.
29) Sex. Caecilius Africanus, römischer Jurist. Der volle Name begegnet nur einmal bei Ulpian (Dig. XXV 3, 3, 4), sonst heisst er Africanus (so stets in den Inscriptionen der Digesten und Dig. XXXVIII 17, 2, 8) oder (Sex.) Caecilius (vgl. Nr. 24). Seine Lebenszeit fällt in die Mitte des [1193] 2. Jhdts. n. Chr. Man hält ihn mit Recht für einen Zeitgenossen und Schüler Iulians: ersteres wird durch Dig. XXV 3, 3, 4 (wo ihm Iulian ein Responsum erteilt) und Dig. XXX 39 pr. (wo ihn Iulian citiert; vgl. Mommsen Ztschr. f. R.-G. IX 92, 30) erwiesen, letzteres durch das Verhältnis seiner Quaestionen zu dem grossen Meister glaubhaft gemacht (vgl. Karlowa I 712f. Krüger 177. Buhl Iul. I 68f.). Natürlich muss er dann jünger als dieser gewesen sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist er auch der bei Gellius XX 1 erwähnte Sex. C. (in disciplina iuris atque in legibus populi Romani noscendis interpretandisque scientia usus auctoritateque inlustris), der mit dem Rhetor Favorinus über das Zwölftafelgesetz disputiert: wenigstens lässt sich nichts Stichhaltiges gegen diese Verselbigung sagen (vgl. Zimmern I 351, 10. Karlowa I 177. Krüger 177, 25. Buhl Iul. I 68 und für die Abfassungszeit der Noctes Atticae Teuffel § 365, 5); dafür aber, dass Africanus die Quelle dieses Kapitels des Gellius gewesen sei (Dirksen Hinterl. Schr. I 63) lässt sich nichts anführen.
Africanus Hauptwerk sind seine Quaestiones in neun Büchern (Ind. Flor. XVI; Fragmente bei Lenel Pal. I 2ff.; frg. 2–122). Die Materien scheinen willkürlich geordnet zu sein: unsere Bruchstücke, die sowohl das Civilrecht wie das Edictsrecht umfassen, deuten auf keines der bekannten Rechtssysteme (vgl. Lenel Pal. I 1, 2. Buhl Ztschr. 193; Iul. I 84f. Krüger 178; die Ansicht von Voigt Abh. d. sächs. Ges. d. W. VII 343, dass den Quaestionen das System des Q. Mucius Scaevola zu Grunde liege, ist, wie Buhl und Krüger dargethan haben, unhaltbar). Über die Abfassungszeit lässt sich nichts weiter mit Sicherheit ermitteln, als dass dem Africanus eine erst von Iulian in das Edict eingefügte Clausel bekannt war (Näheres s. bei Buhl Ztschr. II 198f.; Iul. I 85. Krüger 179; die weiteren von Buhl und Fitting Alt. d. Schr. 15 versuchten Ansätze müssen zweifelhaft bleiben). Gegen die Behauptung von Kalb (Roms Juristen 66f.), dass die Quaestionen des Africanus den Compilatoren Iustinians nur in einer aus der Zeit des Modestinus stammenden Überarbeitung vorgelegen hätten, wendet sich mit gutem Recht Schulze (Ztschr. d. Sav.-Stftg. XII 114ff.). Die Quaestionen weisen die herkömmlichen Merkmale dieser Litteraturgattung (vgl. Bd. I S. 573. Krüger 132f. Karlowa I 669. Mommsen Ztschr. f. R.-G. IX 93f. Buhl Ztschr. 186ff.; Iul. I 72ff.) in reichem Masse auf (Nachweise bei Buhl a. a. O.). Die Darstellung aber ist eine eigenartige: in den meisten uns erhaltenen Bruchstücken trägt der Verfasser die darin niedergelegten Meinungen und Entscheidungen nicht als seine eigenen, sondern als die eines ungenannten Juristen vor (respondit, ait, dicebat, negavit, existimat, putat, inquit, notat: s. frg. 7; 8, 1; 9 Abs. 2; 12; 13; 14; 22; 24 Abs. 1 pr. 2. Abs. 2 pr. 5; 25 Abs. 1 pr. 1. 2; 27 Abs. 1. 2; 28, 1. 2; 29, 1; 30; 31; 32; 34 pr. 1; 37 Abs. 1. 2 pr.; 42 pr. 1. 2; 48, 3. 9. 12; 49; 51 pr. 1; 54 pr.; 60 pr. 1; 61 pr.; 63 pr. 1. 2; 64; 71; 72 pr. 1. 2. 3; 73; 75; 76; 77; 79 pr. 1; 81, 2; 82 pr. 2. 4. 5; 85? 87 pr. 1. 2. 3; 88 pr. 1. 2; 89 pr. 1. 2; 90 pr.; 92 pr. 1; 93; 95 Abs. 1. 3; 97; 100 Abs. 1. 2, [1194] 1; 102 Abs. 1, 3. Abs. 2; 104; 107 pr.; 109; 110 pr. 1. 5. 8. 9; 111 pr.; 112 pr.; 113 Abs. 1. 2; 114; 115 pr. 1; 116; 117, 1; 118 pr. 1; 121 pr. 1. 3; 122), in anderen Stellen finden wir die indirecte Rede ohne ein solches leitendes Verbum (frg. 9 Abs. 1; 10; 25 Abs. 2; 33, 1; 36; 39; 41 pr.; 46; 48, 13. 14; 62; 80; 95 Abs. 2; 98; 102 pr. 1. 2). Sicherlich hatte Africanus in einem uns verlorenen Teile seines Werkes angegeben, von wem diese Entscheidungen herrührten. Aber auch so können wir darüber kaum im Zweifel sein: wenn Africanus es für der Mühe wert hielt, neun Bücher mit den Meinungen eines andern zeitgenössischen Juristen zu füllen, so musste dies schon einer sein, der die Augen aller auf sich gezogen hatte. Und als solcher kann um die Mitte des 2. Jhdts. nur einer in Betracht kommen: Salvius Iulianus. Innere wie äussere Gründe unterstützen diesen Wahrscheinlichkeitsschluss: spätere Schriftsteller führen Aussprüche, die wir in den Quaestionen lesen, auf Iulian zurück, der iustinianische Jurist Dorotheos nennt (in den Scholien zu den Basiliken) geradezu Iulian als Subject zu dem ait, respondit u. s. w. Ausführlichere Begründung s. bei Buhl Ztschr. 194ff.; Iul. 77ff. Schulin Ad Pand. tit. de orig. iur. 10ff. Mommsen Ztschr. f. R.-G. IX 90ff. Karlowa 713. Krüger 177, 26. Gegen diese Annahme spricht weder, dass Iulian bisweilen mit Namen genannt ist (frg. 6; 24 Abs. 2, 1; 81, 4; 108; 121 pr.; vgl. Mommsen 91, 28), noch dass verhältnismässig wenige Aussprüche in den Quaestionen begegnen, die wir auch in den Fragmenten von Iulians Digesten nachweisen können (Buhl Ztschr. 196; Iul. 79). Überhaupt ist es nicht wahrscheinlich, dass Africanus sein Material aus den Schriften des Meisters, sondern erscheint es aus den mündlichen Unterweisungen und Erörterungen von Rechtsfällen entlehnt zu haben: es ist in dieser Hinsicht bezeichnend, dass sich in den Quaestionen niemals ein dem ait, respondit (u. s. w.) paralleles scribit findet (vgl. Buhl Ztschr. 187; Iul. 77ff. Mommsen 93f.). Aber die Quaestionen des Africanus sind nicht blos Referat. Nicht nur dass der Verfasser bisweilen Zusätze, nähere Ausführungen oder abweichende Ansichten hinzufügt (z. B. frg. 27; 46; 62; 75; 100 Abs. 1. 2; 109; 110, 7): es finden sich auch eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Stellen, in denen er in der ersten Person (puto, existimo und dergl. frg. 16; 24, 3; 29 pr.; 45; 46; 48, 2; 52 pr.; 53; 54, 1; 55 (ego existimabam); 56, 2; 67 pr.; 70; 81, 3. 5; 99; 100 Abs. 1. Abs. 2, 1; 101; 103) oder ohne weiteres in directer Rede spricht (frg. 2–5; 8 pr.; 11; 15–22; 24 Abs. 2; 26; 33 pr. 2; 35; 44; 48 pr. 1. 4. 5–8. 10. 11. 15; 52, 1–3; 56 pr.; 57–59; 61, 1; 65; 66; 67, 2; 68; 69; 74; 78; 81, 5; 82, 1; 83; 84; 86; 89, 3; 90, 1; 91; 94; 101 pr.; 105; 106; 107, 1; 108; 110; 111, 1; 112, 1; 117; 119; 120; 121, 2). Es ist wohl möglich, dass auch in diesen Fragmenten manche Ansicht Iulians enthalten ist, und dass die Compilatoren Iustinians hier oftmals den wahren Thatbestand entstellt haben (z. B. durch Streichung von inquit, vgl. Mommsen 91, z. B. frg. 92, 1; 100 Abs. 1, wo das inquit oder ait ohne weitere Änderungen hätte weggelassen werden können; namentlich sind auch solche Stellen verdächtig, in denen directe und [1195] indirecte Rede abwechseln). Aber dass dies überall der Fall sein sollte, ist wenig glaubhaft: dazu sind derartige Stellen zu häufig. Ein allgemeines Merkmal für eine Auseinandersetzung zwischen Iulian und Africanus haben wir nicht, und für die Prüfung der einzelnen Stellen, die auch nur in wenigen Fällen zu einem sichern Ergebnis führt, ist hier kein Raum, so dass wir auf eine Entscheidung, wie viel von dem angeführten Material dem Iulian gebührt, verzichten müssen.
Ausser den Quaestionen wird noch eine Schrift von Africanus Epistulae in mindestens zwanzig Büchern erwähnt, aus der nur ein Citat durch Iulian erhalten ist (Dig. XXX 39 pr.: Africanus libro vicesimo epistularum apud Iulianum quaerit, Lenel Pal. I 1; vgl. Mommsen Ztschr. f. R.-G. IX 92, 30. Buhl Ztschr. 181; Iul. 69, 2. Krüger 179, 36). Man hat hiergegen geltend gemacht, dass ein Citat des augenscheinlich jüngeren Zeitgenossen bei Iulian, wenn auch nicht unmöglich, so doch unwahrscheinlich sei. Aber die positiven Erklärungen, welche man den angeführten Worten gegeben hat (Zimmern 351, 8. Fitting Alter d. Schr. 15: Antwort lulians auf eine briefliche Anfrage des Africanus; Karlowa 714: Africanus im Anschluss an eine Meinung Iulians), sind sprachlich nicht zu rechtfertigen: vgl. Kalb Roms Juristen 70, 2, dessen eigener Meinung (Africanus im Anschluss an ein Werk Iulians, das den Titel Epistulae führte) entgegensteht, dass ein solches zwanzig Bücher starkes Werk des bekanntesten Iuristen bei den Späteren doch sicherere Spuren hätte hinterlassen müssen. Die weitere Vermutung von Kalb, dass die in den Digesten excerpierten Quaestiones des Africanus als eine Verarbeitung jener Epistulae des Iulian aufzufassen sei, steht so sehr in der Luft, dass sie auf sich beruhen kann.
Ob Africanus noch andere Schriften hinterlassen hat, muss zweifelhaft bleiben. Mommsen (92, 29) hat auf Grund von frg. 123. 127–129 eine Schrift de adulteriis vermutet, weil Erörterungen über iudicia publica den Digesten Iulians und überhaupt der Quaestionenlitteratur fremd gewesen seien. Aber schon Buhl (Ztschr. II 181, 1) hat auf die Unrichtigkeit dieser Voraussetzung hingewiesen (vgl. Lenel Pal. I 483 frg. 832. 833); auch einer Einreihung dieser Stellen in die Epistulae würde gewiss nichts im Wege stehen. Noch weniger lässt sich für die Existenz zweier Schriften de fideicommissis und ad SC. Tertullianum, welche Mommsen aus frg. 130 und 126 entnehmen will, anführen.
Neuere Litteratur: Zimmern Gesch. d. R. Privatrechts I 350. Rudorff R. R. G. I 176. Teuffel in Paulys R-E. I² 510; R. L.-G. § 360, 3. Karlowa R. R. G. I 711. Buhl Ztschr. d. Sav.-Stftg. II 180ff.; Salvius Iulianus I 67ff. Krüger Quell. und Litt. d. R. R. 177ff.
[Jörs.]
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