.
Artischocke. Man nimmt an, dass die Echte A., Cynara scolymus L., durch Kultur aus der spanischen A. oder Cardone, Cynara cardunculus L., hervorgegangen sei, zu der auch Cynara horrida Ait. mit kurzem Stengel und sehr stacheligen Blättern und Schuppen zu rechnen sei und die im Mittelmeergebiet heimisch ist (A. de Candolle D. Ursp. d. Kulturpfl., übers. von Goeze 1884, 115f.). Von der wildwachsenden Cynara cardunculus werden die Blumenköpfe, ἀγριαγκυνάραις, heute in Griechenland roh gegessen (v. Heldreich D. Nutzpflanzen Griechenl. 1862, 82). Beide A. werden heute ἡ ἀγκυνάρα genannt und als Küchenpflanzen vielfach angebaut, die Cynara scolymus mit stumpfen, stachellosen, die Cynara cardunculus mit spitzen, langstacheligen, meist roten Schuppen; den Gebrauch der Blattstengel von der letzteren als Gemüse kennt man nicht (a. O. 27). In Italien wird die echte A. um ihres Blumenbodens und ihrer Hüllkelchblätter oder Schuppen willen unter dem Namen carciofo angebaut; doch bewirft man auch die im Frühjahr aus der Wurzel kommenden Sprossen mit Erde, was zur Folge hat, dass die Blattstiele, gobbi, weiss, zart und sehr schmackhaft werden. Von der Cynara cardunculus, cardo, carduccio, caglio, bindet man die Blätter, wenn die Pflanze die Höhe von 1/2–2/3 m. erreicht hat, im August oder September zusammen und schützt die Pflanzen durch eine Umhüllung mit Stroh vor dem Sonnenlichte, so dass die gebleichten und zarten Kippen und Stiele der Blätter nach etwa 20 Tagen und den Winter hindurch, die Stiele auch roh, nachdem man ihnen die Rinde genommen und sie in kochendes Salzwasser getaucht hat, genossen werden.
Die A., jedenfalls nicht, wie Fraas (Synopsis plant. florae class.² 1870, 202) meint, die aus Amerika stammende Cactus opuntia L., scheint Theophrast (h. pl. VI 4, 10. 11) mit seiner κάκτος gemeint zu haben. Von ihr sagt er nämlich, wenn auch nicht aus eigener Anschauung, sie sei nur in Sicilien, nicht in Griechenland zu finden; sei ein ganz eigentümliches Gewächs, denn es kämen unmittelbar aus der Wurzel Stengel, die sich auf die Erde legten; die Blätter seien breit und dornig; solche Stengel nenne man κάκτοι; schäle man sie, so seien sie essbar, schmeckten jedoch etwas bitter; man bewahre sie in Salzwasser [1456] auf; eine andere Sorte (ἕτερον) treibe einen Stengel, der aufrecht steige und πτέρνιξ heisse; auch dieser sei essbar, werde jedoch nicht aufbewahrt; das Fruchtbehältnis, worin der Same liege, sei seiner Gestalt nach distelartig (dem ἄκανος ähnlich); nehme man aber die mit einer Haarkrone versehenen Samen weg, so bleibe eine essbare Masse, welche dem Palmenhirn ähnlich sei; man nenne sie σκαλίας (= σκαλίς Napf?). Die erstere nahm schon Anguillara im J. 1561 für Cynara cardunculus (vgl. Sprengel Erläuterungen zu Theophr. 1822, 233). Die Stelle des Theophrast ist von Plinius (XXI 97) wörtlich wiedergegeben, sogar das Wort cactus beibehalten, doch das ἕτερον wohl fälschlich mit unum (autem caulem rectum habet) übersetzt, so dass aus den zwei Sorten eine wird. Doch an einer anderen Stelle (XX 262), welche dem sonst unbekannten Arzte Glaukias entnommen zu sein scheint, unterscheidet er zwei genera der wilden cardui, von denen das eine sofort aus der Erde fruchtbare Sprossen treibe, das andere eine purpurne, schnell grau werdende Blüte trage. Freilich setzt er hinzu, dass das zweite bei den Griechen σκόλυμος heisse, während er sonst (XXI 95. 96. XXII 86) darunter dasselbe wie Theophrast (VI 4, 3–7), also wohl Scolymus maculatus L. versteht; auch identifiziert er (XXI 94. XXII 86) fälschlich carduus mit dem ἄκανος und scolymus mit der λειμωνία des Theophrast (h. pl. VI 4, 3. 5). Aber auch der σκόλυμος Strabons (XVII 826), von dessen Stengeln er sagt, dass sie in Mauretanien 12 Ellen hoch und 4 Handbreiten = 0,30 m. dick würden, wird für die A. gehalten (Meyer Bot. Erläuter. zu Strabons Geogr. 1852, 172; vgl. Woenig D. Pflanzen im alten Ägypten 1886, 210). Den Namen κάκτος gebrauchten nach dem Zeugnis des Athenaios (II 70 d–f), der die genannte Stelle des Theophrast wiederholt und κάκτος mit dem römischen κάρδος, das jenem lautlich nahe stehe, und der griechischen κινάρα identifiziert, auch die dem Theophrast gleichaltrigen Schriftsteller Phanias (ebd.) und Philetas (ebd. 71 a); der erstere bezeichnete die κάκτος als sicilisches Distelgewächs, wie auch später Antigonos (hist. mirab. 8), Philetas (vgl. Hesych. s. v.) nannte sie spitz und ähnlich schilderte sie sein Schüler Theokrit (X 4). Ja selbst schon der sicilische Dichter Epicharmos (bei Athen. II 70 f. 71 a) rechnete die rauhe κάκτος zum Gemüse und unterschied sie von σκόλυμος. Dieselbe Benennung treffen wir noch bei dem wohl nicht lange vor Galenos lebenden Dioskorides (Diosk. alexipharm. 33) an, welcher sagt, dass die Blüten der κάκτος genannten Distel, wenn sie heruntergeschluckt würden, ausgebrochen werden müssten. Dagegen soll nach Athenaios (II 71 a. b) schon um das J. 300 v. Chr. Sopatros die A. κινάρα genannt haben, ein Name der von Sophokles nach einer Vermutung des Didymos (bei Athen. II 71 b; vgl. Hesych. s. κύναρος) gleichbedeutend mit κυνόσβατος, also wohl Rosa canina L., gebraucht sein soll. Auch Hekataios und Skylax (bei Athen. II 70 a. b) haben vielleicht unter κυνάρη die Hundsrose verstanden, und auf sie mag auch der Name der Sporadeninsel Κίναρος (Athen, II 71 c. Plin. IV 69) zu beziehen sein. Nach Pollux (VI 46) sollen unverständlicher [1457] Weise gerade die dorischen Dichter κινάρα für ἄκανθα, Distel, gebraucht haben. Auf die A. bezieht Athenaios (II 71 b) den Bericht des Königs Ptolemaios Euergetes II., dass seine Soldaten in Libyen die κινάρα in grosser Menge wild angetroffen und, nachdem sie die Stacheln entfernt, davon gegessen hätten. Seit Galenos, nach dem (VI 636) das Wort in der Vulgärsprache mit ι, sonst mit υ lautete, findet sich nicht mehr der Name κάκτος.
Bei den Römern nannte auch Columella an zwei Stellen (X 235. XI 3, 28) die A. cinara, sonst findet sich dafür carduus (vgl. Corp. gloss. lat. II 349, 42. 537, 45. 549, 60. III 16, 19. 88, 43 u. a.); selbst Columella (VII 8, 1. Pall. VI 9, 1) nennt agrestis carduus, was später (Geop. XVIII 19, 2) griechisch κινάρα hiess. Carduus scheint aber bis nach Columella nur für verschiedene andere Disteln gebraucht zu sein, besonders Centaurea solstitialis L., die Goldsterndistel (Verg. ecl. V 39; Georg. I 152; so auch Plin. XVIII 153), vielleicht auch Carduus nutans L., die vom Esel gern gefressene Bisamdistel, heute cardo rosso genannt (Lucil. frg. 895 Baehrens), so dass die A. erst seit Beginn unserer Zeitrechnung in die römische Welt eingeführt, bezw. hier kultiviert zu sein scheint. Dasselbe Wort wurde auch nur für den Stengel (Apic. 106) gebraucht, während σφόνδυλος (Epicharm. bei Athen. IX 366 b. Gal. VI 637. Apic. 107–112. Geop. XVIII 19, 2) den Blumenboden oder Käse bezeichnete. Nach Columella (X 237–41) konnte, soweit seine Worte zu deuten sind, die im Garten kultivierte struppige cinara ein verschiedenes Aussehen haben: bald einen purpurnen Schopf, bald einen myrtenblütenfarbigen, d. h. weisslichen Haarbüschel (vgl. Plin. XX 262); bald den Kopf geneigt und offen; bald einem Pinienzapfen ähnlich; bald (wenn er sich später öffnete) einem becherförmigen Körbchen ähnlich und von Stacheln starrend; bald die blassen Schuppen (oder Blätter?) wie die Blätter des Acanthus (spinosus L.) nach auswärts gebogen.
Die A. wurde auf zweifache Weise angepflanzt. Entweder wurden dazu Wurzelsprossen verwandt, indem diese um das Herbstaequinoctium (Col. XI 3, 10. Plin. XIX 153) oder im November (Geop. XII 39, 1–2) angepflanzt wurden, oder der Same wurde um die kal. Mart. gesät und die Pflanzen davon um die kal. Nov. (Col. u. Plin. ebd.) oder in kälteren Gegenden um den 7. Februar umgesetzt (Plin. ebd.); sie wurden reichlich mit Asche gedüngt (Col. ebd.; vgl. Plin. ebd.). Ausführlicher spricht sich Palladius (IV 9, 1–4) aus: im März (oder Februar III 24, 2) würden die Samen, ½ Fuss von einander entfernt, in ein zubereitetes Beet bis an das erste Fingergelenk eingedrückt, später beständig von Unkraut gesäubert, bis die Pflanzen kräftig genug seien, und während der Hitze bewässert; wenn man die Spitze der Samen abbreche (nach Geop. XII 39, 7, wenn der Same in ein Stück der Wurzel des Gartensalats gesteckt und so in die Erde gebracht werde), würden die Pflanzen keine Stacheln bekommen (!); alle Jahre müssten die Wurzelsprossen entfernt werden, damit die Mutterpflanze nicht ermüde, und diejenigen, denen noch etwas von der Wurzel anhafte, zur Fortpflanzung benutzt werden; diejenigen [1458] Pflanzen, welche man zur Gewinnung der Samen bestimme, müssten von allen Seitentrieben befreit und mit einem Topf oder mit Rinde bedeckt werden, um die Samen gegen Sonne und Regen zu schützen; besonders seien die Pflanzen auch gegen Maulwürfe durch Katzen (?), zahme Wiesel u. s. w. zu schützen (nach Geop. XII 39, 8 die Wurzeln gegen Mäuse durch Wolle u. s. w.). Die bewurzelten Pflanzen sollten dann nach ihm (XI 11, 1) im October, drei Fuss von einander entfernt, zu je zwei oder drei in eine Grube von einem Fuss Tiefe gesetzt und an trockenen Wintertagen öfters mit Asche und Mist gedüngt werden. Bei dem africanischen Karthago und bei Cordova brachten nach Plinius (a. O.) kleine Beete je 6000 Sesterzen = 1305 Mark ein; im J. 301 (Edict. Diocl. VI 1. 2) war der Maximalpreis für fünf grössere (oder 10 kleinere?) A. auf zehn Denare = 18 Pfennig angesetzt. Heute kann in Frankreich ein Gärtner auf etwa ½ ha. jährlich etwa 7000 Stöcke zu je einem grossen und zwei mittelgrossen Köpfen erziehen und davon eine Bruttoeinnahme von ca. 2000 Francs haben.
Wie auch heute in Italien sowohl von Cynara scolymus als Cynara cardunculus, so konnten die Blüten vom agrestis carduus (Col. VII 8, 1. Pall. VI 9, 1) oder der κινάρα (Geop. XVIII 19, 2) statt des Kälberlabs bei der Käsebereitung verwandt werden.
Die A. war zuerst die Speise der Reichen (Plin. XIX 54), später jedoch wohl weniger kostbar (Hist. Aug. Pert. 12). Der Blumenboden wurde besser gekocht als roh mit Olivenöl, Brühe von gesalzenen Fischen, Wein und Koriander (Gal. VI 636. Paul. Aeg. I 74) oder auch mit Zusatz von Pfeffer (Apic. 107) oder auf andere Weise (ebd. 108–112) angemacht; die rohen Stengel besonders mit Brühe von gesalzenen Fischen, Olivenöl und zerschnittenen Eiern, gekochte mit Pfeffer, römischem Kümmel, der genannten Brühe und Öl (ebd. 106). Auch wurden die A. in Honigessig, Laserwurzel und römischem Kümmel eingemacht, damit sie an keinem Tage fehlten (Plin. XIX 153. Garg. Mart. 17). Der Genuss der gekochten Wurzel sollte den Trinkern den Appetit zum Trinken anregen (Col. X 236. Plin. XX 263. Garg. Mart. 17). Der Genuss der A. sollte den Magen stärken, das Kauen den Geruch des Mundes verbessern; der Saft der σκόλυμος genannten Art, wenn vor der Blüte ausgepresst, gegen das Schwinden der Kopfhaare nützlich sein (vgl. Marc. Emp 6, 10), nach Glaukias der Genuss der A. männliche Geburten bewirken (Plin. u. Garg. ebd.). Von Natur sollte sie beissend und etwas herbe (Garg. ebd.) sein und wegen ihres schlechten Saftes, besonders wenn sie schon hart geworden, lieber nur in gekochtem Zustande genossen werden (Gal. VI 636. Orib. I 79).
[Olck.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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