichte der Halbinsel spielen die Calabrer keine hervorragende Rolle; die Triumphaltafel verzeichnet von 272–266 sechs Triumphe de Tarentineis, Sallentineis, Messapieis, ohne die Calabrer überhaupt zu nennen. Seitdem jedoch die Römer in der Halbinsel festen Fuss gefasst haben (Anlegung der Colonie Brundisium 244), [1326] verschwinden die alten Stammnamen der Iapyges, Messapii und Sallentini immer mehr, und Calabria wird der Gesamtname für die Halbinsel. Die Bevölkerung ging zurück; nach Strab. VI 281 hatte die Landschaft in alter Zeit dreizehn Städte gehabt, von denen nur noch Tarent und Brundisium einige Bedeutung behalten hatten (Plin. III 105 nennt als Calabrorum mediterranii die Azetini Apamestini Argetini Butuntinenses Deciani Grumbestini Norbanenses Palionenses Stulnini Tutini, greift aber, wie die Erwähnung der Butuntinenses zeigt, über die Grenzen des eigentlichen C. hinaus). Nach der augustischen Einteilung bildet C. mit Apulia zusammen die zweite Region Italiens; die Grenze zwischen Apulia und C. läuft so, dass Tarent auf der West-, Brundisium auf der Ostseite die nördlichsten Städte von C. sind, wogegen Genusia einer- und Gnathia andrerseits schon zu Apulien gehören. Die Strassen folgen den Küsten, nämlich die von Hydruntum über Brundisium nach Gnathia (Stationen: Itin. Ant. 118. 315; Hieros. 609. Tab. Peut. Geogr. Rav. IV 31. V 1; hervorzuheben Lupia Baletium Speluncae) und von Hydruntum über Leuca nach Tarentum (Peut. Rav. a. a. O.; Stationen Castrum Minervae, Veretum, Uzentum, Baletium, Neretum, Manduria); auch waren Brundisium und Tarentum durch eine directe Strasse verbunden (an der u. a. Uria [Hyria] und Mesochorum lagen, Peut. Rav. a. a. O.). Im Innern des Landes sind ausserdem Manduria, Sturni, Rudiae, an der Ostküste Kallipolis zu nennen. Seit Ende des 2. und im 3. Jhdt. wird C. von einem iuridicus geleitet, der gleichzeitig entweder Apulien oder Lucanien samt dem Bruttierlande unter sich hat (Marquardt Staatsverwaltung I² 226. de Ruggiero Dizionario epigrafico I 533. II 17); in der diocletianischen Ordnung steht C. zusammen mit Apulien unter einem Corrector, der den Perfectissimat hat (Marquardt a. a. O. 238. Cantarelli Bull. com. 1892, 218). Bis gegen Ende des 7. Jhdts. bleibt der Name C. an die östliche Halbinsel geknüpft (das scheinbar ältere Zeugnis des um 600 schreibenden Georgius Cyprius descr. orbis 600–608 beweist nichts, da die Stelle überarbeitet ist, Gelzer praef. ad Georg. XXV); nachdem um 670 die langobardischen Herzöge von Benevent sich Tarent, Brundisium und das ganze südliche Gebiet unterworfen hatten, übertrug die byzantinische Verwaltung den Namen auf die westliche Landspitze, das frühere Bruttierland, an dem er seitdem auch haften geblieben ist. Vgl. darüber Diehl Études sur l’administration byzantine (Paris 1888). M. Schipa Archivio storico per le province Napolitane XX (1895) 27ff. und Studj storici V (Pisa 1896) 51ff. mit den Gegenbemerkungen von Crivellucci Studj storici IV (1895) 425ff.
Hauptstellen über C: Strab. VI 277–282. Mela II 66. Plin. n. h. III 99–105. Ptol. III 1, 67. 68. Lib. coloniar. 211. 261. Über die messapischen Inschriften vgl. Mommsen unterital. Dialekte 41–98. Maggiulli und Castromediano Le iscrizioni messapiche, Lecce 1871. Von Neueren: Helbig Herm. XI 257ff. De Simone bei Fabretti Terzo Supplements alle ant. iscrizioni italic. (1877) 171–229. Nissen Ital. Landeskunde 243f. 539ff. Pais Storia della Sicilia e della Magna Grecia I 335ff.
[Hülsen.]
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