3) Kappadokier aus Nazianzus, Sohn des dortigen Bischofs Gregorios und seiner Gattin Nonna (Greg. Theol. poem. de se ipso XCI. XCVI; epit. VII 1. XVI 1. XX 3 = Migne Gr. 37, 1446. 1450. 38, 14. 18. 21), jüngster Bruder des berühmten Gregorios und der Gorgonia (Greg. Theol. poem. de se ipso XC; epit. VI 2. VIII 4; laud. Caes. 25 = Migne Gr. 35, 788), der Gattin eines Alypios, der aber von dem Bruder des Antiocheners C. zu unterscheiden ist. Denn dieser war Heide, jener Christ (epit. XXIV). C. studierte in Alexandreia (laud. Caes. 6; epit. XXI 1) Geometrie, Astronomie (laud. Caes. 7; epit. XII 2. XIII 3) und namentlich Medicin (laud. Caes. 7. 20; poem. de se ipso I 181; epit. XIII 4. XIV 3). Um 356 (Migne Gr. 35, 170) trat er die Heimreise an, errang aber unterwegs bei einem kurzen Aufenthalt in Constantinopel so hohes Ansehen, dass die Stadt eine Gesandtschaft an den Kaiser schickte, dieser möge den C. zum hauptstädtischen Archiatros ernennen. Ein Sitz im Senat und eine vornehme Ehe wurden ihm angetragen; er aber liess sich durch seinen Bruder, der um dieselbe Zeit aus Athen in Constantinopel eingetroffen war, dazu bestimmen, dies alles auszuschlagen und mit Gregorios gemeinsam die Reise nach Nazianz fortzusetzen (laud. Caes. 8. 9). Gleichwohl wurde er später von Constantius zum Archiatros und [1299] Comes ernannt und erwarb sich an dessen Hof durch unentgeltliche Behandlung der Beamten grossen Anhang (a. O. 10). Nach dem Regierungsantritt Iulians zitterte der Bruder für sein Christentum und suchte ihn brieflich zu veranlassen, dass er sein Amt niederlege (epist. 7 = Migne Gr. 37, 32). Wirklich machte der Kaiser auch an C. Bekehrungsversuche, ja er liess sich sogar auf eine Disputation mit ihm ein. Als diese erfolglos blieb, gab er ihm zwar nicht gerade seine Entlassung, schickte ihn aber doch vom Hofe fort. C. kehrte in seine Heimat zurück (a. O. 11–13), wurde aber nach dem Tode des Apostaten wieder an das Hoflager berufen und genoss jetzt als Bekenner eines doppelten Ansehens bei Iovian und Valens (a. O. 14; poem. de se ipso I 177; epit. VII 2. XIV 3. XVI 3. XVII 1. XVIII 5). 368 ward er zum Comes sacrarum largitionum ernannt (laud. Caes. 15; poem. de se ipso XI 370) und hielt sich als solcher in Nicaea auf, als er durch das Erdbeben vom 11. October 368 (Mommsen Chron. min. I 241. Socr. IV 11) verschüttet wurde. Zwar zog man ihn unter den Trümmern des Hauses unverletzt hervor (laud. Caes. 15; poem. de se ipso I 172; epit. XV. Gratulationsbriefe zu seiner Rettung von Gregor. ep. 20 und Basileios ep. 26 = Migne Gr. 32, 301. 37, 53); doch einen grossen Teil seines Vermögens hatte die Erde verschlungen (poem. de se ipso I 172), und er selbst starb, noch ehe er Bithynien verlassen hatte (epit. XIV 4), an einer Krankheit (epit. XV 3; vgl. epist. 80). Sein Tod erfolgte im Amte (poem. de se ipso XI 370), muss also noch Ende 368 stattgefunden haben, da sein Nachfolger Archelaos schon im Januar 369 erwähnt wird (Cod. Theod. IV 12, 6; vgl. IX 21, 7. X 21, 1). Seine Reste wurden nach Nazianz geschafft und im Grabhügel seiner Mutter beerdigt (poem. de se ipso XCI 3), wobei ihm sein Bruder die noch erhaltene Leichenrede hielt. Da er keine Familie hinterliess, vermachte er sein Vermögen den Armen (laud. Caes. 20; poem. de se ipso I 222. Basil. epist. 32 = Migne Gr. 32, 316); doch gab dasselbe noch Anlass zu langwierigen Processen (Basil. ep. 32. Greg. ep. 29; poem. de se ipso I 173. 183. XI 371). An ihn gerichtet Basil. epist. 26. Gregor, ep. 7. 20. Sein Andenken feiern Gregor. epitaphia VI–XXI. Uns ist ein Dialog in vier Tagesabschnitten erhalten (abgedruckt bei Migne Gr. 38, 847), welchen schon Photios (cod. 210), wenn auch zweifelnd, diesem C. zuschrieb. Doch weiss Gregorios nichts von irgendwelcher schriftstellerischen Thätigkeit seines Bruders, und die Überschrift: Πεύσεις προσαχθεῖσαι ἀπὸ Κωνσταντίου, Θεοχαρίστου, Ἀνδρέου, Γρηγορίου, Δόμνου, Ἰσιδώρου, Λεοντίου ἐπὶ σικρίτῳ (in secreto) Καισαρίῳ τῷ ἀδελφῷ τοῦ ἁγίου Γρηγορίου ἐπισκόπου Ναζιανζοῦ, ὁπηνίκα ἐκρατήθη ἐν Κωνσταντινουπόλει διδάσκων ἐπὶ ἔτη κ’ (oder nach anderer Überlieferung ἔτη ς’ bezeichnet ihn nicht als den Verfasser, sondern als den Hauptredner des Dialogs. Dass dies im Text nur in der Erwähnung von seiner kappadokischen Heimat (I 99 p. 964) hervortritt, liegt an dem Zustande der Schrift. Denn offenbar ist dieselbe nicht vollendet, sondern nur im Entwurf erhalten. Der Verfasser hatte die Absicht, die Fragen (πεύσεις), welche an C. gerichtet werden, unter die [1300] verschiedenen in der Überschrift genannten Personen zu verteilen. Doch prägt sich dies nur darin aus, dass dem Constantius die Vertretung der astrologischen Weisheit übertragen wird (II 108 p. 977); im übrigen ist es noch nicht zur Durchführung gekommen, sondern πεῦσις und ἀπόκρισις stehen sich wie im Katechismus unpersönlich gegenüber. Auch finden sich hier und da aus verschiedenen theologischen Schriftstellern rohe Auszüge eingestreut, welche noch nicht in die Form von Frage und Antwort gebracht sind (p. 1045. 1080. 1088. 1105). Der Dialog ist teilweise polemisch gegen Arianer, Makedonianer, Apollinaristen und Origenisten, teils beschäftigt er sich mit Fragen der Bibelinterpretation, teils endlich versucht er die Astronomie und Naturlehre in christlichem Sinne zu begründen oder umzugestalten. Deswegen ist wohl auch C. zum Hauptsprecher gemacht, weil er einerseits als Arzt und Naturkundiger berühmt gewesen war und man ihm andererseits um seines heiligen Bruders willen auch theologisches Wissen zuschrieb. Die Abfassungszeit der Schrift dürfte das letzte Ende des 4. oder der Anfang des 5. Jhdts. sein, da der Autor den Donauübergang der Hunnen im Winter 394/5 schon zu kennen (I 68 p. 936; vgl. Claud. in Ruf. II 26. Philost. XI 8), dagegen von den nestorianischen und monophysitischen Streitigkeiten noch nichts zu wissen scheint.
[Seeck.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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