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Bona fides ist das gute Gewissen, die redliche Gesinnung, Zuverlässigkeit, Treu und Glauben. Der Zusammenhang zwischen dem altrömischen Begriffe der fides und dem deutschen Begriffe des Glaubens wird zuweilen gänzlich in Abrede gestellt (so namentlich von Bruns Archiv f. civ. Pr. LVII 276, 1). Doch darf man hierbei nicht übersehen, dass auch das deutsche Wort ‚Glauben‘, insbesondere in der Wendung ‚Treue und Glauben‘, keineswegs immer die Voraussetzung bestimmter Thatsachen bezeichnet, sondern vielfach auch eine gewisse Gesinnung, die sich durch Redlichkeit, Zuversichtlichkeit und Zuverlässigkeit auszeichnet. Die fides wurde von den Römern hoch geschätzt. Schon Numa soll der publica fides einen Tempel erbaut haben (Dion. Hal. II 75, 3). Auch sah man in ihr eine unerlässliche [695] Vorbedingung des Verkehrslebens und der Rechtspflege, Cic. de off. I 7; partit. orator. 22, vgl. auch Plaut. Aulul. 764ff.; Capt. 883ff.; Pseud. 1095. Liv. XXXIX 54. Voigt Das ius naturale der Römer IV 377ff. Bruns Das Wesen der bona fides bei der Ersitzung, Berlin 1872, 78ff. Leonhard Roms Vergangenheit und Deutschlands Recht (Leipzig 1889) 20. Darum heisst die Rede, die auf Wahrheitsliebe beruht, bona fide dicere (= ex animi sententia), Augustinus contra Academicos II 5, 12. Im gleichen Sinne bemerkt Quintilian (inst. or. X 3, 23): neque enim se bona fide in multa simul intendere animus totum potest. Auf dem Rechtsgebiete erscheint der Begriff der B. f. um seiner Allgemeinheit willen in mannigfachen Anwendungen, z. B. alicui bona fide solvere, Dig. XLIX 14, 46, 6. XLVI 3, 45 (woselbst der Text wahrscheinlich entstellt ist, Faber Semestria I, XXIV), vgl. Brissonius De verb. signif. unter bonus 4, und fides 5. 6. 7, auch über den Zusammenhang der fides mit den fideicommissa Faber Semestria II, XV. Die B. f. erscheint sogar in den Quellen zuweilen als das Gebot des Wohlwollens, das zur Richtschnur bei der Entscheidung zweifelhafter Rechtsfragen dienen soll, vgl. Cels. Dig. I 1, 1 pr.: Ius est ars aequi et boni. Gai. Dig. L 17, 57: Bona fides non patitur, ut bis idem exigatur, und hierzu Windscheid Pandekten⁷ I 343 § 121, 9.

Besonders wichtig für das Rechtsgebiet sind:

1) Die bonae fidei possessio, vgl. Gai. II 43. Inst. II 1, 30. 35ff. Dig. XVIII 1, 27. XLVIII 15, 3 pr. L 16, 109. August. de fide et operibus 7. Die Redlichkeit des nichtbesitzenden Eigentümers beruht in der Regel auf dem Glauben, Eigentümer geworden zu sein, oder doch wenigstens auf der Unkenntnis der Umstände, die diesen Eigentumserwerb hinderten; doch ist jener Glauben oder diese Unkenntnis nicht geradezu nötig, um B. f. eines Besitzers zu begründen, da z. B. auch der von seinem Ehegenossen beschenkte Gatte zwar glaubt, dass er wegen der Ungültigkeit der Schenkungen unter Gatten nicht Eigentümer der Sache geworden ist, aber dennoch Treu und Redlichkeit nicht verletzt, wenn er sie wie ein Eigentümer benutzt, Dig. XXIV 1, 25. XLI 6, 3, vgl. Windscheid Pandekten⁷ I 533 § 176, 6. Der Begriff der Redlichkeit hängt hiernach von dem Eigentumsbegriffe nicht ab.

Von dem redlichen Besitzer wird der unredliche als malae fidei possessor unterschieden, Dig. V 3, 20, 11 u. 12. 25, 7. Die Redlichkeit des Besitzers giebt ihm so viele Vorzüge, dass sie nach Paulus (Dig. L 17, 136) sogar im Zweifel ihm alle Vorteile des wirklichen Eigentumes gewährt: Bona fides tantundem possidenti praestat, quantum veritas, quotiens lex impedimento non est, vgl. hierzu v. Brinz Zum Rechte der bonae fidei possessio, Festgaben für Arndts, München 1875, 73ff. Dernburg Pandekten⁴ I 457 § 194. Insbesondere ist B. f. eine wichtige Voraussetzung des Ersitzungserwerbs (Gai. II 43. Inst. II 6 pr. Windscheid Pandekten⁷ I 531 § 176) und folgeweise auch der actio Publiciana Inst. IV 6, 4; vgl. Harnier De probatione bonae fidei in praescriptionibus, Cassel 1841. C. Hildenbrand De bona fide propria debitori ad temporis praescriptionem haud necessaria, Monach. 1843. R. [696] Stintzing Das Wesen von bona fides und titulus in der röm. Usucapionslehre, Heidelberg 1852. Leonhard Institutionen 309 § 91 II. Gegenüber einer erfolgreichen Eigentums- oder Erbschaftsklage wird der verurteilte redliche Besitzer in mehrfacher Hinsicht besser behandelt als der unredliche; vgl. hierüber namentlich Windscheid Pandekten⁷ I 579ff. § 193ff. III 224ff. § 612ff. und v. Petražycki Die Fruchtverteilung beim Wechsel des Nutzungsberechtigten, Berlin 1892, 165ff. Der redliche Besitzer erlangt überdies an den abgesonderten Früchten der Sache Eigentum (was übrigens nicht unbestritten ist); vgl. Buchenau Rechtliche Natur des Fruchterwerbs des redlichen Besitzers, Diss. Göttingen 1889. Karlowa Röm. Rechtsgeschichte II 423ff. v. Petražycki a. a. O. 185ff. und weitere Litteratur bei Windscheid Pandekten⁷ I 560 § 186, 7. Dernburg Pandekten⁴ I 485ff. § 205. Auch an dem Erwerbe eines Sclaven hatte dessen redlicher Besitzer ähnliche Rechte wie ein Niessbraucher, Inst. II 9, 4. Dig. XLI 1, 19; vgl. v. Savigny Das Recht des Besitzes § 26 A. Pernice M. Antistius Labeo II 170ff. v. Petražycki a. a. O. 122ff. Leonhard Institutionen 182 § 46 II b.

Bestritten ist (zunächst für das Gebiet der usucapio, über das der Gegenstand des Streites jedoch weit hin ausreicht), ob das Dasein der B. f. lediglich von den Anschauungen und Überzeugungen dessen abhängt, dem sie zugeschrieben werden soll, oder von gemeingültigen Grundsätzen über die Vorbedingungen des redlichen Erwerbs mit andern Worten, ob ein jedes ruhige, selbstzufriedene Gewissen B. f. genannt werden kann oder nur das mit Recht ruhige Gewissen. Für das Rechtsgebiet wird man das letztere annehmen müssen. Dadurch wird die Rechtsordnung von den besonderen irrigen Anschauungen einzelner unabhängig. So namentlich Bruns Das Wesen der bona fides bei der Ersitzung, Berlin 1872 bes. 10. 124ff.; zur Lehre von der b. f. bei der Verjährung, Archiv für civilistische Praxis LVII 275ff. A. M. C. G. Wächter Zwei Rechtsgutachten die Ersitzung des Rittergutes Gollmenglin betreffend, und die bona fides insbesondere bei der Ersitzung des Eigentums, 1871, vgl. auch Pernice M. Antistius Labeo II 207ff.

2) Die bonae fidei actio führt zu einem bonae fidei iudicium. Sie entspringt aus dem bona fidei negotium und richtet sich auf die Erfüllung einer bonae fidei obligatio. Überall steht hier das ex fide bona im Gegensatze zu dem strengen Gesetzbuchstaben (strictum ius), der bei den actiones, iudicia, negotia und obligationes stricti iuris gilt. Es bedeutet, dass da, wo Verpflichtungen nach bestem Gewissen erfüllt und beurteilt werden sollen, dem Ermessen des Richters ein freier Spielraum verbleibt, in dem es nach Billigkeit das Gesetzeswort ergänzen soll, und dass in eben diesen Fällen auch die Parteien den Umfang ihrer Pflichten von ihrem Gewissen zu erfragen haben, Symmach. ep. II 87. Cic. de off. III 16. Inst. IV 6, 28f., woselbst ebenso wie bei Gaius IV 62 die wichtigsten actiones bonae fidei aufgezählt sind. Die freiere Behandlung dieser Ansprüche zeigt sich namentlich darin, dass der Richter bei ihnen von vorn herein infolge seiner Pflicht, nach bestem Ermessen zu urteilen, Einwendungen des Verklagten [697] in weiterem Umfange berücksichtigen durfte, als bei den actiones stricti iuris (vgl. Birkmeyer Die Exceptionen im bonae fidei iudicium, Erlangen 1874), namentlich auch die Aufrechnungseinrede (Inst. IV 6, 30), und dass er insbesondere in dem Zuschlage von Nebenleistungen (Früchten und Verzugszinsen) über den ursprünglichen Schuldgegenstand hinausgreifen konnte, Schilling Lehrb. der Inst. II 356ff., ältere Litteratur daselbst 358 Anm. a. Rein Röm. Privatrecht² (1858) 902ff. v. Savigny System des heut. röm. Rechts V 461ff. Dernburg Pandekten⁴ I 307 § 131. Leonhard Institutionen 389. 402. 471. 479 § 126 IV. 131 I a. 156 II. 159.
[Leonhard.]

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