26) Athenodoros (Ἀθανόδωρος) aus Rhodos, Sohn des Hagesandros, Bildhauer, einer der Künstler der Laokoongruppe (Plin. XXXVI 37), zugleich der einzige, von dem wir Statuenbasen mit seiner Signatur besitzen, die zuletzt von Förster Arch. Jahrb. VI 1891, 191ff. und von Hiller von Gärtringen ebd. IX 1894, 33ff. behandelt worden sind; s. auch Loewy Inschr. gr. Bildh. 203. 302. 446. 479. 480. 520. Von diesen sechs Künstlerinschriften, von denen einige sicher mit Unrecht als Fälschungen verdächtigt worden sind, ist nur eine in Kleinasien (in Loryma, gegenüber Rhodos) gefunden, während vier italischer Provenienz sind (Rom, Ostia, Antium, Capri) und von der sechsten in Basalt eingegrabenen der Fundort unbekannt ist. Man hat aus diesem Umstand mit Recht auf eine ausgedehnte Thätigkeit des A. in oder für Italien geschlossen. Dass sämtliche Basen von den Originalen und nicht von Copien herrühren, kann ernstlich nicht in Frage gestellt werden; die leichten Abweichungen im Schriftcharakter werden aus Zufälligkeit oder aus Rücksichtnahme auf die Aufstellungsorte und den Besteller zu erklären sein. Mit dem Künstler hat man dann weiter einen auf einem Ehrendecret aus Lindos (am besten bei Hiller von Gärtringen a. a. O. 34) erwähnten A., der dort als leiblicher Sohn des Hagesandros und Adoptivsohn eines Dionysios bezeichnet wird, identificiert, und ferner in dem Hagesandros, Sohn des Hagesandros und Enkel des A., der in einer dem A.-Decrete gleichzeitigen Namensliste aus Rhodos genannt wird (Paton Bull. hell. XIV 1890, 277ff.), den Bruder des A. und seinen Genossen bei der Verfertigung der Laokoon-Gruppe erkennen wollen. [2047] Den Schriftcharakter aller dieser Inschriften hat man in neuerer Zeit vielfach benutzen wollen, um die Lebenszeit des A. zu bestimmen und damit die Controverse zu entscheiden, ob die Laokoongruppe in die hellenistische oder in die Kaiserzeit gehört. Die Vergleichung der A.-Inschrift aus Antium mit dem Schriftcharakter pergamenischer Inschriften hatte Kekulé (Z. Deut. u. Zeitbest. d. Laokoon 16ff.) veranlasst, die Lebenszeit des Künstlers und die Entstehung der Gruppe um die Wende des 2. und 1. Jhdts. v. Chr. anzusetzen. In etwas spätere Zeit setzt Hiller von Gärtringen die beiden rhodischen Inschriften, ist aber methodisch und vorsichtig genug, um anzuerkennen, dass diesen der Natur der Sache nach unsicheren palaeographischen Erwägungen ein entscheidendes Gewicht für die Zeitbestimmung des Laokoon nicht zugesprochen werden darf, und sie höchstens als adminiculierendes Beiwerk für anderweitig gewonnene Schlüsse verwendet werden können. In der That ist die Identificierung des A. der rhodischen Inschriften mit dem Künstler keineswegs zwingend, da die Familie mit ihrer alternierenden Namengebung (Athanodoros–Hagesandros) sich ganz wohl bis in die Kaiserzeit erhalten haben kann. Wenn die überwiegende Mehrzahl der neueren Erörterungen (zuletzt Overbeck Griech. Plast. II⁴ 296—336, der auch eine gute Übersicht über die wichtigste Litteratur giebt) sich für den Ansatz in einem der beiden letzten Jahrhunderte v. Chr. entscheidet, und wenn man sich über die Bedenken, die sich gegen diesen Ansatz aus der Pliniusstelle und der Entwickelungsgeschichte der Laokoonsage ergeben, auf dem von Förster (Görlitzer Philologenversammlung 1889, 74ff.) betretenen Wege hinwegsetzen zu können glaubt, so muss doch andrerseits betont werden, dass ein entscheidendes Moment gegen die Entstehung in flavischer Zeit nicht vorliegt. Von der Katastrophe durch Cassius muss sich Rhodos bald wieder erholt haben; wie gross sein Wohlstand gerade um die Mitte des 1. Jhdts. n. Chr. war, lehrt der Rhodiakos des Dion von Prusa (vgl. auch Mommsen Röm. Gesch. V 248). Diesem Zeugnis gegenüber muss die geringe Zahl der bis jetzt in Rhodos gefundenen Künstlerinschriften aus der Kaiserzeit um so mehr für zufällig gelten, als auf der Insel und in ihrer Hauptstadt überhaupt noch nicht systematisch gegraben worden ist. Dass ein Werk wie die Laokoongruppe in der Kaiserzeit aus kunsthistorischen Gründen nicht möglich sei, wird sich nicht mehr aufrecht erhalten lassen, nachdem einerseits die Heliosmetope von Ilion als ein Werk der augusteischen und anderseits Damophon von Messene als ein Künstler der hadrianischen Epoche erwiesen ist. — Von den beiden mit A. bei der Schöpfung der Lakoongruppe beteiligten Künstlern scheint Polydoros sein Bruder gewesen zu sein. Ob Hagesandros sein Vater oder ein zweiter Bruder gewesen ist, bleibt ungewiss. Auch eine Isisstatue scheint A. für Rom gearbeitet zu haben, die im Curiosum und der Notitia unter der zwölften Region erwähnte Isis Athenodoria, Nardini Roma antica III 278. Lanciani Bull. com. I 33. Förster Arch. Jahrb. VI 1891, 195f. Wenn ein im dritten alphabetischen Verzeichnis bei Plin. XXXIV 86 als Verfertiger weiblicher Porträtstatuen [2048] genannter A. mit dem Rhodier identisch ist, hätte er auch in Erz gearbeitet, doch kann die Nachricht mit demselben Rechte auf Nr. 25, mit geringerer Wahrscheinlichkeit auch auf Nr. 24 bezogen werden.
[C. Robert.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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