.
4) Den Namen des A., der in der Ilias eine unbedeutende Nebenfigur und offenbar der Heros eponymos der Landschaft Askania ist, die wir ebenso in Phrygien wie in Mysien finden, den aber auch Städte, Häfen, Seen (Ἀσκανία λίμνη, vgl. Strab. XII 564 ff.) und Flüsse (oben Nr. 1, vgl. Serv. Aen. I 267) in Kleinasien und Inseln an der Küste der Troas und bei Thera (Plin. n. h. IV 71. V 138) führen, hat die nachhomerische Sage auf den Sohn des Aineias übertragen, von dem sich zunächst die einheimischen Fürstengeschlechter in der Troas und den benachbarten Ländern herleiteten (vgl. Aineias Bd. I S. 1012. 1018). So sollte nach den Troika des Hellanikos von Mytilene (FHG I 62, 127) Aineias, der sich nach der Zerstörung von Troia auf dem Ida festgesetzt hatte, seinen ältesten Sohn A. in das Land der Daskyliten auf den Wunsch der Einwohner, die ihn sich zum König erbeten hatten, gesandt haben. Aber nach nicht langer Zeit kehrte A. mit Skamandrios und anderen Hektoriden nach Troia zurück und übernahm dort die Herrschaft. Ähnlich ist die von Dionys von Halikarnass I 53, 4 nach einer ungenannten Quelle wiedergegebene Überlieferung, dass dem A. von seinem Vater, der nach Troia zurückgekehrt wäre, das Königtum hinterlassen worden sei. Dagegen bringt Demetrios von Skepsis bei Strab. XIII 607 (vgl. Gaede Demetrii Scepsii reliquiae 35ff.) den A. und Skamandrios mit Neu-Skepsis am Ida in Verbindung und lässt die dortigen Fürstengeschlechter von ihnen beiden abstammen. Wieder nach anderen waren die Städte der Troas, Askania und Arisbe, von A. gegründet (Steph. Byz. s. Ἀσκανία) oder der Ida und Antandros in seinem Besitz (Konon 41. Mela I 92). Dagegen floh nach der Iliupersis des Stesichoros auf der Tabula Iliaca (O. Jahn Griech. Bilderchroniken Taf. I, I*, vgl. oben Bd. I S. 1013) A. an der Hand seines Vaters aus dem eroberten Troia nach Hesperien, und auch nach Sophokles (bei Strab. XIII 608) verliess er mit Aineias und Anchises zu Schiffe seine Heimat. Einer ähnlichen Überlieferung folgt die wohl dem 6. Jhdt. v. Chr. angehörige Münze von Aineia in Makedonien (Beschreibung der ant. Münzen des Berliner Museums II Taf. III 21), auf welcher vor dem den Anchises tragenden Aineias seine Gemahlin Eurydike mit einem Kind auf der Schulter einherschreitet, dessen Geschlecht und Name sich wegen der Kleinheit und Undeutlichkeit der Darstellung nicht sicher bestimmen lässt (Friedländer M.-Ber. Akad. Berl. 1878, 759ff. und Ztschr. f. Numism. VII 221ff. Robert Arch. Zeit. XXXVII 23ff.). Nach dem epischen Kyklos (Kinkel Epic. frgm. p. 30 frg. 19. p. 47 frg. 19) war die Gemahlin des Aineias und vielleicht auch die Mutter des A. Eurydike, erst bei Verg. Aen. II 666ff. und Livius I 3, 3 (vgl. Serv. Aen. I 7. Paus. X 26, 1) heisst sie Kreusa, doch kennt Livius noch einen jüngeren A., welcher der Sohn des Aineias und der Lavinia war. Nach Hellanikos a. a. O. war er der älteste von mehreren Brüdern; ein ungenannter römischer Historiker im Schol. Veron. Aen. II 717 (vgl. Peter Hist. Rom. [1612] frg. 69) nannte neben ihm bei der Flucht aus Troia den Eurybates als Sohn des Aineias, und Hegesianax von Alexandreia Troas (Kephalon Gergithios FHG III 69, 8) wusste von den vier Geschwistern A., Euryleon, Romylos, Romos. Den Namen des zweiten erwähnt auch Dion. Hal. I 66, 1 (vgl. Appian. reg. 1), sagt aber, A. selbst sei früher so genannt worden und habe den andern Namen erst auf der Flucht erhalten. Noch andere Brüder kennt Serv. Aen. IV 159, dessen Worte A.--- etiam Dardanums et Leontodamas dictus est ad extinctorum fratrum solacium nicht ,dunkel sind‘ (Wörner in Roschers Lex. I 614), sondern deutlich zeigen, dass nach irgend einer Überlieferung dem A. zum Trost der Eltern die Namen zweier umgekommenen Brüder beigelegt worden waren. Diese Vielnamigkeit des A., welche ein Vorbild in den doppelten Namen des Astyanax und Paris bei Homer hat, machte es dann den römischen Genealogen leicht, noch andere für ihre Zwecke passende Benennungen zu erfinden. Schon Cato (orig. I 9 Peter) und C. Iulius Caesar (Serv. Aen. I 267) wussten, dass A., nachdem er Latium betreten hatte, Iulus genannt worden sei, und Vergil Aen. I 267 kennt daneben noch den Namen Ilus, den er geführt habe, solange das Königtum von Ilium bestand.
Dieser Mannigfaltigkeit der Namen entspricht die Unsicherheit der sonstigen vorvergilischen Überlieferung über A. Nach Dionys I 53, 4 war nicht Aineias, sondern A. nach Italien gekommen, nach Eratosthenes bei Serv. Aen. I 273 war Romulus (Romos nach Dionysios von Chalkis bei Dion. Hal. I 72, 6) ein Sohn des A. Dagegen erzählt Plutarch Rom. 2, die Rome sei eine Tochter des A. Dionys von Halikarnass I 65, 1 berichtet ferner, dass A. nach dem Tode des Aineias sechs Jahre nach der Zerstörung von Troia die Herrschaft über Latium übernahm, und Livius I 3, 1 weiss ausserdem den näheren Umstand, dass A. damals noch im Knabenalter stand und seine Mutter Lavinia für ihn die Herrschaft übernahm. Nach ungenannten römischen Schriftstellern bei Dion. Hal. I 73, 3 teilte A. Latium mit seinen Brüdern Romylos und Romos. Er besiegte ferner die Etrusker, tötete den Mezentius (Cato orig. I 9 Peter) und weihte Aineias als Indiges am Flusse Numicus, in welchem er verschwunden war, ein Heiligtum (Serv. Aen. XII 794, vgl. I 267. Schol. Veron. I 259). Von einem Siege des A. über Mezentius weiss auch Dionys I 65, 2ff. (vgl. Plut. quaest. Rom. 78), aber er tötete nur dessen Sohn Lausos und schloss mit Mezentius ein Bündnis. Seine wichtigste Friedensthat ist die Gründung von Alba Longa, also die Ausdehnung der Herrschaft von dem durch Aineias gegründeten und an der Küste liegenden Lavinium nach dem Innern von Latium (Dion. Hal. I 66, 1. Liv. I 3, 4. Verg. Aen. I 267ff. Tibull. II 5, 50. Val. Max. I 8, 7. Iustin. XLIII 1, 13). Damit bringt Serv. Aen. VI 760 folgende Sage in Verbindung. Nach dem Tode des Aineias flüchtete die schwangere Lavinia aus Furcht vor A. in die Wälder zu einem Hirten Tyrrhus (vgl. Verg. Aen. VII 485ff.; Tyrrhenos Dion. Hal. I 70, 2) und gebar dort den Silvius. Nun wandte sich aber der Hass des Volkes gegen A., er musste sie zurückrufen, gab ihr Laurolavinium und erbaute für sich Alba. Weitläufiger [1613] wird dasselbe von Dion. Hal. I 70, 1ff. und Origo gent. Rom. 16 (vgl. Liv. I 3, 6) erzählt, aber ohne Beziehung auf die Gründung von Alba. Appian frg. 1, 2 Mend. giebt als Grund für die Erbauung von Alba an, dass dem A. Lavinium zu unbedeutend erschienen sei. Er erzählt auch von ihm (reg. 1), dass er die Bewohner der alten Stadt nach der neuen verpflanzte. In Alba führte A. das Troiaspiel (Verg. Aen. V 596ff.) und den Apex der Flamines (Serv. Aen. II 683, vgl. Verg. Aen. II 682ff.) ein. Nach Verg. Aen. I 267, Ausonius epist. 15, 13 (S. 250, 13 Peiper) und Serv. Aen. I 269. III 391 regierte A. dreissig, nach Dion. Hal. I 70, 1 siebenunddreissig Jahre, nach Appian reg. 1 starb er im vierten Jahre nach der Gründung von Alba. Auf ihn folgte in der Herrschaft von Latium nicht sein ältester Sohn Iulus, der mit einem Priestertum abgefunden wurde, sondern sein Stiefbruder Silvius auf Volksbeschluss, weil dessen Mutter die Erbin des Königtums gewesen war (Dion. Hal. I 70, 3ff.). Dagegen giebt Serv. Aen. VI 760 als Grund dieser Nachfolge an, dass A. keine Kinder hinterlassen hatte, und nach Liv. I 3, 6 (vgl. Cass. Dio frg. 4, 10) ist A. der Vater des Silvius.
Vergil hat gemäss dem Plane seiner Aeneis nur die Jugend des A. behandelt, wie es scheint, fast ohne Anlehnung an ältere Quellen. A. ist bei ihm der einzige dem Jünglingsalter nahe stehende Sohn des Aineias, welcher ebenso wie Venus zärtlich für ihn sorgt (I 646. II 665ff.). Bei der Flucht aus Troia verkündet ein Vorzeichen seine spätere Grösse (II 681ff.). Er ist schön (X 132ff. V 570. VII 477), ein tüchtiger Jäger und Reiter (IV 156ff. V 547ff.). Unter seiner Gestalt sendet Venus den Cupido zu Dido und entrückt A. in ihren Hain in Idalium (I 657ff.). An den eigentlichen Schlachten nimmt er noch nicht teil, giebt aber durch seine Verfolgung eines zahmen Hirsches des Tyrrhus die Veranlassung zu dem ersten Kampf der Troianer mit den Latinern (VII 475ff.) und erschiesst bei der Verteidigung des Lagers gegen Turnus vom Wall aus den Numanus (IX 590ff.). Den Ludus Troiae lässt ihn Vergil Aen. V 545ff. schon bei den Leichenspielen für Anchises in Sicilien abhalten.
Eine griechische Etymologie des Namens hat man vergebens aufzustellen versucht, wie Grassberger (Studien zu den griech. Ortsnamen 236) von der Wurzel ask = Esche und Klausen (Aeneas u. die Penaten 118ff.) von ἀσκός = Schlauchdämon. Es liegt vielmehr näher, da A. in seiner ältesten Gestalt in Phrygien vorkommt und es ähnliche orientalische Namen giebt, ihn für nicht griechischen Ursprungs zu halten (Lagarde Abhandlungen 254. Ed. Meyer Gesch. d. Altert. I 300ff. Drexler Wochenschr. f. class. Philol. III 1078). Übrigens bringt ihn schon das Etym. M. mit Askalon in Verbindung.
Die bildlichen Darstellungen des A. s. unter Aineias Bd. I S. 1016. Ein jugendlicher Kopf mit phrygischer Mütze auf Münzen von Aineia in Makedonien kann nicht A. sein, wie in der Beschreibung der antiken Münzen des Berliner Museums II 33 angenommen wird, da nicht er, sondern Aineias der Heros eponymos jener Stadt ist. Auf älteren Münzen ist aber die Deutung eines bärtigen Kopfes auf den Vater inschriftlich gesichert, [1614] und dass man in späterer Zeit den Aineias auch unbärtig darstellte, beweist neben dem Pariser Kameo mit der Apotheose des Augustus und anderen Denkmälern auch die bei Baumeister Denkm. d. class. Altert. Fig. 33 abgebildete Münze.
Litteratur: Klausen Aeneas und die Penaten 188ff. 133. 137. Schwegler Röm. Gesch. I² 337ff. Preller-Jordan Röm. Mythol. II 335ff. Wörner Roschers Lex. I 611ff.
[O. Rossbach.]
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