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Atreus (Ἀτρεύς). Hypokoristikon von ἄτρεστος, nicht zitternd, unerschrocken, Fick Wörterb. d. idg. Grundspr. II 113. Curtius Grundz. d. griech. Et. II 293. O. Crusius Jahrb. f. Phil. CXXXV 1887, 657. Plat. Crat. 395 B. Euphor. frg. 95. Etym. M. s. Ὀτραλέως.
A. ist der Enkel des Tantalos, Sohn des Pelops und der Hippodameia, Bruder des Thyestes u. a., Hyg. fab. 84. Apollod. Epit. 2, 10 W. Schol. Eur. Or. 4. Seine Gattin ist die Kreterin Aerope, die Tochter des Katreus und Enkelin des Minos (Kreusa Schol. Il. II 106); seine Söhne sind Agamemnon und Menelaos, Apollod. III 2, 1. Soph. Ai. 1295. Eur. Hel. 389f.; Or. 11f. Schol. Lyk. 149. Schol. Arist. Vesp. 763. Nach Hesiod. (frg. 116 K.) und Aischylos stammen Agamemnon und Menelaos von Pleisthenes, dem Sohne des A. (und der Kleola, Schol. Eur. Or. 4). Als Tochter des A. wird Anaxibia genannt, die Mutter des Pylades (Hesiod. a. O. Eur. I. T. 918), oder Kydragora (Schol. Eur. Or. 1233). Von der argivischen Nymphe Axioche hatte er aus früherer Ehe einen Sohn Chrysippos (s. u.); Cic. de nat. deor. III 53 nennt als Söhne des A. Alkon, Melampus, Tmolos, die von einigen Dioskuren genannt würden.
,Agamemnon stand da, das Scepter haltend, das Hephaistos gefertigt hatte. Hephaistos zwar übergab es dem Zeus Kronion, Zeus aber dem Hermes und dieser dem rossetummelnden Pelops. Pelops aber wiederum gab es dem A., dem Hirten der Völker, A. aber hinterliess es sterbend dem herdenreichen Thyestes, dieser dem Agamemnon‘, Il. II 100f. und Schol. Thrämer Pergamos 143. Das Scepter wurde in Chaironeia gezeigt, Paus. IX 40, 11. Hier ist noch keine Spur von all den Freveln und Gräuelthaten, die später von A. und seinem Geschlechte berichtet [2140] werden. Ruhig erbt sich das von Zeus geschenkte Scepter vom Vater auf den Sohn, vom Bruder auf den Bruder. Die Veränderung der Sage ist wohl auf dorischen Einfluss zurückzuführen; den eingewanderten Doriern musste das alteingesessene Herrschergeschlecht ein Dorn im Auge sein. Sie zeigt sich schon bei Hesiod, ist dann von Stesichoros weiter ausgebildet und erhält die letzte Ausprägung in der Tragödie, C. Robert Bild und Lied 186f. v. Wilamowitz Eur. Herakles I 35. 113; vgl. Art. Agamemnon und Aigisthos.
Aus Neid gegen den vom Vater bevorzugten unebenbürtigen Sohn Chrysippos bestimmten die Geschwister samt der Mutter Hippodameia den A. und Thyestes, den Chrysippos zu beseitigen. Sie töten ihn und werfen den Leichnam in einen Brunnen. Darum verflucht der Vater die Kinder; sie wandern aus. A. und Thyestes lassen sich in Triphylien nieder, wo A. Kleola, die Tochter des Dias heiratet. Mit ihr zeugt er den Pleisthenes, Schol. Eur. Or. 4. Schol. Pind. Ol. I 144. Tzetz. chil. I 18. 417f. Oder A. kommt nach dem Tode des Vaters mit Heeresmacht zurück und erobert Pisa, Schol. Il. II 105 (Hellanikos). In Olympia soll A. die Spiele eingerichtet haben, als er das Leichenfest für seinen Vater veranstaltete, Vell. Pat. I 8, 2. Sonst wird als Gründer der Olympien auch Pelops selbst, oder sein Sohn Amythaon, oder andere genannt, Paus. V 8, 2. Nach anderer Überlieferung ist Laios, des Labdakos Sohn, in Liebe zu Chrysippos entbrannt, und raubt ihn. Er wird von A. und Thyestes ergriffen, erlangt jedoch von Pelops Verzeihung. Damit Chrysippos nicht die Herrschaft erlange, beredet Hippodameia den A. und Thyestes, ihn zu töten, da diese sich aber weigern, begeht sie selbst die That. Sterbend nennt Chrysippos dem Vater die Thäterin, Hippodameia wird verbannt, Plut. parall. 33 (Dositheos). Ribbeck Röm. Trag. 444f. Thrämer a. O. 61f. Nach Hyg. fab. 85 führt Laios den Raub bei den nemeischen Spielen aus, der Vater fordert den Sohn mit Waffengewalt zurück, A. und Thyestes töten ihn auf Anraten der Mutter; vgl. Tzetz. a. O. Plat. Crat. 395 B. Nach Thuk. I 9, 2 flieht A. wegen der Ermordung des Chrysippos zu seiner Schwester Nikippe, der Mutter des Aigisthos, nach Mykenai. Als Aigisthos im Kampfe gegen die Herakleiden fällt, übernimmt er unter Zustimmung der Mykenaier selbst die Herrschaft, die er schon während des Feldzuges verwaltet hat. Nachher zog er dann selbst gegen sie zu Felde und besiegte sie. Bundesgenossen waren die Tegeaten, Diod. IV 58, 2. Wie Apollod. II 4, 6 (vgl. Thrämer a. O. 64) berichtet, rief Sthenelos, der Vater des Eurystheus, A. und Thyestes herbei und übergab ihnen Mideia, wahrscheinlich als sie wegen der Tötung des Chrysippos flüchtig waren; vgl. Paus. VI 20, 7, wonach Hippodameia aus diesem Grunde nach Mideia geht. Nach Strabon VIII 377 fällt Mykenai an die Pelopiden, die aus Pisa kommen. Apollod. Epit. 2, 10 W. Thrämer a. O. 54ff. Die ursprüngliche Heimat des A. scheint die Argolis, nicht Pisa, zu sein, Thrämer a. O.
Einen weitern Complex bilden die Sagen vom goldenen Lamm und dem Bruderzwist mit seinen Gräueln. A. liegt mit seinem Bruder Thyestes [2141] in Streit um die Herrschaft, Aischyl. Ag. 1585. Schol. Eur. Or. 998. Entweder – das ergiebt sich schon aus Homer und ist offenbar die ältere Vorstellung – gilt A. als der Erstgeborene, oder es ist Thyestes der ältere, Schol. Eur. Or. 12. Nach dem Thyestes des Seneca wechselt die Herrschaft jedes Jahr zwischen den beiden Brüdern, bis das goldene Lamm für A. entscheidet. Sterbend hatte Myrtilos den Pelopiden geflucht, und der Fluch ging in Erfüllung. Denn Hermes, über den schmählichen Tod seines Sohnes erbittert (nach Pherekydes die erzürnte Artemis), sendet durch den Hirten Antiochos dem A. ein goldenes Lamm. Stolzen Sinnes lässt A. durch den Herold sein Glück verkünden: ,Mein ist die Herrschaft, denn mir ward das goldene Lamm zu teil‘. Im Reigentanz feiern sie das hohe Glück, goldgeschmückte Altäre werden errichtet, durch die Stadt wallt Opferrauch, im Liede preist das Volk das Erscheinen des wunderbaren Zeichens. Und Thyestes? In heimlichem Beilager verführt er die Aerope, und entwendet mit ihrer Hülfe das goldene Lamm. Aber ob dieses Frevels wendet Zeus der Gestirne Lauf: die Sonne und die Pleiaden gehen vom Abend zurück nach dem Aufgang, und das Volk erkennt, dass Thyestes sich frevelhafterweise die Herrschaft angeeignet. A. bleibt König, der Bruder muss fliehen. Nach einer andern Version wird A. von Thyestes wirklich vertrieben, kehrt dann aber zurück, und wird infolge des Himmelszeichens wieder eingesetzt. Eur. El. 699ff.; Or. 995ff. (Schol. zu 990. 995. 998); frg. 853. Aischyl. Ag. 1193. Plat. Politic. 268 E. Paus. II 18, 1. Tzetz. chil. I 18, 426f. Ovid. trist. II 391. Anders berichtete Apollonios von dem Lamme: A. hat einst gelobt, das schönste Stück, das in seinen Herden geboren werde, der Artemis zu opfern. Wie aber das goldene Lamm geboren wird, missachtet er das Gelübde und schliesst das Lamm in einen Kasten ein. Er rühmt sich vor allem Volke des Besitzes. Da verführt Thyestes die Aerope, stiehlt das Lamm und kommt mit dem Bruder überein, dass dem die Herrschaft gehören solle, der das Lamm besitze. Darauf zeigt er es und wird König. Nun trägt Zeus durch Hermes dem A. auf, die Zustimmung des Thyestes dazu zu erlangen, daß er, A., wieder König werde, wenn die Sonne im Osten untergehe. Das geschieht, Zeus schafft das Wunder, und Thyestes muss fliehen, Apollod. Epit. 2, 10f. W. Schol. Il. II 106. Eur. Or. 807f. und Schol. 812. Tzetz. chil. I 18, 436f. Als sich die Griechen zum zweiten mal in Aulis versammeln, um nach Troia zu ziehen, und Windstille die Flotte an der Abfahrt hindert, verkündet Kalchas, dass Artemis versöhnt werden müsse, denn sie zürne, weil ihr A. einst das goldene Lamm nicht geopfert habe, Apollod. Epit. 3, 21 W. Nach Sen. Th. 222f. war der goldene Widder ein altes Wahrzeichen der Pelopiden, ihm folgt das Geschick des Hauses, Herodoros aus Herakleia erklärte das goldene Lamm als eine goldene Schale mit dem Bilde eines Lammes in der Mitte, Athen. VI 231 C. Eust. Il. 868, 49. 1319, 46. Rationalistisch wird auch die Umkehr der Sonne und der Pleiaden gedeutet. Schon Eur. El. 737f. äussert einen Zweifel; später heisst es, dass A. zuerst den dem Himmel (oder der Erde) entgegengesetzten Lauf der [2142] Sonne beobachtet habe (Polybios bei Strab. I 23. Schol. Eur. Or. 998. Luc. de astr. 12), oder der Vorgang wird als Sonnenfinsternis gedeutet, Athen. VI 231 C. Hyg. fab. 258. Serv. Aen. I 568.
Wegen des Ehebruchs mit seiner Gattin und wegen des Lammdiebstahls verbannt A. den Bruder. Thyestes schickt darauf einen Sohn des A., Pleisthenes, den er als den seinigen erzogen hat, um den Vater zu töten; A. aber hält ihn für den Sohn des Thyestes und tötet ahnungslos sein eigen Kind. Von wem diese offenbar tragische Fabel herrührt, ist unbekannt. Hyg. fab. 86. Welcker Griech. Trag. 689. Ribbeck a. O. 458. Sophokles erzählte in seinem A. (Schol. Eur. Or. 800), dass sich A., als er von Thyestes der Herrschaft beraubt worden war, dadurch rächte, dass er die ungetreue Gattin ins Meer warf, die drei Söhne des Bruders tötete und sie dem Vater zum Mahle vorsetzte und schliesslich den Bruder selbst tötete. Die drei Söhne nennt er Aglaos, Orchomenos, Kaleos (Kallaios Tzetz. chil. I 18, 449); nach Apollod. Epit. 2, 13 W. heissen sie Agoos, Kallileon, Orchomenos; nach Hyg. fab. 88 und Seneca Tantalos und Pleisthenes (ein dritter bleibt ungenannt). Nach der Auffassung des Aischylos und Euripides(?) kehrt Thyestes nach langer Verbannung in die Heimat zurück, schutzflehend naht er sich dem Herde. Als Gastgeschenk setzt ihm A. seine Kinder zum Mahle vor, und der Vater isst davon, nicht wissend, was er thut, bis er zu seinem Entsetzen den Greuel erfährt. Ob der grässlichen Schändung des Gastrechts flucht er dem A., dieser treibt ihn wieder in die Fremde. Aischyl. Ag. 1096f. 1217f. 1583f.; Choeph. 1068. Eur. Or. 814; Thyestes oder Kressai (Aristoph. Ach. 434). Den Inhalt von Sophokles Thyestes, A., Thyestes δεύτερος giebt wieder Hyg. fab. 88. Petersen Progr. Dorpat 1877. Thyestes des Ennius, Ribbeck a. O. 199f. A. des Accius. Das letztere Stück hatte grosse Ähnlichkeit mit dem Thyestes des Seneca, nur dass hier Thyestes nicht unaufgefordert, sondern auf Aufforderung des A. hin kommt, Ribbeck a. O. 447f. Auch bei Euripides (frg. 468) scheint, wie bei Sophokles, Aerope den Tod durch A. gefunden zu haben.
Nach anderer Überlieferung lässt A., nachdem er nach dem Weggang des Thyestes dessen Buhlschaft mit Aerope entdeckt hat, den Bruder durch einen Herold zurückrufen, vorgeblich, um sich mit ihm zu versöhnen, in Wirklichkeit, um Rache an ihm zu nehmen. Wie er kommt, lässt A. die Söhne des Bruders, die sich schutzflehend am Altare des Zeus niedergelassen, schlachten und bereitet dem Vater das grässliche Mahl. Wie er gesättigt ist, werden ihm die Hände und Füsse der Knaben gezeigt. Er muss wieder fliehen. Während er nun dem Bruder auf jede Weise beizukommen sucht und darüber das Orakel befragt, erhält er die Antwort, dass, wenn er mit seiner Tochter einen Sohn zeuge, dieser der Rächer sein werde. So wird Aigisthos geboren, der herangewachsen den A. tötet und seinen Vater wieder in die Herrschaft einsetzt, Apollod. Epit. 2, 10 W. Eine ausführlichere Darstellung giebt Hyg. fab. 88. Danach wendete sich die Sonne beim Anblick des grässlichen Mahles. Thyestes erhält [2143] das (Toten-)Orakel im Thesproterlande; er wohnt in Sikyon seiner Tochter Pelopia bei, die dann zu dem Könige der Thesproter geht, dort von A., der den Thyestes sucht, gefreit wird und als seine Gattin den Aigisthos gebiert. Agamemnon und Menelaos finden später den Thyestes in Delphoi; sie bringen ihn zu A., der ihn in den Kerker wirft und den Aigisthos schickt, ihn zu töten. In Beisein der Pelopia erfolgt die Erkennung. Pelopia tötet sich, Aigisthos kommt mit dem blutigen Schwerte zu A., der eben am Meere ein Opfer verrichtet und tötet ihn, Serv. Aen. XI 262. Mythogr. Vat. I 22. Sen. Th. 297f. 404f. Dies ist wahrscheinlich der Inhalt des Thyestes in Sikyon von Sophokles und der Pelopidae des Accius, Ribbeck a. O. 457f.
Etwas anders gruppiert erscheinen die Greuelthaten bei Hyg. fab. 258 und Serv. Aen. I 568. Da A. und sein Bruder in ihrem Streite sich nichts schaden können, erfolgt eine scheinbare Versöhnung. Thyestes verführt nun die Aerope, A. aber bereitet dem Bruder das schreckliche Mahl. Um durch den Anblick nicht befleckt zu werden, wendet sich die Sonne. Dass die Sonne wegen des Mahles ihren Lauf ändert, ist aus den griechischen Tragikern nicht direkt zu belegen, doch muss der Zug wohl dorther stammen. Ovid. am. III 12, 39; her. XV 206. Stat. Theb. IV 307. Lucan. I 543. VII 451. Anth. Pal. IX 98. Mimische Tänze, in denen Scenen aus der A.-Sage dargestellt wurden, erwähnt Luc. de salt. 43. 67.
Sprichwörtlich waren Ἀτρέως ὄμματα, der starre Blick, die unbewegliche Miene des A., als er dem Thyestes die Kinder vorsetzte, Suidas. Crusius Jahrb. f. Philol. CXXXV 657.
Eine wunderliche Erzählung bietet Dict. I 1: Nach dem Tode des A. kamen alle Urenkel des Minos, welche in Griechenland herrschten, in Kreta zusammen, um die Habe des A. zu verteilen. Dieser hatte Gold, Silber und Herden für die Enkel, welche seine Töchter geboren hätten, bestimmt. Die Herrschaft über das Land hatten nach seinem Willen Idomeneus, der Sohn des Deukalion, und Meriones, der Sohn des Molos, für sich. Es kamen zusammen Palamedes und Oiax, die Söhne der Klymene und des Nauplios, Menelaos, Anaxibia und Agamemnon, die Kinder der Aerope und des Pleisthenes.
,In den Trümmern von Mykenai sind die sog. Perseiaquelle und unterirdische Gemächer des A. und seiner Söhne, wo auch ihre Schatzkammern waren‘, Paus. II 16, 2. Von solchen Schatzkammern oder Königsgräbern sind noch eine ganze Reihe erhalten. Es sind grosse Kuppelbauten – die Form ist etwa die eines Bienenkorbs –, die in den Abhang hineingebaut sind. Das grösste und am besten erhaltene dieser Königsgräber hat einen Durchmesser von etwa 15 m. bei gleicher Höhe, die Nebenkammer misst im Grundriss 8/6 m. bei 6 m. Höhe. Dies ist das sog. ,Schatzhaus des A.‘, wahrscheinlich eben der Bau, der schon im Altertum mit dem Namen des A. in Verbindung gebracht wurde.
Bildliche Darstellungen von Scenen aus der A.-Sage sind äusserst selten. Eur. I. T. 812 sagt Iphigeneia, dass sie den Streit des A. mit Thyestes um das goldene Lamm und die Umkehr der Sonne [2144] gewoben habe. Das Vasenbild Millingen Peint. de vases grecs pl. 23. Reinach Bibl. des mon. fig. pl. II. Wiener Vorlegebl. ser. B pl. IV I betrachtet Loewy Eranos Vindobonensis 271f. als Illustration zu Hyg. fab. 88.
[Escher.]
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