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Boio (Βοιώ), angebliche alte delphische Priesterin und Dichterin (von Clem. Alex. strom. I 399 P. neben Hippo und Manto genannt), Gemahlin des mythischen Königs der Athener Aktaios, Mutter des angeblichen Epikers Palaiphatos (Suid. s. Παλαίφατος). Unter ihrem Namen ging 1) ein Hymnus auf Apollon (Paus. X 5, 7f.), in dem u. a. in bewusstem Gegensatz zu Phemonoe, der ‚Tochter Apollons‘, der Hyperboreer Olen als Erfinder des Hexameters gefeiert war, 2) ein Metamorphosengedicht Ὀρνιθογονία, das bereits Philochoros (FHG I 417 frg. 207 [περὶ μαντικῆς ?]) gekannt zu haben scheint. Beide Werke sind offenbar in der älteren Alexandrinerzeit von einem Unbekannten behufs grösserer Beglaubigung auf den Namen der delphischen Priesterin gefälscht worden. Später wurde aus der Dichterin B. ein Mann Boios, Suid. s. Τέρπανδρος, wo die Worte ἄλλοι δὲ Ὁμήρου (ἀπόγονον) Βοίου λέγοντες αὐτὸν τοῦ Φωκέως deutlich auf die Βοιὼ ἐπιχωρία γυνή bei Pausanias weisen; Alex. von Myndos bei Ath. IX 393 e (Βοίος δ’ ἐν Ὀρνιθογονίᾳ ἢ Βοιὼ ὥς φησι Φιλόχορος, dies Citat kann Zusatz des Athenaios sein), Plin. n. h. X 7 (und Ind., die Hss. beidemal falsch Boethus, bereits von Pincianus verbessert), endlich zehnmal in den Quellenangaben zu Antoninus Liberalis. Wir verdanken die Kenntnis dieser merkwürdigen Fälschungen dem Alexander Polyhistor (Quelle des Pausanias, Maass De Sibyll. indic. 21) und Alexander von Myndos (Quelle für Athenaios und Aelian. de nat. an. XV 29, Wellmann Herm. XXVI 520), Plinius scheint seine Notizen aus Philemon (περὶ παντοδαπῶν χρηστηρίων Ath. IV 114 d) geschöpft zu haben (Brunn De auct. ind. Plin. 16); woher der gelehrte Verfasser der Autorenangaben zu Antoninus Liberalis seine Kunde hat, [634] ist noch eine offene Frage (nach Oder De Anton. Lib., Bonn. Diss. 1886, 46 aus Pamphilos [?]). Wellmanns Versuch, Alexander von Myndos als Quelle des Antoninus zu erweisen, ist misslungen: die von Athenaios und Aelian (hier ohne Namensnennung) aus Alexander erzählte Sage von der Pygmaienkönigin Gerana stimmt weder im Namen noch in Einzelheiten mit der aus verwandter Quelle geflossenen Parallelerzählung bei Anton. Lib. 16 (trotz der Randbeischrift ἱστορεῖ Βοῖος Ὀρνιθογονίας β’), so dass auch für die sonstigen Quellenangaben (zu 3. 5. 7. 11. 15. 18. 19. 20. 21, ferner 6 [O. Schneider Nicandr. 43] und 14 [Oder 51, 5]) eine gewisse Vorsicht geboten scheint. Andere Citate fehlen (doch mag Paus. X 29, 3 und Ael. de nat. an. X 32 ~ Ant. Lib. 7 auf die Ornithogonie gehen); vergeblich haben sich v. Wilamowitz (Herm. XVIII 431) und Wellmann (Herm. XXVI 515) bemüht, ein paar abgelegene Verwandlungssagen auf B. zurückzuführen. Das Gedicht war in Hexametern verfasst, worauf manche Spuren bei Antoninus Liberalis führen; mehr oder minder unsichere Restitutionsversuche von O. Rossbach Jahrb. f. klass. Philol. 1891, 95. Martini Mythogr. Graec. II 1 p. LII–LV. Von alexandrinischen Dichtern, wie es scheint, kaum berücksichtigt (unsichere Vermutungen bei Susemihl Alex. Litt. I 379, 14), fand B. später einen Nachahmer in Aemilius Macer, dem Freunde Ovids (Ornithogonia in zwei Büchern, ebensoviele Boio’s sind bekannt), Ovid selber hat das Gedicht einigemal in den Metamorphosen benützt (Stellen bei Knaack Anal. Alex.-Rom. 9, hier auch über Aemilius Macer); endlich scheint der sog. Manilius Astron. II 43 darauf anzuspielen. Es enthielt, wohl nach dem Vorbilde eines ähnlichen Gedichtes, das auf den Namen der Phemonoe gefälscht war (Plin. n. h. X 7 und 21), die entlegensten Localsagen über Verwandlungen von Menschen in Vögel, eingehende Angaben über die Lebensweise und die Vorbedeutungen derselben. Diese Angaben, die sich mehrfach in auffallender Weise mit Pseudo-Aristoteles (B. IX der Tiergeschichte) berühren, sind für die Kenntnis[WS 1] der Mantik nicht unwichtig und entsprechen ganz dem Bilde, das in kurzen Umrissen bereits Aischyl. Prom. 490f. gezeichnet hat (vgl. Ps.-Arist. hist. an. IX 1, 608 b 29; ethic. Eudem. VII 2, 1236 b 10).
Knaack De Boei Ornithogonia, Anal. Alex.-Rom. 1–12, z. Τ. berichtigt von Oder De Anton. Lib. 43, dazu Knaack Wochenschr. f. klass. Phil. 1890, 37–41. Susemihl Alex. Litt. I 379. Martini a. a. O. XLVIII–LII (unrichtig).
[Knaack.]
Anmerkungen (Wikisource)
Vorlage: Kenntis
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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