.
Artifices. Unter dieser Bezeichnung sind ebenso die Handwerker (vgl. Opifices) als die bildenden und zeichnenden Künstler, Dichter, Musiker, Sänger und Schauspieler zu verstehen.
Treffend setzt Marquardt (Privatleben² 607) das Verhältnis von Kunst und Handwerk auseinander, wenn er sagt: ,im Altertum selbst wird die Kunst im engeren Sinne von dem Handwerke niemals streng unterschieden ... Doch geschah diese Identification von Kunst und Handwerk bei Griechen und Römern in wesentlich verschiedener Weise. Bei den Griechen ist jedes Handwerk eine Kunst; bei den Römern jede Kunst ein Handwerk‘. Beweis für die geringe Schätzung von Kunst und Künstlern bei den Römern sind die Worte des Vitruvius [1451] VI pr. 7, welcher den Unterschied zwischen dem Schuster- und Walkerhandwerk und der Baukunst nur in der grösseren Schwierigkeit der letzteren findet (itaque nemo artem ullam aliam conatur domi facere, uti sutrinam vell fullonicam aut ex ceteris quae sunt faciliores, nisi architecturam), des Seneca ep. 88, 18 (non enim adducor, ut in numerum liberalium artium pictores recipiam, non magis quam statuarios aut marmorarios aut ceteros luxuriae ministros. aeque luctatores et totam oleo ac luto constantem scientiam expello ex his studiis liberalibus: aut et unguentarios recipiam et coquos et ceteros voluptatibus nostris ingenia adcommodantes sua) und im Codex Theodosianus XII 4, 2, wo die architecti, pictores, sculptores, statuarii mit den gewöhnlichen Handwerkern auf eine Stufe gestellt werden; vgl. auch Petron. 88. Mangelhaft war das Kunstverständnis der Römer, welches nach der Überführung zahlreicher hervorragender Kunstwerke aller Art aus den eroberten griechischen Städten nach Rom erst im Laufe der Kaiserzeit allmählich geweckt wurde: durch seinen Mangel an Kunstsinn ist Mummius, der Eroberer von Korinth, bekannt (Plin. n. h. XXXV 24), der aber hierin nicht vereinzelt dasteht; den Gegensatz zu ihm bildet der jüngere Scipio (Vell. I 13); ja Cicero, der wirklich Kunstverständnis und Geschmack besass, scheut sich, es vor dem Volke merken zu lassen (z. B. Verr. IV 132. 134, auch IV 4. 5. 13. 94. II 87. 137f.; orat. 169; ad famil. VII 23, 2f. V 12, 7. Maignien Quid de signis tabulisque pictis senserit M. Tullius Cicero, Paris 1856. König De Cicerone in Verrinis artis operum aestimatore et iudice, Jever 1863); unvollkommen und unselbständig, nämlich aus griechischen Epigrammen entlehnt, sind die Kunsturteile des älteren Plinius, der trotzdem durch sein Hervorheben der Kunst- und Künstlergeschichte dem Interesse der gebildeten römischen Welt gedient hat (O. Jahn Kunsturteile des Plinius, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1850, 105ff. Benndorf De Anthologiae Graecae epigr. quae ad artes spectant, Bonn 1862. Schanz Gesch. d. röm. Litt. I 455f.). Es wurde zwar Mode in den Häusern und Villen kostbare Kunstsammlungen anzulegen, wobei die Sammler nicht selten von Künstlern und Kunsthändlern durch Copien oder eigene Werke mit fälschlich beigelegten Namen berühmter Künstler getäuscht wurden (Phaedr. V praef. 4ff.: ut quidam artifices nostro faciunt saeculo qui pretium operibus maius inveniunt, novo si marmori adscripserunt Praxitelen, suo trito Myronem argento, tabulae Zeuxidem. Stat. silv. IV 6, 22; vgl. Friedländer Sittengesch. III⁵ 273, 3. 4. Becker-Göll Gallus III 61f.); aber für den Kunstsinn der Römer beweisen diese Anhäufungen von Kunstwerken, die hauptsächlich durch Sammelwut und Prachtliebe veranlasst wurden, nichts, ebensowenig wie die Schaustellung der zahlreichen, zumeist erbeuteten Kunstgegenstände an öffentlichen Orten (vgl. z. B. Cic. Verr. I 49. IV 5ff. 35f. 120; Tusc. disp. V 102. Liv. XXV 40. XXXIV 52. XXXIX 5. Plin. n. h. XXXIII 149. XXXIV 36f. XXXV 26. 127. XXXVI 5. 101ff. XXXVII 11ff. Plut. Luc. 20. 39. Hor. ep. I 6, 17f. II 2, 180ff.; sat. II 3, 64. Iuv. sat. III 215ff. VIII 100ff. Stat. silv. I 3, 50ff. II 2, 63. Sen. ep. [1452] 115, 8ff.). Deshalb und bei der hervorragend auf das Praktische gerichteten Sinnesart dieses Volkes (vgl. die bekannten Worte des Vergil Aen. VI 847ff., in denen er die Beschäftigung mit der Kunst und Astronomie andern Völkern zuweist: tu regere imperio populos, Romane, memento — haec tibi erunt artes — pacique imponere morem, parcere subiectis et debellare superbos), darf man sich nicht wundern, dass in den Augen der Römer die bildenden Künste, überhaupt alle diejenigen, welche nicht im unmittelbaren Dienste der realen Lebensinteressen standen, leviores oder mediocres artes (Cic. Brut. 3; de orat. I 6), leviora oder minora studia (de orat. I 212; Cat. maior 50; Brut. 70), volgares et sordidae artes (Cic. off. I 150. Sen. ep. 88, 21) waren, im Gegensatz zu den optima studia (Cic. orat 5), maximae artes (de orat. I 6; de fin. II 115), artes liberales oder liberae (Marquardt Privatleben² 115), d. h. besonders zu der litterarischen und rhetorischen Bildung (Quint. II 17, 1f.) und zu der am höchsten geschätzten, weil unmittelbar im Dienste des Gemeinwesens stehenden staatsmännischen Thätigkeit (Voigt im Handb. d. klass. Altertumswiss. IV 2, 378ff,); naturgemäss brachte denn auch die Beschäftigung mit diesen Künsten keine hohe Ehre ein. Selten wurden die Künste von vornehmen Römern ausgeübt (Val. Max. VIII 14, 6. Plin. n. h. XXXV 19f.), meistens wurden sie betrieben von Fremden, Griechen und Halbgriechen, und die einheimischen Künstler befanden sich grösstenteils als Sclaven und Freigelassene in untergeordneter Lebensstellung. Doch macht sich in der Wertschätzung der Künste bei den Römern insofern ein Unterschied bemerkbar, als die Plastik fast ausschliesslich von Fremden ausgeübt wurde, die Malerei in weiterem Umfange römische Hände beschäftigte, die Architektur aber, weil sie nicht blos den grossen Zwecken des Staates wirksam dienen, sondern auch allein den Weltherrschaftsgedanken zum Ausdruck bringen konnte, als eine fachwissenschaftliche Disciplin den artes liberales beigezählt und als eine würdige Aufgabe für einen römischen Bürger angesehen wurde (Cic. de off. I 151. Frontin. de aquis 16).
Der nachteilige Einfluss der Zurückhaltung des nationalen Elementes auf die Kunst ist bekannt; für die nationale Baukunst ist in Erfüllung gegangen, was Cicero für die Malerei und Bildhauerkunst andeutet (Tusc. disp. I 4): an censemus, si Fabio, nobilissimo homini, laudi datum esset, quod pingeret, non multos etiam apud nos futuros Polyclitos et Parrhasios fuisse? Honos alit artes, omnesque incenduntur ad studia gloria, iacentque ea semper, quae apud quosque improbentur (Petron. 88: noli ergo mirari, si pictura defecit, cum omnibus diis hominibusque formosior videatur massa auri, quam quicquid Apelles Phidiasque, Graeculi delirantes, fecerunt). Über Namen von Künstlern vgl. Plin. n. h. XXXIV (Erzgiesser). XXXV (Maler). XXXVI (Bildhauer); vgl. Sillig Catalogus artificum. Lpzg. 1827. CIL VI 9786ff. 10038ff. Hirschfeld Tituli statuariorum sculptorumque 186ff. E. Loewy Inschriften griech. Bildhauer, Leipz. 1885. Brunn Gesch. der griech. Künstl. I² 369ff. 420f. II 203ff. 227ff. Marquardt Privatleben² 613, 5. 614, 3. 616, 3.
Bei weitem die Mehrzahl der römischen a. [1453] gehörten dem Stande der Kunsthandwerker an und waren teils Sclaven (Cic. Verr. IV 54), teils Freigelassene, teils Freie der niedrigsten Klasse. Ihre Aufgabe war Ornamentik und Decoration der öffentlichen Baulichkeiten und der privaten Anlagen, Verfertigung von Schmuckgegenständen und Gerätschaften aller Art, und auf diesem Boden erreichte das Kunsthandwerk einen bedeutenden Umfang, einen hohen Grad der Vollendung, der aus der engen Verbindung von Kunst und Handwerk im Altertum und aus einem weiter als in der modernen Zeit verbreiteten Bedürfnis leicht verständlich wird. Die technische Fertigkeit der a. bildete sich aus in der Nachahmung griechischer Muster — ,bis in die bescheidensten Werkstätten der Töpfer, Steinmetzen, Zimmermaler reichte die Wirkung des Geistes der Phidias und Polyclet, der Praxiteles und Apelles‘ sagt Friedländer Sittengesch. III⁵ 255f. —, nicht blos in mechanischem Wiederholen, sondern in innerlichem Aufnehmen, Anpassen und Fortentwickeln fremder Vorlagen. Man betrachte die zahllosen vasa aller Art, Bronzen, Schmuckstücke, die Formen der Tische, Stühle, Dreifüsse, Kandelaber, überhaupt des Hausgerätes im weiteren Sinne, die Waffen, die decorative Wandmalerei u. s. w., so bemerkt man durchaus eine tüchtige Technik, gepaart mit geschmackvoller Zeichnung, meist liebliche und überaus reizende Formen, alles solid und praktisch (Becker-Göll Gallus II 213ff. 329ff.).
Diese Kunsthandwerker, deren Thätigkeit in der Regel ganz fabrikmässig war, trieben ihr Gewerbe meist in eingeschränkter d. h. nur gewisse Gegenstände oder einzelne Arten der Arbeit umfassender Weise und brachten es durch diese Arbeitsteilung um so weiter in ihrer engen Branche. Auf Gefässen, Geräten u. s. w. findet sich oft der Name des Künstlers oder Fabrikanten, gewöhnlich mit einem Stempel eingeprägt, CIL X 8067ff. XIV p. 4. Sen. dial. IX 1, 7. XII 11, 3. Herm. III 478. Ritschl De fictilibus litteratis Latinorum antiquissimis quaestiones grammaticae, Berolini 1853. Fröhner Inscriptiones terrae coctae vasorum, Gottingae 1858. Durch diese Inschriften ist eine grosse Menge von Bezeichnungen für die verschiedenen Arten der Kunsthandwerker erhalten — dies ein deutlicher Beweis für die Vielseitigkeit des Kunstgewerbes —, man vgl. vor allem die Indices der Bände des CIL, der Eph. epigr., Orelli-Henzen, Wilmanns unter dem Titel: Artes et officia. CIL VI 9106ff. (Ind. zu VI 2 p. VI). Jahn Über Darstellungen des Handwerks u. Handelsverkehrs, Abhdlg. d. sächs. Ges. d. Wiss. V 265ff. Boissieu Inscriptions antiques de Lyon (1846/54) 422ff. Marquardt Privatleb.² 157, 1.
Über a. im besonderen vgl. CIL I p. 388f. Kal. Mart. 19 (artificum dies = Quinquatrus). III 3136 artificibus Minervae. V 5930 (qui in arte sua quod fecit male, quis melius? quod bene, non alius). VI 9896 artifex signarius. 9927 artifex artis tessalarie lusori (= tessellariae lusoriae). 10091 = CIG 5922 (= a. scaenici). 10114 histriones et omnes scaenici artifices (Cic. pro Arch. 10). VIII 656 artifex honestus (Appul. de mag. 61: artifex, vir inter suos et arte laudatus et moribus comprobatus). 9314 [1454] (christl.). IX 1724 (omnium artificiorum studiosissimus). 5563. 1719 tibicen artifex organorum. X 3479 optio factionis artificum (bei der Flottenabteilung zu Misenum). XII 722 quem magne artifices semper dixsere magistrum des corpus fabrum tignuariorum in Arelate. 5336 praebuit artificibus mercedem (für einen kirchlichen Bau). 5687 (vgl. p. 943). 5811 a. = fabri navales. Eph. epigr. III ad p. 167, 42 a. = tonsor. Suet. Nero 20. Sen. de benef. VII 20, 3 artifices scenae; epist. 11, 7 artifices scenici u. ö. Ruggiero Diz. epigr. I 681.
Litteratur: Friedländer Sittengesch.⁵ I 264ff. II 168ff. III 155ff., bes. 261ff.; Über den Kunstsinn der Römer in der Kaiserzeit 1852. Als Gegenschrift: K. Fr. Herrmann Über den Kunstsinn der Römer 1855. Marquardt Privatleben² 607ff. Daremberg et Saglio Dictionnaire I 446ff. O. Müller Handb. d. Archäol. d. Kunst 198ff. Mommsen Röm. Gesch. I 228ff. 472ff. 926ff. II 428ff. III 627ff.
[Habel.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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