39) Atilius Fortunatianus. Unter diesem Namen druckte Janus Parrhasius in der Ausgabe lateinischer grammatischer und metrischer Schriften, die er im J. 1504 auf Grund des Hss.-Fundes im Kloster Bobbio veranstaltete, zwei metrische Schriftchen ab, von denen das erste am Anfang verstümmelt war. Beide galten von da an als Werke des Atilius Fortunatianus, bis Lachmann in der Vorrede zur Ausgabe des Terentianus Maurus (Berlin 1836) p. XV nur das erste als Arbeit des Fortunatianus erklärte. Da die nähere Prüfung allerdings ergab, dass die beiden Stücke nicht von demselben Schriftsteller herrühren könnten, so fand Lachmanns Ausspruch fast allgemein Annahme, obgleich er einen Grund, warum dieser Name gerade mit der ersten Schrift zu verbinden sei, nicht angeführt hatte. Erst Keil Gramm. lat. VI 250 wies nach, dass der Name vielmehr allein für das zweite Stück als überliefert anzusehen ist. Sein Beweis fand eine weitere Bestätigung noch, als der cod. Neap. IV A 11 bekannt wurde, dieselbe Hs., welche Parrhasius benutzt hat, und die jedenfalls die beste erhaltene Abschrift des verlorenen cod. Bobiensis ist (Keil und Juergens Observationes in Caesium Bassum et At. Fort., Hal. Ind. lect. aest. 1880). Aus diesem hat dann Keil die Schrift des Fortunatianus noch einmal herausgegeben (Festschrift der Hall. Univ. z. 22. März 1885). Ich citiere nach Gramm. lat. VI 278ff.
Der Name Atilius Fortunatianus findet sich sonst nirgends. Fortunatiani erscheinen besonders zahlreich in den africanischen Provinzen. Unser Metriker würde damit in eine Reihe treten mit Iuba, Terentianus Maurus und C. Marius Victorinus. Im übrigen sind wir nur auf sein Werk angewiesen.
Die Schrift ist gerichtet an einen Jüngling senatorischen Standes, den der Verfasser selbst in der Grammatik unterrichtet hat (279, 3), und den sie, vornehmlich zum Zweck eigener imitatio (278, 12. 291, 6), in die horazischen Metra einführen soll. Vorangeschickt ist eine Einleitung über die Grundbegriffe der Metrik. Wie Philoxenus mit den Buchstaben beginnend, steigt der Verfasser über Silben, Füsse, die Begriffe metrum, rhythmus, colon zu den Metren auf, und zwar zuerst den acht prototypa et archegona oder originalia, mit dem dactylus anfangend und nach ἐπιπλοκαί ordnend; nur anhangsweise werden diesen das proceleumaticum und paeonicum hinzugefügt. Dann folgen die deducta oder paragoga, zuletzt, wie gewöhnlich, der Saturnius. Die Besprechung der horazischen Metra wird eingeleitet durch einen aus Caesius Bassus geschöpften, auf Varro zurückgehenden Abschnitt über die vier Arten, neue Metren zu bilden, und einen zweiten, aus griechischer Quelle, über epodische und monostrophische Composition. Eine Analyse sämtlicher Horazmetren nach der Reihenfolge der Gedichte bildet den Schluss.
Betreffs der Quellen erscheint die Angabe des Fortunatianus carptim de multis auctoribus excerpta [2083] perscripsi (278, 16) im wesentlichen glaubwürdig, wenn man auch das multis nicht gar zu genau nehmen darf. Mit Namen wird allein Philoxenus citiert (302, 20), doch ist es fraglich, ob mehr als diese, hier vereinzelte, Notiz auf ihn zurückgeht (vgl. G. Schultz Aus der Anomia, Berlin 1890, 51). Die Behandlung der metra originalia stammt aus Heliodor. Aber wenn auch Fortunatianus griechisch versteht und gerne griechische Termini und Beispiele gebraucht, so hat er hier doch nicht das griechische Original, sondern die lateinische Bearbeitung des Iuba, die auch mancherlei hephaestioneisches Material hinzufügte, benutzt (Hense De Iuba artigrapho, Acta soc. phil. Lips. IV 156ff. Consbruch De veterum περὶ ποιήματος doctrina, Breslauer phil. Abhdlg. V 3, 95ff.). Für die Fussliste (280) lässt sich ebensowenig wie für den Abschnitt 291–294 eine bestimmte Quelle namhaft machen. Für die Horazmetra bildet die Grundlage eine gute alte Bearbeitung, die auch griechische Beispiele verwandte; damit verbunden ist Caesius Bassus (vgl. auch Leo Herm. XXIV 293). Eine directe Benutzung des von G. Schultz (Quibus auctoribus Aelius Festus Aphthonius de re metrica usus sit, Diss. Bresl. 1885) als Quelle des Victorinus oder vielmehr Aphtonius nachgewiesenen Thacomestus (Gramm. lat. VI 140, 3) lässt sich bei Fortunatianus nicht wahrscheinlich machen, doch stimmen seine Quellen zum Teil mit denen des Thacomestus überein (Consbruch 114f. 118; Philoxenus? vgl. Schultz Aus der Anomia 53). Das eigene Verständnis ist bei Fortunatianus immerhin noch erheblich besser als etwa bei Aphthonius. Nach alle dem dürfte er etwa um die Wende des 3. und 4. Jhdts. angesetzt werden. Vgl. auch noch Westphal Metr. I² 128. 153.
[Consbruch.]
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