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Ἄρειος πάγος[WS 1] – so in guter Zeit immer, wie lateinisch Areus (oder Arius, Areos, Arios) pagus; nicht Ἀρειόπαγος oder Areopagus; vgl. Nipperdey zu Tacit. ann. II 55. Keil spec. onomat. Gr. 100 –, ein formloser, ganz kahler Felsklumpen (115 m. hoch) in Athen, welcher sich gerade westlich von der Akropolis, nur durch eine Einsattelung von derselben getrennt, erhebt und jetzt an seinem Nordrande die verfallene Kapelle des H. Dionysios Areopagita trägt. Seinen Namen verdankte er, nach der gewöhnlichen Annahme der Neueren, einem an seinem nordöstlichen Fusse stehenden Tempel des Ares, in welchem Pausanias (I 8, 4) ausser der Statue dieses Gottes, einem Werke des Alkamenes, eine von Lokros aus Paros gearbeitete Statue der Athene, eine Statue der Enyo, ein Werk der Söhne des Praxiteles, und zwei Statuen der Aphrodite, deren Künstler er nicht angibt, sah. Die Alten suchten den Hügel in eine unmittelbare Beziehung zu Ares zu setzen und erklärten ihn entweder als den Mordhügel (ἄρειος = φόνιος), weil er die Stätte des Blutgerichts war, oder (so Hellanikos) leiteten die Benennung von dem Gerichte her, das hier über Ares als Mörder des Halirrhothios gehalten sein sollte (vgl. Philippi Areopag 8ff. Tümpel Jahrb. f. Philol. Suppl. XI 688ff.). Aischylos (Eumenid. 659f.) fand die Erklärung vielmehr in der sagengeschichtlichen Thatsache, dass hier die Aresdienerinnen, die Amazonen, ihren Sitz bei der Belagerung der Burg aufgeschlagen hatten, was Koehler (Herm. VI 92ff.) dahin erweiterte, dass er überhaupt als natürliche Angriffsbasis gegen die Akropolis der ‚Kriegshügel‘ gewesen sei. Sicher haben die Areopagiten nichts mit dem Ares zu thun, dessen Kult auch schwerlich alt ist; als Blutrichter stehen sie vielmehr im Dienst der Σεμναί oder Ἀραί (Erinyen, Eumeniden), die ihren Sitz in einer natürlichen Felsschlucht am Nordostfuss des Hügels hatten (Rohde Psyche 244). Ob also der ἄρειος πάγος nicht auch als ,Sühne- oder Fluchhügel‘ zu betrachten ist (Wachsmuth Stadt Athen I 428. Gilbert Griech. Altert. I² 425)? Der Hügel wird einen grossen Teil des Jahres von heftigen Nordwinden umbraust; deshalb erzählte eine alte Sagenversion, die Platon einmal (Phaedr. 229 D) erwähnt, hier sei Oreithyia vom Boreas geraubt. Er hat dieselbe ostwestliche Richtung wie die Akropolis und dacht sich nach Westen ab, während er in seiner nordöstlichen Partie nach Norden und Osten schroff abfällt. Nach Norden schiebt er in seinem westlichen Teile noch einen beträchtlichen Vorsprung vor, so dass er fast eine dreiseitige Gestalt gewinnt. An seinem Südfuss ist im Laufe der Jahrhunderte viel Erdreich abgeschwemmt, so dass die schmale in den Felsen eingeschnittene Treppe, die von hier nach der Osthöhe hinaufführt, ein paar Fuss oberhalb des natürlichen Bodens ansetzt. Von dieser Treppe gelangt man zu einer Reihe von Anlagen und Wegen, deren im Felsen zurückgebliebene Spuren noch nie genauer gezeichnet sind; sie erstrecken sich bis an den Nordrand, von dem aus man den Blick auf die Stätte hatte, in der die furchtbaren Rachegöttinnen hausten. Hier muss [628] – trotz Stark u. a. – die bekannte Blutgerichtstätte gesucht werden, die sich natürlich unter freiem Himmel befand (vgl. z. B. Antiphon V 11. Hellad. bei Phot. Bibl. p. 543 a 37ff.). Zwei aus dem natürlichen Felsen gehauene Bathra dienten bei den Verhandlungen für Kläger und Verklagten (Paus. I 28, 5 und im mythischen Vorbild, Eurip. Iphig. Taur. 962ff.), jener als λίθος Ὕβρεως, dieser als λίθος Ἀναιδείας bezeichnet (an beide hat sich schon früh viel Missverständnis angeknüpft). An diesem Platz muss auch die Stele gestanden haben, auf der die Blutgesetze aufgezeichnet waren (Lysias I 30). Ein Altar, der sich eben dort befand, war der Athene Areia geweiht und sollte von Orestes errichtet worden sein, als ihn durch Vermittlung der Athene das areopagitische Gericht von der Schuld des Muttermords losgesprochen hatte (Paus. I 28, 5). Der übliche Ausdruck ἐς τὸν Ἄρειον πάγον ἀναβείνειν und ähnliches für den Eintritt in den areopagitischen Rat beweist, dass mindestens in älterer Zeit auch der ,obere‘ Rat sein Amtslocal auf dem Areopag hatte (wenn auch nicht, wie v. Wilamowitz Aristot. u. Athen II 199 annimmt, dass dieses ,im Connex mit dem Arestempel lag‘). Auch der athenischen Polizei war auf dem Hügel in späterer Zeit ein Standquartier angewiesen (Schol. Aristoph. Acharn. 54 = Suid. s. τοξόται). Was die mit einem Lehmdach gedeckte Hütte, deren altväterische Einfachheit sich noch bis auf Vitruvius (II 1, 5) Zeit hielt, für eine specielle Bestimmung hatte, ist zwar nicht berichtet; aber eben aus der Anführung Vitruvs erkennt man, das es sich nicht um einen späteren Profanbau, wie den Wachtposten der Polizisten gehandelt haben kann, an den Westermann in dieser Realencyclopädie I² 1500 dachte.
[Wachsmuth.]
Nach diesem Hügel war eine der ältesten Gerichtstätten Athens benannt. In dem Namen hat erst eine sehr späte Deutung den Mordhügel finden wollen (φόνιος τόπος Charax bei Schol. Aristid. Panath. 3 p. 65 Ddf. Etym. M. 139, 12. Suid.), in der Vorstellung des Volkes hat er stets nur den Areshügel bedeutet, und zwar entweder, weil hier zuerst Gott Ares angeblich zur Zeit des Kekrops oder Kranaos wegen des Mordes an Halirrotios, dem Sohne des Poseidon, vor Gericht gestellt wurde (Hellanik. bei Schol. Eur. Orest 1648. Eur. Electr. 1258. Marm. Par. ep. 3. Aristid. XIII 170. Paus. I 28, 5. Lucian. de salt. 39. Steph. Byz. Suid.) oder weil der Ort von den Amazonen zur Zeit des Kampfes mit Theseus an Ares geweiht wurde (Aisch. Ag. 686f.), wie er denn in der That für jeden äusseren Feind der Stützpunkt für einen Angriff gegen die Akropolis war (Herodot. VIII 52). Die letzte Erklärung hat den Vorzug der Einfachheit (Koehler Herm. VI 92. Philippi Areopag und Epheten 8f.). Die Wahl der Stätte zum Blutgericht aber war voraussichtlich durch das nahe Heiligtum der Erinyen, der Σεμναί, bedingt, bei welchen man auf dem A. schwor (Dein. I 47) und welchen auch die auf dem A. Freigesprochenen zu opfern pflegten (Paus. I 28, 6). Deshalb hat man neuerdings sogar versucht, den Namen des Hügels von den Ἀραί abzuleiten, was nach Aisch. Eum. 417 ein Name der Eumeniden war (Gilbert Gr. Staatsalt. I² 425). Aber darf man annehmen, dass eine solche Verbindung [629] dem Altertum ganz verloren gegangen sein sollte? Nach diesem Hügel ist dann der areopagitische Rat benannt: ἡ ἐν Ἀρείῳ πάγῳ βουλή, ἡ ἐξ Ἀρείου πάγου βουλή, ἡ τῶν Ἀρεοπαγιτῶν βουλή, auch ἡ ἄνω βουλή (Plut. Sol. 19) und τὸ ἐν Ἀρείῳ πάγῳ συνέδριον (Lykurg. 12. Din. I 112. III 7).
a) Der A. vor dem peloponnesischen Kriege. Wenngleich im Altertum die meisten der Ansicht waren, dass Solon den Rat auf dem A. eingesetzt habe, so entschied sich schon Plutarch (Sol. 19) auf Grund des dort angeführten Epitimiegesetzes für ein höheres Alter, Aristoteles (Pol. II 9 p. 1274 a) hielt gleichfalls den A. für älter als Solon und bezeichnet ihn als ein oligarchisches Element im Staate. Genaueres berichtet die Ἀθηναίων πολιτεία. Danach bestand der A. schon vor Drakon und ergänzte sich aus den gewesenen Archonten. Er hatte die Aufgabe, die Gesetze zu wahren, leitete aber thatsächlich den ganzen Staat, weil er 1) in sich die gesamte Strafgewalt vereinigte (κολάζουσα καὶ ζημιοῦσα πάντας τοὺς ἀκοσμοῦντας κυρίως), 2) aus den vornehmsten und reichsten Männern bestand (c. 3), 3) auch alle Beamten bestellte, einschliesslich der Archonten, wie daraus zu entnehmen ist (gegen Lipsius Ber. Sächs. Ges. 1891, 45), dass diese Art der Bestellung in c. 8 gerade im Gegensatz zur solonischen Archontenwahl erzählt wird. Da somit dieser Rat auch die Befugnis hatte, durch die Archontenbestellung sich selbst zu ergänzen, so erscheint er in der That allmächtig. Diese Macht erlitt jedoch eine erhebliche Einschränkung durch die Verfassung Drakons. Hier (c. 4) heisst es von ihm: der Rat war ein Hüter der Gesetze und wachte darüber, dass die Beamten die Gesetze beobachteten. Ein jeder, der sich beeinträchtigt glaubte, konnte unter Angabe des verletzten Gesetzes vor dem A. gegen den Beamten klagen. Er behielt auch die Gerichtsbarkeit in Mordklagen (Demosth. XXIII 66. 70. Gesetz bei Plut. Sol. 19), aber er hatte ein gut Teil der Strafgerichtsbarkeit an die Epheten abgegeben (Poll. VIII 125), er hatte die Beamtenbestellung und die Ergänzung seiner Mitglieder verloren, indem die Archonten von den waffenfähigen Männern gewählt wurden. Er verlor ferner seinen Einfluss auf die Verwaltung des Staates an den erlosten Rat der 401. Dem gegenüber bedeutet die solonische Verfassung vielmehr eine Stärkung seiner Macht, auch hier war seine Aufgabe das νομοφυλακεῖν (c. 8), aber es wird auch hier gesagt, dass er die meisten und wichtigsten Staatsgeschäfte besorgt habe, dass er insbesondere die Befugnis gehabt habe, Übertretungen, wir werden hauptsächlich an Beamte denken, mit Geldstrafen zu belegen, ohne auch nur den Grund der Bestrafung anzugeben. Ferner wurde ihm durch besonderes Gesetz die Gerichtsbarkeit über tyrannische Bestrebungen übergeben. Während also nach den drakonischen Gesetzen der A. eine Beschwerde abzuwarten hatte, durfte er nach Solon gegen jede Unordnung selbständig und mit weitgehender Vollmacht ausgestattet vorgehen (vgl. Philochoros frg. 17, FHG I 387). Ja Plutarch (Sol. 22) berichtet, der A. habe sogar die Aufgabe gehabt, den Erwerb der Bürger zu beaufsichtigen und die Arbeitsscheuen zu bestrafen. Unter der folgenden Tyrannis mussten diese Befugnisse schwinden, aber es bleibt ihm [630] auch da die Gerichtshoheit in Mordprocessen (Demosth. XXIII 66), und Peisistratos selbst soll als Angeklagter vor ihm erschienen sein (c. 16. Arist. Pol. VIII 9, 21 p. 1315 b). Ob der A. durch Kleisthenes wieder in die früheren Rechte eingesetzt wurde, erfahren wir nicht, nach dem allgemeinen Charakter dieser Verfassung muss man es bezweifeln, zumal wir hören, dass der A. nach der Schlacht von Salamis wieder erstarkte (c. 23), derart, dass er in den folgenden 17 Jahren die massgebende Kraft im Staate wurde (vgl. c. 25. 41). Er erhielt diese Macht nicht durch irgend einen Beschluss, sondern man überliess sie ihm thatsächlich zum Dank für sein Eingreifen vor der Schlacht bei Salamis, wo er die Mittel aufbrachte, um die Flottenmannschaft zu besolden. Es wird berichtet, dass er die Zügel straffer anzog (Arist. Pol. V 3 p. 1304 a) und dass er den Staat vortrefflich leitete (c. 23). Auf diese Zeit gehen augenscheinlich die Lobpreisungen bei Aisch. Eum. 685f. und Isokr. VII 43f. Allmählich jedoch lockerte sich seine Macht und im J. 462/1 unter dem Archon Konon (vielleicht schon etwas früher, auch die bei Aristoteles berichtete Teilnahme des Themistokles unterliegt ernsten Bedenken, vgl. Busolt Griech. Alt.² 167) unternahm es Ephialtes, diese Macht zu brechen, indem er zunächst eine Anzahl von Areopagiten wegen ihrer Amtshandlungen anklagte, dann durch Volksbeschluss dem A. seinen Einfluss auf die Verwaltung nahm und seine Befugnisse auf Rat, Volksversammlung und die Gerichte übertrug (c. 25). Vgl. v. Wilamowitz Aristoteles und Athen II 186f. Kimon, der abwesend war, versuchte nach seiner Rückkehr vergeblich diese Beschlüsse rückgängig zu machen (Plut. Kim. 15). Vielmehr musste sich der A. durch Perikles noch einige weitere Beschränkungen gefallen lassen (c. 27. Arist. Pol. II 9 p. 1274 a). Auch ein gewisser Archestratos war bei den gegen den A. gerichteten Anträgen beteiligt (c. 35).
b) Der A. im Zeitalter der Redner. Er setzte sich gleichfalls aus den gewesenen Archonten zusammen, welche von ihrer Amtsführung Rechenschaft abgelegt (Poll. VIII 118) und vielleicht noch eine besondere Prüfung bestanden hatten (Hypereid. bei Ath. XIII 566f). Dass auch die gegenwärtigen Archonten Sitz und Stimme gehabt hätten (Lipsius Lpzg. Stud. IV 151f.), ist nicht erweislich und widerspricht der Überlieferung bei Demosth. XXIV 22. Plut. Per. 9. Poll. VIII 118. Er führte über seine Mitglieder strenge Aufsicht (Demosth. LIV 25), musste jedoch seine Strafen, auch die der Ausstossung, durch ein Heliastengericht bestätigen lassen ([Demosth.] a. a. O. Dein. I 55f.). Verblieben war ihm der wichtigste Teil der Blutgerichtsbarkeit, die Entscheidung in Fällen von vorsätzlicher Tötung, Körperverletzung in tötlicher Absicht, Brandstiftung und Giftmord (Demosth. XXIII 22f. Arist. resp. Ath. 57). Das Verfahren in Mordprocessen vor dem A., welches auf uraltem Herkommen beruhte, war folgendes: Vor dem βασιλεύς hatte der Kläger zunächst seine Berechtigung zur Klage zu erweisen (Demosth. XLIII 57. CIA I 61), dann untersagte der König dem Beklagten das Betreten der Heiligtümer und des Marktes (Demosth. XX 158. Arist a. a. O.) und untersuchte die Sache in drei Terminen (προδικασίαι Ant. VI 42), die in drei auf einander [631] folgenden Monaten abgehalten wurden. Im vierten Monat kam dann die Sache vor Gericht und zwar an den drei letzten Tagen (Poll. VIII 117) an heiliger Stätte unter freiem Himmel (Arist. a. a. O. Ant. V 11, nicht aber zur Nachtzeit, wie Luc. Hermot. 64; de domo 18 berichtet). Hier vor Gericht nun wurden zunächst die Parteien durch die stärksten und unter besonderen Feierlichkeiten abzuleistenden Eide zur Wahrhaftigkeit in ihren Aussagen verpflichtet (Demosth. XXIII 67f. Antiph. V 12. VI 6). In derselben feierlichen Weise wurden auch die Zeugen vereidigt (Ant. V 12). Hierauf war es jeder Partei gestattet, zweimal zu sprechen, und noch nach der ersten Rede durfte der Beklagte, vorausgesetzt dass er nicht des Vatermords beschuldigt war, durch ein freiwilliges Exil der Strafe sich entziehen (Demosth. XXIII 69. Poll. VIII 99. 117). Im übrigen musste ein jeder, in alter Zeit wenigstens, seine Sache selbst ohne rednerischen Beistand führen und dabei sich aller rednerischen Ausschmückung enthalten (Antiph. VI 9. Aristot. Rhet. I 1, 5. Poll. VIII 117). Als Bühnen aber dienten den Redenden zwei rohe Steine ἀργοὶ λίθοι), von denen der eine, der des Angeklagten, λίθος ὕβρεως, der andere, der des Klägers, λίθος ἀναιδείας (d. h. der Unversöhnlichkeit) hiess. Beim Spruch der Areopagiten waltete weniger das juristische als das ethische Princip vor; sie entschieden mit Rücksicht auf den sonstigen Lebenswandel des Angeklagten nach eigener bester Überzeugung (Aisch. I 92), und ihre Aussprüche galten im ganzen griechischen Altertum als Ausflüsse der unbestechlichsten Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe (Demosth. XXIII 66. Lykurg. 12. Aristid. or. XIII p. 171). Bei Gleichheit der Stimmen endlich erfolgte, angeblich nach dem Muster des Processes gegen Orestes, welchen Athene durch Hinzufügung ihrer Stimme zu dessen Gunsten entschied (Aisch. Eum. 735. Aristid. or. II p. 20f.), Freisprechung des Angeklagten. Ausserdem hatte der A. die beständige Aufsicht über die Erhaltung der heiligen Ölbäume, welche er durch besonders Beauftragte (ἐπιγνώμονες) alljährlich besichtigen liess. Etwaige Frevler zog er wegen Gottlosigkeit vor sein Gericht (Lys. VII; s. Ἀσεβείας γραφή). Im J. 352 wird die ἱερὰ ὀργὰς an der Grenze von Megara unter seine Aufsicht gestellt (Bull. hell. XIII 434). Von sonstigen Befugnissen des A. ist in dieser Zeit wenig beglaubigt. Jedenfalls hatte es wenig zu bedeuten, wenn die Dreissig im Anfang ihrer Herrschaft die Gesetze des Ephialtes und Archestratos, die den A. beschränkten, aufhoben (Arist. resp. Ath. 35). Und wenn im J. 403 durch den Volksbeschluss des Teisamenos (And. I 84) dem A. wieder die Aufsicht über die Beobachtung der Gesetze durch die Behörden übertragen wird, so hören wir sonst von einer solchen Wirksamkeit nichts. Dagegen tritt gegen Ende des Zeitraums der A. entschieden wieder mehr in den Vordergrund. Es werden ihm nicht nur besondere Aufträge zum Bericht an das Volk erteilt, z. B. über Bauten auf der Pnyx (Aisch. I 81), sondern er hebt auf Grund besonderer Vollmacht die Wahl des Aischines zum σύνδικος für das delische Heiligtum auf (Demosth. XVIII 134), ein Volksbeschluss des Demosthenes soll ihm vor 344 wieder nach alter Weise ein Aufsichtsrecht über das gesetzmässige Verhalten der Bürger übertragen [632] haben (Dein. I 62), und darauf schritt er streng ein (Dein. a. a. O. Demosth. XVIII 133. Plut. Dem. 14). Er hat die Überwachung der von Staatswegen verrichteten Opfer ([Demosth.] LIX 80f.). Nach der Schlacht von Chaironeia hintertreibt er die Wahl des Charidemos zum Feldherrn (Plut. Phok. 16), ja er liess einen Bürger, der nach Samos flüchten wollte, – ob auf Grund einer Vollmacht, erfahren wir nicht – sofort hinrichten (Lykurg. 52. Aisch. III 252). Demnächst erhielt der A. die Untersuchung über die persischen Hülfsgelder, die er ablehnte (Dein. I 10), und im harpalischen Process, und Deinarchos (I 50) hebt ausdrücklich hervor, dass er auch ohne Auftrag eine Untersuchung gegen Bürger habe anstellen dürfen. Übrigens war der A. auch zur Rechenschaft verpflichtet (Aisch. III 20). Dass der A. auch in der στοὰ βασίλειος getagt habe, berichtet zwar nur [Demosth.] XXV 23, ist aber ganz glaublich, wenn auch Curtius Stadtgeschichte von Athen 263 zu weit geht in der Behauptung: ‚Auf der Felskuppe oben war weder zum Reden noch zum Hören der richtige Platz‘, vgl. [Demosth.] LIX 79f.
c) Der A. in späterer Zeit. Was wir vom A. aus dieser Zeit wissen, beschränkt sich auf einzelne Angaben, welche jedoch erkennen lassen, dass mit der sinkenden Bedeutung Athens die Stellung des A. in der Verwaltung sich wieder hob. Wahrscheinlich verlieh ihm schon Demetrios von Phaleron erhöhte Rechte, denn eine Angabe des Philochoros im 7. Buche (bei Athen. VI 245 c) besagt, dass die Gynaikonomen im Verein mit den Areopagiten die Privatfestlichkeiten in den Häusern beaufsichtigen. Aus römischer Zeit sagt Cic. nat. deor. II 74 geradezu, der Staat der Athener werde durch den A. geleitet, und wenn dies auch zu viel behauptet ist, so hatte er doch eine ausgedehnte Gerichtsbarkeit, nicht nur in Blutsachen (Paus. I 28, 5). sondern auch über Fälschung (Tac. ann. II 55), Müssiggang (s. Ἀργίας γραφή, über schwere Verbrechen, insbesondere Beschädigung der Normalmasse (CIA II 476), und dass sich seine Rechtsprechung auch in dieser Zeit hohen Ansehens erfreute, beweisen anekdotenhafte Erzählungen (Val. Max. VIII 1 amb. 2. Gell. XII 7) und die Art, wie Lukianos (bis acc. 4. 12. 14) von ihm spricht. Dass er ferner die Aufsicht über Jugenderziehung und -lehre geführt, geht daraus hervor, dass er den Peripatetiker Kratippos in Athen zu halten beschloss (Plut. Cic. 21) und dass der Apostel Paulus vor ihn geführt wurde (Act. ap. 17, 19: ἐπιλαβόμενοι αὐτοῦ ...ἤγαγον). Endlich leitete er die Baupolizei (Cic. ad fam. XIII 1; ad Att. V 9. Philippi Areopag u. Eph. 309) und erteilt sehr häufig auf Inschriften die Erlaubnis zur Aufstellung von Weihgeschenken (z. B. CIA III 675 a. 687. 703. 714, vgl. Gilbert Gr. Staatsalt. I² 185). A., Rat und Volk vertreten den Staat, fassen Beschlüsse (CIA III 10), bringen Weihgeschenke (ebd. 454. 457. 458), empfangen Schreiben auswärtiger Mächte (ebd. 31. 40. 41), und der A. hat hier seine Stelle immer vor Rat und Volk. Doch kommt es auch vor, dass diese letzteren allein beschliessen und dass der Rat die Aufstellung von Weihgeschenken genehmigt (Gilbert a. a. O.). Grosses Ansehen genoss der κῆρυξ τῆς ἐξ Ἀρείου πάγου βουλῆς (CIA II 481. III [633] 10. 57. 680), der voraussichtlich die von Plut. an seni etc. 20 erwähnte ἐπιστασία τῆς ἐξ Ἀρείου πάγου βουλῆς führt. Aus den Archonten ergänzte er sich nicht mehr, da Plut. Per. 9 diesen Modus als vergangen darstellt. Westermann wollte aus Cic. p. Balbo 30 und Hist. Aug. Gall. 11 auf Wahl schliessen. Vgl. Forchhammer De A. non privato etc., Kiel 1828. Schoemann Op. ac. I 190ff. Säve De A. et iudiciis heliasticis apud Ath., Ups. 1862. Philippi Der A. und die Epheten, Berlin 1874. Lange Die Epheten und der A. vor Solon, Abh. sächs. Ges. 1874, 187ff. Schoemann Jahrb. f. Philol. CXI 153ff. und die Handbücher über griech. Staatsaltertümer.
[Thalheim.]
Anmerkungen (Wikisource)
Transkribiert: Areios pagos.
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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