.
1) Die Sage von der schönen Tochter des Minos und der Pasiphae (oder Krete nach Asklepiades bei Apollod. III 1, 2, 4), die von Theseus verlassen wurde, war seit der homerischen Spätzeit im ganzen Altertum beliebt. Simonides hat die Fahrt des Theseus nach Kreta behandelt (frg. 54–56 Bgk., vgl. auch Sappho und Bakchylides bei Serv. Aen. VI 21); Hellanikos (frg. 73), Pherekydes (frg. 106) und Philochoros (frg. 40f.) berichteten ausführlich von ihr, obgleich Schol. Od. XI 322 wohl nicht mehr in seinem ganzen Umfange für Pherekydes in Anspruch genommen werden darf (Pallat De fab. Ar. 27ff., anders Wagner Apollod. ep. Vatic. 128f.). Sie war der Gegenstand des euripideischen Theseus, und auch in desselben Dichters Kretern spielte wahrscheinlich A. eine Rolle (Welcker Gr. Tr. II 733ff. 801ff. Robert Herm. XV 483; Arch. Jahrb. IV Anz. 142. Pallat 60f. Körte Hist. u. arch. Aufs. E. Curtius gewidm. 197ff.). Leider sind wir über den Verlauf beider Dramen nur unvollkommen unterrichtet und wissen somit nicht, inwieweit die spätere Auffassung der A. von Euripides beeinflusst war. Sogar zu sinnlich reizenden Ballets musste sie schon zu Xenophons Zeiten den Stoff hergeben (conviv. 9). Die verlassene A. wurde dann eine Lieblingsgestalt der alexandrinisch-römischen Dichtung und Kunst, und noch zu Philostratos Zeit erzählten die Ammen den Kindern ihre rührende Geschichte (Im. I 15).
Die älteste litterarisch überlieferte Gestalt der [804] Sage finden wir in der rätselhaften Homerstelle, die uns der Frauenkatalog der Nekyia in doppelter Fassung erhalten hat, und die wir mit Bergk (vgl. Pallat 15) nicht als attische Interpolation betrachten (Od. XI 321ff. mit Schol. und Schol. Apoll. Rhod. III 997). Theseus wollte Α., die Tochter des verderblichen Minos, nach Athen führen (heiraten), kam aber nicht zum Ziele, da sie Artemis vorher tötete (zurückhielt ἔσχε) auf der Insel Dia nach dem Zeugnis des Dionysos. Der Zusatz Δίῃ ἐν ἀμφιρύτῃ Διονύσου μαρτυρίῃσιν gilt aus verschiedenen Gründen als Interpolation. Unter Dia verstanden die Erklärer eine kleine Insel bei Knossos (Schol. und Eustath. z. d. St., vgl. Steph. Byz. s. Δία; dagegen Schol. Theokr. 2, 45). Hier ist die Untreue des Theseus ebenso ausgeschlossen, wie die Erhebung der A. zur Gattin des Dionysos. Wohl aber nimmt Ρreller ein vorausgegangenes Verhältnis des Dionysos zu A. an, welches ihn zum Zeugnis gegen die untreue Geliebte veranlasste (vgl. Sen. Phaedr. 760); denn dass A. mit Theseus im Heiligtum des Gottes sträflichen Umgang gepflogen habe, ist gewiss später erfunden, um die dunkle Stelle zu erklären (Schol. und Eustath. z. d. St.). Auf besondere Beziehungen der A. zu Artemis ist, wie Pallat hervorhebt, keineswegs aus ihrer Tötung durch die Göttin zu schliessen (Nitzsch Anm. z. Od. III 251ff. Ameis-Hentze Anh. z. Hom. Od. II 113. Preller Arch. Ztg. 1855, 11f.; Gr. Myth. I 559. Welcker Gr. Götterl. II 591ff. L. Schmidt Ann. d. Inst. 1859, 258ff. Gerhard Rh. Mus. XVIII 441ff. Pallat 15ff. 56). Wüssten wir, wie in den Kyprien (Prokl. Chrest.) Nestor dem Menelaos τὰ περὶ Θησέα καὶ Ἀριάδνην erzählt hat, so würde uns der Inhalt dieser Sage klarer sein (vgl. v. Wilamowitz Hom. Unt. 149).
Anders die in der späteren Zeit geläufige Gestalt der Sage: Als Theseus (s. d.) mit den zum zweiten (oder dritten) Male dem Minotauros aus Athen gesandten Opfern nach Kreta kam, entbrannte die Königstochter A. in Liebe zu dem schönen Fremdling. Nachdem dieser ihr geschworen hatte, sie als seine Gattin nach Athen zu führen, verschaffte sie ihm durch Vermittlung des Daidalos den Faden (über diesen vgl. Robert Arch. Jahrb. IV Anz. 143. Wulff Zur Theseussage 6f. 161ff.), der ihn nach Erlegung des Minotauros den Rückweg aus dem Labyrinth finden liess. Bei Nacht fuhren sie heimlich ab und landeten auf Dia, dem späteren Naxos. Dort liess Theseus A. zurück und fuhr allein weiter, vergass aber das weisse Segel, welches dem Aigeus die Rettung seines Sohnes verkündigen sollte, aufzuziehen, so dass Aigeus in seiner Verzweiflung den Tod suchte. Der trauernden A. aber erschien Dionysos und erhob sie zu seiner Gattin (Plut. Thes. 17–22 mit zahlreichen anderen Versionen. Diod. IV 61. Apollod. ep. 1, 7–10 ed. Wagn. Schol. und Eustath. zu Od. XI 322 und Il. XVIII 590. Nonn. narr. 363, 21 West. Hyg. fab. 41–43. Serv. Georg. I 222; Aen. VI 14. Schol. Stat. Theb. XII 676. Mythogr. Vatic. I 43. II 124; vgl. auch Apoll. Rhod. III 997ff. mit Schol. Theocr. 2, 45f. mit Schol. Verg. Aen. VI 28ff.). Die mannigfachen Angaben über die Veranlassung zur plötzlichen Abfahrt des Theseus laufen auf die Frage hinaus, ob er aus Treulosigkeit, oder [805] einer höheren Gewalt, dem Dionysos, weichend, von A. liess. Nach Hereas von Megara hatte Peisistratos einen Vers des Hesiod (oder Kerkops, Athen. XIII 557 a) tilgen lassen, nach welchem Theseus A. aus Liebe zu Aigle, der Tochter des Panopeus, verliess (Plut. 20, 2f., vgl. Pallat 21f.). Auf dieser Angabe fussend, hat man meist angenommen, dass erst von den Athenern, welche keinen Makel an der glänzenden Gestalt ihres Stammheros dulden wollten, die den Theseus entschuldigende Wendung der Sage erfunden worden sei, doch spricht schon die Homerstelle dagegen. Für die sentimentale Auffassung der späteren Dichtung bildet die Untreue des Theseus die notwendige Voraussetzung (vgl. Theokr. 2, 45f.). Andererseits findet sich vielfach die kurze Angabe, dass Dionysos dem Theseus A. geraubt habe (Apollod. Diod. aa. OO. Hyg. fab. 43. Paus. I 20, 3. X 29, 4. Athen. VII 296 a). An anderer Stelle berichtet Diodor (V 51, 4) ausführlicher, dass Dionysos dem Theseus im Traume befohlen habe, von A. zu lassen. Auf dem streng rf. Berliner Vasenbild nr. 2179 Furtw. (und dem pompeianischen Gemälde nr. 1217 Helbig), und somit wohl auch bei Pherekydes (s. o.) übernimmt Athene die Vermittlung, auf einem späteren Vasenbilde Hermes (Mon. d. Inst. XI 20, vgl. Serv. Georg. I 222 Ariadnen vel consulto, vel necessitate, vel monitu Mercurii a Theseo relictam). Daneben gab es mehrere völlig abweichende Berichte, darunter sogar zwei, nach denen sich Theseus friedlich mit Minos vertrug und A. zur Gattin erhielt (Philoch. bei Plut. 19, 4. Hyg. astr. II 5). Nach anderen erhängte sich A. aus Schmerz über den Verlust des Theseus, oder Schiffer brachten die (schon auf Kreta) Verlassene nach Naxos, wo sie den Dionysospriester Oinaros heiratete (Plut. 20, 1f.). Auf Naxos soll auch der Meergott Glaukos versucht haben, die Liebe der A. zu gewinnen, ehe Dionysos ihr nahte (Theolytos und Euanthes bei Athen. VII 296). Hygin. (fab. 255) zählt A. sogar unter den impiae auf, weil sie ihren Bruder (den Minotauros) und ihre Söhne (? wohl von Medea übertragen) getötet habe (vgl. Palaeph. 273, 4 West.).
In der alexandrinisch-römischen Periode treten zwei Momente der Sage in den Vordergrund, das Bild der verlassenen A. und die Versetzung ihrer Krone unter die Sterne. Die trostlose äussere Lage, noch mehr aber der tiefe Seelenschmerz des gequälten Weibes, das dem treulosen Geliebten alles geopfert hat und trotz gerechten Zornes doch nicht aufhören kann, ihm anzuhängen, endlich das plötzliche Erscheinen des Gottes, der die Trauer in Freude verwandelt, wurden mit den reichen Mitteln feinster Kleinmalerei ergreifend dargestellt (Cat. 64, 52–266. Ovid. Her. 10; ars am. I 527ff. III 35; met. VIII 176ff. Non. Dion. XLVII 265ff.). Alexandrinische Vorbilder sind gewiss vorauszusetzen, aber nicht nachzuweisen (Kallimachos? Riese Rh. Mus. XXI 498ff.; dagegen O. Schneider Callim. zu frg. 163). Dass die Krone der A. von Dionysos (oder den Göttern) unter die Gestirne aufgenommen worden sei, erwähnen (abgesehen von dem Pherekydesfragment) zuerst Arat und Apollonius Rhodius. Gewiss aber ist die Sage älter, wie meines Erachtens schon daraus hervorgeht, dass die Krone ausdrücklich als Erinnerungszeichen [806] an den Tod der A. erklärt wird (σῆμα ἀποιχομένης Ἀριάδνης Arat. 72. Nonn. Diod.). Diese Wendung der Sage kann in einer Zeit, wo A. längst als göttliche Gemahlin des Dionysos verehrt wurde, wohl von den nach entlegenen Mythen forschenden Alexandrinern wieder aufgenommen, aber nicht erst entstanden sein (Arat. Phaen. 71f. mit Schol. Germ. Avien. Phaen. 198. Apoll. Rhod. III 1002 und Schol. 997. Nonn. Dion. XLVII 700ff. u. ö. Diod. IV 61, 5. VI frg. 4. Schol. und Eustath. Od. XI 322. Nonn. narr. 363, 21 West. Eratosth. Catast. 5 p. 66ff. Rob. Hyg. astr. II 5f. 43. Serv. Georg. I 222. Mythogr. Vatic. II 124. Hor. carm. II 19, 13. Propert. IV 17, 7f. Ovid. fast. III 459ff.; met. VIII 177ff.; vgl. Preller Gr. Myth. I 560. Pallat 57ff.). Den von Hephaistos verfertigten Kranz zierten neun (indische) Edelsteine, nach Timachidas aber war er aus einer Theseion genannten Pflanze geflochten (Athen. XV 684 f; vgl. auch Ptol. Heph. 191, 20f. West.). Dionysos oder Aphrodite und die Horen gaben ihn der A. als Brautgeschenk. Nach anderen war es der Kranz, den Theseus aus dem Meere hervorgebracht hatte, um Minos seine Abstammung von Poseidon zu beweisen (Hyg. astr. II 5 nach Hegesianax? Robert Erat. Catast. 221; Arch. Jahrb. a. a. O. Wulff Zur Theseussage 186f.; vgl. Paus. I 17, 2f. über ein Gemälde des Mikon).
Dass Dionysos die blonde Α., die Tochter des Minos, der Zeus Unsterblichkeit verlieh, zu seiner Gattin erhob, berichtet zuerst Hesiod in einer freilich auch angezweifelten Stelle, theog. 947f. mit Schol. (vgl. Kanter De Ariadne 7. Pallat 36ff.). Ihre Einführung in den Himmel schildern eigentlich spätere Dichter (Propert. IV 17, 7f. Sen. Oedip. 488ff. Quint. Smyrn. IV 387ff.). Dagegen sucht Pallat nachzuweisen, dass die Verbindung des Dionysos mit Α., abgesehen von dem naxischen Kultus, sich erst im Anschlags an die Theseussage nicht vor Ende des 6. Jhdts. gebildet habe. Aber verschiedene Momente sprechen gegen diese Hypothese. Das Oschophorienfest in Athen wurde nach Demon (Plut. Thes. 23,4) dem Dionysos und der A. gefeiert, nach Proklos (Chrest. bei Phot. bibl. 322, 13ff. Bekk.) aber der Athene und dem Dionysos zum Danke dafür, dass sie auf Dia dem Theseus erschienen waren (offenbar um ihn von der Verbindung mit der Tochter des für Athen so verderblichen Minos abzuhalten). Da dies die attische Fassung der Sage im 5. Jbdt. war (s. o.), so muss die erste Erklärung, welche von dem Verhältnis des Theseus zu A. noch nichts weiss (Preller-Robert Gr. Myth. I 208, 1) die ältere sein, und es ist auch hier (vgl. Mannhardt Ant. W. u. Feldk. 215) ein ursprüngliches Naturfest später an ein Ereignis der sagenhaften Urgeschichte angeknüpft worden. Maas (Ind. lect. hib. Gryphisw. 1891/92) ist sogar geneigt, in der βασίλισσα, welche alljährlich bei der Anthesterienfeier in Athen mit Dionysos vermählt wurde, A. zu erblicken (dagegen Pallat 54). Auch die eigentümliche Verbindung des Dionysos und der A. in Argos muss wegen ihres historischen Kerns (Pallat 13f.) sehr alt sein. Dort befand sich im Tempel des kretischen Dionysos das Grab der Α., die als Begleiterin des Gottes in dessen Kampfe mit Perseus den Tod gefunden hatte (Paus. II [807] 23, 7f. Nonn. Dionys. XLVII 665ff., vielleicht nach Euphorion, vgl. Meineke Anal. Alex. 50ff.). Endlich berichtete eine kretische Überlieferung, dass Dionysos bereits in Kreta der A. genaht sei und sie durch das Geschenk der goldenen Krone, deren Leuchten nachmals dem Theseus den Ausweg aus dem Labyrinth zeigte, gewonnen habe (Ps.-Epimenid. bei Hyg. astr. II 5 = Schol. Germ. 61). Verbunden mit dem sicher alten Διόνυσος Κρήσιος in Argos legt auch diese Sage unbekannter Entstehungszeit Zeugnis für die schon von vornherein wahrscheinliche Verbindung beider Gottheiten auf Kreta ab, welche Pallat (50) leugnet. Der Hauptsitz ihres Kultes aber war Naxos. Bezeichnend ist es schon, dass der in der A.-Sage geläufige Name der Insel Dia den Thrakern, welche jedenfalls dort den Dionysosdienst eingeführt hatten, zugeschrieben wurde (Diod. V 51, 2). Hierher wurde vor allein die Vermählung des Gottes mit A. verlegt (ausführliche Angaben darüber Diod. V 51, 4); nur Apollodor (ep. 1, 10) nennt Lemnos, und infolge dessen Thoas als erstgeborenen Sohn. Die Naxier erzählten, es habe zwei Ariadnen gegeben; die ältere habe sich in Naxos mit Dionysos vermählt und den Staphylos nebst anderen Söhnen geboren, die jüngere sei von Theseus auf Naxos verlassen worden und daselbst gleich ihrer Amme Korkyna, deren Grab gezeigt wurde, gestorben (die θρόφος [sic] erscheint neben A. auf zwei sehr alten Vasenbildern Mon. d. Inst. IV 57. 59). Beide wurden von den Naxiern verehrt, aber in verschiedener Weise, die eine mit fröhlichen Spielen, die andere in Wehmut und Trauer (Plut. 20, 10f.).
Diese Kultgebräuche eröffnen uns zugleich den Einblick in das wirkliche Wesen der A. Sie war ursprünglich eine Natur- und Vegetationsgöttin, die keineswegs nur auf Naxos und Kreta verehrt wurde. Bezeugt ist ein Fest der A. in dem lokrischen Oinoe (Cert. Hom. et Hes. 225ff. Rz. Pallat 10ff.). Möglicherweise lassen sich hierfür auch die vereinzelten Spuren der A.-Sage auf anderen Inseln zurückführen, so auf Lemnos (s. o.), auf Chios, welches ihre Söhne Oinopion und Staphylos besiedelten (Ion bei Plut. 20, 4. Theopomp. bei Athen. I 26 c. Diod. V 79, 1), und auf Donusia bei Rhodos (Steph. Byz. s. Δονουσία; über Ikaros vgl. Ptol. Heph. 191. 17ff. West.). Das Schwanken der Minostochter zwischen Theseus und Dionysos, der Wechsel von Freude und tiefer Trauer bis zum Tode erklärt sich somit als sagengeschichtliche Verkörperung des von Anfang an in dem Wesen der Göttin ausgesprochenen Gegensatzes zwischen Erblühen, Reifen und Verwelken, zwischen Leben und Tod in der Natur. Eine Kora des naxischen Kultes nannte sie O. Müller (Handb. d. Arch. § 384, 3). Und während sich für Höcks Auffassung der kretischen Ἀριδήλα (vgl. Πασιφάη) als Mondgöttin kein in ihrem Wesen begründeter Anhalt ergiebt (Kreta II 144f., dagegen Engel Quaest. Nax. 40ff. 51), weist alles auf enge Verwandtschaft mit Aphrodite hin, in deren Adonisfesten derselbe Gegensatz zum Ausdruck kam (Preller Gr. Myth. I 559ff. Welcker Gr. Götterl. II 589ff. M. Mayer Arch. Ztg. XLII 279). Die Übertragung des uralten (nach Pausanias von Daidalos verfertigten) Aphroditebildes, d. h. des Dienstes dieser Göttin, von [808] Kreta nach Delos wird dem Theseus zugeschrieben (Kallim. Hymn. in Del. 307ff. mit Schol.); dieses Bild aber hatte A. dem Theseus gegeben (Plut. 21, 1. Paus. IX 40, 3f.), der somit, gleich Orestes, auf seinem Schiffe neben dem alten Idol die zur Heroine herabgesunkene Göttin selbst einer neuen Heimat zuführte (auch in Athen hatte nach Paus. I 22, 3 Theseus die Verehrung der Aphrodite Pandemos angeordnet). Zur Feier dieses Ereignisses und der Errettung aus dem Labyrinth führte Theseus in Delos mit den attischen Jünglingen und Jungfrauen einen eigenartigen Tanz (γέρανος nach Dikaiarch) auf, der noch in später Zeit auf Delos wiederholt wurde (Kallim. Plut. a. a. O.). Auf den Zusammenhang zwischen Aphrodite und Ἀριάγνη weist auch die gerade für Delos inschriftlich bezeugte Verehrung der Ἀφροδίτη ἅγνη hin (vgl. Pasiphae: Aphrodite Pasiphaessa; Preller-Robert Gr. Myth. I 373, 1f. 348, 3). Dass auch auf Kreta der Göttin Reigentänze aufgeführt wurden, beweist die älteste erhaltene Erwähnung der A. Il. XVIII 591f., wonach Daidalos in Knosos für A. einen χόρος (falsch erklärt von Paus. a. a. O.) ausführte (ἤσκησε); Pallat 1ff. Über Naxos s. o. und Weizsäcker Rh. Mus. XXXIII 380. Am deutlichten aber tritt uns die Verbindung beider Göttinnen in der Heimat der Aphrodite entgegen. In Amathus auf Kypros wurde Ἀριάδνη Ἀφροδίτη mit seltsamen Bräuchen gefeiert, die man später ebenfalls in Verbindung mit Theseus brachte. Dieser hatte in Amathus die schwangere und seekranke A. ans Land gesetzt. Einheimische Frauen nahmen sich ihrer an, aber sie starb, ohne zu gebären, und wurde im Haine der Göttin bestattet. Theseus stellte dann zu ihrem Andenken zwei kleine Bildsäulen aus Silber und Erz auf und stiftete ein Opferfest, bei dessen Feier im Sommer ein Jüngling sich wie ein in Geburtswehen liegendes Weib gebärdete (Paion v. Amathus bei Plut. 20, 5ff.; vgl. Engel Kypros II 656ff.). In diesem wunderlichen Brauch haben wir ohne Zweifel einen Hinweis auf die rätselhafte Sitte des Männerkindbetts zu erblicken, die bereits dem Altertum nicht ganz fremd war (vgl. über die Corsen Diod. V 14, über die Iberer Strab. III 165, über die skythischen Tibarener Apoll. Rhod. II 1011ff. Nymphodor. im Schol. z. d. St. Val. Flacc. Arg. V 148ff.), und deren Spuren sich durch zahlreiche Völker (z. Β. die Basken und die Caraiben Südamerikas) verfolgen lassen, die in keinerlei ethnographischem Zusammenhang mit einander stehen (vgl. Ploss das Kind in Brauch und Sitte der Völker 125ff.).
Als Gattin des Dionysos (Eurip. Hipp. 339) wurde Α., wie dieser selbst, zur besonderen Gottheit des Weines umgewandelt. Als solche erscheint sie neben ihm, wie erwähnt, bei der Feier der Oschophorien zur Zeit der Weinlese in Athen, welche in einer Procession edler Jünglinge (teilweise angeblich in Weiberkleidern) mit traubenbeladenen Reben bestand. Aber auch dieses Freudenfest war mit Trauergebräuchen verbunden, die man auf den Tod des Aigeus bei der Rückkehr des Theseus zurückführte (Plut. 22f. Prokl. a. a. O. Mommsen Heortol. 271ff. Mannhardt Ant. W. u. Feldk. 217ff. Preller-Robert Gr. Myth. I 207f. Pallat 35f. 53ff.). Die Beziehungen [809] zum Weinbau und seiner Verbreitung sprechen sich auch deutlich in den Namen der Kinder, die beiden zugeschrieben wurden, aus (vgl. Ρallat 51f.). Schol. Apoll. Rhod. III 997 (vgl. Schol. Arat. Phaen. 636) nennt Oinopion Thoas Staphylos Latramys Euanthes Tauropolis, Apollodor (ep. 1, 10) Thoas Staphylos Oinopion Parethos (Peparethos Bücheler, vgl. Bursian Geogr. v. Griechenl. II 387). Doch bezeichnet Ion (Plut. 20, 4) die chiischen Heroen Oinopion und Staphylos als Söhne des Theseus und der Α., wie andererseits die Söhne der Phaidra Demophon und Akamas der A. zugeteilt werden (Schol. QV Hom. Od. XI 321). Ferner Keramos, der angebliche Eponyme des athenischen Kerameikos (Paus. I 3, 1), die Argonauten Phlius (Phliasos, Phlias) und Eumedon, Hyg. fab. 14 (während Phlius bei Schol. Apoll. Rhod. I 115 und Steph. Byz. Sohn des Dionysos und der Chthonophyle heisst), endlich Enyeus, der mit Kretern die Stadt Skyros gründete (Schol. Il. IX 668). Besonderes Ansehen genoss A. in Alexandreia, wo Ptolemaios Philopator zwei Phylen der Stadt nach ihr und ihrem Sohne Maron benannte (Satyros bei Theophil. ad Autolyc. II 7, FHG III 165; vgl. Meineke Anal. Alex. 345ff.). In Italien wurde A. allgemein als Weingöttin unter dem Namen Libera (s. d.) verehrt (Hyg. fab. 224. Ovid. fast. III 512).
Hand in Hand mit der Beliebtheit der A.-Sage in der Dichtung geht ihre häufige Darstellung durch die Kunst. Alle Scenen von der Übergabe des Knäuels an Theseus (Pompej. Wandgem. nr. 1211 f. Helbig) bis zum Erscheinen des Dionysos (vereinigt auf dem Salzburger Mosaik Creuzer Symbolik Taf. 55) behandelte O. Jahn Arch. Beitr. 251–299 (vgl. auch Stark Sächs. Ber. 1860, 22ff. Baumeister Denkmäler I 124ff. 440ff. O. Wulff Zur Theseussage, Dorpat 1892). Beim Kampf des Theseus mit Minotauros erscheint A. neben Minos, anfangs als Helferin mit dem Knäuel in der Hand, dann als teilnehmende Zuschauerin (Stephani D. Kampf d. Thes. u. Minot. Wulff 1ff.). Den ältesten Typus hat Furtwängler auf einigen archaischen Kleinreliefs erkannt (Arch. Ztg. XLII 106f.). Besonders bemerkenswert ist die sehr altertümliche Vase des Glaukytes und Archikles (München nr. 333, abgeb. Mon. d. Inst. IV 59). Mit Theseus vereinigt war sie auf dem Kypseloskasten dargestellt (Paus. V 19, 1. Welcker Gr. Götterl. II 594. Pallat 7f.). Mit dem Festreigen der geretteten Opfer wird sie in Verbindung gesetzt auf der Françoisvase (Mon. d. Inst. IV 57. Weizsäcker Rh. Mus. XXXIII 376. Wulff 182f.). Auf die Tötung der A. durch Artemis hat man zwei etruskische Spiegel bezogen, auf denen Artemis mit einem Mädchen (Evia) auf dem Arme in Gegenwart von Dionysos und Athene erscheint (Gerhard Etrusk. Spieg. Taf. 87. 305). Auch war in Polygnots Unterweltsbilde A. auf einem Felsen sitzend neben Phaidra dargestellt (Paus. X 29, 3). Die Entführung der A. durch Dionysos vergegenwärtigte ein Gemälde im Dionysostempel zu Athen (Paus. I 20, 3; vgl. auch Long. IV 3). Auf der streng rf. Hydria (Berlin 2179, abgeb. Gerhard Etr. u. kamp. Vasenb. 5f.) umfasst der bärtige Dionysos Α., während Theseus [810] von Athene weggewiesen wird. Auf der schönen rf. Cornetaner Schale geleitet Hermes den Helden von der unter einer Weinlaube schlummernden Α., über die Eros einen Kranz hält, fort (Mon. d. Inst. XI 20). Die verlassene Α., die sonst auf Vasenbildern selten vorkommt (z. Β. Mon. d. Inst. X 51), wurde später zu einem Lieblingsgegenstande der Kunst in allen ihren Zweigen. In Betracht kommt zunächst die Dresdener Colossalstatue einer auf einem Felsen sitzenden Frauengestalt, die den Kopf bekümmert in die Rechte stützt. Sie wurde auf Grund der Übereinstimmung mit dem Salzburger Mosaik meist als Darstellung der trauernden A. erklärt (abgeb. Augusteum 17; Wiederholungen bei Jahn a. a. O. 182. Friederichs-Wolters Bausteine nr. 1576; neue Zweifel an der Richtigkeit der Deutung äussert Furtwängler Ann. d. Inst. 1878, 102, vgl. Mon. d. Inst. VI 18). Die in unruhigen Träumen (vgl. dagegen Nonn. Dionys. XLVII 320ff.) schlummernde A. zeigen die berühmten Colossalstatuen im Vatican und in Madrid (Baumeister Denkm. I 125. Friederichs-Wolters nr. 1572f. Helbig Führer durch d. Samml. d. klass. Altert. in Rom nr. 212, vgl. Anth. Pal. XVI 145f. Propert. I 3, 1f.). Die von Jacobs angestellte Vergleichung mit einer Münze von Perinthos (abgeb. Baumeister I 126), wo vor dieser liegenden Gestalt Dionysos erscheint, weist auf eine bedeutende Gruppe als Original hin (vgl. Endymion und Selene), die man sich wohl als Gemälde zu denken hat, umso mehr als dazu die Beschreibung eines Bildes bei Philostratos stimmt (Im. I 15), vielleicht auch die des erwähnten Gemäldes in Athen: Ἀριάδνη καθεύδουσα καὶ Θησεὺς ἀναγόμενος καὶ Διόνυσος ἥκων εἰς τὴν Ἀριάδνης ἁρπαγήν (vgl. Helbig a. a. O.). Jedenfalls gehen auf dieses berühmte Original die zahlreichen anderen Darstellungen zurück, von denen besonders die pompeianischen Wandbilder, der Dichtung entsprechend, alle Momente von der Abfahrt des Theseus bis zur Ankunft des Dionysos vergegenwärtigen (Helbig Campan. Wandgem. nr. 1216–1240). Abgesehen von einigen Reliefs, Mosaiken und Gemmen findet sich diese Gestalt der schlafenden A. nicht selten auf Sarkophagen, wo sie somit, den Künstlern unbewusst, sich ihrer ursprünglichen mythologischen Bedeutung wieder nähert (aufgezählt von Stark a. a. O. 26f.; vgl. auch M. Mayer Arch. Ztg. XLII 272ff.). Endlich hat die Hineinziehung der A. in den Kreis des Dionysos, die nach Pallat (47ff.) in der älteren Vasenmalerei fehlt, der späteren Kunst dankbare Stoffe geliefert, sei es dass der rauschende Hochzeitszug oder dass die Liebesvereinigung (vgl. Apoll. Rhod. IV 423ff.) des Paares dargestellt ist (vgl. unter Dionysos und Thrämer in Roschers Myth. Lex. I 1147f.).
Eingehende Behandlung hat die Sage von Α. gefunden bei O. Jahn Arch. Beitr. 251–299. H. Kanter De Ariadne, quae et Bacchi et Thesei fertur coniux, Vratisl. 1879. L. Pallat De fabula Ariadnaea, Berol. 1891.
[Wagner.]
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