ART

Bona bezeichnet eine Gesamtheit von Vermögensstücken, die sich auf einen bestimmten Rechtsgenossen beziehen, also einen ‚Complex von Rechten‘ (so Bekker Pandekten I 137 § 41). Des [683] nähern betrachtet, finden sich darin drei Hauptbedeutungen des Wortes inbegriffen:

a) B. bezeichnet zunächst die Zusammenfassung aller solcher Vermögensstücke eines Rechtsgenossen, die man als Activa bezeichnet, also seine körperlichen und unkörperlichen Sachen, insbesondere auch seine Forderungen, mit anderen Worten seine irdischen Glücksgüter, jedoch mit Ausnahme der abhängigen Familienglieder, die ebenso wenig zu den B. gerechnet werden, wie wir sie den Vermögensstücken zuzählen. In diesem Sinne gehören nicht zu den B. die Passiva (Schulden). Diese Verwendung des Wortes sieht Ulpian als die natürliche an Dig. L 16, 49: Bonorum appellatio aut naturalis aut civilis est. Naturaliter bona ex eo dicuntur, quod beant, hoc est beatos faciunt (d. h. nach der gemeinen Ansicht, nicht in jedem besonderen Falle). In diesem Sinne können die B. nicht blos in ihren einzelnen Bestandteilen, sondern auch als Ganzes einem Pfandrechte unterworfen werden, Dig. XX1 frg. 29 § 3. Paul. V 6, 16, ebenso auch einem Niessbrauche (Cic. top. III 17. Dig. XXXIII 2, 37), auch können sie in eine societas omnium bonorum hineingezogen werden (Dig. XVII 2, 1 § 1. 3, vgl. auch L 16, 21). Ein solcher Inbegriff der Vermögensstücke desselben Herrn deckt sich übrigens nicht mit der Gesamtheit seiner Rechte (abweichend Bekker a. a. O. 139), vielmehr sehen die Römer nur solche Rechte als B. an, welche dazu geeignet sind, besondere Stücke der Erbmasse ihres Herrn zu bilden. Von den Dienstbarkeiten, die dem jedesmaligen Herren eines Grundstückes zustehen, bemerkt daher Paulus Dig. XXXIII 2, 1: neque ex bonis neque extra bona sunt; denn sie haben keinen besondern Wert für sich selbst, sondern erhöhen den Wert des herrschenden Grundstückes und gelten daher mit diesem zusammen als ein einziges Vermögensstück. Ferner sind solche Rechte, die, wie der Anspruch des Injurienklägers, erst dann vererblich werden, wenn Klage erhoben ist, vorher nicht als wahre B. anzusehen, da der Tod ihres Herren sie zerstört, Dig. XLVII 10, 28. XXXV 2, 32. Eine ganz besondere Bedeutung gewann der Ausdruck B. dadurch, dass im Laufe er römischen Entwicklung ein praetorisches Recht neben das civile trat, das es zwar nicht aufhob, aber doch in mehrfacher Hinsicht entkräftete. So liess der Praetor zuweilen einem Rechtsgenossen, dem das Civilrecht Eigentum an einer Sache zusprach, nur den Namen eines Eigentümers (ein sog. nudum ius Quiritium) übrig, während er einem andern den vollen Schutz gewährte, wie er nach Civilrecht nur einem Eigentümer zukam. In einem solchen Falle hatte nur der letztere die Möglichkeit, die Sache durch Anrufung der Obrigkeit seiner Gewalt zu unterwerfen, und darum hatte er sie in bonis (sog. bonitarisches Eigentum), Gai. II 40ff. 222. III 80. I 35. 54. 167. Ulp. I 16. XIX 20. XXII 8, s. Dominium; vgl. Puchta-Krüger Institutionen10 II § 236. Leonhard Institutionen 249 § 71 III. Voigt Röm. Rechtsgeschichte I § 15. Übrigens zählen die Römer nicht blos das Eigentum zu den B., sondern auch schon den blossen redlichen Besitz, Dig. L 16, 49; denn auch dieser gewährt mancherlei rechtlich geschützte Vorteile.

b) In einem andern mehr juristischen Sinne, [684] der namentlich für das praetorische Erbrecht wichtig ist, bezeichnet das Wort bona den Inbegriff der Activa eines Rechtsgenossen vermehrt um den Inbegriff seiner Schulden (Passiva), So heisst bonorum possessio die obrigkeitliche Einweisung in eine Nachlassmasse, zu der auch die Schulden des Verstorbenen gehören. In gleichem Sinne redet de bonis libertorum Inst. III 7 pr. Diese Bedeutung des Wortes verwirft Birkmeyer (Über das Vermögen im juristischen Sinne, Erlangen 1879, 186. 329. 338 und sonst), vgl. jedoch Dig. XXXVII 1, 3 pr. (Ulpianus): Bona, autem hic, ut plerumque solemus dicere, ita accipienda sunt: universitatis cuiusque successionem, qua succeditur in ius demortui suscipiturque eius rei commodum et incommodum; nam sine solvendo sunt bona sive non sunt, sive damnum habent sive lucrum, sive in corporibus sunt sive in actionibus, in hoc loco proprie bona appellabuntur. Allerdings ist auffallend, dass die Erbschaften ein für allemal B. heissen, obwohl sie überschuldet sein, ja sogar möglicherweise nur aus Schulden bestehen können (vgl. Birkmeyer a. a. O. 186). Es handelt sich aber hier wohl um eine Benennung a potiori, weil die Erbschaften wenigstens in der Regel nach Abzug der Schulden noch einen Güterbestand übrig lassen, also Glücksgüter sind. Der ältere Name der Erbschaftsmasse war nicht bona, sondern familia, Ulpianus XXVI 1: lege duodecim tabularum hac: si intestato moritur, cui suus heres nec escit, proximus agnatus familiam habeto (vgl. hierzu Karlowa Röm. Rechtsgesch. I 12ff. Voigt Röm. Rechtsgeschichte I § 12. v. Jhering Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts, Leipzig 1891, 81ff.). Daneben bezeichnete familia Verwandtengruppen und die abhängigen Hausgenossen, Dig. L 16 frg. 195 § 2; doch war eine Verwechslung hieraus nicht zu befürchten, da die Familienbeziehungen und die Familienrechte mit dem Tode des Berechtigten erlöschen. Es ist daher wahrscheinlich, dass der Ersatz des Ausdruckes familia (= Erbschaft) durch das Wort bona sich nicht im Erbrechtsgebiete vollzogen hat, sondern da, wo es einer scharfen Sonderung der Familienrechte von den Vermögensrechten bedurfte. Birkmeyer (a. a. O. 7ff.) vermutet, dass dies zuerst in der bei Livius VIII 28 erwähnten lex geschehen ist, die man, nicht ohne gegründeten Widerspruch (vgl. Puchta-Krüger Inst.10 I 479 § 162) gewöhnlich lex Poetelia nennt. Sie bestimmte, dass pecuniae creditae bona debitoris, non corpus obnoxium esset. Fortan durfte der Gläubiger zu seiner Befriedigung nicht mehr den Schuldner (trans Tiberim) verkaufen, sondern nur dessen Vermögen, das dann mit den darauf lastenden Schulden ausgeboten und dem zugeschlagen wurde, der den Gläubigern die höchsten Procente bot (s. Bonorum emptio). Eine Vorstufe zu diesem Vermögensverkaufe (vgl. auch Gai. I 27) war die missio in bona, Dig. XLII 4. 2 pr. Paul. sent. V 12, 6; s. auch u. Cessio Bonorum. Jhering vermutet (Entwicklungsgeschichte 83), dass die älteste Unterscheidung der bona von der familia auf einem älteren praetorischen Edicte beruht hat, das die Entmündigung der Verschwender (bonis interdicere) betraf, Paul. III 4 a, 7. Allein diese interdictio bezog sich offensichtlich auf die Activa [685] des Verschwenders. Wann das Wort B. zuerst auch Schulden mitumfasste, lässt sich nach dem Inhalte der Quellen schwerlich feststellen.

c) Während B. in den bisher erwähnten Bedeutungen eine Reihe von Vermögensstücken oder auch Vermögenslasten zusammenfasst, bezeichnet es zuweilen eine blosse Rechnungsgrösse, nämlich den Überschuss des Wertes der Activa über den der Passiva, das Reinvermögen (pura substantia, vgl. hierzu Birkmeyer a. a. O. 328). So Dig. XLIX 14, 11: id enim bonorum cuiusque esse intellegitur, quod aeri alieno superest. Dig. L 16, 39, 1: Bona intelleguntur cuiusque, quae deducto aere alieno supersunt. L 16, 83: Proprie bona dici non possunt, quae plus incommodi quam commodi habent. Es ist also hier weit weniger das Vermögen selbst, das B. heisst, sondern sein durch Berechnung festgestellter Gesamtwert. Von dieser Grösse hängt der sog. Personalcredit ab, d. i. das Vertrauen auf einen gewissen Umfang der Zahlungsfähigkeit eines Schuldners (im Gegensatze zu dem auf Pfänder gegründeten Realcredit). In diesem Sinne werden die Schulden gewissermassen als ein fremdes Gut (aes alienum) angesehen, das die Gläubiger der dem Schuldner gehörigen Masse nur als vorübergehenden Bestandteil vorläufig belassen und das aus dem Werte der Activmasse ausgesondert werden muss, wenn man das Reinvermögen feststellen will, welches allein dem usufructuarius oder dem socius omnium bonorum oder dem heres Vorteil zu bringen vermag, vgl. Dig. XXXV 2, 32: eo minus in bonis eius intellegebatur, d. h. um den Schuldenbetrag mindert sich des Schuldners Vermögen. Ob Ulpian in der oben angeführten Stelle (Dig. L 16, 49) unter civilis appellatio, d. h. der juristischen Terminologie im Gegensatze zu der natürlichen, an die zuletzt erwähnte Rechnungsgrösse oder an den Inbegriff der Activa und der Passiva des Vermögensherrn gedacht hat, ist zweifelhaft (vgl. hierzu auch Pernice Krit. Vierteljahrsschrift XXII 233). Jedenfalls sind beide Bedeutungen nur daraus zu erklären, dass der Jurist, dem die Sprache genau passende Namen für wichtige Begriffe versagte, bei ihrer Benennung zu einem schon vorhandenen Ausdrucke seine Zuflucht nahm, der streng genommen auf sie nicht passte. Litteratur: Birkmeyer Das Vermögen im juristischen Sinne 1879, und dazu die in Windscheids Pandekten⁷ I § 42 Anm. 1 a S. 96 Angeführten. Mandry Familiengüterrecht II 10, 4. Bekker Pandekten I 132ff. § 40–43. Voigt Römische Rechtsgeschichte I 471ff. § 44. 45. Puchta-Krüger Institutionen10 II 179. Leonhard Institutionen 243ff. 326ff. § 69. 98.
[Leonhard.]

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