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Biber (κάστωρ, lat. fiber, spätlat. beber Schol. Iuv. XII 34). Er war im Altertum in Deutschland, Gallien, Spanien (Strab. IIΙ 163), Kleinasien, besonders im Pontus, Africa (Plin. VIII 109. XXXII 27), Südrussland bis zum Lande der Skythen (Herod. IV 109. Schol. Nic. Ther. 565), an der Donau (Andromachos bei Gal. XIV 41) verbreitet, im eigentlichen Griechenland und Italien kam er nicht vor. Daraus erklärt sich, dass uns über seine Natur nur spärliche Angaben aus dem Altertum erhalten sind. Die Beschreibung des Β. steht bei Arist. h. a. VIII 5, 225. Plin. VIII 109. Ael. VI 34. Tim. v. Gaza Herm. III 28. Darnach wurde er zu den Amphibien gerechnet (Ael. XI 37 Tim. v. Gaza a. a. O.), am Tage halte er sich in den Flüssen verborgen, des Nachts gehe er auf Nahrung aus (Ael. VI 34.). Sein Schwanz gleiche dem eines Fisches, der übrige Körper der Fischotter (Plin. a. a. O.), sein Bauch soll weiss sein (Tim. v. Gaza a. a. O.). Nach Aristoteles (a. a. O.) gehört er zu den Vierfüsslern, die an Seen und Flüssen ihre Nahrung suchen; er berichtet weiter, dass er breiter sei als die Fischotter, nachts aus dem Wasser gehe und mit seinen starken Zähnen Stämme abnage (vgl. Plin. a. a. O.). Die Namen λάταξ, σαθέριον, σατύριον (σαπήριον? bei Tim. v. Gaza a. a. O.) bei Aristoteles und Timotheos sind wahrscheinlich verschiedene Bezeichnungen desselben Nagers (v. Αubert-Wimmer Arist. Tierk. I 70). Das B.-Fell war schon im Altertum hoch geschätzt; es wurde von den Budinen im heutigen Polen an ihren Pelzen getragen (Herod. IV 109), ferner zu Schuhwerk und Kleidungsstücken verarbeitet (Plin. XXXII 110. Tim. v. Gaza a. a. O.). Gefangen wurden sie des Nachts bei Fackelschein (Tim. v. Gaza). Eine der verbreitetsten naturgeschichtlichen Fabeln des Altertums ist die Erzählung von der Klugheit des Β., der sich bei seiner Verfolgung seine Hoden abbeisse und sie den Verfolgern opfere, da er den Grund seiner Verfolgung kenne (Cicero in der Scauriana bei Isid. Orig. XII 2, 21. Sostratos im Schol. Nic. Ther. 565; Alex. 307. Plin. VIII 109. Andromachos bei Gal. XIV 41. Ael. VI 34. Aesop. fab. 189 H. Iuv. ΧII 34. Democrit im Sympathietractat vgl. Gemoll Progr. Striegau 1884, [401] 4, 1 u. ö.). Die Voraussetzung dieser Fabel ist die im Altertum verbeitete Annahme, dass ihre Hodensäcke der Sitz des als Heilmittel hochgeschätzten B.-Geils seien (vgl. Gal. XII 337. Schol. Nic. a. a. O. u. ö.). In Wirklichkeit wird es bei beiden Geschlechtern in besonderen Drüsen, die im Unterteile der Bauchhöhle neben den Geschlechtsteilen liegen, abgesondert. In unserer Überlieferung ist Sextius Niger, d. h. wahrscheinlich schon Krateuas, der Leibarzt Mithridates des Grossen, der erste, der diese naturwissenschaftliche Fabel bekämpfte und die richtige Beschreibung der Castorsäcke gab (Plin. XXXII 26. Diosk. II 26. M. Wellmann Herm. XXIV 538f.). Seine Beobachtung ist vollkommen richtig, dass sie zwei kleine, eingezogene Drüsen seien, die mit dem Rückgrat so zusammenhängen, dass ihr Verlust das Leben des Tieres gefährde, und dass die in ihnen enthaltene Flüssigkeit (das Geil, castoreum, καστόριον) eine wachsähnliche Masse sei, von starkem Geruch und bitterlichem Geschmack. Das beste B.-Geil kam aus Pontos, Galatien und Africa (Plin. a. a. O. Verg. Georg. I 50 mit Serv.), das spanische wurde geringer geschätzt (Strab. ΙII 163 aus Posidonius). Man pflegte es nachzuahmen, indem man Ammoniakharz oder Gummi mit Blut und B.-Geil mischte und diese Mischung in eine Blase goss und trocknete (Diosc. II 26). In der Arzneimittellehre der antiken Medicin spielte das B.-Geil wie noch heutigen Tags seit der Zeit des Hippokrates eine wichtige Rolle; schon Herodot (IV 109) wusste davon zu erzählen, dass die Budinen es gegen Gebärmutterleiden verwandten, eine Verwendung, die dem Hippokrates (I 476 K.) gleichfalls bekannt war. Im übrigen hat es in der älteren Medicin bei weitem nicht die Bedeutung wie später. Seit Herakleides von Tarent wurde es in der Therapie ganz besonders bevorzugt. So empfahl er es gegen Husten (Cels. V 25, 10), Kopfschmerz (Gal. XII 583), Lethargie (Cael. Aurel. Α. Μ. II 9) und Phrenitis (C. Aurel. Α. Μ. Ι 17; ebenso Asclepiades C. Aur. Α. Μ. Ι 15. Plin. XXXII 28, während Themison Blähungen[WS 1] mit B. Geil, Haarstrang und Raute bei Phrenitis verbot). Es wurde bald als inneres Mittel, bald in Einreibungen, bald als Riechmittel oder als Klystier verwandt. In der Schlafsucht war es eines der beliebtesten Mittel; Herakleides von Tarent (C. Aur. Α. Μ. II 19), Asclepiades (C. Aur. Α. Μ. II 9), Celsus (ΙII 20), Sextius Niger (Plin. XXXII 182. Diosc. II 26), Archigenes (Aret. Α. Μ. Ι 2 p. 201), Ps.-Diosc. (π. εὐπ. p. 100) und Alexander von Tralles (I 529 P.) empfahlen es in dieser Krankheit als Niesmittel, um die Schlafsüchtigen zum Bewusstsein zu bringen. Mehrere dieser Ärzte liessen auch den Kopf des Schlafsüchtigen rasieren und mit B.-Geil salben (Heracl. bei C. Aur. a. a. O. Cels. Alex. v. Tr. Archig. bei Aret. a. a. O.) oder gaben es zu trinken oder setzten es dem Klystier zu (Heracl. Archig. Alex. v. Tr. a. a. O.). Die vorteilhafte Wirkung des Geils als Medicament besteht darin, dass es den Körper warm und trocken macht und die Nerven kräftigt. Die Pneumatiker, in deren Arzneimittellehre es eine so hervorragende Rolle spielte, dass Archigenes ein eigenes Buch περὶ καστορίου χρήσεως verfassen konnte, verwandten es demgemäss bei allen Krankheiten, die auf übermässiger Kälte und Feuchtigkeit [402] beruhten, und bei Nervenkrankheiten (vgl. auch Niger bei Plin. XXXII 29), insbesondere bei der Lethargie (Aret. cur. a. m. I 2, 201. M. Wellmann Pneumatische Schule 158), beim Tetanos in der Form einer Salbe mit einem Zusatz von Meerschaum, Euphorbiensaft und Natron oder innerlich als Arznei oder als Klystier mit einem Zusatz von Öl (Aret. cur. a. m. I 6, 220; vgl. Asclepiades bei Cael. Aur. Α. Μ. III 8. Scrib. L. 101 p. 44), bei Apoplexie als Arznei mit Honigmet oder in Einreibungen zusammen mit altem Fett zur Kräftigung der gelähmten Teile (Aret. cur. a. m. I 212), bei Epilepsie (Aret. cur. ch. m. I 4, 311; ebenso Themison bei Cael. Aur. ch. m. I 4, 236), bei der Cholera ebenso wie beim Tetanos als Salbe (Aret. cur. a. m. II 4), desgleichen bei Herzkrankheit (Aret. cur. a. m. II 3), bei hysterischen Erstickungsanfällen (Aret. cur. a. m. II 8), bei der Satyriasis und Gonorrhoe als Arznei (Aret. a. m. II 11, 290; chr. m. II 3), beim Kopfschmerz als Niesmittel (Aret. cur. chr. m. I 1; vgl. Ps.-Diosc. περὶ εὐπ. 96) oder als Salbe mit Haarstrang, Balsam, Essig und Öl (Gal. ΧII 554. 568, vgl. Charikles bei Gal. ΧII 556. 558 u. ö. Sext. Nig. bei Plin. XXXII 68. Scrib. Larg. 3 p. 7. 5 p. 8. 10 p. 9. Alex. v. Tr. I 495 P.). Nach Galen (XII 713) besitzt es astringierende, verteilende, erweichende (XII 702) und erwärmende Kraft (X 799) und wurde von ihm bei Entzündungen des Gehirns und der Gehirnhäute verwandt. Als Mittel gegen Schlangenbiss kannten es Nikander (Ther. 565), d. h. Apollodor, Erasistratos (gegen Basiliskenbiss Ps.-Diosc. 91), Sextius Niger bezw. Krateuas (Plin. a. a. O. Diosc. II 26), gegen Gifte und giftige Pflanzen Sextius Niger, der genauer die Zuthaten bestimmte (Plin. Diosc. a. a. O.). In den Salben gegen Ohrenschmerzen kehrt es bei den meisten Ärzten der christlichen Zeit wieder von Asclepiades an (Cels. VI 7, 3, 241. Themison bei Cels. VI 7, 1, 240. Niger bei Plin. ΧΧΧII 77. Gal. X 868. Andromachos bei Gal. ΧII 624f. Archigenes bei Gal. XII 644f. Alex. v. Tr. II 89), ebenso wurde es den Augensalben häufig zugesetzt (Plin. a. a. O. Scrib. Larg. 23 p. 14. Gal. XII 713. 755 u. ö.), gegen Zahnschmerz empfahl es Niger (Plin. a. a. O.) mit der Vorschrift, es mit Öl zusammen in das Ohr derjenigen Seite zu träufeln, auf der die Schmerzen sind. Seine Verwendung bei Störungen der Menstruation, bei Gebärmutterkrämpfen und zur Beseitigung der Nachgeburt kennen es Niger (Plin. ΧΧΧII 132. Diosc. II 26) und Galen (XIV 320), der erstere empfahl es auch bei Darmverschlingungen, Blähungen (Plin. n. h. XXXII 101), Schwindel, Zittern, Krämpfen, Ischias, Lähmungserscheinungen, Magenleiden (Plin. XXXII 29), sowie als Haarvertilgungsmittel (Plin. XXXII 136) und gegen Husten (Plin. XXXII 91. Scrib. Larg. 88 p. 37). Der Urin des B., der in seiner Blase aufbewahrt wurde, galt als Gegengift (Plin. ΧΧΧII 132), die Asche von B.-Fellen sollte Brandwunden heilen und Nasenbluten stillen (Plin. XXXII 119. 124). Ein bewährtes Antipathiemittel gegen Podagra war das Tragen von Schuhen, die aus den Fellen pontischer B. gefertigt waren (Plin. XXXII 110).
[M. Wellmann.]
Anmerkungen (Wikisource)
↑ korrigiert: Bähungen.
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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