ART

Ἄτιμος. Swoboda Arch.-epigr. Mitt. XVI (1893) 65; Beitr. z. griech. Rechtsgeschichte 2f. glaubt entdeckt zu haben, daß ἄ. in ältester Zeit eine andere Bedeutung, ,völlig rechtlos, geächtet, vogelfrei‘, gehabt habe. Die Ansicht stützt sich wesentlich auf Dem. IX 42f., wo das Ächtungsdekret der Athener: Ἄρθμιος ... ἄτιμος καὶ πολέμιος τοῦ δήμου τοῦ Ἀθηναίων καὶ τῶν συμμάχων αὐτὸς καὶ γένος erklärt wird, das sei keine gewöhnliche Atimie gewesen, sondern wie es in dem Blutgesetzen heiße: ἄτιμος τεθνάτω, er könne straflos getötet werden. Der Sinn des Beschlusses ist das zweifellos, das liegt ja klar in dem Worte πολέμιος, fraglich aber bleibt, ob ἄ. (sc. ἔστω) allein diesen Sinn haben kann. Zunächst [179] ist der Gebrauch von ἄ. τεθνάτω) so vereinzelt, daß Harpokr. s. v. die ganze Demosthenesstelle ausschreibt, vgl. auch Anecd. Oxon. II 491. Von ähnlichen Stellen wird angeführt Od. XVI 431 τοῦ νῦν οἶκον ἄτιμον ἔδεις, die jedoch durch XXI 332 οἳ δὴ οἶκον ἀτιμάζοντες ἔδουσιν ἀνδρὸς ἀριστῆος zweifelhaft wird. Aisch. Ag. 1279 οὐ μὴν ἄτιμοι γ’ ἐκ θεῶν τεθνήξομεν ist offenbare Nachahmung, doch beweist der Zusatz ἐκ θεῶν daß ἄ. mit den Anecd. im Sinne von ἀτιμώρητος verstanden ist. Daß in obigem Beschlusse ἄ. diese Bedeutung nicht zu haben braucht, liegt auf der Hand. Demosthenes übertreibt dort auch sonst, indem er den Arthmios zum δοῦλον βασιλέως macht, während Zeleia zum attischen Bunde gehörte und er nach Aisch. II 258 sogar πρόξενος der Athener war. Für ihn hatte demnach die Atimie auch im gewöhnlichen Sinn ihre ernste Bedeutung. Vielmehr wird er ganz folgerecht erst seiner Ehren und Rechte entkleidet und dann in die Acht erklärt (vgl. o. Bd. II S. 1449). Für die Möglichkeit des erforderlichen Bedeutungswandels von ,ungestraft‘ zu ,vogelfrei‘ beruft sich Swoboda auf andere Sprachen. Entscheidend dürfte sein, ob an irgendeiner Stelle ἄ. ἔστω notwendig die geforderte Bedeutung hat. Für das Solonische Gesetz des Zwangs zur Parteinahme bei Bürgerzwisten, Ar. Ath. resp. 8, 5 ἄ. εἶναι καὶ τῆς πόλεως μὴ μετέχειν, ist durch den Zusatz der Sinn außer Frage gestellt, ebenso in dem Restitutionsedikt (Plut. Sol. 19) durch den Gegensatz ἐπιτίμους. Wenn sonach in Solonischen Gesetzen ἄ. unzweifelhaft in dem späteren Sinne gebraucht wird, da soll in einem Gesetze gegen tyrannische Umtriebe, das nach Aristoteles in der Zeit nach Solon in Geltung war (Ath. resp. 16, 10), ἄ. εἶναι καὶ αὐτὸν καὶ γένος, eine ganz andere Bedeutung, nämlich die der Ächtung haben? Das ist auch Swoboda unglaublich erschienen, er möchte deshalb (Beitr. 15) den Text korrigieren in ἄ. ⟨καὶ πολέμιον⟩ oder ἄ. τεθνάται. Das heißt doch wohl nichts anderes, als zugestehen, daß ἄ. allein den verlangten Sinn der Ächtung nicht haben kann. Zwar das Gesetz ist wahrscheinlich älter, als Swoboda annahm, und stammt schon von Drakon (Schreiner De corpore iuris Atheniensium 67), aber der Bedeutungswandel wird dadurch um nichts wahrscheinlicher. Vielmehr ergibt das Restitutionsedikt, daß vor Solons Archontat einige Athener wegen Versuchs, eine Tyrannis aufzurichten, ἄ. waren, und diese werden von der Wohltat ausgeschlossen, wenn sie landflüchtig waren. Das stimmt ganz mit dem angeführten Gesetze überein und rechtfertigt des Aristoteles Urteil a. a. O., daß die Tyrannengesetze jener Zeit mild waren. Denn später heißt es And. I 97: κτενῶ καὶ λόγῳ καὶ ἔργῳ καὶ ψήφῳ κτλ.. Es ist deshalb nicht recht verständlich, wie Lipsius Att. Recht 375. 931 zwar die Doppelbedeutung von ἄ. ablehnen, in der Auffassung dieses Gesetzes jedoch im wesentlichen Swoboda zustimmen konnte. Das Gesetz bei Demosth. XXIII 62 nötigt auch zu keiner anderen Erklärung von ἄ.; vgl. Kaibel Stil und Text usw. 164, 1. Nun gibt es noch den Ausdruck ἄ. καθάπαξ, z. B. Aristot. Ath. resp. 22, 8, wo den durch Ostrakismos Verbannten, wenn sie die ihnen gesteckten Grenzen überschreiten, diese [180] Strafe angedroht wird. Swoboda Beitr. 7: Hier ,könnte man an Ächtung denken, obwohl es unsicher ist‘. Sicher aber ist, daß der Ausdruck Demosth. XXI 32. 87 nicht von Ächtung, sondern von einer sofort ipso facto eintretenden Atimie gebraucht wird, und daß diese Bedeutung auch für die Aristotelesstelle vollkommen paßt. Endlich bei Plat. Leg. IX 855 c steht ἄτιμον παντάπασι keineswegs im Sinne der Ächtung, sondern es wird vor hohen Geldstrafen gewarnt, die, weil sie auch mit Beihilfe von Freunden nicht erlegt werden könnten, zu völliger Atimie führen könnten. Das soll vermieden werden, ebenso wie Verbannung. Weitere Stellensammlung bei Usteri Ächtung und Verbannung im griech. Recht 1903, dazu Berl. Philol. Wochenschr. 1904, 1138.
[Thalheim.]
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Atimos

Griech. Rechtsbegriff. S III.
[Hans Gärtner.]

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