ART

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Binsen, echte Β., nennt der Botaniker vorzugsweise die Arten der Gattung Scirpus L. aus der Familie der Cyperaceen; da indessen im gewöhnlichen Leben, selbst in botanischen Lehrbüchern (vgl. Leunis Synops. II. Teil II³ § 722, 1 Iuncus L. und § 747, 6 Scirpus L.), auch die Arten der Gattung Iuncus L. (= Simse) vielfach gleichfalls als B. bezeichnet werden, auch bezüglich der alten Worte scirpus (etym. = unser ‚Schilf‘), iuncus und σχοῖνος (ὁ und ἡ, vgl. Athen. III 122 a) irgend welche strenge Scheidung nirgends consequent durchgeführt erscheint, sei im folgenden der Begriff B. im weitesten Umfange gefasst. Danach verstehen wir unter B. grasähnliche, auf saurem, sumpfigem Boden (Torfboden) an Flussufern oder noch häufiger in oder an stehenden Wassern (Sümpfen) wachsende Pflanzen mit knotenfreien, teils blattlosen, teils beblätterten, biegsamen, meist markerfüllten Stengeln und einer aus einer kleinen seitlichen Spalte unter der Spitze des Schaftes hervorkommenden Blütenrispe bezw. einer einzelnen endständigen Ähre oder mehreren Ährchen in Büscheln. Wie an Schilfarten so war auch an B. das alte Griechenland (auch Thessalien, vgl. Ov. met. VII 231; neugr. βοῦρλα oder κουφοβούρλος) reich, ebenso [477] Italien (jetzt giunco). Vgl. Billerbeck Flora class. 16. 17. 95. Fraas Synops. pl. fl. cl. 294. Lenz Bot. d. a. Gr. u. R. 280. Weil die B. gern am Wasser (so schon in der Odyssee V 463) wuchsen (B. = bî + naʒ = beim oder am Nassen sc. wachsende Pflanze), hiessen sie iunci palustres (z. B. Ov. met. VIII 336; vgl. iuncus limosus Verg. Ecl. I 48. Plaut. Rud. II 6, 39; σχοῖνος ἑλειότροφος Archestr. b. Athen. VII 305) und werden oft neben anderen einen feuchten Standort liebenden Gewächsen genannt, z. B. neben salix, ulva, arundo (z. Β. Ov. met. VI 345. VIII 336; fast. VI 411. Plin. epist. VIII 20, 5). Solch eine B.-Lache hiess σχοινοῦς oder iuncetum (z. B. Varro de r. r. I 8, 3). Wo die B. einmal wuchsen, bildeten sie durch ihr massenhaftes Auftreten oft ein dichtes Gebüsch, vgl. Pind. Olymp. VI 54. Aus ihrem Vorkommen schloss man ohne weiteres auf das Vorhandensein unterirdischer Süsswasseradern, vgl. Geop. II 4, 1. 5, 4. 5, 16. Die in Griechenland häufigste σχοῖνος-Art war die Strand-Binse, Iuncus maritimus Lam. Dioskorides (IV 52) unterscheidet von σχοῖνος ἑλεία ein doppeltes εἶδος: das eine ὀξύσχοινος genannt (= Iuncus acutus, 1 m. hoch), nach der nadelartigen Schärfe seiner Spitze, mit abermals zwei Unterarten, je nachdem Früchte überhaupt nicht hervorgebracht werden (ἄκαρπος, wahrscheinlich Scirpus palustris, dessen Samen oft nicht zur Reife kommen; nach Fraas Synops. plant. flor. class. 294 sind die ‚unfruchtbaren‘ nur die jüngeren Wurzelstöcke derselben Art; = σχοῖνος ἄρρην bei Theophr. h. pl. IV 12, 1) oder die Früchte eine dunkle Farbe (μελαγκρανίς bei Theophr. a. O.) und rundliche Gestalt besitzen (Scirpus lacustris oder Sc. maritimus): das andere ὁλόσχοινος (s. Harpocr. s. v. Phot. p. 329, 11) genannt, fleischiger und dicker als die vorigen Arten (entweder = Iuncus mariscus oder wohl richtiger mit Fraas 295 = Scirpus holoschoenos L.). Letztere B.-Art wurde teils wie Flachs geröstet (ὁλόσχοινος βεβρεγμένος) teils ungeröstet, ἄβροχος, zu Flechtwerk gebraucht (vgl. Ael. nat. anim. XII 43): πρὸς γὰρ τὰ πλέγματα χρησιμότερος ὁ ὁλόσχοινος διὰ τὸ σαρκῶδες καὶ μαλακόν Theophr. h. pl. IV 12, 2 vgl. mit Plin. n. h. XXI 113: utilissimus ad vitilia holoschoenos. Plinius, der aus Theophrast geschöpft hat, stimmt in allem Wesentlichen genau mit diesem überein, vgl. Plin. n. h. XXI 112ff. mit Theophr. h. pl. IV 12. Für die, attische Flora führt von Heldreich (Pflanzen d. att. Ebene = 5. Heft von A. Mommsens Griech. Jahresz. 515) folgende Iuncusarten auf: Iuncus glaucus Ehrh., I. Heldreichianus, I. acutus L., I. lamprocarpus Ehrh., I. obtusiflorus Ehrh., I. Gerardi Loisl., I. Tenageja L. fil., I. bufonius L. (fasciculatus Koch); von Scirpusarten folgende zwei: Sc. Tabernaemontani Gmel. und Sc. maritimus L. Vom Iuncus maritimus Lam. abgesehen, wären – als für die südliche Flora in Betracht kommend – etwa noch Iuncus rigidus Desf., Scirpus lacustris L. mit stielrundem, 1,25 bis 2,5 m. hohem grasgrünem Halm, mucronatus L. und holoschoenos L. zu nennen. Die Blütezeit der meisten attischen Iuncusarten fällt in den April und Mai, nur bei einigen, wie lamprocarpus und obtusiflorus erst vom Juni an; Scirpus maritimus blüht im Mai, die andere Scirpusart erst [478] im Juni und Juli. Auch das altgriechische Wort θρύον scheint – wenigstens an einigen Stellen – soviel zu bedeuten wie B., z. B. Ilias XXI 351 (hier neben λωτός und κύπειρον; vgl. Anthol. Pal. IX 723. Nic. Ther. 200: ‚die binsenreichen Niederungen Ägyptens‘). Ob dagegen Diod. Sic. III 10, 3 mit θρύον Β. gemeint sind, ist fraglich: hier scheint es eher eine dem Zuckerrohr nahestehende Pflanze zu sein; bei Theophrast bedeutet θρύον keinesfalls die B. Das Vieh frisst nur ganz junge B. (diese sind namentlich Schweinefutter), die alten B. sind schlechte Futtergräser, weshalb der Landmann sie als Unkraut betrachtet und auszurotten bestrebt ist, zu welchem Behufe Plinius gründliches Umgraben (Rigolen) des Ackers mit dem Spaten empfiehlt (n. h. XVIII 46). Aber in Arabien werden die B. gern von Kamelen gefressen, Galen XIV 74 K. Wegen der Härte und Zähigkeit der biegsamen (molles Verg. Ecl. II 72) Halme wurden namentlich die grösseren Arten (Iuncus conglomeratus L., 1–2m. hoch, I. maritimus Lam., Scirpus silvaticus, Sc. maritimus, Sc. lacustris u. s. w.) schon frühe zu allerhand Flechtarbeiten (cratis iuncea Plin. n. h. XXI 84; iuncus von iungere? scirpare = flechten, binden, vgl. Varro de l. l. V 137. 139. Nonius p. 83, 24) verwendet. Dem Einsammeln der Β. (σχοινολογεῖν) wurde aus diesem Grunde besonderer Fleiss gewidmet, vgl. Ovid. met. VI 345. Geop. III 10, 7. Man fertigte aus B. erstens sehr haltbare Seile oder Stricke, Plin. n. h. XIX 31. Varro de r. r. I 22. 23. Poll. VII 160. Da die B. das älteste zur Seilerarbeit benutzte Material gewesen sind (vgl. Blümner Technol. I 296), ist σχοῖνος, auch σχοινίον, gleichbedeutend mit ‚Strick‘: ursprünglich nur Binsenstrick, später überhaupt = Strick, auch vom Werg- oder Hanfstrick (σχοινοβάτης = Seiltänzer; der Seiler hiess σχοινοπλόκος und σχοινοστρόφος, auch σχοινιοσυμβολεύς oder σχοινουργός). Des B.-Strickes scheinen sich nicht selten die Selbstmörder bedient zu haben, wenn sie sich den Tod durch Strangulieren gaben, vgl. Theokr. XXIII 51. Plaut. Stich. IV 2, 56 (639). Ferner stellte man aus B. Körbe her, die den verschiedensten Zwecken dienten: σπυρίδες σχοινοτενεῖς Philipp. Anth. Pal. VI 5; τάλαρον σχοίνοισιν ὑφασμένον Philipp. Anth. Pal. VI 247, 5; πλεκτὸν ὕφασμα σχοίνου Archestr. b. Athen. VII 305 f; sportae iunceae Colum. XII 6; corbes, fisci, fiscinae oder fiscellae, teils für Rosen (Ov. fast. IV 870, vgl. Prop. IV [V] 2, 40), teils zur Aufnahme des Obstes oder zum Käseformen (Varro de r. r. I 22, 1) oder sonst zu Molkereizwecken (Tib. II 3, 16). Gewisse aus B. geflochtene Körbe (darunter grosse, vgl. Inst. XLIII 4, 6; ein geräumiger Wagenkorb Ovid. fast. VI 680) hiessen geradezu scirpeae oder sirpeae (z. B. bei Varro de r. r. I 23. Arnob. II 38) und wurden vorzugsweise in der Landwirtschaft gebraucht, namentlich zum Hinausfahren des Mistes (Varro de l. l. V 139. Cato de agric. 10: sirpeae stercorariae). Eine kleinere Form führte den Namen scirpiculi, sirpiculi (z. B. Colum X 305. Prop. IV [V] 2, 40), surpiculi (um Kohl hineinzuthun, Nonius p. 490, 24) bezw. scirpiculae. Auch Geschlechtskörbe wurden aus B. geflochten. Diese band man sprungfähigen Schafböcken vor die Genitalien und verhinderte so die Befruchtung der [479] Schafe, Varro de r. r. II 2. Kohl wurde des leckeren Aussehens und der Sauberkeit halber mit B. umschnürt, Prop. IV (V) 2, 44. Ein wichtiges aus B. angefertigtes Fischereigerät waren die Fischreusen, κύρται oder κύρτοι (vgl. Nic. Alex. 625 u. Schol.), nassae oder surpiculi piscarii, geflochtene Körbe mit engem Halse, woraus die Fische nicht wieder entkommen konnten, vgl. Aelian. nat. anim. XII 43. Plin. n. h. XXI 114. Plaut. Capt. IV 2, 36. Lycophr. 665. Theokr. XXI 11 (ἐκ σχοίνων λαβύρινθοι). Araros b. Athen. III 105 e (hier ein geflochtenes B.-Gefäss zum Fang des Squillenkrebses). Ferner werden B.-Matten bezw. Decken erwähnt (φορμῷ σχοινίνῳ Aristoph. bei Poll. X 169), tegetes (Varro de r. r. I 22. Plin. n. h. XXI 112 vom Iuncus mariscus: ad texendas tegetes. Fest. p. 330: scirpus …, unde tegetes fiunt). Die B.-Streu galt für ein sehr primitives Lager, vgl. Aristoph. Plut. 541. Auch Siebe (κόσκινα) zum Sieben des Mehles u. dergl. wurden aus B. geflochten (vgl. Poll. VI 74. Antip. Anth. Pal. VI 291, 8). Die Knaben, die das Schwimmen erlernten, bedienten sich behufs leichteren Erlernens der sog. scirpea ratis, vgl. Plaut. Aulul. IV 1, 9. Bei Theokrit (I 53) macht ein Knabe aus Asphodelosstengeln, die er mit B. verbindet, eine ἀκριδοθήρα, d. h. eine Art Binsenmütze oder Netz, um damit die Heuschrecken von den Weinstöcken herabzustreifen. Auch falces sirpiculae, B.-Sicheln, werden von den alten Schriftstellern über Landwirtschaft erwähnt (z. B. Varro de l. l. V 137: falces sirpiculae vocatae ab sirpando i. e. ab alligando; de r. r. I 22); über die Art ihrer Verwendung ist uns nichts Näheres bekannt. Von den transportabeln Wohnungen der Nasamonen erzählt Herodot (IV 19D), sie seien zusammengefügt gewesen aus Antheriken, mit B. durchflochten. Eine σχοινῖτις καλύβη (B.-Zelt) s. Leon. Tar. Anth. Pal. VII 295. Auch zum Decken einfacher Häuser oder Hütten haben die B. wenigstens gelegentlich Verwendung gefunden, vgl. Plin. n. h. XVI 156. Liv. XXVII 3, 3. Sil. Ital. VII 439. Ferner scheinen sie zur Anfertigung von Stuhlsitzen (δίφροι σχοινότονοι), zum Anbinden rankender Gewächse sowie zur Umhüllung zerbrechlicher Gegenstände bei Transporten u. s. w. gebraucht worden zu sein. Das nach Abschälung der Halme zurückbleibende B.-Mark (von Iuncus effusus, maritimus u. s. w.) wurde schon im Altertum zu Lampendochten verwandt, Plin. n. h. XVI 178. XXI 114 (hier vom oxyschoenus: usus ad … lucernarum lumina praecipua medulla). Anthol. Pal. VI 249. Plinius (XV 30) erwähnt auch ein oleum iuncinum. Auch die Menschenfiguren darstellenden Puppen, Argei genannt, die alljährlich einem uralten Kultgebrauche zufolge in Rom vom Pons sublicius in den Tiber geworfen wurden, waren aus B.-Stroh. Alles Nähere hierüber s. o. Bd. II S. 689ff. Da die B. keine Knoten haben, sagte man schon zu Ennius Zeit von Leuten, die Schwierigkeiten suchen und finden, wo keine vorhanden sind: quaerunt in scirpo nodum, vgl. Plaut. Men. II 1, 22 (247): in scirpo nodum quaeris; ganz ähnlich Ter. Andr. V 4, 38 (941). Eine sprichwörtliche Redensart war auch ἀπορράπτειν τὸ στόμα τινὸς ὁλοοχοίνῳ ἀβρόχῳ, jemandem den Mund mit ungerösteten Β. zunähen, ihm mit leichter Mühe [480] das Maul stopfen, vgl. Aeschin. II 21. Pallad. Anth. Pal. X 44. Jungfrauen von besonders schlankem (iunceus = σχοίνινος auch in diesem prägnanten Sinne) und zartem Wüchse verglich man gern mit Β., vgl. Ter. Eun. 316. Prud. περὶ στεφ. III 132 (pectora iuncea). Nicht unmöglich, dass der Wagenlenker des Amphiaraos deshalb Schoinikos hiess, weil er schlank war wie eine Binse (Hesych; vgl. Murr Die Pflanzenwelt i. d. griech. Mythol. 281). Ferner war die nadelscharfe Spitze (vgl. Ov. met. IV 299) einiger B.-Arten sprichwörtlich, so dass in der Batrachomyomachie (164. 255) der σχοῖνος wie ein ἀκόντιον geworfen wird; vgl. Aristoph. Ach. 230 u. Schol. Der Wurzelstock mehrerer B. wurde wegen seiner harntreibenden Wirkung schon von den Alten gegen Steinbeschwerden gebraucht. Sonst fand namentlich Iuncus acutus L. (σχοῖνος ὀξύσχοινος bei Diosc., oxyschoenus bei Plin.) in der Heilkunde Verwendung. Die gedörrte Frucht, in einer Mischung genommen, stillt den Durchfall, bringt den Monatsfluss zum Stehen und wirkt harntreibend, aber auch kopfschmerzenerzeugend. Die zarten Blättchen, die der Wurzel zunächst wachsen, aufgelegt heilen den Biss giftiger Spinnen. Die Frucht einer B.-Art, die am Euripos wächst, hat einschläfernde Kräfte. Man hüte sich aber, zuviel davon einzunehmen, denn die Wirkung ist schwer betäubend, Diosc. IV 52, vgl. Paul. Aeg. VII p. 255, 27. Galen. XII 136. VI 644. XIV 74 K. Cels. V 4. 11. III 21. Scrib. Larg. 61. 271. Andererseits war σχοῖνος ein Bestandteil der Ῥοδιακαὶ χυτρίδες, eines aus verschiedenen Pflanzen ausgekochten Saftes, der, zum Wein gegossen, im Rufe stand, der Trunkenheit wirksam, vorzubeugen, Aristoteles bei Athen. XI 464 c. Asklepios trug im lakonischen Helos den Beinamen σχοινάτας (CIG 1444), vielleicht weil, wie wenigstens Murr (a. O. 280) annimmt, aus B. eine geschätzte Salbe hergestellt wurde, wahrscheinlicher aber wohl deshalb, weil überhaupt die B. als heilkräftig galten. Die alten Beziehungen der Aphrodite zur ‚feuchten Natur‘ liegen wohl ihrer Benennung als Σχοινηίς zu Grunde (Lycophr. 832 u. Tzetzes z. d. St.). Vgl. überhaupt die Artikel Schoineis, Schoineus und Schoinikos. Einen Hinweis auf die Olympien kann man in der Sitte finden, dass der Alytarch (Priester) der den elischen nachgebildeten Olympien zu Antiocheia während seiner Amtstage der Reinheit wegen, die auf seinem Leibe haften musste, auf einem reinen B.-Lager schlief, Carl Bötticher Baumkultus der Hellenen 333. Über die Namen griechischer Örtlichkeiten bezw. Flüsse, die in ältester Zeit so reich an B. waren, dass sie diesen ihren Namen verdankten, wie Σχοινοῦς, Εὔσχοινος, Σχοῖνος, Σχοινίτας, Θρύον, Θρυόεσσα s. Murr Die geogr. u. mythol. Namen der altgriech. Welt in ihrer Verwertung für antike Pflanzengeogr. II 26 nr. 36.
[Wagler.]

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