ART

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19) Der von Hera zur Bewachung der in eine Kuh verwandelten Io (s. d.) eingesetzte Wächter, sehr verschieden genealogisch eingereiht: als erdgeboren bezeichnen ihn Aischylos (Prom. 567. 677; Hik. 293) und Akusilaos (frg. 17. Apollod. II 1, 3, 3), vgl. auch Nonn. XX 84; gewöhnlich wird ihm eine Stelle im Geschlecht des Inachos angewiesen, so dass er als Verwandter der Io erscheint (Bruder ihrer Mutter heisst er ohne nähere Bezeichnung Mythogr. graec. 324, 15 West.): er ist dann entweder Sohn des Inachos selbst (Asklep. frg. 17), oder des Agenor (Apollod. II 1, 2, 2 aus Hesiods Katalogen, vgl. Maass De Aesch. Suppl. comm., Ind. Gryph. 1890–91. XXXII und oben Bd. I S. 773f.), oder des Argos Nr. 18 und der Asopostochter Ismene (Aigimios frg. 5 K.), meistens jedoch des Arestor (Pherek. frg. 22. Ovid. met. I 624f.) und der Inachostochter Mykene (Ehoien frg. 156 K. = Paus. II 16, 4 und Schol. Od. II 120, dessen Zugehörigkeit wegen des Zusatzes ἐν τῷ κύκλῳ von Kinkel 59, 1 nicht erkannt ist); statt Arestor nennt wohl nur aus Versehen einen Aristokles als Vater der Mythogr. Vat. II 5; Argus und Arestorides nennt Söhne des Piranthus Hyg. fab. 145.

Übereinstimmend wird A. als eifriger und scharfblickender Wächter geschildert, dem nichts entgeht, und der durch eine Vielheit von Augen besonders zu seinem Amte befähigt ist. Die Zahl und Stelle seiner Augen wird sehr verschieden angegeben; nach Pherek. frg. 22 (Schol. Eur. Phoin. 1116) hatte er deren drei, von denen eins am Hinterkopf stand; τέτρασιν ὀφθαλμοῖσιν ὁρώμενος ἔνθα καὶ ἔνθα ist er im Aigimios (frg. 5 K.); viele Augen geben ihm Aisch. Prom. 678f. Eur. frg. 1063 N.² Luk. deor. dial. 3. Kaibel Epigr. 1032; viele Augen um den Kopf Valer. Flacc. IV 346ff. Macrob. Sat. I 19, 12; hundert Augen um den Kopf Ovid. met. I 624ff. Mythogr. Vatic. I 1, 18; Augen am ganzen Körper Apollod. II 1. 2, 2. Schol. A Il. II 103. Hyg. fab. 145. Dionys. Kykl. frg. 1 (Schol. Eur. Phoin. 1116). Luk. deor. dial. XX 8; quom. hist. conscr. 10. Nonn. Dion. XIII 26. Etym. M. s. Ἀργειφόντης. Herakleitos alleg. Hom. 37 (Mythogr. 319, 29 West.), vgl. auch Plaut. Aul. III 6, 19 (daher ποικίλος Nonn. III 269); unzählige Augen (μυριωπός Aisch. Prom. 569; so stellte man sich im 5. Jhdt. in Athen den A. vor, denn Kratinos liess in seiner Komödie Πανόπται (Com. Att. frg. I 40ff. Kock) den Chor zweiköpfig und mit unzähligen Augen bedeckt auftreten (frg. 153; die Zweiköpfigkeit auch auf Vasenbildern, s. u.; auch im Satyrspiel Inachos des Sophokles [frg. 259 N.²] trat A. auf). Eine Deutung spielt schon hinein, wenn A. als stellatus (Nemes. Cyneg. 31) bezeichnet wird, ebenso wenn die Augen ἀπλανέες (Nonn. III 269) heissen; dass bereits Euripides (Phoin. 1116f.) die Auffassung der Augen als Sterne vorgetragen habe, ist unrichtig, denn mit Recht hat bereits Valckenaer [792] (Ausgabe d. Phoin., Franecker 1755, 392) v. 1116f. zweifelnd, v. 1118 mit Bestimmtheit als Interpolation bezeichnet: auf dem Schilde des Hippomedon kann der dargestellte A. die Augen nicht bald geöffnet, bald geschlossen haben, 1116f. ist also interpoliert aus einer späteren Auffassung des A. heraus, 1118 (ὡς ὕστερον θανόντος εἰςορᾶν παρῆν) rührt von einer zweiten Interpolation her, die wirklich eine Mechanik an dem Schilde annahm, und zu erklären versuchte, wie der Bote davon berichten kann. Dass die Augen des A. abwechselnd schlafen, findet sich auch sonst vereinzelt (Quint. Smyrn. X 191f.); je zwei Augen schlafen immer, während die übrigen wachen, nach Ovid. met. I 624ff. Im allgemeinen gelten die Augen als schlaflos (Pherek. frg. 22. Aigimios frg. 5. Mosch. II 57. Lukian. dial. deor. 3. Nonn III 208. VII 58. Anon. Mythogr. 324, 15 West. u. s.). Die unentrinnbare Wachsamkeit des A. ist geradezu sprichwörtlich geworden (Plaut. a. a. O. Prop. I 3. 19f. Luk. dial. deor. XX 8; quom. hist. conscr. 10. Themist. or. VII 92. Mythogr. gr. 319, 29 West. Nonn. I 341ff. VIII 57ff. u. s.).

A. als βουκόλος Ἥρης (Nonn. I 343. XII 70) bindet Io an einen Ölbaum (Apollod. II 1, 3, 4), den man bei Argos den Fremden zu zeigen pflegte (Plin. n. h. XVI 239). Der Ort, wo er die Iokuh hütete, wird verschieden angegeben: Mykenai nannten die Kataloge (Apollod. II 1, 3, 4, vgl. Maass Ind. Gryph. 1890–91, XXVI); Lerna Aisch. Prom. 677; in Argos spielt die Sage bei Aisch. Hik. 300ff.; in Nemea Luk. dial. deor. 3. Etym. M. s. Ἀφέσιος; in Euboia bereits im Aigimios (frg. 3 = Steph. Byz. s. Ἀβαντίς, vgl. Etym. M. s. Εὔβοια. Strab. X 445. M. Mayer Gig. u. Tit. 115. Maass a. a. O. XXIff.). Nach der Sage wird darauf Hermes geschickt, die Kuh zu stehlen (Hes. Katal. bei Apollod. II 1, 3, 4. Schol. A Il. II 103. Etym. M. s. Ἀργειφόντης); nach der älteren Version (der Kataloge) tötet er den A. durch Steinwürfe; auf welche Weise die Tötung im Aigimios (frg. 6 K.) geschah, ist nicht ersichtlich, ebenso wie Aisch. Hik. 305; Prom. 680f. über die Todesart nichts Bestimmtes sagt; nach der später allgemein verbreiteten Anschauung (Ovid. met. I 677ff. Val. Fl. IV 384ff., vgl. u. die Wandgemälde) schläfert Hermes die Augen des A. zuerst durch Blasen der Syrinx und mit seiner Zauberrute ein und tötet A. im Schlafe (mit der Harpe, Ovid. met. I 717. Val. Fl. IV 384ff.; er gräbt ihm die Augen mit der Harpe aus, Mythogr. Vat. III 9. 3); ebenso ist wohl auch Nonn. XIII 25ff. zu verstehen, wo er ihn ‚mit der ῥάβδος‘ tötet. Einem Gifttrank scheint A. zu erliegen nach einem von Pernice (Athen. Mitt. XVIII 1893, 12) publicierten argivischen Grabepigramm (mit der Ergänzung von Maass Comm. Myth. II, Ind. Gryph. 1894, XIIf.); zu erwähnen wäre noch, dass nach Tzetz. Lyk. 836 Ἰὼ τὸν Ἄργον νικήσασα in Iope wieder Mensch wird. Der Oistros (s. d.). der nach A.s Tode die Io verfolgt, wird bei Aisch. Prom. 577 als Eidolon des A. aufgefasst. Die gewöhnliche Sage lässt A. nach seinem Tode von Hera in den Pfau, ihr Attribut, verwandelt werden (Martial. XIV 85. Nonn. XII 70f. Schol. Ar. Vög. 102. Mythogr. Vat. I 1, 18. II 5); aus seinem Blute entsteht der Pfau bei Mosch. II 58ff.; Hera setzt die Augen des getöteten A. in den Schweif des [793] Pfauen, Ovid. met. I 722f. Über die Auffassung des A. als Hund s. u. Nr. 27.

In der Kunst finden wir A. nicht selten dargestellt (vgl. Panofka Argos Panoptes, Abh. Akad. Berl. 1837. R. Schöne Ann. d. Inst. 1865, 150. Engelmann De Ione. Diss. Hal. 1868. Overbeck K.-M. Zeus 466ff. Engelmann Roschers Lex. II 272ff.). Ob am amyklaeischen Thron, wo nach Paus. III 18, 13 Io als Kuh und Hera sie betrachtend dargestellt war, auch A. als Hüter der Kuh anwesend war, lässt sich nicht entscheiden. Dagegen finden wir ihn bereits auf archaischen Vasenbildern: 1) ältestes Monument eine sf. chalkidische Amphora in München 573 (beste Abb. Wiener Vorlegebl. 1890–91 Taf. XII 1 a. b), wo Overbeck noch an eine Parodie denken kann! Der riesenhafte A. (ausser den menschlichen Augen erkennt man, dass er zwei Augen auf der Brust haben soll) mit abschreckend hässlicher Gesichtsbildung und einem Horn auf der Stirn, sitzt hier nackt nach links auf dem Boden und hält die weiter links vor einer Palme nach links stehende Iokuh mittels eines an ihre Hörner gebundenen Strickes fest. Von links naht Hermes, sich scheu und heimlich duckend, und bemüht sich, unbemerkt die Schlinge an den Hörnern zu lösen; er will also die Kuh stehlen, und der neben ihm tänzelnde Hirtenhund scheint dem Gotte pflichtvergessen zu schmeicheln. An eine Tötung des A. kann hier nicht gedacht werden, da sowohl A. wie Hermes waffenlos sind. Der Tod des A. ist dagegen bereits auf der zweiten archaischen Vase, die den A. zeigt, dargestellt. 2) einer sf. attischen Amphora aus Bomarzo, die früher in Rom dem Kunsthändler Basseggio gehörte (abg. Rev. arch. III 1846, 310). Argos ist zwar auch hier waffenlos (er trägt ein Fell, und hat ianusartig zwei bärtige Gesichter – ὁρώμενος ἔνθα καὶ ἔνθα), aber Ηερμες führt das Schwert, mit dem er ihn angreift, dabei steht die Iokuh und Ηερας. Unter den streng-rf. Vasen gebührt die erste Stelle 3) dem Stamnos des Österr. Mus. 338 (nicht, wie Engelmann Roschers Lex. II 276 glaubt, in London; abg. Ann. d. Inst. 1865 tav. I K. Wiener Vorl. a. a. O. XI 2): die Kuh (aus Versehen hat der Vasenmaler einen Stier dargestellt) ist schon von dem Ölbaume, an dem das Seil noch hängt, losgebunden und nähert sich im Hintergrunde dem rechts unter einer Palme sitzenden Zeus, der die Hand erhebt (Begrüssung? Entzauberung?); im Vordergrund hat Hermes den niedergesunkenen A. (der ganze Körper voll Augen) am Bart gepackt und will ihn mit dem Schwert niederstossen; ferner gehört hierher 4) eine Vase der Sammlung Hope (Gerhard Auserl. Vas. II 116: nur A. und Hermes im Schema des Minotauroskampfes) und 5) ein Teller aus Chiusi im Brit. Mus. (Arch. Ztg. 1847 Taf. II: A. einfach menschlich gebildet, Hermes tötet ihn mit dem Schwert, im Hintergrund entflieht die Iokuh). Dem entwickelteren, sog. schönen Stil gehören an 6) eine Kanne aus Vulci im Berl. Mus. 2651 (Mon. d. Inst. II 59, 1: A. [Locken, Tierfell, Keule] sitzt in der Mitte, rechts sitzt Io [Frau mit Kuhhörnern], links wendet sich Hermes zum Gehen; oben in der Mitte ein Kuhkopf) und 7) eine Kotyle im Mus. der arch. Gesellsch. zu Athen nr. 4295 (vgl. M. Mayer Athen. Mitt. XVI 1891, 304, 1); dem späteren [794] freien Stil 8) eine Amphora der Sammlung Coghill (Millingen Vases Coghill pl. 46. Élite céramogr. I 26: die anscheinend jugendliche Bildung des der Io nahenden Zeus beruht wohl auf moderner Ergänzung; Overbeck nimmt hier eine Liebesscene zwischen Zeus und Io an, der aber die Kuhhörner und die Anwesenheit des A. widersprechen), 9) eine Kanne in Wien (Laborde Vases Lamberg II 4. Arch. Ztg. XXXI 1873 Taf. 15: in der Mitte sitzt Io mit Kuhhörnern, oberhalb auf Pantherfell A. [Jüngling mit Keule und Trinkhorn], mit dem Hermes unterhandelt; zahlreiche Nebenfiguren, Frauen, Jünglinge, Satyrn, Eroten) und 10) der schöne Krater in Ruvo, Samml. Jatta nr. 1498 (Mon. d. Inst. II 59. Wiener Vorlegebl. a. a. O. XII 2. Roschers Lex. II 274: in der Mitte sitzt Io, oberhalb A. [bärtiger Mann mit Pantherfell und Pedum, mehrere symmetrisch verteilte Augen], gegen den von links unten Hermes mit dem Schwerte heranstürmt, dabei Zeus und Hera und mehrere nicht sicher benennbare Nebenfiguren sowie Satyrn und Eroten). Der unteritalischen Vasenmalerei gehören an 11) ein Krater in Catania, Samml. Biscari (Arch. Ztg. 1870 Taf. 30: Io sitzt nach rechts, vor ihr steht A. [Pantherfell, Keule] und streckt mit der Rechten ein muschelförmiges Trinkhorn vor), 12) ein tarentinisches Oxybaphon bei Barone in Neapel (abg. Bull. Nap. III 1845 tav. IV. Rev. arch. III 1846, 309: Hermes zückt das Schwert und packt A. [Pantherfell, Augen am ganzen Körper, ein bärtiges und ein bartloses Gesicht] am rechten Arm; A. wehrt sich mit Keule und hält die entfliehende Io am Gewand fest), und 13) eine lucanische Hydria Berlin 3164 (Gerhard Auserl. Vasenb. II 115: Io sitzt auf den Stufen der Basis eines Götteridols [mit Bogen und Fackel, wohl dennoch Hera gemeint], A. hält ein Diptychon, Zeus naht grüssend; dabei Eros, Aphrodite, Hera, Pan). Vielleicht gehört hierher noch 14) eine Kelebe der Samml. Caputi in Ruvo (Jatta Vasi Caputi tav. V). Io ist also auf den älteren Vasen als Kuh, auf den jüngeren (wohl unter dem Einfluss der Bühne) als Frau mit Kuhhörnern gebildet; für A. ist kein fester Typus gefunden: das Ungeheuer der chalkidischen Vase wird auf den attischen Vasen zu einem mit Augen übersäten Mann (gelegentlich mit Doppelgesicht), später wird seine Erscheinung jugendlicher; seine Waffe ist die Keule, sein Attribut häufig das Pantherfell; Hermes führt als Waffe stets das Schwert: die Sagenversion, wonach er A. zuerst einschläfert, ist den Vasenmalern noch unbekannt. Ganz anders sind die Typen der Malerei: auf das von Plin. n. h. XXXV 132 erwähnte Gemälde des Nikias hat Helbig (Unters. Camp. Wandm. 140ff.) wohl mit Recht das Wandgemälde vom Palatin (Overbeck K.-M. Atlas VII 11. Wiener Vorlegebl. a. a. O. XII 3) zurückgeführt: Io sitzt traurig in einer Felslandschaft vor einer Säule mit Heraidol, seitlich steht A. (Jüngling mit Schwert, Speer und Pantherfell) sie beobachtend; hinter dem Felsen kommt Hermes seine List ersinnend vor. Hier liegt also bereits die Version der Überlistung vor, welche in einigen pompeianischen Bildern noch deutlicher ausgeführt ist: Hermes überreicht dem A. (stets jugendlich, mit Speer, Schwert oder Pedum) die Syrinx (Helbig Wandgem. 135–137. Sogliano 83. Fragment Notizie [795] d. Scavi 1893, 40 [von Mau Röm. Mitt. V 117 auf Parisurteil gedeutet]); freiere Nachbildungen der Composition des Nikias oder eines von ihr abhängigen Gemäldes sind Helbig 131–134 und Röm. Mitt. V 1890, 234 (mit Abb.). Sonst ist nur noch ein Gemmenbild (Paste in Berlin, Stosch II 3, 161. Overbeck K.-M. Zeus, Gemmentafel V 9) zu nennen: Hermes hält das Haupt des tot am Boden liegenden A., während die Iokuh entflieht. Oben zum Zeichen der Verwandlung der Pfau. Die übrigen bei Panofka und Mon. d. Inst. II 59 abgebildeten Gemmen sind entweder modern oder haben mit A. nichts zu thun. Zum Schluss seien noch die auf dichterischer Erfindung beruhenden Darstellungen genannt: Schildzeichen des Hippomedon, Eur. Phoin. 1114ff. (wie es scheint Πανόπτης allein); am Korb der Europe vier Scenen des Iomythos, Mosch. I 44ff.; Schildzeichen des Turnus. Verg. Aen. VII 789ff.; Gorytos des Philoktetes, Quint. Smyrn. X 189ff.
[Wernicke.]
Nachträge und Berichtigungen

S. 792, 55 zum Art. Argos:

Das hier erwähnte ,argivische‘ Epigramm stammt weder aus A. noch hat es mit dem Wächter der Io irgend etwas zu tun. Es stammt aus Andros; die richtige Lesung v. 5 ist μέγας Ἄρης);, wie Hiller v. Gaertringen vor dem Stein ausdrücklich festgestellt hat, IG XII 5 nr. 764.
[Kern.]

[19]) Wächter der Io. (K) S III.
[Hans Gärtner.]

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