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Bakchiadai (Βακχιάδαι). 1) Korinthisches Herrschergeschlecht, dessen Haupt unter dem Titel Basileus oder Prytanis die höchste Gewalt in der Stadt ausübte. Herodot bezeichnet den Regierungsmodus während des Bakchiadenregimentes als Oligarchie (V 92 ἦν ὀλιγαρχίη, καὶ οὗτοι Βακχιάδαι καλεόμενοι ἔνεμον τὴν πόλιν). Dieses schliesst die Thatsache nicht aus, dass ein jähriger aus der Mitte des Geschlechtes gewählter oder durch Erbfolgegesetz bestimmter Beamter an der Spitze des Staates stand. Ob der officielle Titel dieses Oberhauptes βασιλεύς oder πρύτανις lautete, ist nicht zu entscheiden, da beides von gleichwertigen Quellen angegeben wird. Die Verhältnisse liegen hier wohl ebenso, wie in Athen, wo der Übergang vom Königtum zum Archontentum in der Überlieferung gleichfalls verwischt ist, so dass sich keine Grenze zwischen dem Ende der [2785] einen und dem Anfang der andern Titulatur ziehen lässt. Auch an andern Orten fehlt es nicht an Beispielen, dass die höchsten eponymen Beamten den Titel βασιλεύς führten (z. B. in Syrakus, Argos, Megara, Kalchedon, Samothrake). Ebenso wenig ist es ausgemacht, ob der jedesmalige Herrscher durch Erbfolge aus der Mitte des Geschlechtes oder durch Wahl aus der Gesamtheit der Genneten bestimmt wurde. Diodor überliefert uns beides VII 7 μετὰ τὴν τούτου (Ἀλήτου) τελευτὴν ὁ πρεσβύτατος ἀεὶ τῶν ἐκγόνων ἐβασίλευσε μέχρι τῆς Κυψέλου τυραννιίδος, worauf es später von den B. heisst: κοινῇ μὲν προειστήκεσαν τῆς πόλεως ἅπαντες, ἐξ αὑτῶν δὲ ἕνα κατ’ ἐνιαυτὸν ᾑροῦντο πρύτανιν, ὃς τῆν τοῦ βασιλέως εἶχε τάξιν; vgl. Paus. II 4, 4. Nicol. Dam. FHG III 391. Euseb. chron. I p. 220 Schöne. Strab. VIII 378. Als erster einjähriger Regent war, wie es scheint, in der korinthischen Herrscherliste Automenes verzeichnet. Sein Vorgänger Telestes sollte von Verwandten ermordet worden sein; vgl. Diod. VII 7. Paus. II 4, 4. A. v. Gutschmid Kl. Schr. IV 17. Von Telestes wurden bis auf Kypselos 90 Jahre gerechnet (747–657). Wie weit diese Zahlen der Wirklichkeit entsprechen, muss dahingestellt bleiben; vgl. über die Chronologie dieses Zeitraumes G. Busolt Griech. Gesch. I² 631ff.; Herm. XXVIII 312ff., der die 90 Jahre einjähriger namenloser Prytanen als erfunden betrachtet, um die chronologische Lücke bis Kypselos auszufüllen. Dagegen misst E. Meyer G. d. A. II 620 der Angabe des Diodor historischen Wert bei und lässt die B. etwa ein Jahrhundert herrschen. Als Archegetes der B. kann nur Bakchis angesehen werden, der bei Herakleides (FHG II 212) als dritter, bei Diodor VII 7 und Pausanias (II 4, 4) als fünfter König genannt wird. Seine historische Existenz ist ebenso zweifelhaft wie seine chronologische Einordnung, da er seinen Namen aller Wahrscheinlichkeit nach einer Abstraction aus dem Geschlechtsnamen verdankt. Wenn das Stemma der B. über Bakchis hinaus bis auf den Herakleiden Aletes geführt wird, so kann darin natürlich nichts anderes als eine lediglich chronologischen Zwecken dienende Erweiterung des ursprünglichen Stammbaumes gesehen werden.
Das B.-Geschlecht soll sich von seinen Mitbürgern streng separiert haben, indem die Angehörigen desselben nur unter einander Heiraten eingingen (Herod. V 92 ἐδίδοσαν δὲ καὶ ἤγοντο ἐξ ἀλλήλων). Die Zahl der von Herakles abstammenden B. wird auf 200 angegeben, Diod. a. a. O. Meyer G. d. A. II 346. A. v. Gutschmid Kl. Schr. IV 13. Wie der Adel in vielen griechischen Städten, so befassten sich auch die B. mit Handelsgeschäften und Seeunternehmungen, die ihnen die Mittel zur Erhaltung und Befestigung ihrer Herrschaft eintrugen (Strab. VIII 378 οἱ Βακχιάδαι τυραννήσαντες, πλούσιοι καὶ πολλοὶ καὶ γένος λαμπροί, διακόσια ἔτη σχεδόν τι κατέσχον τῆν ἀρχὴν καὶ τὸ ἐμπόριον ἀδέως ἐκαρπώσαντο). Es wird uns ferner überliefert, dass Angehörige des Geschlechtes sich bei der Entsendung von Colonien beteiligten. Speciell Korkyra und Syrakus galten als Gründungen des B.-Geschlechtes.
Timaios (Schol. Apoll. Rhod. IV 1216) erzählt, dass Korkyra unter der Führung des Bakchiaden Chersikrates von Korinth aus colonisiert worden sei. [2786] Diese Gründung wurde von Timaios 600 Jahre nach der Eroberung Troias, d. h. in das J. 734 v. Chr. gesetzt, in das nach der allgemeinen Ansicht die Gründung von Syrakus fiel. Die Gleichzeitigkeit der beiden Gründungsdaten wird auch von Ephoros bei Strabon VI 269 vertreten, dem zufolge der Korinther Chersikrates von Archias auf der Fahrt nach Syrakus auf Korkyra zurückgelassen wurde. Timaios muss also den Fall Troias in das J. 1334 gesetzt haben, d. h. 1000 Jahre vor dem Zug Alexanders nach Asien, genau so wie Duris von Samos, der bei Clem. Alex. Strom. I 139 dieses Datum überliefert; vgl. E. Meyer Forsch. zur alten Geschichte (Halle 1892) 318; G. d. A. II 472. Nach einer andern Version ist Korkyra erst ein Menschenalter später colonisiert worden: Hieronymos Ol. 18, 4 = 705/4; vgl. v. Wilamowitz Hom. Unters. 170. Die 734 erfolgte Gründung von Syrakus wird einstimmig dem Korinther Archias aus dem Geschlecht der B. zugeschrieben. Die Gründungssage ist folgende. Der Bakchiade Archias verliebt sich in einen Jüngling Aktaion, den Sohn des Melissos, Enkel des Habron. Da der Geliebte sich den Werbungen des Liebhabers widersetzt, dringt dieser an der Spitze seiner Geschlechtsgenossen in das Haus des Melissos, um den Aktaion zu entführen, der bei dem darauf entstehenden Kampfe zerrissen wird. Infolge dieses Mordes muss Archias Korinth verlassen, was die Gründung von Syrakus zur Folge hat. Nach einer andern Sagenfassung wurde die Sühne dadurch herbeigeführt, dass das B.-Geschlecht aus Korinth vertrieben wurde; vgl. Plut. am. narr. 2. Parthen. 14. Scholl. Apoll. Rhod. IV 1212. Diod. VIII 8. Mar. Par. 31.
Korinth liegt an dem Punkte von Hellas, wo die nach Osten und Westen führenden Seestrassen sich treffen. Wie im Westen, so spüren wir auch im Osten den Einfluss der auf das Seewesen gerichteten Interessen des B.-Geschlechtes. Es war unter der Regierung dieses Hauses, dass die Korinther, kurz vor 704 v. Chr., ihren Schiffsbaumeister Ameinokles nach Samos entsandten, um den Samiern Kriegsschiffe (Trieren) zu bauen (Thuk. I 13). Diese Thatsache hängt aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem lelantischen Kriege zusammen, in dem die B. Partei nehmen mussten. Auch die Errichtung des Diolkos auf dem Isthmos, vermittelst dessen die Schiffe von dem einen Golf zu dem andern befördert wurden, wird auf die B. zurückgehen, welche die maritime Bedeutung ihrer Vaterstadt nach jeder Richtung hin auszunutzen wussten. Die Weihgeschenke der phrygischen und lydischen Könige im Schatzhause der Korinthier zu Delphoi zeigen, wie weit die Beziehungen des B.-Geschlechtes nach dem Osten reichten; vgl. E. Curtius Herm. X 215ff. E. Bethe Theban. Heldenlieder (Lpz. 1891) 150.
Über den Sturz des B.-Hauses gehen die Nachrichten der Schriftsteller auseinander. Nach der einen Version soll das Geschlecht infolge der Ermordung des Aktaion aus der Stadt vertrieben worden sein (Schol. Apoll. Rhod. IV 1212), nach einer andern sollen die B. das Volk durch Grausamkeit und Ungerechtigkeit gegen sich aufgebracht und so ihren Sturz herbeigeführt haben (vgl. Aelian. v. h. I 19. Nicol. Damasc. FHG III 391. Polyaen. V 31). Der Sturz der B.-Herrschaft [2787] wird zuerst bei Herodot (V 92) erwähnt, der ihn auf Kypselos, den Sohn des Eetion, aus dem Demos Petra, zurückführt. Sein Bericht ist sagenhaft ausgeschmückt. Eetion heiratet Labda, die Tochter des Bakchiaden Amphion, und zeugt mit ihr den Kypselos, dem delphische Sprüche die Herrschaft über Korinth verheissen. Auf diese Orakel bauend, stürzt Kypselos das B.-Regiment und wirft sich zum Herrscher von Korinth auf. Diese Erzählung ist von späteren Schriftstellern nach verschiedenen Richtungen hin weiter ausgesponnen worden. In ihren Erzählungen spielen namentlich die delphischen Orakel eine hervorragende Rolle. Pausanias (II 4, 4. V 18, 7) führt die Schuld der B. darauf zurück, dass ihr Ahnherr Aletes gegen den Willen des Apollon nach der Eroberung von Korinth den Stammvater des Kypselidenhauses Melas, den Sohn des Antasos aus Gonussa bei Sikyon, in der Stadt aufgenommen habe. Die Vorfahren des Kypselos stammten wohl gleich den attischen Philaiden, mit denen sie verwandt waren, aus Thessalien (nach Herodot V 92 war Eetion ἀνέκαθεν Λαπίθης τε καὶ Καινείδης; vgl. Bd. I S. 924). Als letzter Herrscher aus dem B.-Geschlecht wird von Nikolaos Πατροκλείδης genannt, der von Kypselos erschlagen worden sein soll (FHG III 391). Das Ende der B.-Herrschaft wird von den antiken Chronologen in das J. 657 gesetzt, also bald nach der Seeschlacht (664), in der die Korinther, wie es scheint, den Korkyraeern erlagen, was vielleicht nicht ohne Einfluss auf den Sturz des Adelsregimentes war.
Als Angehörige des B.-Geschlechtes kennen wir ausser den bereits genannten Personen:
1) Eumelos, epischer Dichter in Korinth, dessen Blüte von den Chronographen gleichzeitig mit Archias, dem Gründer von Syrakus, gesetzt wird; vgl. Clem. Alex. Strom. I 144.
2) Philolaos, gebürtig aus Korinth, wanderte aus nach Theben, wo er den Boiotern Gesetze gab: Aristot. polit. II 1274 a ἐγένετο δὲ καὶ Φιλόλαος ὁ Κορίνθιος νομοθέτης Θηβαίοις· ἦν δ’ ὁ Φιλόλαος τὸ μὲν γένος τῶν Βακχιαδῶν, ἐραστὴς δὲ γενόμενος Διοκλέους, τοῦ νικήσαντος Ὀλυμπίασιν, ὡς ἐκεῖνος τὴν πόλιν ἔλιπε διαμισήσας τὸν ἔρωτα τὸν τὴς μητρὸς Ἀλκυόνης, ἀπῆλθεν εἰς Θήβας. Danach würde seine Zeit Ol. 13 = 728 v. Chr. fallen (Iul. Afric. Ol. 13).
3) Demaratos, reicher Korinthier, nach der römischen Tradition der Vater des Tarquinius Priscus, Dion. Hal. ant. rom. III 46 Κορίνθιός τις ἀνὴρ ὅνομα Δημάρατος ἐκ τῆς Βακχιαδῶν συγγενείας, vgl. Strab. VIII 378. Er soll, als sich Kypselos in Korinth zum Tyrannen aufwarf, mit grossem Vermögen nach Etrurien ausgewandert sein, wo er eine herrschende Stellung einnahm; vgl. E. Meyer G. d. A. II 623. 705.
4) Arrhabaios, jüngerer Bruder Alexanders I., Fürst der Lynkesten, im Westen Makedoniens: Strab. VIII 326 οἰ δὲ Λυγκησταὶ ὑπ’ Ἀρραβαίῳ ἐγένοντο τοῦ Βακχιαδῶν γένους ὄντι. Wir besitzen die Fragmente des Bündnisvertrages, den die Athener mit ihm schlossen, CIA I 32. 33; vgl. Thuk. IV 79. 83. 124. E. Meyer G. d. A. II 625 bringt die Ableitung der Lynkestenfürsten von den B. mit der Machtstellung Korinths im Gebiet von Amprakia zusammen.
[Toepffer.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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