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Borysthenes (Borustenes CIL XIV 3608). 1) Ein den pontischen Seefahrern seit alters bekannter, genauer jedoch erst von Herodot. IV 53, der in Olbia oder dem ‚Markt der Borystheneïtai‘ über die benachbarten Striche Nachrichten eingezogen hatte, beschriebener Fluss des Skythenlandes, der heutige Dn’epr. Er fällt mitten an der skythischen Küste in den Pontos (Herodot. IV 17) und zwar zusammen mit dem Hypanis der Olbiopolitai in einen und denselben Limán (ἕλος); der Hypanis fliesst an der West-, der B. an der Ostseite; der Abstand des B. vom Istros beträgt 10 Tagereisen, von der Maiotis ebensoviel, ebd. IV 101. Das zwischen beiden Flüssen vortretende Land endet im Vorgebirge des Hippolaos mit einem Tempel der Demeter oder Göttermutter. An der vereinigten Mündung wird Salz in reicher Menge gewonnen (was auch Dio Chrysost. or. 36 u. a. bezeugen); jetzt ist der Liman stärker ausgesüsst und nur im Sommer wird das Wasser brackisch; die reichsten natürlichen Salzlager bietet der Siwaš (s. Byke) mit 33% Salzgehalt. Das Wasser des B. bezeichnet Herodot als gut trinkbar, rein und klar, während das der übrigen pontischen Flüsse durch mitgeführten Schlamm getrübt wurde; vgl. Mela II 6. An reichen Erträgen aller Art steht der B. nur dem Neilos nach; er besitzt an seinen Ufern trefflichen Ackerboden, den die Skythai Georgoi auf einer Strecke von 10 bis 11 Tagereisen (Herodot. IV 18. 53) bearbeiten, sowie schöne Weidetriften und in seinen Tiefen Fische zum Einsalzen und grosse Störe (ἀντακαῖοι). Waldig sind nur die Gelände zu beiden Seiten des Mündungstrichters in der Hylaia (nach Dio Chrysost. or. 31 ragen hie und da Bäume und Sträucher, von fern gleich Schiffen anzusehen, aus dem Wasser – was sich auf das Vorkommen von flachen Buschinseln, russ. plawny, im Unterlauf bezieht). Nach dem Istros ist der B. überhaupt der grösste Strom des Nordens; seine Quellen kann, wie beim Neilos, niemand angeben; wie alle Flüsse Skythiens strömt er von Norden her – die grosse Biegung gegen Osten im Gebiet der Stromschnellen blieb dem ganzen Altertum unbekannt, ebenso das auffallende Phaenomen dieser von der granitischen Kamenaja grjada, eingeengten [737] Stromschnellen selbst, ein Beweis, dass sich die Kenntnis der Alten nur auf den eigentlichen Unterlauf erstreckt hat. Von Nebenflüssen erwähnt Herodot. IV 18. 54 nur den Pantikapes an der Ostseite des B. als Grenze der Skythai Georgoi gegen die Nomades. Wenn wir erwägen, dass gerade die westliche Uferseite des B. bis Cherson hinab guten Ackerboden hat, so werden wir die Georgoi samt dem Pantikapes auf dieser Seite suchen müssen; der Pantikapes bedeutet den heutigen Ingulec, dessen Lauf einen guten Zugang (vgl. zd. panthi ‚Weg, Pfad‘) zur nördlichen Bodenschwelle darbietet. Die Ostseite des B. dagegen hat mehr Steppenboden, und dahin gehören die Nomades bis zu den Schilfsumpfgründen der Kon’ka hinauf; vom Flachland der Taurike und dem Taphros (jetzt Perekóp) an bis zur Wolčija und Samara und ostwärts bis zum Don reichten sodann die Sitze der Skythai Basileïoi. Weit grössere Rätsel bieten Herodots Nachrichten über den Gerrosfluss, den östlichen Seitenarm des B., der sich schliesslich, mit dem Hypakyris (jetzt Kalančak) vereinigt, in den karkinitischen Meerbusen (byz. τὰ Νεκρόπυλα, russ. Mertwoj kultúk) ergiessen soll; Gerros hiess zugleich der Landstrich, wo sich jener Arm gegen Osten abzweigt und bis wohin die letzte sichere Kunde vom B. reichte, Herodot. IV 56; der B. war eben flussaufwärts nur bis zu diesem Gebiet der Gerroi schiffbar und zwar in einer Länge von 40 Tagereisen, ebd. IV 53 – diese Zahlangabe stand sicher im Urtext, weil sie von Skymn. 816 und Mela II 6, wiederholt wird, beruht jedoch auf einem Irrtum oder Gedächtnisfehler Herodots; richtig sollte, wie schon Gatterer und Bayer erkannten, die Hinauffahrt auf 14 Tage veranschlagt werden; nur so viele Tage rechnet Herodot. IV 19 bis zur äussersten Grenze der Nomades am Gerrosfluss gegen die Basileïoi, ebensoviel IV 18 von der Hylaia den B. entlang durch das Gebiet der Georgoi bis zur ‚grossen Einöde‘ (Kamenaja grjada). Nach Herodot. IV 71 befanden sich die Grabhügel der skythischen Könige bei den Gerroi; nun lehren die Ausgrabungen (vgl. Recueil d’antiquités de la Scythie, 2 vol., Petersb. 1866. 1873), dass die reichsten und ältesten Gräber, russisch Mogyli, auf beiden Seiten des Stromes entlang dem Südfuss der granitischen Bodenschwelle bis zum Buzuwlúk und anderseits bis zur Kon’ka und Kon’skaja woda gelegen sind, so dass sich das Centrum der Gerroi bei Nikópol zwischen Alexandrópol und Nowo-Alexandrowsk (unterhalb der Flussinsel Chortica) befinden musste. Bis Chortica hinauf ist der Strom bequem schiffbar, und mehr als 14 Tage kann diese Strecke nicht betragen haben. Unter dem Gerrosfluss kann somit nur die Kon’ka und Kon’skaja woda verstanden werden, mit deren Quelle der alte Bericht willkürlich den nahen Lauf der Moločnaja woda verband, welcher Küstenfluss auch bei Ptolemaios als Gerros auftritt; Herodot aber war übel benachrichtigt, wenn er den Hypakyris (Kalančak) als Mündung des Gerros hinstellte, da die Moločnaja viel weiter gegen Osten ausmündet. Noch bestand eine dunkle Kunde darüber, dass hinter der Einöde (der bis Jekaterinoslaw reichenden Schwelle) das nichtskythische Volk der Androphagoi (s. d.), d. i. der Amadokoi des Hellanikos [738] (s. d.), hause und über diese hinaus ‚völlige Einöde und gänzlich unbekanntes Land‘ folge, Herodot. IV 18. Dass der Name B. skythischen Ursprungs war, folgt wohl aus der Sage vom Urvater Targitaos, den der Himmelsgott Papaios mit der Tochter des B. erzeugt hatte, Herodot. IV 5. Müllenhoff legt zd. vouru-stâna ‚breiten Stand besitzend‘ zu Grunde; im Hinblick auf den breiten Mündungstrichter wäre auch die Deutung voturufstâna ‚breitbusig‘ passend; an Entstellung aus baretaêna ‚birkenreich‘ (vgl. oset. bärxä, pamir. furz ‚Birke‘) wird trotz der Insel Bereza’n und dem Quellfluss Berêzina kaum zu denken sein, obwohl in der Hylaia auch Birken vorkommen. Die Nachrichten Herodots über den B. behandelt u. a. C. Reichard Landeskunde Skythiens, Halle 1889, 50ff., mit Nachweisen über die ältere höchst umfangreiche Litteratur.

Aus Herodot schöpfte Ephoros; vgl. Scymn. 813ff., welcher hinzufügt, dass der Oberlauf des Stromes wegen Schnee und Frost unfahrbar sei; von der strengen Kälte spricht auch Strab. II 114. Aristoteles scheint über die Natur des B. manches erkundet zu haben; vgl. Athen. II 42 und [Aristot.] Probl. 23, 9: das Wasser des B. erscheint zuweilen bläulich gefärbt (ἰοβαφές); bei Südwind tritt das Wasser des Hypanis – auch wohl des Pontos selbst – stärker an die Oberfläche hervor, bei Nordwind dagegen schwimmt das weichere und leichtere Süsswasser des B. auf dem des Hypanis. Ferner sollen dem B. keine Nebeldünste entsteigen, Plin. n. h. XXX 56; der Geschmack des Wassers soll sich durch einmündende Bäche ändern (Verwechslung mit dem Hypanis? s. Exampaios), ebd. 52. Die Berechnungen des Hipparchos und Eratosthenes hat Strabon verwertet. Die Mündung des B. galt für den nördlichsten Punkt des Pontos, Strab. II 127; ihre Entfernung vom Hellespont (Lysimacheia) beträgt 5000, von Byzantion 3800 Stadien, und zwar auf demselben Meridian über die Insel Leuke, I 63. II 71. 125; der längste Tag dauert dort 16 Stunden der Tagesgleiche, II 135. Hypanis und B. fliessen dem Tanais parallel von Norden her; die Quellen aller dieser Flüsse sind unbekannt, II 107. Der B. ist 600 Stadien schiffbar, VII 306 – wir erwarten eher die Zahl 2600 Stadien, vgl. II 135: der längste Tag 2500 Stadien nördlich von Olbia dauert 17 Stunden (nach Erfahrung oder aus blosser Theorie?). Strabon II 114. VII 306 fügt hinzu, dass das ganze Land zwischen dem B. und Tanais die Rhoxolanoi bewohnten.

Was Ptolemaios nach Marinus berichtet, mischt sich aus Irrtümern und aus brauchbaren topographischen Angaben. Schon dass er den Hypanis fälschlich an die Ostseite des B. setzt, und dass er auf die verschollenen Amadokoi des Hellanikos zurückgreift, zeugt von geringer Kritik. Seine westliche, aus dem Amadokasumpf kommende Quelle des B. stellt uns mit ihren Stationen Leïnon Sarbakon und Niosson den echten Lauf des Hypanis dar, den Lauf des B. dagegen die andere aus hohem Norden kommende Quelle; beide vereinigen sich bei Metropolis (Miletopolis?)-Olbia. Die Stationen am Unterlauf des B. verdienen Beachtung: Serimon (Aleški? Berislaw?), Saron (Nikópol?), Azagarion (Alexandrowsk am Zugang zu den ‚Schwellen‘, russ. porogi); letzterer Name [739] weist auf die Stromschnellen hin, weil deutbar aus zd. āzaṅh ‚Enge‘ und gara ‚Schlund, Strudel‘ (oder zd. gairi ‚Fels‘ vgl. Gerros?). Ob der fl. Nusacus der Tab. Peut. den B. bezeichnet, lässt sich nicht erhärten.

Seit den sarmatischen und gothischen Völkerzügen tritt ein neuer Name für den B. hervor, Danapris (s. d.) oder Danaper, der sein Analogon im Danaster besitzt; daher die slawischen Formen Dŭnêprĭ, russ. Dn’epr, auch N’epr, lit. Nepras. Nach Iord. Get. 51 sollen die Hunnen den B. oder Danapris Var benannt haben (wobei wir zunächst an den skythischen Namen der Wolga Oaros, zd. vairi, vâra, erinnert werden); dazu stimmt die weit später noch bei den türkischen Pečenēgen übliche Benennung Varuch, Βαρούχ, Const. Porphyr. de adm. imp. 38 p. 171, 10. Vielleicht darf auch der Fluss Erac, wo der Hunnenherzog Balamber den Ostgothen Vinithar besiegte, Iord. Get. 48, auf den B. und nicht auf die Wolga oder den Ῥᾶς (s. d.) bezogen werden, da sich auf den italienischen Seekarten des 14. Jhdts. für den Dn’epr die Bezeichnungen fi. l’Erexe, Eresse, Elexe, Elice neben türk. Ozu, Uzu, Usen, Usom (= özän ‚Fluss‘) vorfinden. Der erste Autor, der von den Stromschnellen des Dn’epr eingehend spricht und zugleich deren normannische (rosische) und slowenische Namen samt Deutung anführt, ist der Kaiser Const. Porphr. de adm. imp. 9 p. 75ff.; vgl. dazu die hsl. Varianten in Cobets Mnemosyne NS. IV 378–382 und die trefflichen sprachlichen Bemerkungen bei Thomsen Ursprung des russischen Staates, Gotha 1879, 55–73.
[Tomaschek.]

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