2) Balbus, neben Frontin und Hygin unzweifelhaft einer der hervorragendsten römischen Gromatiker (Hultsch Jahrb. f. Philol. CXIII 1876, 767) nimmt, offenbar als Officier von höherem Range (Mommsen Röm. Feldm. II 147) und als Leiter der Ingenieur- und Vermessungsarbeiten (Feldm. I 92, 11ff.), an einem Feldzuge teil, der Dakien den Römern erschliesst (Feldm. I 93, 7). Da der Kaiser ohne Namensnennung nur als sacratissimus und maximus imperator erwähnt wird, so ist es ungewiss, ob wir an die Kämpfe unter Domitian oder Traian zu denken haben, doch spricht die Wahrscheinlichkeit für die Zeit Traians. Unmittelbar nach der Rückkehr aus dem Kriege, also frühestens 102, spätestens 106 (Hultsch Metrol. script. II 6 Note 5), schreibt B. auf Grund seines schon früher gesammelten Materials (Feldm. I 93, 10) ein Werk, das in der Haupt-Hs. der gromatischen Sammlung, dem Arcerianus (saec. VI/VII), Balbi ad Celsum expositio et ratio omnium formarum betitelt ist (Feldm. I 91-108 und teilweise bei Hultsch Metrol. script. II 57-59). Sonst nennt die Überlieferung Frontin, die vaticanische und jenaische Abschrift des Arcerianus, welche bei der Unvollständigkeit des Arcerianus für B. Hauptquelle sind, sogar Fronto als Verfasser, indes sind diese Angaben sicher unrichtig (Lachmann Feldm. II 133). Celsus, dem das Buch gewidmet ist, ist nach der Vorrede (Feldm. I 91 ff.) ein sehr angesehener Mann, Meister in der Gromatik und Urheber einer wichtigen gromatischen Neuerung (an der dioptra nach Hultsch Metrol. script. II 8). B. fühlt sich ihm zu Danke verpflichtet, weil Celsus ihm die Anregung und Anleitung zu seinen Studien gegeben habe. Sonst wissen wir über Celsus ebensowenig Genaueres, wie über B. selbst. Mommsen (Feldm. II 148) führt zwar einige Männer jener Zeit des Namens B. und Celsus an, bezeichnet aber selbst jede Identificierung mit unsern Gromatikern als blosse Hypothese, die durch keine wesentlichen Gründe Unterstützung finde.
Die Expositio, welche durchaus auf Heron von Alexandria fusst (Hultsch Ersch und Grubers Encycl. s. Gromatiker 92, 103. Cantor Röm. Agrim. 101ff.), enthält nach einer Ubersicht über die gebräuchlichen Masse die Definitionen der geometrischen Begriffe, die aber nur noch teilweise erhalten sind. Dieser Inhalt steht mit dem Titel offenbar nicht im Einklange, weshalb Lachmann (Feldm. II 134) vorschlug, in der Überschrift formarum durch mensurarum zu ersetzen. Mommsen (Feldm. II 149) weist dies zwar mit Recht zurück, aber auch er muss zugeben, dass der Titel [2821] Anstoss erregt, und dass ferner die Vorrede weit mehr erwarten lässt, als das Schriftchen bietet. Er hält die Expositio daher nur für die Einleitung oder einen Teil der Einleitung zu einem grösseren Werke. Ebenso urteilen Hultsch (Ersch u. Gruber 92, 104; Metrol. script. II 10f.) und Cantor (Agrim. 101). Aber über den Inhalt dieses Werkes gehen die Ansichten auseinander. Mommsen (Feldm. 148ff.) übersetzt forma in der Überschrift mit Grundriss und sucht in der ‚Darstellung und Theorie sämtlicher Grundrisse‘ ein Register der in die öffentlichen Grundrisse eingetragenen agri divisi et adsignati. Solche Register liegen uns aber in den sog. libri coloniarum der gromatischen Sammlung vor (Feldm. I 209-262). Es sind das zwei Redactionen desselben Werkes, eine ältere (von Lachmann liber coloniarum I genannt) im Codex Arcerianus, die sich als ein im 5. Jhdt. gemachter Auszug aus einer der guten Zeit angehörigen Schrift darstellt, und eine jüngere (= Lachmanns liber coloniarum II), besonders im Codex Gudianus erhaltene, die durch einen unwissenden Bearbeiter völlig entstellt und unbrauchbar gemacht ist. In diesen Verzeichnissen wird nun mehrmals ein B. als Quelle genannt (Feldm. I 225, 14. 239, 15 – auf dieser Stelle beruht Ps.-Boethius, Feldm. I 402, 8 –. 245, 1. 249, 1), der angeblich zur Zeit des Augustus lebte. Mommsen bezieht die Überschrift ex libro Balbi 225, 14 auf die ganzen Register (ähnlich Nissen Ital. Landesk. I 35, 1) und weist nach, dass weder die Abfassung des Städteverzeichnisses noch B. selbst unter Augustus gesetzt werden darf. Der Identificierung mit dem mensor B. steht dann nur noch der Umstand entgegen, dass in den Registern die Zeitangaben bis auf Commodus herabreichen. Auch diese Schwierigkeit glaubt Mommsen heben zu können, indem er annimmt, dass die Verzeichnisse noch eine Zeit lang von spätern Mensoren fortgeführt worden sind. Nach Mommsen sind uns also in den libri coloniarum die Reste jenes grossen Werkes des B. erhalten geblieben. Aber diese Reconstruction hat zur Voraussetzung, dass forma in der Überschrift wirklich Grundriss bedeutet, und eben dieser Annahme erwächst ein gefährlicher Gegner in B. selbst, der forma als geometrische Figur definiert (Feldm. I 104, 1). Hierauf gestützt vertreten Hultsch (Metrol. script. II 10) und Cantor (Agrimens. 100f.) die Ansicht, dass das Werk geometrischen Inhalts gewesen sei. Dann haben die libri coloniarum allerdings nichts mit der Expositio zu thun, aber trotzdem können wir sie mit Mommsen auf den mensor B. zurückführen; denn nichts hindert anzunehmen, dass B. noch mehr Schriften gromatischen Inhalts verfasst hat (Hultsch Metrol. script. II 10 Not. 9).
Vielleicht ist auch noch mehr Eigentum des B. in unserer gromatischen Sammlung verstreut. Dafür spricht der Umstand, dass an mehreren Stellen derselben sich Auszüge aus dem erhaltenen Teile der Expositio vorfinden (z. B. Feldm. I 295, 17-296. 3 aus 96, 21ff.). Hultsch (Ersch u. Gruber 92, 105) führt auch wirklich nach Mommsens Vorgang (Feldm. II 148, 7) einen Teil der in der Sammlung dem M. Iunius Nipsus zugeschriebenen Abschnitte auf B. zurück (Feldm. I 297, 1-301, 14), ferner das, was in den Feldm. [2822] I 31, 12-34, 13 und 192, 17-193, 15 zu lesen ist, ob mit Recht, ist schwer zu entscheiden.
Litteratur: Blume-Lachmann-Rudorff Die Schriften der römischen Feldmesser 1848/52. Hultsch Metrologicorum scriptorum reliquiae, Lips. 1864/66; in Ersch u. Grubers Allgem. Encyclopaedie 1. Section, Teil 92 (1872) s. Gromatiker. Cantor Die römischen Agrimensoren. Leipz. 1875. Teuffel Römische Litteraturgeschichte⁵ § 344. Ausserdem kürzere Bemerkungen bei Hultsch Griechische und römische Metrologie² 12; Philol. XXII 62. Nissen Italische Landeskunde I 26. 35.
Als Bruchstück aus einem grösseren Werke eines B. de agrimensoria et numerorum ratiocinatoria gab 1525 Fabius Calvus aus Ravenna ein Schriftchen heraus, betitelt de asse minutisque eius portiunculis (ed. Hultsch Metrol. script. II 72-75). Diesen B. identificierte Lachmann (Feldm. II 134f.) mit dem mensor B. und Mommsen (Feldm. II 150) nahm keinen Anstoss, die Schrift als einen Teil des grossen Werkes des B. hinzustellen, wiewohl ihr Inhalt mit dem der Expositio offenbar nur in sehr geringer Beziehung steht. Christ (S.-Ber. Akad. München 1863, 105) hat jedoch den Nachweis geliefert, dass das Büchlein unmöglich dem mensor B. angehört, da es nicht vor 222 geschrieben sein kann. Noch genauer bestimmt die Abfassungszeit Hultsch (Metrol. script. II 14-16), indem er sie einschliesst zwischen Alexander Severus (222-230) und Constantin d. Gr. (306-337).
[Gensel.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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