23) C. Aquilius Gallus. Das Cognomen findet sich bei Cicero nur Brut. 154 C. Aquilio Gallo, sonst heisst er bei Cicero immer nur C. Aquilius oder Aquilius, dagegen überwiegt bei den Späteren die Bezeichnung Aquilius Gallus oder Gallus. Eques Romanus Plin. n. h. XVII 2, Praetor im J. 688 = 66 zugleich mit Cicero, er führte den Vorsitz in der quaestio ambitus (Cic. p. Cluent. 147, collega et familiaris meus Cic. off. III 60; top. 32). Um das Consulat bewarb er sich nicht : Aquilium non arbitramur, qui denegavit et iuravit morbum et illud suum regnum iudiciale opposuit Cic. ad Att. I 1, 1. Er [328] war ein begüterter Mann, sein Haus galt als das schönste der Zeit (domus – – multo vero pulcherrima consensu omnium aetate ea in colle Viminali C. Aquili equitis Romani clarioris illa etiam quam iuris civilis scientia Plin. n. h. XVII 2), er lebte ausschliesslich der Rechtswissenschaft. Er ist vor dem J. 710 = 44 gestorben, denn Cicero spricht in der in diesem Jahr verfassten Schrift Topica 32. 51 von A. als einem nicht mehr Lebenden. Von vereinzelten Notizen über sein Leben ist noch anzuführen die Bemerkung Ciceros ad Att. IV 12 (geschrieben 699 = 55) Egnatius Romae est; sed ego cum eo de re Halimoti vehementer Antii egi. graviter se acturum cum Aquilio confirmavit; ferner seine Angabe (p. Quinct. 17), dass A. den (Quinctii) Scapulae verwandt war; endlich Plinius Notiz n. h. VII 183, der unter den Beispielen plötzliche Todesfälle erwähnt P. Quintius Scapula, cum apud Aquilium Gallum cenaret. Unrichtig ist es, dass bei Dionys. ant. III 67, wie Huschke Iurispr. Anteiust. S. 18 frg. 4 und B. Kübler Ztschr. d. Savigny-Stift. 1893, 83 angeben, in einer geschichtlichen Notiz über die Cloakenreinigung der Stadt Rom ein Rest der schriftstellerischen Thätigkeit des A. vorliege. Vielmehr nennt Dionys Γάιον Ἀκίλιον und meint den Annalisten C. Acilius, vgl. Peter Hist. Rel. p. 48 frg. 6.
Als Jurist war A. ein Schüler des Pontifex Q. Scaevola: Mucii auditores fuerunt complures, sed praecipuae auctoritatis Aquilius Gallus – ex quibus Gallum maximae auctoritatis apud populum fuisse Servius dicit, Pompon. Dig. I 2, 2, 42. Die juristische Thätigkeit des A. bestand erstens in der Erteilung von Rat und Gutachten; Cicero rühmt p. Caec. 77ff. seine Rechtskenntnis und seinen rechtschaffenen Charakter und bemerkt von A. qui tot annos ingenium laborem fidem suam populo Romano promptam expositamque praebuerit, qui ita iustus sit et bonus vir, ut natura, non disciplina consultus esse videatur; vgl. Galli hominis acuti et exercitati promptam et paratam in agendo et in respondendo celeritatem Brut. 154. Cicero selbst hatte in dem Process des Caecina sein Gutachten über einen streitigen Punkt eingeholt § 79ff.; als typisch für einen angesehenen iure consultus braucht er A.s Namen auch p. Quinct. 53; p. Corn. Balb. 45. Wegen seiner Kenntnisse und seines gediegenen Charakters (cuius prudentiam populus Romanus in cavendo, non in decipiendo perspexerit, qui iuris civilis rationem nunquam ab aequitate seiunxerit Cic. p. Caec. 78) wurde er häufig als Iudex zur Entscheidung von Iudicia privata erwählt. Als solcher fungierte er im Process des T. Quinctius im J. 673 = 81 (Gell. XV 28, 3. Cic. p. Quinct. 1. 3. 4. 5. 8. 10 [bis]. 17. 22. 28. 32. 33. 35. 36. 43. 44 [tei]. 46. 47. 48. 53. 54. 60. 64. 68. 77. 79. 81. 84 [bis]. 91. 96. 99; vgl. über diesen Process Kübler Ztschr. d. Savigny-Stift. 1893, 54ff.) und des C. Visellius Varro, Val. Max. VIII 2, 2. Dagegen gab er sich mit der gerichtlichen Beredsamkeit nicht ab, wie aus Cic. top. 51 erhellt ‚nihil hoc ad ius: ad Ciceronem‘ inquiebat Gallus noster, si quis ad eum quis tale rettulerat, ut de facto quaereretur.
[Klebs.]
Eine besondere Neigung zeigte A. für das [329] Abfassen von Rechtsformeln (Cic. p. Caec. 78); mit Recht nennt ihn Pernice (Labeo I 3) den letzten Ausläufer der Cautelarjurisprudenz: die stipulatio Aquiliana (Dig. XLVI 4, 18, 1. Inst. III 29, 2; vgl. Karlowa R. R.-G. II 744. Voigt R. R.-G. I 609) und die Erbeinsetzungsformel für die sog. postumi Aquiliani (Dig. XXVIII 2, 29 pr. XXVIII 6, 33, 1. XXX 127; vgl. Karlowa II 863. Voigt I 473) haben sein Andenken bei der Nachwelt lebendig erhalten. Einen anderen Charakter hat die ebenfalls auf A. zurückgehende actio doli (Cic. de nat. deor. III 74: iudicium de dolo malo quod C. Aquilius … protulit; de off. III 60: nondum enim C. Aquilius … protulerat de dolo formulas). Nach diesen Worten scheint A. die actio doli im Edict verheissen und dem entsprechend die Klagformel im Album aufgestellt zu haben. Da wir aber wissen, dass er als Praetor die Quaestio ambitus zu leiten hatte, so wäre jene Veröffentlichung der Formel durch A. nur denkbar, wenn man glauben dürfte, dass er zugleich die Fremdenpraetur verwaltet hätte (die städtische Praetur hatte im J. 688 = 66 wahrscheinlich C. Antonius; vgl. Zumpt Crim.-R. II 2, 163. Hölzl Fast. praet. 35). Das wäre möglich: ein Analogon böte die im J. 605 = 149 eingeführte Leitung der Quaestio repetundarum durch den Praetor peregrinus (Mommsen St.-R. II³ 199); für die Zeit des A. aber fehlen die Belege für derartige Combinationen (ebd. 215, 1). Andrerseits hat auch meine frühere Annahme (R. R.-W. I 89, 4. 98, 2), dass A. die Formel buchmässig veröffentlicht habe und dass sie dann von einem der edicierenden Praetoren übernommen sei, ihr missliches: die Worte Ciceros sind eher auf eine amtliche Publication zu deuten. Eine Sicherheit lässt sich über diesen Punkt nicht erlangen. Was aber überhaupt die Frage nach den Schriften des A. angeht, so finden wir bei Pomponius Dig. I 2, 2, 42 über ihn und die sonstigen Schüler des Q. Scaevola folgende Bemerkung: omnes tamen hi a Servio Sulpicio nominantur: alioquin per se eorum scripta non talia exstant, ut ea omnes (ad omnes F) appetant; denique nec versantur omnino scripta eorum inter manus hominum, sed Servius libros suos complevit, pro cuius scriptura ipsorum quoque memoria habetur. Aus diesen (wahrscheinlich durch Streichungen der iustinianischen Compilatoren) vielfach unklaren Sätzen geht jedenfalls hervor, dass Ser. Sulpicius, der bedeutendste Schüler des A. (Cic. Brut. 154. Pompon. a. a. O. 43), viel Material seines Lehrers in seinen Werken verarbeitet hat und dass im 2. Jhdt. von Schriften des A. selbst nichts mehr bekannt war. Mit Notwendigkeit aber braucht man aus diesen Worten überhaupt nicht auf Schriften des A. zu schliessen (vgl. Teuffel R. E. I² 1389). Auch Cicero gedenkt seiner stets nur als eines Praktikers, und die in den Digesten auf uns gekommenen Citate (Lenel Paling. I 55f.) enthalten grösstenteils Responsen. Diese könnten nun gewiss von Sulpicius aus dem Unterricht übernommen und aufgezeichnet sein, und auch bei den Definitionen (dolus bei Cic. de off. III 60–61: cum ex eo quaereretur … respondebat; de nat. deor. III 74, vgl. auch Serv. und [330] Labeo Dig. IV 3, 1, 2; litus bei Cic. top. 32, vgl. Quintil. V 14, 34. Javolen. Dig. L 16, 112; frumentum bei Iulian Dig. L 16, 77) wäre das nicht undenkbar. Auch aus Pomp. 43 (instructus autem [Ser. Sulpicius] maxime a Gallo Aquilio qui fuit Cercinae; itaque libri complures eius exstant Cercinae confecti) kann man nichts für die Schriftstellerei des A. entnehmen: die letzten Worte sind, wenn man den Verfasser nicht mit seiner obigen Angabe (§ 42) in Widerspruch bringen will, auf Werke des Sulpicius zu beziehen (anderer Meinung Schneider Quaest. de Ser. Sulp. Rufo 19f. Krüger Qu. u. Litt. d. R. R. 60, 14). Man wird also die Frage, ob A. juristische Schriften verfasst hat, offen lassen müssen; aber auch wenn man solche annehmen wollte, würde man zugeben müssen, dass sie früh verschollen sind und dass die Citate der Digesten (höchstens mit Ausnahme derer des Labeo und Mela frg. 2. 7. 9 L.) secundärer Natur sind.
[Jörs.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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