28) M. Antonius M. f. M. n. Der vollständige Name ist durch ein im J. 1878 gefundenes Bruchstück der f. Cap. überliefert, wo von den Namen der Consuln des J. 655 = 99 erhalten ist M. Antonius M. f. M.[n]. A. Po[stumius] ......., von den Namen der Censoren des J. 657 = 97 [L. Valerius] ....Flaccus M. Anton[ius] ..... Ephem. ep. IV 253. Der Name des A. ist als des Grossvaters des Triumvirn wie bei ihm selbst und anderen Ascendenten zuerst getilgt und dann wiederhergestellt worden; vgl. CIL I p. 422. Über den Vater und Grossvater wird sonst nichts überliefert; vielleicht ist der M. Antonius Nr. 27 eines von beiden; nach den Zeitverhältnissen sind beide Annahmen möglich.
Er war geboren drei Jahre vor dem Redner Crassus (geboren Q. Caepione C. Laelio cos.), also im J. 611 = 143, Cic. Brut. 161 (quadriennio minor heisst Crassus de orat. I 364). Quaestor im J. 641 = 113; quaestor proficiscens in Asiam Brundusium iam pervenerat, ubi litteris certior incesti se postulatum apud L. Cassium praetorem (falsch, dieser war zum ausserordentlichen quaesitor zur Untersuchung des Incestes der Vestalinnen vom Volke gewählt), cuius tribunal propter nimiam severitatem scopulus reorum dicebatur, cum id vitare beneficio legis Memmiae liceret, quae eorum, qui rei publicae causa abessent, recipi nomina vetabat, in urbem tamen recessit; er wurde freigesprochen, Val. Max. III 7, 9; vgl. VI 8, 1. Praetor im J. 652 = 102; als praetor wird er bezeichnet Liv. per. 68, cum pro consule in Ciliciam (vgl. Brut. 168) proficiscens – – Cic. de orat. 82. Er war also nicht, wie seit Drumann I 61 beständig wiederholt wird, 104 Praetor, 103 Proconsul, sondern er erhielt [2591] als Praetor (wie die Praetoren von Spanien und Asien damals regelmässig) proconsularische Gewalt und Cilicia als provincia, das heisst den Krieg gegen die cilicischen Seeräuber; er focht glücklich gegen sie, Liv. per. 68; vgl. Obseq. 44 (aus beiden ergiebt sich mit Sicherheit das Jahr). Seine Eroberungen bildeten den Grundstock der späteren Provinz Cilicia; vgl. Marquardt St.-V. I² 379. Er feierte auch einen Triumph; eine schneidende Satire darauf lieferten die Piraten, indem sie A.s Tochter raubten, Plut. Pomp. 24. Während des Aufstandes des Saturninus im J. 654 = 100 extra urbem cum praesidio fuit zur Unterstützung des Senates, Cic. p. Rab. p. r. 26. Consul im J. 655 = 99 mit A. Postumius Albinus, f. Cap. (s. o.), M. Antonius Obs. 46. Cassiod., Antoninus Chronogr. Chr. Pasch., Antonius f. Idat. Cic. p. red. ad Q. 11. Plin. n. h. VIII 19. Gell. IV 6, 2. Appian. b. c. II 32. Als Consul widersetzte er sich den demokratischen Anträgen des Volkstribunen Sex. Titius Cic. de orat. II 48, vgl. III 3. Censor im J. 657 = 97 mit L. Valerius Flaccus, f. Cap. (s. o.); als Censor schmückte er die Rostra imperatoriis manubiis, also mit Beutestücken aus dem cilicischen Kriege, Cic. de orat. III 10. Die beiden Censoren stiessen M. Duronius aus dem Senat, quod legem de coercendis conviviorum sumptibus latam tribunus plebi abrogaverat, Val. Max. II 9, 5; offenbar um sich zu rächen, erhob Duronius eine Anklage gegen den Censor A. wegen ambitus, Cic. de orat. II 274. Über den Ausgang der Klage wird nicht ausdrücklich berichtet; doch ist zweifellos, dass auch dieser Versuch eines Tribunen, gegen einen Censor eine Anklage zu erheben, wie alle anderen gleichartigen, gescheitert ist. Als beim Ausbruch des Bundesgenossenkrieges zahlreiche Optimaten auf Grund des Gesetzes des Q. Varius vor die ausserordentliche Hochverratscommission gezogen wurden, ward auch A. vor ihr angeklagt und verteidigte sich selbst, Cic. Tusc. II 57. Dass er freigesprochen wurde, ergiebt sich daraus, dass er in eben jenem Kriege als Legat thätig war, Cic. Brut. 304. Wie er während seines ganzen Lebens zur Partei der Optimaten gestanden hatte, so gehörte er auch zu den vornehmen Opfern, welche Marius und Cinna bei Aufrichtung des demokratischen Regimentes abschlachteten. Sein Versteck, in das er sich geflüchtet hatte, wurde durch die Unvorsichtigkeit eines Sclaven verraten; die Soldaten, welche kamen, ihn zu töten, soll er durch die Macht seiner Beredsamkeit aufgehalten haben, bis der Tribun P. Annius ihm den Kopf abschlug und diesen Marius überbrachte, der ihn auf der Rednerbühne ausstellen liess, Liv. per. 80. Vell. II 22, 3. Val. Max. VIII 9, 2. IX 2, 2. Flor. II 9. Oros. V 19. Plut. Mar. 44; Anton. 1. Appian. b. c. I 72, kurze Erwähnungen seiner Ermordung Cic. de orat. III 10; Brut. 307; p. Scaur. 3, 2; Phil. I 34. Lucan. Phars. II 123. Dio Cass. XLV 47. Nach Cic. ad fam. VI 2, 2 hatte A. das Verderben schon lange vorausgesehen. Von seinen Kindern (der Name seiner Gattin wird nicht überliefert) kennen wir 1) M. Antonius (Creticus) Nr. 29, 2) C. Antonius Nr. 19, 3) Antonia Nr. 109.
Schon als Jüngling (adulescens, unmöglich kann dies auf die Anklage gegen Carbo gehen, wie nach Meyer Or. R. Fr.² 284 einer immer dem andern [2592] nachschreibt) machte sich A. durch Anklagereden bekannt, Cic. off. II 49. Der griechischen Bildung stand er ferner oder stellte sich wenigstens so (egomet qui sero ac leviter Graecas litteras attigissem, de orat. I 82), doch hörte er auf seiner Reise nach Cilicien in Athen und Rhodus griechische Redner und Philosophen, de orat. I 82. II 3. Vor dem Volke freilich hatte er den Grundsatz, so zu sprechen, dass omnino nunquam didicisse putaretur – – ne nosse quidem Graecos videretur, de orat. II 4. Darum gab er die Vorschrift dissimulare eloquentiam und darum nennt ihn Quintilian dissimulator artis, Quint. inst. II 17, 6. XII 9, 5. Mangel an juristischer Bildung hatte er nicht nötig zu erheucheln, da sie ihm thatsächlich abging, de orat. II 172. Aber durch seine ungemeine natürliche Begabung (incredibilis quaedam et prope singularis et divina vis ingenii, de orat. a. O.) und durch eifrige praktische Thätigkeit brachte er es dahin, dass er und der ihm eng befreundete L. Licinius Crassus die hervorragendsten Redner der marianisch-sullanischen Zeit wurden. Als solche hat sie Cicero zu den beiden Hauptpersonen in seinem Buch de oratore gemacht und hat auch sonst in seinen Schriften vielfach A. mit allgemeinen Lobsprüchen als grossen Redner gefeiert, z. B. Brut. 119. 138; orat. 18; Tusc. V 55 u. s. w. Neben zahlreichen einzelnen Bemerkungen in der Schrift de orat. und im Brutus über A.s Eigenart hat Cicero eine zusammenhängende Schilderung Brut. 139–142 entworfen. Was den Inhalt seiner Reden anlangt, so lag A.s Stärke durchaus auf dem Gebiete des Verstandes; er besass ausserordentlichen Scharfsinn (de orat. I 172. acumen quoddam singulare II 125; vir acerrimo ingenio orat. 18), ein Gedächtnis, das ihn niemals im Stiche liess (Brut. 139) und die vollendete logische Beherrschung des gesamten Beweismaterials; mit einem geschickten Strategen vergleicht ihn Cicero Brut. 139; wie dieser jede Truppengattung am rechten Ort und zur rechten Zeit verwendet, wusste A. in planvoller Berechnung seine Argumente aufmarschieren zu lassen. Diese dialektische Anlage seines Geistes und die discursive, verstandesmässige Art der Behandlung bewirkten, dass er, im Gegensatz zu Crassus, für die Gerichtsverhandlung weit geeigneter war, als für die Volksversammlung, Brut. 165. Mit seinem allgemeinen Charakter harmonierte auch die Form seiner Rede. Sein Ausdruck war correct, aber nicht eben elegant; nicht die Schönheit, sondern die praktische Wirkung war ihm die Hauptsache. Diese aber wusste er unter dem Schein des Kunstlosen durch sorgsame Berechnung in der Fügung der Rede zu erreichen (in verbis et eligendis – – et conlocandis et comprehensione devinciendis nihil non ad rationem et tamquam ad artem dirigebat. Brut. 140). Ein wesentliches Moment seiner rednerischen Erfolge war endlich die Art seines Vortrages (actio). Seine Gesticulation war in hohem Grade lebhaft (vgl. Cic. in Verr. V 3; Tusc. II 56; de orat. II 124. 195); aber wie er in der Rede, den rein rhetorischen Schmuck verschmähend, die Sinnfiguren bevorzugte, so waren auch seine ausdrucksvollen Bewegungen nicht darauf berechnet, diesen oder jenen einzelnen Ausdruck zu veranschaulichen, sondern sie schmiegten sich dem wechselnden Inhalt [2593] seiner Ausführungen an (Brut. 141), wie eine verständnisvolle Begleitung dem Auf- und Niederwogen der Melodie folgt. Seine Stimme hatte einen etwas heiseren (subraucida) und dunklen Klang (fusca Quint. inst. XI 3, 171); er wusste aus dem Mangel eine Tugend zu machen und benützte die natürliche Klangfarbe seines Organs, wenn es ihm galt, bei leidenschaftlichen Klagen die Seelen der Hörer vibrieren zu lassen (Brut. 142).
Ein Redner von solcher Art und mit so klarem, kühlen Kopf erkannte wohl, er würde durch Veröffentlichung seiner Reden seinen Ruhm nicht mehren. Und so ist es nur scherzhaft zu nehmen, wenn er zu sagen pflegte, er miede die schriftliche Herausgabe seiner Reden, damit ihm nicht Widersprüche vorgehalten werden könnten (Cic. p. Cluent. 140. Val. Max. VII 3, 5). So besass die Nachwelt schriftlich von ihm nur eine theoretische Schrift über die Beredsamkeit (hoc solum opus eius atque id ipsum imperfectum, Quint. 1, 19). Illum de ratione dicendi sane exilem libellum nennt es Cicero Brut. 163; es scheint nur eine Gelegenheitsschrift gewesen zu sein, die ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmt war (in libello qui me imprudente et invito excidit et pervenit in manus hominum de orat. I 94; vgl. I 206). Öfter wird daraus das Wort angeführt disertos se vidisse multos, eloquentem omnino neminem, Cic. de orat. I 94; vgl. III 189; orat. 18. Quint. VIII pr. 13. Plin. ep. V 20, 5. Ausserdem führt Quintilian III 6, 41 noch an: paucae res sunt, quibus ex rebus omnes orationes nascuntur, factum non factum, ius iniuria, bonum malum.
Folgende Processe, in denen A. als Redner auftrat, sind uns bekannt:
1) Selbstverteidigung gegen die Anklage des Incestes im J. 641 = 113, s. o. S. 2590, 52;
2) Er klagte Cn. Papirius Carbo (cos. 641 = 113) an, Cic. ad fam. IX 21, 3. Apuleius Apol. 66 p. 77 Kr.;
3) Im Process gegen Sex. Titius (nach 655 = 99) trat er als Zeuge auf; explicavi in eo testimonio dicendo omnia consilia consulatus mei, Cic. de orat. II 48; vgl. II 265;
4) Er verteidigte im J. 656 = 98 den M’. Aquillius, der repetundarum angeklagt war, Cic. de orat. II 124. 197; Verr. V 3. Quintil. II 15, 7. Liv. per. 70;
5) Im J. 660 = 94 verteidigte A. seinen politischen Gegner C. Norbanus, der lege Appuleia maiestatis angeklagt war; eine ausführliche Analyse seiner Rede giebt Cicero de orat. II 197–204, kürzere Erwähnungen de orat. II 124. 164. 167; de partit. or. 104;
6) Er verteidigte sich selbst lege Varia accusatus, s. o. S. 2591, 36;
7) In unbestimmter Zeit vertrat er in einem Privatprocess den M. Marius Gratidianus gegen C. Sergius Orata, dessen Sachwalter Crassus war, Cic. de orat. I 178; de off. III 67;
8) Er trat in einem Centumviralprocess als Gegner des C. Curio auf, der pro fratribus Cossis dixit, Cic. de orat. II 98. Dagegen ist nicht blos unbezeugt, sondern aus allgemeinen politischen Gründen höchst unwahrscheinlich, dass es in der von Duronius angestrengten Klage überhaupt zu einer Gerichtsverhandlung gekommen ist.
[2594] Mit den hervorragenden Rednern und Staatsmännern seiner Zeit stand A. in engen persönlichen Beziehungen, wofür Ciceros Schrift vom Redner einen fortlaufenden Beleg bietet; ganz besonders zu seinem grossen Nebenbuhler L. Crassus, de orat. I 24. Von vereinzelten Notizen über ihn seien noch angeführt: 1) eine witzige Bemerkung gegen Caelius, Cic. de orat. 11 257; 2) (Granius praeco) L. Crassi, ille M. Antonii voluntatem asperioribus facetiis saepe perstrinxit impune, Cic. p. Planc. 33; 3) audimus aliquem numquam tabulas confecisse, quae est opinio hominum de M. Antonio falsa, nam fecit diligentissime, Cic. Verr. I 60, vgl. de orat. II 97.
[Klebs.]
Nachträge und Berichtigungen
S. 2575ff. zum Art. Antonius:
28) (Zu S. 2590, 33) Zwei Ehreninschriften des Redners M. Antonius aus Delos, Bull. hell. VIII 133ff. XVI 155.
[Münzer.]
28) M. A., Redner im 2./1. Jh. v. Chr., Konsul im J. 99 v. Chr., Großvater des Triumvirn M. A. Nr. 30 (I 2595. S I 96. S VIII 917). (L) S I.
[Hans Gärtner.]
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