ART

Baumkultus. Die griechische Religion ist eine allmählich gewordene, die sich von Stufe zu Stufe entwickelt hat, und deren einzelne Phasen noch zu verfolgen sind. Der Versuch, eine Geschichte der griechischen Religion zu schreiben, ist bisher noch nicht unternommen worden, und es ist deshalb ausserordentlich schwierig, ein einzelnes Kapitel, wie z. B. den B., vorwegzunehmen. Denn in der Isolierung betrachtet kann eine solche einzelne Phase der Entwicklung nur über- oder unterschätzt werden. Beides ist dem B. widerfahren, und das Werk, welches bereits 1856 unternommen hat den B. darzustellen, C. Boettichers B. der Hellenen, hat dem geschichtlichen Verständnis der griechischen Religion mehr geschadet als genützt. Denn so sehr das Bestreben des Verfassers auch anzuerkennen ist, Analogien aus den Religionen der anderen alten Völker beizubringen, das grosse und kaum übersehbare Material aus den Sagen und Gebräuchen der verschiedenen Völker, namentlich der nordischen, ist doch erst in W. Mannhardts Werk Wald- und Feldkulte I Der Baumkultus der Germanen und ihrer Nachbarstämme 1875, II Antike Wald- und Feldkulte aus nordeuropäischer Überlieferung erläutert, 1877 gesammelt, geordnet und gesichtet worden. Aber auch Mannhardt ist trotz des weiten Blickes, den ihm eine erstaunliche Gelehrsamkeit gestattete, zu mannigfachen Übertreibungen gekommen und ist oft verleitet worden, bei den Griechen und Römern auch da Spuren eines B. zu finden, wo sie ein unbefangener Betrachter der Entwicklung der griechischen Religion nicht anerkennen wird.

Die griechische Religion hat nicht mit dem bildnislosen Kultus eines höchsten Gottes begonnen, sondern auch ihre erste Phase war die des Fetischdienstes, wie wir ihn noch heute bei allen Naturvölkern finden. Auf das Material des Fetisches kommt nichts an. Es ist einerlei, ob der Gegenstand, welchen der Mensch göttlich verehrt, aus Stein, aus Holz, aus Horn oder Glas ist. So ist es sicherlich unrichtig, da ohne weiteres von einem B. zu reden, wo wir die Verehrung eines Brettes, eines Klotzes oder eines Pfahles finden, wie in dem alten Kult der samischen Hera (Clem. Alexandrin. Protr. 4 p. 40 Pott. Kallim. frg. 105 [Schneider II 366]. R. Foerster Über die ältesten Herabilder, Progr. Breslau 1868, 4), der Leto in Delos (ξύλινον ἄμορφον Semos bei Athen. XIV 614 B), der ikarischen Artemis (ξύλον οὐκ εἰγρασμένον Clem. Alex. Protr. 4 p. 40 Pott.; lignum indolatum Arnob. VI 11 p. 222, 14 Reiffersch.), der Dioskuren in Sparta (τὰ δόκανα Plut. de frat. amore 1) u. s. w. Denn hier könnte von einem B. nur die Rede sein, wenn das Holz, aus dem der Fetisch gemacht ist, von einem heiligen Baume stammt, wie Pausanias IX 3, 4 dies für den Kult [156] der kithaironischen Hera bezeugt, und wie Masurius Sabinus bei Serv. Aen. II 225 demnach das Wort delubrum als effigies erklärt, a delibratione corticis; nam antiqui felicium arborum ramos cortice detracto in effigies deorum formabant, unde Graeci ξόανον dicunt (Overbeck Das Kultusobject bei den Griechen in seinen ältesten Gestaltungen, Ber. der Sächs. Gesellsch. d. Wiss. 1864, 149). Wo uns in wirklich alten Kulten Bretter, Klötze oder Pfähle als Götterbilder (s. Ἄγαλμα) begegnen, ist von einem B. nicht zu reden; diese haben vielmehr dieselbe Bedeutung wie die ἀργοὶ λίθοι, die weiter nichts als Fetische sind, wie das am deutlichsten im Kult des Hermes zu beobachten ist, dessen Göttergestalt sich aus dem Fetisch des ἕρμα, des Steinhaufens, direct entwickelt hat (s. Ἀργοὶ λίθοι).

Ist es richtig, dass sich auch die griechische Religion aus dem Fetischdienste allmählich emporgehoben hat, so wird schon durch diese Erkenntnis allein die Bedeutung des B. erheblich eingeschränkt. Der Fetisch ist zunächst an keinen Ort gebunden. Er ist auf dem Felde ein ἀργὸς λίθος; er hängt aber auch als Amulet um den Hals des Menschen, der in ihm seinen Schutzgeist sieht und verehrt. Der Fetisch wandert mit dem Menschen, wohin dieser geht. Zunächst hat jeder Mensch seinen eigenen Fetisch. Es ist ein weiterer Schritt der Entwicklung, wenn von einer Familie, einer Sippe, einem Volksstamme in einem Fetisch der eine gemeinsame Gott verehrt wird. Dann muss der Ort heilig und geweiht werden, an dem der Fetisch gefunden oder aufbewahrt wird. Zuerst ist es ein Platz unter freiem Himmel; solange es ein ἀργὸς λίθος ist, bedarf es keines Schutzdaches. Aber schon der Holzfetisch verlangt Schutz vor der Witterung, und je weiter sich dieser dann zu einem ikonischen Kultgegenstande, zu einem wirklichen Kultbilde, entwickelt, desto notwendiger ist ein schützender Raum. Sehr viel älter als der Tempel ist der Altar. Der Altar steht unter freiem Himmel, daneben des Gottes Bild. Es entspricht nur dem natürlichen Bedürfnis, wenn der Mensch sich in der Natur einen Platz sucht, wo er vor allem Schutz für sein Kultbild findet, eine Höhle oder einen dichtbelaubten Hain. Auch der Tempel dient doch zunächst zu weiter nichts als zum Schutze des heiligen Bildes, das vor den Einflüssen der Witterung bewahrt werden muss. So tritt der Baum als Schutzdach des Götterbildes in den Kultus der Griechen ein, als Wohnhaus des Gottes, aber nicht als Fetisch, nicht als Abbild des Gottes. Der ausgehöhlte Baum vor allem, in den das Kultbild hineingestellt wird, ist der erste Tempel. Kenntlich ist uns jedenfalls nur noch diese Periode; überall wo wir dem B. bei den Alten begegnen, finden wir die Auffassung lebendig, welcher Silius Italicus in Betreff der Zeuseiche in Dodona Ausdruck gegeben hat III 691: arbor numen habet coliturque tepentibus aris. Die Gottheit weilt in dem Baum; er ist ihr Haus (vgl. Aristoph. av. 615), er wird heilig durch sie – aber Baum und Gottheit sind niemals identisch.

Von den alten Schriftstellern ist die Bedeutung des B. nirgends überschätzt worden: haec fuere numinum templa, priscoque ritu simplicia rura etiamnunc deo praecellentem arborem dicant. [157] nec magis auro fulgentia atque ebore simulacra quam lucos et in iis silentia ipsa adoramus (Plin. n. h. XII 1; vgl. Lukian. de sacrif. 10), und an eine Bemerkung J. Grimms anknüpfend hat jetzt O. Schrader Sprachvergleichung und Urgeschichte² 1890, 403 nachgewiesen, dass wir für den Stamm des Wortes νηός (ναϝο-) eine ursprüngliche Bedeutung als Baumstamm ansetzen müssen. Bestätigt wird diese Ansicht durch das von demselben Stamm abgeleitete Wort ναῦς; denn ein ausgehöhlter Baumstamm stellte auch das älteste, primitive, Boot dar.

Wie lange die Erinnerung an diese Periode des griechischen Gottesdienstes wach und lebendig blieb, hat jetzt der in Magnesia am Maiandros gefundene ἀρχαῖος χρησμός gelehrt, den etwa in hadrianischer Zeit der ἀρχαῖος μύστης Ἀπολλώνιος Μοκόλλης dem Gott Dionysos geweiht hat, P. Wendland und O. Kern Beiträge zur Geschichte der griechischen Philosophie und Religion (H. Diels zum 22. December 1895) 79–101, wo auch die übrigen Publicationen verzeichnet sind. Bei der Gründung der Stadt haben die Magneten des Dionysos vergessen. Da erscheint plötzlich in den Zweigen einer durch einen Sturm zerborstenen Platane ein Bild (ἀφίδρυμα) des Dionysos. Dieses göttliche Zeichen veranlasst eine Befragung des delphischen Gottes, und Apollon regt dann, was er oft thut, die Gründung eines Dionysoskultes an, bestellt als Pflegerinnen des Heiligtums drei Mainaden aus Theben, Kosko, Baubo, Thessale, von denen – bezeichnend genug – Kosko den Thiasos τῶν πλατανιστηνῶν anführt. Dieser in der Platane erschienene Dionysos ist ein echter Dionysos δενδρεὺς (Studemund Anecdota varia I 268) oder δενδρίτης (Plut. quaest. conv. V 3, 1 p. 675 F) oder ἔνδενδρος, unter welchem Namen er in Boiotien verehrt wurde (Hesych. s. ἔνδενδρος). Namentlich die letzte Epiklesis drückt unzweideutig das Verhältnis des Gottes zum Baume aus: Dionysos wohnt in dem Baume. Denselben Beinamen führte Zeus bei den Rhodiern (Hesych. s. ἔνδενδρος), und auf dieser Insel gab es auch ein Heiligtum der Helena Dendritis, dessen Kultlegende Paus. III 19, 10 erzählt. Ein ähnlicher Kult ist ferner der Dienst der Artemis Kedreatis in dem arkadischen Orchomenos (Paus. VIII 13, 2: πρὸς δὲ τῇ πόλει ξόανόν ἐστιν Ἀρτεμίδος• ἵδρυται δὲ ἐν κέδρῳ μεγάλῃ, καὶ τὴν θεὸν ὀνομάζουσιν ἀπὸ τῆς κέδρου Κεδρεᾶτιν), während die von Overbeck a. a. O. 131 aufgezählten Kulte schwerlich hierher gehören, am wahrscheinlichsten wohl noch der des Dionysos Sykites (Wide Lakon. Kulte 167). Ganz ähnliche Stiftungslegenden eines Gottesdienstes kennen wir aus den Sagen anderer Länder, z. B. des Elsasses, wo von einem bei Plobsheim jagenden Ritter erzählt wird, der durch zwei wilde Tauben zu einem hohlen Eichstamme geführt wird, in dem er ein Marienbild mit dem Jesusknaben erblickt, und der dann durch dies Zeichen vom Himmel zur Erbauung der Wallfahrtskapelle Maria zur Eich veranlasst wird (Stöber Die Sagen des Elsasses 152; mehr bei P. Wagler Die Eiche in alter und neuer Zeit II. Berliner Studien XIII 2, 49). Die Erscheinung von Göttern in den Zweigen der Bäume kennt auch die indische Religion; Oldenberg Religion des Veda 260.

[158] Ähnliche Epikleseis von Göttern wie die eben aufgezählten kommen in dem griechischen Kultus oft vor. Es ist nur immer dabei zu erwägen, ob der Beiname seinen Ursprung daher hat, dass der betreffende Baum als Wohnbaus des Gottes gilt, ob er also so zu beurteilen ist wie der Name der ,Maria zur Eich‘, oder ob der Beiname den Gott nur als den Beschützer einer bestimmten Baumgattung bezeichnen soll, wie das z. B. beim Asklepios Agnites der Fall ist, dem das Keuschlamm (ἄγνος) heilig ist, weil es in der Heilkunde eine grosse Rolle spielt. Ein solcher Beiname des Zeus, (φηγοναῖος (Steph. Byz. s. Δωδώνη) führt uns zu dem heiligsten Baume im Gottesdienste der Hellenen, zu der Eiche von Dodona, aus deren Rauschen der höchste Gott seinen Willen kund that, in deren Stamm seine Wohnung war (Hesiod. frg. 156 Rz. τὴν δὲ Ζεὺς ἐφίλησε καὶ ὃν χρηστήριον εἶναι τίμιον ἀνθρώποις – – – ναίει [Schenkl; ναῖον cod.] δ’ ἐνὶ πυθμένι φηγοῦ). Die Eiche spielt aber nicht nur bei den Griechen diese hervorragende Rolle, sondern fast überall begegnet sie uns im Kulte der Indogermanen, so bei den italischen Völkern (Preller-Jordan Röm. Myth. I³ 108), deren ältestes Iuppiterheiligtum die Eiche auf dem Capitol war, an deren Fuss Romulus seine Spolien niederlegte (Liv. I 10), bei den Kelten und bei den Deutschen; vgl. Wagler a. a. O. Dem Zeus ( der Griechen entspricht genau der Iupiter Fagutalis der Römer auf dem Esquilin, und mit Recht bezeichnen Varro de l. l. V 152 und Festus ep. 87, 6 s. fagutal die esquilinische Buche nur als sacellum Iovis, als den Wohnort des höchsten Gottes. Über den Gott Fagus in Aquitanien vgl. O. Hirschfeld S.-Ber. Akad. Berl. 1896, 447.

Der entwickelte griechische Kultus ist fester als der eines anderen Volkes an den Ort gebunden. Zwischen Kult und Ort finden Wechselbeziehungen statt, welche eine Darstellung der Geschichte der griechischen Religion vor allem zu berücksichtigen hätte. Nicht jedem Gotte ist jeder Ort genehm; aber überall finden wir im Kultus die Vorliebe für einen Hain, in dem der Altar steht und in späterer Zeit der Tempel. Es ist da überall eine Reminiscenz vorhanden an die Zeit, in welcher der Mensch seines Gottes Wohnung in und unter den Bäumen suchte; es ist aber auch namentlich von der hellenistischen Zeit an aus rein ästhetischen Gründen die Kultstätte mit Bäumen bepflanzt worden, wie man auch die Gräber gern mit diesem ernsten Schmuck zu umgeben pflegte (E. Curtius Gesammelte Abhandlungen I 80). Das Gefühl, welches die Menschen ihre Götter in den Hainen suchen liess, hat der Römer Seneca (epist. IV 12 [41]) in den Worten ausgedrückt: si tibi occurrerit vetustis arboribus et solitam altitudinem egressis frequens lucus et conspectum caeli ramorum aliorum alios protegentium umbra submovens: illa proceritas silvae et secretum loci et admiratio umbrae in aperto tam densae atque continuae fidem tibi numinis facit. Von den grossen Hainen und Waldungen, die sich in Griechenland im Altertum überall befunden haben müssen, sieht der moderne Reisende nur noch die letzten kümmerlichen Reste; aber wir werden uns erst dann ein richtiges Bild von dem Kultus der Griechen machen, wenn wir uns [159] mit der Phantasie in die alten Haine zurückversetzen, wenn wir auch oft da für den Kult eines Gottes einen Hain voraussetzen, wo uns ein solcher nicht ausdrücklich überliefert ist, wie z. B. der Ἀφροδίσιον genannte Hain bei Thelpusa in Arkadien (Paus. VIII 25,1) oder der Lykoswald in Messenien (Paus. IV 1, 6), der seinen Namen vielleicht daher hat, dass hier in alter Zeit ein Gott in Wolfsgestalt verehrt wurde (Ed. Meyer Gesch. d. Altertums II 98, 65). Solch ein heiliger Hain musste natürlich von der profanen Umgebung abgetrennt werden, und so entstand das Wort τέμενος (von τέμνειν; vgl. templum), mit dem allerdings später oft nur ein Bezirk bezeichnet wurde, welcher einem Gotte geweiht war, ohne Rücksicht darauf, ob Bäume in ihm standen oder nicht, während der Hain ἄλσος genannt wurde (Strab. IX 412. R. Waentig Haine und Gärten im griechisch. Altertum, Progr. Chemnitz 1893, 11).

Gilt der ganze Hain oder der einzelne Baum als des Gottes Wohnung, so ist es selbstverständlich, dass er bald als solcher gekennzeichnet wurde, nicht nur durch die Umfriedung oder durch das Kultbild, das in der Höhlung des Stammes stand, sondern auch durch Binden und Kränze, wie man auch die ἄργοὶ λίθοι die alten Steinfetische, schon so zu schmücken pflegte, ist doch auch der Omphalos, der αὐτόχθων κόσμος des delphischen Tempels, wie ihn der eben in Delphi gefundene Hymnos auf Dionysos bezeichnet, ursprünglich nichts anderes als ein ἄργὸς λίθος, der mit Binden und Bändern geschmückt ist (s. Ἀργοὶ λίθοι). Schon die Odyssee schildert uns III 273 den Aigisthos, wie er den Göttern auf heiligen Altären opfert und dabei Votivbilder, Gewebe und Goldsachen an den vorauszusetzenden Bäumen aufhängt (Helbig Homer. Epos² 420), und um mit diesem alten Zeugnis eins von den vielen aus der römischen, bezw. hellenistischen Zeit zu verbinden, der Baum, den Erysichthon im Haine der Demeter fällt, war mit solchen Gegenständen reichlich behangen: stabat in his ingens annoso robore quercus, una nemus, vittae mediam memoresque tabellae sertaque cingebant, voti argumenta potentis (Ovid. met. VIII 734). Auf zahlreichen Vasenbildern, Reliefs und pompeianischen Wandgemälden finden sich Darstellungen von Bäumen, an deren Zweigen Binden, Weihtäfelchen und andere geweihte Gegenstände hängen, deren Abbildungen bei Boetticher auf den angefügten Tafeln zusammengestellt sind, z. B. nr 1. 2. 3. 4. 5. 6 u. s. w.; dazu kommt jetzt noch namentlich die Journ. of hell. stud. IX 1888 Taf. 1 (Stengel Griech. Sakralaltertümer Taf. I 1) veröffentlichte rotfigurige Vasenscherbe mit der Darstellung eines Athenaopfers. Etwa 1000 alte Weihtäfelchen aus Thon mit Widmungen an Poseidon sind bei Pente-Skuphiá in der Nähe von Akrokorinth gefunden worden, die dort offenbar an den Bäumen eines dem Poseidon geweihten Hains aufgehängt waren: Antike Denkmäler I Taf. 7. 8. Weihtäfelchen im Haine von Aricia: Ovid. fast. III 267. Bäume mit Inschriften: Plin. XII 11. XVI 237. Boetticher a. a. O. 52. Ebenso häufig sind die Darstellungen, auf denen unter den Bäumen Altäre erscheinen, Boetticher nr. 5. 6. 8. 10. 13 u. s. w., deren Opfer dem Numen gelten, das in den Zweigen des Baumes Wohnung genommen hat (Sil. It. a. [160] a. O.). Es giebt nicht ein einziges bildliches oder litterarisches Zeugnis, aus dem man schliessen kann, dass das Opfer dem Baum als solchem selber gilt; denn die beiden von Overbeck a. a. O. 131 angeführten Fälle, die Stelle aus Silius Italicus, wo ausdrücklich das numen erwähnt wird, dessen Haus die dodonaeische Eiche ist, und Ovid met. VIII 715, wo es von den in Bäume verwandelten Philemon und Baucis heisst cura deum di sint, et qui coluere, colantur, kann man unmöglich als beweiskräftig gelten lassen. Bei den bildlichen Zeugnissen vollends kann niemand entscheiden, ob der Altar oder der Baum als das Prius gedacht ist, und von dieser Entscheidung allein hängt ihre Verwertung für diese Fundamentalfrage ab. Mit Sicherheit nachgewiesen ist ebenfalls bisher kein Fall, aus dem klar würde, dass Bäume mit den Attributen eines Gottes geschmückt werden, was namentlich Overbeck a. a. O. 135 zu beweisen suchte. Denn auf der Kandelaberbasis des Vaticans bei Gerhard Antike Bildwerke Taf. 83, 1 (Boetticher nr. 9. 10) brauchen die an dem Baume aufgehängten Jagdwaffen durchaus nicht als das Attribut der Artemis angesehen werden: Speer, Bogen und Köcher kann man da mindestens mit demselben Rechte als geweihte Jagdwaffen auffassen, und durchaus missverstanden ist sowohl von Boetticher a. a. O. 108 wie von Overbeck a. a. O. 134 das Fragment 362 N. aus dem euripideischen Erechtheus, aus dem nur Voreingenommenheit schliessen kann, dass der Ölbaum der Athene mit einem Gorgoneion als Attribut der Göttin ausgestattet gewesen sei. Euripides stellt in jenen Versen die Atheneverehrer den Dienern des Poseidon gegenüber, die Athener den Thrakern des Eumolpos, den Ölbaum und das Gorgoneion der Athene dem Dreizack des Poseidon; vgl. v. Wilamowitz Aus Kydathen 125. Über ein Gorgoneion als Schmuck des heiligen Ölbaums lehrt die Euripidesstelle nichts, und von einem solchen Schmuck weiss auch die litterarische und bildliche Überlieferung nichts. Auch die an Bäumen aufgehängten Krotala, Tympana und Doppelflöten (Boetticher nr. 5. 7. 11. 13) können nicht als Attribute des Dionysos oder der Megale Meter gelten; es sind Geräte des Kultus, welche an den heiligen Bäumen aufgehängt werden wie Handwerkszeug und Spielsachen. Aus diesen Erscheinungen allen lässt sich in keiner Weise der Schluss ziehen, dass die Bäume direct als Kultbilder galten. Sie beweisen vielmehr alle nur die Thatsache, dass die Bäume oft für das Wohnhaus des Gottes gehalten wurden und also Analoga der Tempel waren.

Aber es giebt allerdings Fälle, welche dieser Auffassung zu widersprechen scheinen, das sind die mit Kleidungsstücken und Gesichtsmaske ausstaffierten Baumstämme, die durchaus den Eindruck von Götterbildern machen. Es sind nur Dionysosbilder, die uns in solcher Erscheinung auf den Vasenbildern erscheinen, z. B. auf der Vase des Malers Hieron (Wien. Vorlegebl. Serie A Taf. IV), und bei Boetticher nr. 42 (von der Hieronvase). 43. 44. Jedoch auch hier kann ich die Sache nicht anders beurteilen, als dass sich aus dem ursprünglichen Fetisch, d. h. einem Pfahl oder Brett, allmählich das Kultbild entwickelt hat. Es ist nicht zufällig, dass es gerade ländliche [161] Kulte sind, für welche Plinius XII 1 und Maxim. Tyr. diss. 8, 1 γεωργοὶ Διόνυσον τιμῶσι, πήξαντες ἐν ὀρχάτῳ αὐτοφυὲς πρέμνον, ἀγροικικὸν ἄγαλμα diesen Brauch noch für ihre Zeit bezeugen. Denn gerade auf dem Lande hat sich manch alter Kultus in seiner Ursprünglichkeit erhalten. Ein sehr lehrreiches Beispiel liefert uns der στῦλος des kadmeischen Dionysos in Theben, dessen Kultlegende aus Mnaseas beim Schol. zu Euripides Phoinissai 651 überliefert ist: Διόνυσον κισσὸς ἔξωθεν περιπλακεὶς ἔτι βρέφος ὄντα κατὰ τοῦ νώτου ἐκάλυψεν. ἱστορεῖ γὰρ Μνασέας ὅτι τῶν Καδμείων βασιλείων κεραυνωθέντων κισσὸς περὶ τοὺς κίονας φυεὶς ἐκάλυψεν αὐτόν, ὅπως μὴ αὐθημερὸν καὶ ἐν μηδενὶ τὸ βρέφος διαφθαρῇ [καλυφθὲν κισσῷ•] διὸ καὶ περικιόνιος ὁ θεὸς ἐκλήθη παρὰ Θηβαίοις. Nach dieser Legende nun steckt das Göttliche nicht in der Säule, an welcher sich der Epheu emporwindet, sondern in diesem selbst, und mit Recht ist an den Dionysos Κισσός in Acharnai (Paus. I 31, 6) erinnert worden, während der Dionysos ?νδενδρος hier wohl fernzuhalten ist. Ganz im Sinne des von Mnaseas referierten ἱερὸς λόγος fasst den Dionysos Perikionios auch ein Kultlied auf, das uns in der Sammlung der sog. orphischen Hymnen erhalten ist (XLVII). Trotzdem geben uns Kultlegende und Kultlied, wie leider so oft, schwerlich mehr als eine Ausdeutung und Auffassung eines bestehenden Kultbrauches wieder. Wir können aus beiden nur lernen, dass eine epheuumrankte Säule Thebens ältesten Dionysos darstellte. Das ist sicher, und dann ist eben die Säule ursprünglich nur der Fetisch, der mit Epheu bekränzt wird. Für diese Auffassung spricht das z. B. auch von Reitzenstein Epigramm und Skolion 207 unrichtig gedeutete Fragment aus der Antiope frg. 202 N., deren Schauplatz ebenfalls Theben ist: ἔνδον δὲ θαλάμοις βουκόλον κομῶντα κισσῷ στῦλον εὐΐου θεοῦ. Unter dem στῦλος ist nicht ein Thyrsosstab, sondern der wirkliche στῦλος des Dionysos zu verstehen, von dem auch ein bei Clem. Alex. Strom. I 24 p. 418 Pott. bewahrter Orakelvers στῦλος Θηβαἰοισι Διώνυσος πολυγηθής spricht. Diese Säule, die doch wahrscheinlich aus Holz gewesen sein wird, ist dann mehr und mehr als Dionysosbild ausstaffiert worden, so dass man z. B. auf der Hieronvase nur noch an den oberen und unteren Enden die eigentliche Säule erkennen kann. Ehe man die Säule mit Kleidungsstücken versah, hat man an der Säule in einfacher Weise eine Dionysosmaske befestigt, oder auch zwei, wie das eine kürzlich in Rhodos gefundene, jetzt im Berliner Antiquarium befindliche kleine Lekythos attischer Fabrik deutlich zeigt, veröffentlicht Arch. Jahrb. XI (1896) 115. Dargestellt ist auf diesem unscheinbaren, aber für die Kultusaltertümer wichtigen Bildchen eine Säule, von der zwei grosse bärtige Masken herabhängen. Von beiden Seiten nahen sich je zwei Frauen in langen Gewändern, die in den Händen Epheuranken halten, um die vor ihnen stehende Säule zu bekränzen und einem echten Dionysos περικιόνιος ihre Verehrung darzubringen. Also auch hier bei diesen Dionysosbildern kann man von eigentlichem B. nicht sprechen. Boetticher ist a. a. O. 101ff. wieder viel zu weit gegangen, und der einzige von ihm angeführte Fall, wo in der That ein Baum als [162] Götterbild erscheint, und den man gelten lassen könnte, gehört der orientalischen und nicht der griechischen Religion an. Es ist das die Erzählung von der Platane in Lydien, die Xerxes verehrt, mit Gewändern und Schmucksachen ausstattet und durch einen Leibwächter bewachen lässt (Ael. v. h. II 14). Auch wenn diese Geschichte ernsthaft zu nehmen wäre, für den griechischen B. ergiebt sie so wenig, wie die ὑπόπτερος δρῦς des Pherekydes von Syros (Kern De theogoniis 87 frg. 4), die auch herhalten muss, obwohl sie mit dem B. gar nichts zu thun hat und einzig und allein aus der Lehre des Anaximandros von der cylinderförmigen Gestalt der Erde und der alten hesiodeischen Vorstellung von den Wurzeln der Erde zu verstehen ist (Diels Archiv f. Gesch. der Philosophie I 15).

Es sind die schönsten und höchsten Bäume vor allem, welche zu Wohnsitzen der Gottheit ausgesucht werden, Bäume, die in den Himmel hineinzuragen scheinen und sich durch ihren Wuchs vor den anderen auszeichnen. Namentlich die Eiche war es, deren Bedeutung im Kultus wir bei fast allen indogermanischen Völkern anerkannt und verbreitet fanden, und alle heiligen Bäume der Griechen überragt trotz Pausanias VIII 28, 5 an Bedeutung die Zeuseiche von Dodona (s. Dodona), deren Holz so heilig war, dass die Sage dichtete, Athene habe ein redendes und weissagendes Stück von ihr am Kiel, am Vorder- oder Hinterteil der Argo eingefügt (s. Argo), wodurch das Schiff gegen viele Gefahren gefeit und vor dem Untergang bewahrt worden sei. Aber auch thessalische Localtradition nahm die heilige Eiche für sich in Anspruch, die Einwohner der Stadt Phegos behaupteten, dass das alte Zeusorakel erst von hier aus nach Dodona verlegt worden sei (Kineas bei Steph. Byz. s. Δωδώνη). Es ist überhaupt die Eiche, welche immer in besondere Beziehung zu Zeus gesetzt wurde (Schol. Aristoph. av. 480), wie auch z. B. im arkadischen Kult des Zeus Lykaios, in welchem ein von einem Priester in der heiligen Quelle benetzter Eichenzweig eine bedeutsame Rolle spielte (Paus. VIII 38, 4). So erklärt sich der Zug der Sage von selbst, dass Herakles, der Sohn des Zeus, unter einer Eiche den Feuertod sucht: ?πὸ δρυῒ γυῖα θεωθείς Kallim. Hymn. Artem. 159. Die Ilias erwähnt an mehreren Stellen eine Eiche des Zeus, die vor dem skaeischen Thore vor Troia stand (Il. V 693. VI 237. IX 354), auf die sich die in zwei Geier verwandelten Zeuskinder Athene und Apollon setzen, um über Achaeer und Troer Heerschau zu halten (Il. VII 60). An denselben heiligen Baum seines Vaters lehnt sich Apollon Il. XXI 549, um dem Agenor im Kampfe gegen Achilleus beizustehen. Doch ists nicht Zeus allein, dem die Eiche als Wohnsitz dient. Sie ist auch seiner Mutter Rhea heilig, welcher die Argonauten bei Apoll. Rhod. I 1123 einen Altar errichten, den sie mit Eichenlaub bekränzen, wozu der Scholiast bemerkt: ἡ γὰρ δρῦς ἱερὰ τῆς Ῥέας. Wenn der Scholiast aber weiter sagt, dass nach Apollodor περὶ θεῶν (3 B.) die Eiche der Rhea deswegen heilig sei, weil sie dem Menschen zuerst zur Wohnung und Nahrung gedient habe, so ist das wohl schwerlich richtig, sondern der wirkliche Grund wird hier der sein, dass die Verehrung der Eiche aus dem Kult des Zeus in den [163] Rheakult übertragen worden ist. Jedoch ist es bei anderen Göttern, wie bei Demeter, Dionysos und Pan von vorneherein klar, warum auch die Eiche mit ihnen in Beziehung gesetzt wird. Diese Gottheiten sind Götter der Vegetation, und lediglich aus diesem Grunde ist ihnen auch die Eiche geheiligt worden. Dagegen ist die Eiche als Wohnsitz der Artemis wieder aufzufassen in dem ephesischen Kult, von dem Kallimachos Hymn. III 238 erzählt, dass unter einer schönstämmigen Eiche (φηγῷ ὑπὸ πρέμνῳ) ein hölzernes Götterbild von den Amazonen geweiht worden sei. Dieser Baum ist der Vorgänger des berühmten Tempels in Ephesos. Zunächst auch nur als Wohnsitz erscheint die Eiche in der bekannten antiken Vorstellung, dass in jeder Eiche eine Nymphe lebe, die als Dryas oder Hamadryas bezeichnet wurde, eine Vorstellung, aus der sich dann der Glaube entwickelt hat, dass das Leben einer solchen Nymphe von dem einen Baume abhängig sei, dass mit seinem Ende auch ihr Tod zusammenfalle. Es scheint dies eine poetische Anschauung zu sein, eine vom Volk geschaffene, anmutige Dichtung, wie denn auch der Dichter des sog. homerischen Aphroditehymnos 259 von ihnen ausdrücklich sagt: αἳ ρ’ οὔτε θνητοῖς οὔτ’ ἀθανάτοισιν ἕπονται (Wagler a. a. O. 16). Über das Nachleben dieser Vorstellung im heutigen Griechenland vgl. Bernh. Schmidt Volksleben der Neugriechen 102. 130. Über die Bedeutung des Worts φηγός, mit dem die Eiche des dodonaeischen Kults so oft bezeichnet wird, vgl. zuletzt P. Kretschmer Einleitung in die Geschichte der griech. Sprache 65, 1. Über das aus einem mit erbeuteten Waffen umhangenen Eichenstamme bestehende Tropaion s. Wagler a. a. O. 20 und unten.

Pausanias bezeichnet VIII 23, 5 als den ältesten heiligen Baum die im Heiligtum der samischen Hera gepflanzte λύγος, eine Weidenart, welche die Attiker ἄγνος nennen, und die unserem Keuschlamm entspricht. Der auch heute in Griechenland und Kleinasien noch weit verbreitete Strauch ist im Altertum namentlich mit solchen Gottheiten in Beziehung gesetzt, welche als Schützer und Förderer der körperlichen Gesundheit verehrt wurden, da das Keuschlamm in der Medicin viel verwandt wurde. Namentlich Frauen gebrauchten Blätter und Zweige des Keuschlamms, um sich ihre Keuschheit zu bewahren, wie z. B. die athenischen Frauen während des Thesmophorienfestes sich aus diesem Grunde solche Zweige in ihr Bett legten. So ist es nur natürlich, dass den Göttinnen, die in besonders naher Beziehung zu dem Geschlechtsleben der Frauen stehen, wie Hera und Artemis, das Keuschlamm heilig war, dass z. B. die samische Kultlegende auch dichtete, Hera sei unter einem Lygosstrauche geboren worden (Paus. VII 4, 4). Denn es ist etwas durchaus Gewöhnliches, wenn die Kultlegende erzählt, dass ein Gott unter dem ihm geweihten Baume geboren sei, oder dass er dort dem von ihm erwählten Weibe in Liebe genaht sei, wie das von der berühmten Platane des Zeus bei Gortyn auf Kreta erzählt wurde, deren Abbild man auf kretischen Münzen zu finden glaubte (dagegen Svoronos Rev. belge de numism. 1894, 1).

Eine sehr grosse Rolle im Kult spielt der Ölbaum, sowohl der wilde (κότινος), wie der edle [164] (ἐλαία), beide von unverwüstlicher Kraft und grosser Triebkraft. Über ganz Griechenland ist seine Kultur verbreitet, und so finden wir ihn in verschiedenen Götterkulten, am bedeutsamsten aber verwandt in denen des Zeus und der Athene. In Delos streitet er mit dem heiligen Palmbaum um den Vorrang; den Palmbaum umfasst die kreisende Leto; aber von dem delischen Ölbaum berichtet Kallimachos Hymn. IV 321, dass kein Schiff an Delos vorübergehe, ehe man sich nicht um den Altar des Apollon unter Schlägen springend gewunden habe und in die Rinde des Ölbaums bei zurückgewandten Händen eingebissen habe. Das hängt mit der kathartischen Wirkung auch dieses Baumes zusammen; denn es ist vor allem die Pflanzenwelt, der die Kraft der Reinigung und Sühnung (Diels Sibyll. Blätter 120) in erster Linie beiwohnt. So hatte z. B. die Feige eine hervorragende Bedeutung in kathartischen Kulten, sie galt geradezu als ἡγεμὼν τοῦ καθαρείου βίου (Magnes bei Athen. III 74 d). In Athen gab es am Wege nach Eleusis eine ἱερὰ Συκῆ genannte Gegend, wo der grosse Mystenzug Station zu machen pflegte. Hier haftet die Sage von Phytalos, den Demeter mit der Feigenkultur beschenkt, und welcher – eine Hypostase des Poseidon Phytalmios – der Gentilgott des Geschlechts der Phytaliden wurde (Toepffer Att. Genealogie 247). An verschiedenen Sühnfesten werden die Feigen als Reinigungsmittel verwandt, so an den Plynterien (Toepffer 135) und Thargelien (Toepffer 249). Wir finden sie dann namentlich in den Kulten der Demeter und des Dionysos, zweier Gottheiten, die mit Kathartik und Feldkultur eng verbunden sind.

Der Lorbeer ist in erster Linie mit dem Kult des Apollon verwachsen, vor allem mit dem des pythischen, dessen erster Tempel in Delphoi ganz aus Lorbeerreisern gewesen sein soll, die man aus dem thessalischen Tempe geholt habe (Paus. X 5, 9; s. o. Bd. II S. 110). In verschiedenen Kulten trug Apollon den Beinamen des Δαφναῖος oder Δαφνηφόρος (s. o. Bd. II S. 46; zu streichen ist da jetzt aber nr. 5, das Heiligtum der Kephaliden zwischen Athen und Eleusis, da das heutige Kloster Dafni seinen Namen nur als Filial der Παναγία τῆς Δάφνης in Constantinopel erhalten hat: Revue archéol. III sér. tome XXII 1893, 246). Namentlich aber in kathartischen Kulten des Apollon ist der Lorbeer von grosser Bedeutung, da ihm lustrale Kraft innewohnt; im Gegensatz zur chthonischen Olive steht er stets im Dienste der uranischen Gottheiten: Diels Sibyll. Blätter 120.

Spielt der Baum eine so hervorragende Rolle im griechischen Kultus (vgl. auch Phaedrus fab. III 17. Plin. XII 3), so bedarf es keiner Erklärung mehr, warum auch seine einzelnen Teile bei so vielen sacralen Handlungen verwandt werden; ist der Baum heilig, so ist auch heilig alles, was von ihm kommt, die Frucht, welche den Göttern auf dem Altar geweiht wird, der Zweig, den der Verfolgte in der Hand hat, um von den Göttern Schutz zu erflehen, und der Blätterkranz, den sich der Opfernde auf das Haupt setzt. Die Bekränzung ist eine religiöse Sitte, welche, wie v. Wilamowitz Herakles² II 156 sehr richtig bemerkt hat, die Weihung des bekränzten Gegenstandes bedeutet. Sie durchdringt vom Anfang des 6. Jhdts. an das ganze Leben der Hellenen, [165] während sie dem Epos noch fremd ist. Der Priester setzt sich den Kranz auf das Haupt und erhält deshalb in hellenistischer Zeit (namentlich in Kleinasien) den Titel στεφανηφόρος. Die Blätter des Kranzes werden von den Bäumen gewählt, die den einzelnen Göttern heilig sind; Lorbeer-, Eichen- und ölbaumkränze spielen die Hauptrolle. Auf die Altäre werden die ersten Früchte des Herbstes gelegt, und wie die ganzen Bäume mit Binden und Kränzen geschmückt werden, so auch der einzelne Ölbaumzweig, der als Eiresione in Athen an den Pyanepsien von Haus zu Haus getragen wurde und der schwerlich mehr vorstellt als ein Opfer von den Gaben des Herbstes (anders Usener Götternamen 284). Mit der Eiresione vergleicht Furtwängler Arch. Anz. 1892, 106 das Zweigbündel der eleusinischen Mysten; vgl. auch F. Hauser Philologus LIV 1895, 389.

Aber nicht nur mit Binden, Kränzen und Weihgeschenken tritt der Fromme an den Baum heran, in welchem das Numen der Gottheit wohnt. Des Gottes Wille sucht er durch das Los zu ergründen. Mit dem B. ist das Baumorakel unzertrennlich verbunden, nicht nur im griechischen Gottesdienst, sondern auch sonst bei den Indogermanen. Denn das deutsche Wort los (althd. hluz) entspricht dem griechischen Worte κλάδος. Die Zweige des heiligen Baumes werden abgebrochen. Baumstäbchen sind die ältesten Lose (vgl. O. Schrader a. a. O. 404); die Worte κλᾶν, κλάδος, κλών, κλῆρος gehören eng zusammen. Die deutlichste Beschreibung eines Baumorakels verdanken wir Tacitus Germania 10, welcher das Losen der Germanen mit Baumstäbchen also beschreibt: auspicia sortesque ut qui maxime observant. sortium consuetudo simplex. virgam frugiferae arbori decisam in surculos amputant, eosque notis quibusdam discretos super candidam vestem temere ac fortuito spargunt. mox, si publice consulitur, sacerdos civitatis, sin privatim, ipse pater familiae, precatus deos caelumque suspiciens, ter singulos tollit, sublatos secundum impressam ante notam interpretatur. Ähnlich verfuhr die Mantik der Skythen, von welcher Herodot. IV 67 berichtet, und dass das Baumorakel der Griechen auf demselben Princip beruhte, würde allein schon der ursprüngliche Sinn des Wortes ἀναιρεῖν beweisen, das zuerst Lobeck Aglaophamus II 814 durch das lateinische sortes tollere richtig wiedergegeben hat; vgl. Bergk Gr. Litteraturgesch. I 334. Rohde Psyche 345. Von den Skythen erzählt Herodot a. a. O., dass sie weissagen, indem sie von den Stäbchen je eines hinter das andere legen. Dieser Brauch hat seine nächste Analogie mit dem Verfahren der Römer, wenn anders wir aus der Bedeutung des Wortes sors (von serere = reihen) diesen Schluss zu ziehen berechtigt sind. Bei den Germanen und Griechen kam es auf die Marken an, mit denen die einzelnen Stäbchen bezeichnet waren. Der Wahrsagende hob sie in die Höhe und verkündete dann den Willen des Gottes. Bei den Skythen scheint dagegen das Losen dem Kartenlegen ähnlich gewesen zu sein. Bei dem Orakel der Fortuna in Praeneste fanden Lose aus Eichenholz Verwendung, die sog. sortes Praenestinae; denn besonders der Eiche wohnt eine prophetische Kraft inne; nicht minder aber auch dem Lorbeer, und so waren [166] zwei Zeichenorakel in Griechenland namentlich berühmt, das dodonaeische und das delphische. In Dodona freilich scheint das Zeichenorakel erst in späterer Zeit aufgekommen zu sein. In der ältesten Zeit weissagten die Priester aus dem Rauschen der Zweige der heiligen Eiche und dem Rauschen des Wasserquells zu ihren Füssen, Preller-Robert Gr. Myth. I⁴ 124. Dagegen ist das Zeichenorakel in Delphoi uralt; es ist jedenfalls viel älter als die dort später mit so grossem Erfolge gepflegte Inspirationsmantik, Rohde Psyche 345.

Der Baum ist festgewurzelt an das Erdreich, auf dem er steht; er ist mit der Erde fest verbunden. So bewacht ihn auch die Schlange, das Tier, welches alles Chthonische am besten bezeichnet. Vgl. die Münze von Myra in Kilikien bei Svoronos a. a. O. 24. Die Sage erzählt oft von Bäumen, welchen eine Schlange als Hüterin beigesellt ist, so von der Schlange des Hesperidenbaumes, an dem die goldenen Äpfel hängen, die Herakles holen muss, von der Schlange der Areseiche in Kolchis, welche Iason mit Medeias Hülfe besiegen muss, ehe er das goldene Vlies entführt, von der lernaeischen Hydra, die unter einer Platane beim Quell Amymone haust. Namentlich diese drei Baumschlangen sehen wir auf Bildwerken aller Art dargestellt. Vor allem finden wir die von Schlangen bewachten Bäume aber da, wo ihre Beziehung zur Unterwelt, zu Tod und Grab deutlich ist. Denn die Sitte, Bäume um das Grab zu pflanzen, ist uralt und schon durch Homer Il. VI 419 bezeugt; um das Grabmal des Eetion haben die Bergnymphen selber die Ulmen gepflanzt. Sie hat sich durch das ganze Altertum erhalten und findet sich noch heute in Griechenland und in Kleinasien, namentlich bei den Gräbern von vornehmen Türken oder mohamedanischen Heiligen; vgl. v. Warsberg Wallfahrt nach Dodona 52. Ganze Haine legte man um das Grab an, in dem frommen Glauben, dass sie den Seelen der Verstorbenen ein freundlicher und angenehmer Aufenthalt wären, vgl. das Epigramm bei Kaibel 546, 14 (ὄφρα καὶ ἰν Ἀίδῃ τερπνὸν ἔχοιμι τόπον) und Rohde Psyche 212. Platon leg. XII 947 D verlangt ausdrücklich die Anpflanzung eines Hains, und wehe dem Menschen, der es wagt diese heiligen Bäume anzufassen und zu verletzen. Todesstrafe verhängt über einen solchen Grabesschänder geradezu ein athenisches Gesetz (Aelian. v. h. V 17), und auf einer Lekythos aus Eretria (Arch. Jahrb. VI 1891 Taf. 4) wird nichts anderes dargestellt sein als ein Jüngling, der von zwei grabhütenden Schlangen verfolgt wird, weil er durch die Wegnahme des auf dem Grabe befindlichen Blätterschmucks den Grabesfrieden gestört hat. Vor allem auf Grabsteinen und Totenmahlreliefs erscheint oft der von der Schlange umwundene Baum, vgl. z. B. Boetticher Baumkultus 204 nr. 63.

Mit dem B. ist auch oft die Errichtung des Tropaions in Verbindung gesetzt worden, das uns vom 5. Jhdt. an in Litteratur und Kunst oft begegnet und das in seinem Wesen unverändert dasselbe geblieben ist, bis in unsere Tage hinein. Benndorf hat in seiner schönen Untersuchung über das Tropaion, mit welcher er G. Tocilescos Veröffentlichung über das Monument von Adamklissi (Tropaeum Traiani) 127ff. geschmückt [167] hat, nachgewiesen, dass die Sitte gewiss noch viel älter und wahrscheinlich ein Eigentum des dorischen Stammes ist, da wir sie zuerst am meisten in der Peloponnes verbreitet finden. Zeus Tropaios ist es vornehmlich, dem die Waffen des erschlagenen Kriegers geweiht werden. Benndorf hat gezeigt, dass der Sinn des Tropaions in der uralten griechischen Vorstellung zu finden ist, dass der Mensch die unheimliche Wirkung der Psyche fürchtet, dass er alles vernichtet und verbrennt, was an den Toten erinnert, und dass er so auch die erbeuteten Waffen des Feindes unschädlich macht, welche dem höchsten Gotte geweiht als ein wirksames Apotropaion auf dem Felde an einem Baumstamm aufgehangen werden. Nicht also auf diesen Baumstamm kommt es an, welcher dem Waffenschmuck nur als Stütze dient; sondern es kommt einzig und allein auf die Waffen an. Es ist lediglich eines Dichters Wort und kein Zeugnis, das wir für die sacrale Bedeutung des Tropaions irgendwie verwenden dürfen, wenn Euripides Phoiniss. 1250 die Gefährten zu Polyneikes sagen lässt: Πολύνεικες, ἐν σοὶ Ζηνὸς ὀρθῶσαι βρέτας τρόπαιον Ἄργει τ’ εὐκλεᾶ δοῦναι λόγον (vgl. Eurip. Heraclid. 936). Auch Overbeck, dessen Arbeit sonst einen grossen Fortschritt über Boettichers Werk bedeutet, hat dies a. a. O. 133 verkannt. Mit dem B. hat die Errichtung des Tropaions nichts zu thun, Benndorf a. a. O. 133.

Niemand wird die grosse Bedeutung verkennen, welche der Baum im Gottesdienst der Griechen und Römer spielt. Überall wird er heilige Haine und Bäume finden, Früchte und Zweige bei Kultushandlungen verwandt sehen; aber von einem wirklichen B. im Altertum kann nicht die Rede sein. Der lebendige Baum mit seinen Zweigen und Ästen ist nie ein Fetisch gewesen und hat nie das Kultbild eines Gottes dargestellt. Er war auch den Alten kein toter Gegenstand; die Gottheit lebte in ihm wie in einem Tempel, und sobald sie den unendlichen Segen erkannten, der von Bäumen und Sträuchern täglich ausging, so haben sie besonders wichtige Baumarten bestimmten Göttern zugeeignet und ihre Zweige und Blätter in vielen Kulthandlungen verwandt.

Litteratur: Eschenbach De consecratis gentilium lucis, Diss. acad. III 133, Norib. 1705. Blum De δενδροσεβείᾳ gentium, Lips. 1711. Dresler De lucis religioni gentilium destinat., Lips. 1720. Boetticher a. a. O. K. B. Stark Mytholog. Parallelen. Erstes Stück. Die Wachtel, Sterneninsel und der Ölbaum im Bereiche phoinikischer und griechischer Mythen, Ber. der saechs. Gesellsch. der Wiss. 1856, 82. Overbeck a. a. O. Mannhardt a. a. O.; Mythologische Forschungen herausgegeben von H. Patzig 1884. Baumeister Denkmäler des klass. Altertums I 295ff. Murr Die Pflanzenwelt in der griech. Myth. 1890. Frazer The golden bough, London 1890. Wagler a. a. O. und Programm von Wurzen 1891. Dieterich Abraxas 98. R. Waentig a. a. O. Weniger Der heilige Ölbaum in Olympia, Progr. Weimar 1895. Usener Götternamen 280. Vgl. auch K. Weinhold Zur Geschichte des heidn. Ritus, Abh. Akad. Berl. 1896 (an verschiedenen Stellen).
[Kern.]

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