.
15) Athener, Zeitgenosse des Vorigen, vielfach mit ihm verwechselt, Sophist und Traumdeuter, als Gegner des Sokrates von Aristoteles (bei Diog. Laert. II 46) und Xenophon (mem. I 6) erwähnt. Er verfasste folgende Schriften: 1) Ἀλήθεια (über das Wesen der Dinge) in 2 Büchern, 2) Περὶ ὁμονοίας, 3) Πολιτικός, 4) Περὶ κρίσεως ὀνείρων, deren Stil Hermogenes (Rh. Graec. II 414 Sp.) als schwerfällig bezeichnet. Fragmente in der Ausgabe des Redners A. von Blass, Leipzig 1881, aus Iamblich vervollständigt von demselben, Kiel (Univ. Schr.) 1889. Genaueres bei H. Sauppe De A. sophista, Götting. 1867. Diels Dox. 664a. Blass Att. Bereds. I² 108. Zeller Ib⁵ 1070.
[E. Wellmann.]
Nachträge und Berichtigungen
S. 2529, 44 zum Art. Antiphon:
15) Antiphon, Athener, als ‚Sophist‘ zu unterscheiden vom Redner, dem Rhamnusier, wie jetzt allgemein angenommen wird. Durch neue Funde erweiterte Zeugnisse über Leben und Schriften. sowie die Fragmente: Diels Vorsokratiker³ II 289ff.; dazu noch Pap. Oxyrh. XI 92, und Diels S.-Ber. Akad. Berl. 20. Juli 1916. Frühere Sammlung im Anhange von Blass’Ausgabe des Redners. Für identisch hielten beide Joel Der echte und der xenophontische Sokrates II 629ff., und andere. H. Gomperz Sophistik u. Rhetorik 57ff., besonders 59. 96 schwankt, entscheidet sich für Trennung, hält aber eine zeitliche Entwicklung eines und desselben Mannes vom Zeichendeuter, Traumausleger und ,Tröstungskünstler‘ bis zum Politiker für möglich (von einer Entwicklung zur Rhetorik spricht die an sich unsinnige Geschichte [Plut.] Vit. X oratorum 1 p. 833 c, wo freilich [34] wie in A 9 die Konfusion durch Hereinziehen des Tragikers noch erhöht ist, vgl. Diels zu A 6, Vorsokratiker³ II 291), bis eine differenzierte Sprachstatistik ihr letztes Wort gesprochen hat. Suidas: Ἀντιφῶν Ἀθηναῖος τερατοσκόπος καὶ ἐποποιὸς καὶ σοφιστής· ἐκαλεῖτο δὲ Λογομάγειρος (über den Sinn dieser Bezeichnung E. Jacoby De A. sophistae περὶ ὁμονοίας libro, Diss. Berl. 1908, 52, 104: propter orationem nimia diligentia concoctam). Mit falschem neuem Stichwort; von dieser Trennung ist sonst nirgends die Rede: Ἀ. Ἀθηναῖος ὀνειροκρίτης· Περὶ κρίσεως ὀνείρων ἔγραψεν. Daß ,erst Didymos die Identität mit dem Redner bezweifelt (Hermogenes de ideis II 11, 7)‘ – so Gomperz 58 – und Hermogenes selbst nur stilkritische Momente geltend macht, schließt nicht aus, daß in der früheren Zeit die Trennung eben als selbstverständlich bekannt war und erst, nachdem die Verwechslung eingetreten war, ausdrücklich begründet wurde. Über diese Fragen Sauppe Ausgewählte Schriften 508ff. Altwegg De Antiphonte qui dicitur Sophista quaestionum particula I de libro περὶ ὁμονοίας scripto, Diss. Basil. 1908, der S. 5–12 die Zeugnisse der Alten zusammenstellt. Die Zuordnung der von Diels Vorsokratiker 80 B zusammengestellten, in Fragmenten erhaltenen Schriften, die unten genauer besprochen werden, scheint gesichert. Schwierigkeit machen die τέχναι, sowohl die allgemeine rhetorische, B 3, (Jacoby 52–53. Norden Ant. Kunstprosa I 72, 2 weist sie dem Sophisten zu) als besonders die τέχνη ἀλυπίας; irrig jedenfalls Altwegg 40: hic enim ipse, qui dicitur περὶ ὁμονοίας liber, τέχνη est ἀλυπίας. Diels zu A 6 ([Plut.] Vit. X oratorum 1 p. 833c): ,eine besondere Schrift scheint wenig glaublich‘. Jedenfalls ist sie dem Sophisten, nicht wie an der oben zitierten [Plut.-] Stelle dem Rhamnusier zuzusprechen. Daß Thukydides ,Schüler des Rhamnusiers‘ war, ist nach Hermog. de ideis II 11, 7 Überlieferung der Alten – vgl. auch Thuk. VIII 68 – und wohl richtig, selbst wenn der Stil des Historikers mit dem der ἀλήθεια übereinstimmt – so Hermog. a. a. O; vgl. auch Norden Ant. Kunstprosa I 97, 1. Welchen A. Xenophon mem. I 6, 1ff. (Diels A 3) meint, war nach Athen. XV 673f. bereits im Altertum Gegenstand gelehrter Untersuchung. Daß die Bezeichnung Ἀ. ὁ σοφιστής bei Xenophon allein noch nichts entscheidet, ist Gomperz 58 zuzugeben. Hat man sich einmal für die Trennung der beiden aus anderen Gründen entschieden, so paßt dies Thema des Gespräches: eudämonistische und utilitaristische Einwände gegen den unentgeltlich unterrichtenden Sokrates gut zu dem Standpunkt des Atheners, auch abgesehen von Diog. II 46 = Arist. περὶ ποιητικῆς frg. 75 R.: τούτῳ [Sokrates] ἐφιλονίκει ... Ἀ. ὁ τερατοσκόπος. Ob Xenophon einen Dialog des Antisthenes hier ausschreibt oder nicht, ist für unsere Frage gleichgültig (Altwegg 6 mit Literatur).
Über das äußere Leben des A. ist nichts bekannt: es kann sich also nur darum handeln, die ihm zugewiesenen Bruchstücke zunächst innerhalb der einzelnen Werke zusammenzustellen, dann diese miteinander in Beziehung zu setzen und den geistigen βίος des Mannes, soweit er [35] sich fassen läßt, aus seiner Zeit zu verstehen, sowie ihn hinsichtlich seines Stiles in den geschichtlichen Zusammenhang einzuordnen. Diese Arbeit ist bisher in erster Linie für die Schrift περὶ ὁμονοίας (Diels B 44a–71) wegen ihres einigermaßen greifbaren Gehaltes geleistet worden, in dem beiden unabhängig voneinander geschriebenen bereits zitierten Dissertationen von Jacoby und Altwegg; für das ganze Werk des A. hat Gomperz Soph. u. Rhet. 57–68 eine lebendige, freilich von hypothetischen Ansetzungen nicht freie Darstellung gegeben. Zeller Phil. d. Gr.⁵ I 2, 1070, 4 gibt nur das Äußerlichste. Nachdem aber das viel größere und vor allem zusammenhängende Bruchstück der Ἀλήθεια (Pap. Oxyrh. XI 92) bekannt geworden – v. Wilamowitz hatte es bereits vor der Veröffentlichung dem A. zugewiesen – hat die Betrachtung naturgemäß davon auszugehen und von hier aus die Bruchstücke, die bisher bekannt waren, zu deuten.
1. Die Deutung und Einordnung des neuen Bruchstückes von etwa 300 Zeilen bei Diels Ein antikes System des Naturrechtes, Internat. Monatsschr. XI [1917] 82–102. Dort ist auch alles übersetzt; den Text hatte Diels mit einigen Verbesserungen und Ergänzungen in den Sitzungsberichten der Berl. Akad. vom 20. Juli 1916 abgedruckt. Der Papyrus stammt aus dem 3. nachchristl. Jhdt. Diels zählt die Zeilen nicht durch, wie die englischen Herausgeber, sondern jede Kolumne einzeln; so wird auch hier zitiert.
Der Inhalt ,dieser Inkunabel der attischen Philosophie‘ ist zugleich das Hauptthema der damaligen Sophistik: der Gegensatz von φύσις und νόμος. Der Ausgangspunkt ist die auch dem Hippiaskapitel Xen. mem. IV 4, 13 zugrunde liegende Definition des δίκαιον: πάντα τὰ τῆς πόλεως νόμιμα ἐν ᾧ ἂν πολιτεύηταί τις μὴ παραβαίειν. Gegen dieses konventionelle Satzungsrecht entwickelt A. das φύσει δίκαιον, welches eine viel größere Garantie für den ,Nutzen‘ und daher auch für seine Durchführung bietet, während das bloße Satzungsrecht zur Heuchelei führen muß. Der Beweis erfolgt in Gedankengängen, die an den vollkommenen Ungerechten im II. Buch des platonischen Staates erinnern: μονούμενος μαρτύρων tut jeder τὰ τῆς φύσεως, 1, 20; das Natürliche ist unbezwinglich, ἀναγκαῖα, und das ,Aufgesetzte‘, ἐπίθετα der Gesetze kann nie über das ,Naturgewachsene‘, τὰ φύντα dauernd siegen. Gründet man das Recht auf die φύσις, so hat man die Gewähr, daß auch ohne Zeugen jeder sich nach ihm richten wird, nach der ἀλήθεια und nicht nach der δόξα, 2, 21. Die Naturwidrigkeit der Gesetze wird in breiter Rhetorik begründet: sie schreiben den Augen vor, was sie sehen sollen und was nicht, den Ohren, den Händen, Füßen entsprechend: dem Geist (νοῦς), was er begehren soll, 3, 15. Nichts Gebotenes nun ist der φύσις φιλιώτερον οὐδ’ οἰκειότερον als das Verbotene; τ[ὸ δ’ αὖ Diels (τ[ὸ γὰρ Hunt) ζῆν ἐστι τῆς φύσεως καὶ τὸ ἀποθανεῖν. καὶ τὸ μὲν ζῆν αῦτοῖς ἐστιν ἀπὸ τῶν ξυμφερόντων· τὰ δὲ ξυμφέροντα τὰ μὲν ἀπὸ τῶν νόμων κείμενα δεσμὰ τῆς φύσεώς ἐστι. τὰ δ’ ὑπὸ τῆς φύσεως ἐλεύθερα [36] οὔκουν τὰ ἀλγύνοντα ὀρθῷ γε λόγῳ ὀνίνησιν τὴν φύσιν μᾶλλον ἢ τὰ εὐφραίνοντα· οὔκουν ἂν οὐδὲ ξυμφέροντ’ εἴη τὰ λυποῦντα μᾶλλον ἢ τὰ ἥδοντα· τὰ γὰρ τῷ ἀληθεῖ ξυμφέροντα οὐ βλάττειν δεῖ, ἀλλ’ ὠφελεῖν· τὰ τοίνυν τῇ φύσει ξυμφέροντα τούτ[ων ... Diels 92 urteilt über diese äußerlich doch äußerst straff gebauten Folgerungen: ,Schwierig ist es den Zusammenhang der scheinbar trivialen Gedanken … zu erkennen.‘ Für eine Interpretation dieser Stelle ist es notwendig, sich stets die ganz andere Bedeutung von φύσις gegenwärtig zu halten, die damals und noch lange hinaus dieses Wort behielt. So wenig der νόμος in der Fassung A.s unserer ,Kultur‘ entsprechen kann, so wenig φύσις bei seiner steten Gleichsetzung mit ἀλήθεια und ὀρθὸς λόγος unserer ,Natur‘ im Sinne einer mechanischen Gesetzmäßigkeit ,physischen‘ Geschehens. Weder liegt eine Naturalisierung des Logos noch umgekehrt eine Rationalisierung der Natur vor, sondern eine ungeschiedene Einheit von einer umfassenden eo ipso psychophysischen Wirklichkeit, aus der sich gerade erst jener Komplex der bloßen Konvention, der ,verabredeten Sitte‘ der ὁμολογήσαντες (2, 6) abzulösen beginnt, der von unserem A. bekämpft wird. Jede Gleichsetzung griechischer Termini mit gleichlautenden modernen, die einen jahrtausendelangen Bedeutungswandel durchgemacht haben, verbaut das Verständnis für die Schlußweise der Alten, läßt ihre Gedanken trivial erscheinen und stört meist sehr bald die Genugtuung. Modernes bei ihnen ,schon‘ anzutreffen. Diels 91 hat sehr recht, wenn er in den obigen Worten ,den Grundsatz der autonomen Moral: naturae convenienter vivere, den die Sokratik allen späteren Schulen vermacht hat, im Keime vorgebildet‘ findet, nur darf dann die gesamte Position des A. nicht ohne Einschränkung als ,Naturrecht‘ bezeichnet werden, bei dem wir doch zunächst nicht an sokratische Prinzipien zu denken pflegen. Diels lehnt 93 für A. eine Hinneigung zum Hedonismus mit dem Hinweis auf ,die mehr pessimistische Auffassung des Lebens‘, die die anderen Fragmente zeigen, ab; Hegesias zeigt, daß dieses beides sich sehr gut verträgt: vgl. u. S. 43. Wenn Diels 101 diese ,naturrechtlichen Ideen erst wirksam findet, als sie von dem linken Flügel der Sokratik (Antisthenes und Aristippos) begierig aufgegriffen und in den späteren Weltsystemen Zenons und Epikurs ihre wissenschaftlichere Begründung und zugleich ihre praktische Anwendung gefunden hatten‘, so läßt diese Fassung die gemeinsame Grundlage nicht ganz hervortreten, auf der alle diese Richtungen in einer hier nicht ohne weiteres verständlichen Weise sich für ,bewiesen‘ halten durften. Der stets wiederkehrende, auch den platonischen Sokratismus beherrschende Gedankengang ist in dem oben ausgeschriebenen Kapitel des A. in pointierter Klarheit zu fassen und kann bei dessen Interpretation am einfachsten erläutert werden. Die Augen müssen sehen – so war der Gedankengang – das ist ihr οἰκεῖον, ihre lebendige Physis. Leben und Sterben gehört in den Bereich der Physis. (An die Todesstrafe mit Diels zu denken, liegt kein Grund vor; aller Nachdruck liegt auf dem Lebensbegriff, zu dem der Tod [37] mehr ,als polare Ausdrucksweise‘, freilich auch wegen der rhetorischen Antithese gesetzt ist.) Das Leben kommt von dem Zuträglichen. Nun gibt es auch zuträgliche Wirkungen des νόμος; man erkauft aber diese – scheinbare, weil nicht letzte – Zuträglichkeit durch eine Fesselung der φύσις, während alle naturgemäßen, weil verständlichen, beweisbaren Regelungen als frei empfunden werden (in der Tat Prinzip der Sokratik, der Lehrbarkeit der Tugend, des sog. sokratischen Eudämonismus). Demnach bedarf der in zwiefachem Sinne sichtlich gebrauchte Begriff des συμφέρον eine Bestimmung; denn das scheinbare συμφέρον der Satzung kann seinem vollen Sinne nicht entsprechen. Völlig dem Prinzip somatischer Beweisführung entsprechend wird durch eine Kette verwandter Begriffe die Bedeutung so lange verschoben, bis der geforderte Sinn sich einstellt. Der Mittelbegriff zwischen dem συμφέρον und dem ἡδύ, welches sicher nicht dem von der Satzung ausgehenden Guten zugesprochen werden kann, ist der des ὀνινάται. Wie in dem lateinischen iuvat klingt hier bereits mehr als in dem objektiven συμφέρειν das subjektiv Lustvolle mit, vgl. den Wunsch: ὄναιο, ὀναίμην. Damit ist der richtige Sinn, ὀρθὸς λόγος, erreicht: τὸ τῷ ἀληθεῖ συμφέρον, oder wie es später noch stringenter heißt: τὸ τῇ φύσει – synonym mit τῷ ἀληθεῖ, daher nicht für die Natur, sondern ,im Sinne der φύσις‘, wie bei Platon u. a. φύσει δίκαιον, oder τὸ δίκαιον αὐτό, nicht δοκοῦν – συμφέρον. Damit ist in der Tat eine gewisse Annäherung an des Demokritos Lehre von der τέρψις καὶ ἀτερψίη als ὅρος τῶν συμφόρων καὶ ἀσυμφόρων (B 188) erreicht. Freilich ist durch eine andere, in diesem Bruchstück des A. nicht direkt ausgesprochene, aber sonst von ihm überlieferte ,eleatische‘ Lehre sein φύσις-Gedanke noch in eine engere Beziehung zum λόγος und zur ἀλήθεια gesetzt, die gerade in ihrer bei A. vorliegenden Einfachheit ein Licht auf die Genesis sokratischer Gedanken zu werfen geeignet ist und die scheinbar widersprechenden Ausprägungen der kynischen und kyrenaischen Sokratik aus einer Wurzel abzuleiten gestattet. Denn wie immer die Stelle über die Einheitlichkeit des Seienden B 1 im Wortlaut aus dem verwüsteten Text Galens herzustellen ist (den Stand der handschriftlichen Überlieferung und die Verbesserungsvorschläge bei Diels im Apparat, dazu Gomperz 66), daß Diels den Sinn richtig mit seiner Übersetzung getroffen hat, steht fest: ,Hast Du dies verstanden, so weißt Du, daß für den Logos nichts einzelnes existiert, weder von dem, was der Weitestblickende mit dem Auge erschaut, noch von dem, was der Weitestdenkende mit der Denkkraft erdenkt.‘ Diels vergleicht Parmenides B 1, 36; vielleicht ist B 2 und 3 noch näherliegend:
λεῦσσε δ’ ὁμῶς ἀπεόντα νοῷ παρεόντα βεβαίως
οὐ γὰρ ἀποτμήξει τὸ ἐὸν τοῦ ἐόντος ἔχεσθαι
οὔτε σκιδνάμενον πάντῃ πάντως κατὰ κόσμων
οὔτε συνιστάμενον.
3. ξυνὸν δέ μοί ἐστιν, ὁππόθεν ἄρξυμαι.
Dieser unbedingte Zusammenhang (ξυνὸν = ,Zusammenhängendes‘ Diels) alles Natürlichen. Wahren. Wirklichen ist nun für A. keine, bloße [38] theoretische Angelegenheit – man vergleiche für diese Seite die frg. B 22. 23. 24. 24a, vielleicht auch 25, in denen von der Ordnung der Dinge die Rede ist, und frg. 63 –, sondern stellt sich ihm dar als die sinnvolle Bestimmtheit auch des menschlichen Geschehens. Da alles einen Sinn haben muß, dieser Sinn aber unmittelbar in dem ,Leben‘, dem unwillkürlichen Ausgleich von Schmerz und Lust, sich darstellt, so folgt der φύσις, wer dem Lustvollen eine unmittelbare Wahrheit einräumt, den Instinkt ausbildet und leitet und der γνώμη folgt, B 2: πᾶσι γὰρ ἀνθρώποις ἡ γνώμη τοῦ σώματος ἡγεῖται καὶ εἰς ὑγίειαν καὶ νόσον καὶ εἰς τὰ ἄλλα πάντα – wobei νόσον wieder rhetorisch ,polare‘ Vollständigkeit ist; vgl. auch aus der andern Schrift frg. 58: … ὅστις τοῦ θυμοῦ ταῖς παραχρῆμα ἡδοναῖς ἐμφράσσει αὐτὸς ἑαυτὸν κρατεῖν τε καὶ νικᾶν ἠδυνήθη αὐτὸς ἑαυτόν (vgl. die pädagogischen Theorien des A. frg. 60. 61). Dies tut nicht, wer die Perversion des Lustvollen ins Verbotene mit vollziehen hilft, wie sie die Gesetze oft fordern (vgl. für die spätere Ausgestaltung dieses Prinzips auch den Art. Kyrenaiker). Dabei sind die Gesetze nicht imstande – das ist die Fortsetzung der Kolumnen 5–7, die Diels sicher gedeutet hat –, irgendein wirkliches συμφέρον demjenigen zu bieten, der sie befolgt (man sieht die völlig konsequente Fortführung des oben skizzierten Beweisganges); im Gegenteil lassen sie denjenigen, der etwa sich beleidigen läßt, der dem Gegner den Eid überläßt, durchaus im Stich: man hat mehr Schmerz als Lust davon, wo einem doch bei richtigem Verhalten es durchaus möglich gewesen wäre, etwa den Prozeß zu gewinnen, hätte man sich nicht nach der ,δόξα‘ des δίκαιον gerichtet, wie sie in dem ‚ἔδοξε‘ der πόλις und des Gerichtes oft widerspruchsvoll sich äußert. Da das einzig haltbare Prinzip nicht vorliegt, ist auch die erzieherische Wirksamkeit gering (6, 9ff.), weil man die δόξα der Richter durch πείθειν bestimmen kann: γίγνεται γὰρ νίκη καὶ ῥήμασι – so ungefähr mag die Fassung des nach dem Vorhergehenden wohl sicheren Sinnes etwa lauten. Der enge Zusammenhang, in dem diese Lehren mit dem allgemeinen Sinn und den Ausführungen der Schrift über die Eintracht stehen, soll bei deren Behandlung zur Sprache kommen. Unser Bruchstück bricht hier ab, und nach einer größeren Lücke folgen einige Bemerkungen über die unberechtigte Scheidung von Vornehmen und Niedriggeborenen: auch die Barbaren atmen und essen in gleicher Weise wie wir. In dieser Lehre von der natürlichen Verwandtschaft aller Menschen fassen wir die Abhängigkeit des A. von Hippias, den Platon im Protagoras 337cff. sicher durch eine für ihn bezeichnende Lehre charakterisiert: … ἡγοῦμαι ἐγὼ ὑμᾶς συγγενεῖς τε καὶ οἰκείους καὶ πολίτας ἅπαντας εἶναι φύσει. οὐ νόμῳ· τὸ γὰρ ὅμοιον τῷ ὁμοιῳ φύσει συγγενές εστιν. ὁ δὲ νόμος τύραννος ὢν τῶν ἀνθρώπων πολλὰ παρὰ τὴν φύσιν βιάζεται. Über diese Frage vgl. Dümmler Academica 258; Kl. Schr. I 182. Diels 100.
Über den Zusammenhang dieser Lehre von der natürlichen Verwandtschaft aller Menschen mit der ὁμόνοια, der übrigens die Lehre nicht [39] so trivial erscheinen läßt wie Diels annimmt, s. u. Zunächst soll der weitere Inhalt der zwei Bücher der Ἀλήθεια skizziert werden. Das erste Fragment ist bereits erörtert. Zur Verdeutlichung der φύσις als der οὐσία τῶν φύσει ὄντων und τὸ πρῶτον ἐνυπάρχον ἑκάστῳ – so Arist. phys. B 1, 193a, 9 – hat bereits Diels 84 das Fragment des A. herangezogen und erläutert das Aristoteles an der zitierten Stelle zur Illustration des φύσις-Begriffes bringt: εἴ τις κατορύξειε κλίνην καὶ ἡ σηπεδὼν τοῦ ξύλου ἔμβιος γένοιτο, οὐκ ἂν γένοιτο κλίνη, ἀλλὰ ξύλον, B 15 D; Über die naturwissenschaftliche Möglichkeit einer derartigen ,Adventivbildung‘ und Regeneration vgl. Diels. Die philosophische Absicht ist die, den Vorrang der natürlichen Formung vor jeder künstlichen nachzuweisen, und zwar durch das oben in geistigem Sinne gewandte Motiv des φῦναι; βλάστημα opp. νομοθέτημα zeigt die Mittelglieder; vgl. etwa Hippocr. de arte 2 [p. 36, 18 Gomp.²] bei Diels Vorsokr. 80, 1 Ende.
Vielleicht ist das vielverhandelte, nicht sehr glückliche Beispiel der .κλίνη, im X. Buch des platonischen Staates (p. 596 Aff.) im Widerspruch zu dieser in der sophistischen Literatur vielleicht sonst noch verwandten ,nicht gewachsenen‘ Kline konzipiert als μία ἡ ἐν τῇ φύσει οὖσα, ἣν φαῖμεν ἄν, ὡς ἐγὦμαι, θεὸν ἐργάσασθαι 597 B 5; man wäre glücklich, Platon von der ganz spontanen Erfindung dieses Bildes entlasten zu können. Eins geht sicher aus diesem Satz des A. hervor: daß recht früh schon eine Diskussion des Form-Stoffproblems eingesetzt haben muß. Der Vergleich mit Platons Behandlung dieses Problems beleuchtet die Gottesvorstellung des A., wie sie in B 10. 12 vorliegt; auf den Singular in frg. 54 Ende weist Jacoby 32 hin; natürlich erkennt A. nicht die Volksgötter an; ihm wird offenbar Gott und Natur zur völligen Einheit. Eine solche Lehre ist in der frühen Philosophie – seit Xenophanes – ganz allgemein; die besondere Beziehung zur Lehre des Empedokles, die H. Gomperz 64 nach dem Vorgange seines Vaters bei A. annehmen will, findet im einzelnen keine Bestätigung; der ganze Stil des βίος mag passen. Wie sehr in dieser Gott-Natur der Ton auf dem zweiten lag, zeigt die ausdrückliche Ablehnung der πρόνοια frg. 12. Die anderen Fragmente der Ἀλήθεια, soweit sie nicht einfach den Stil und Sprachgebrauch des A. belegen sollen (s. u.) und gar keinen Rückschluß auf den Inhalt gestatten, zeigen das vertraute Bild einer sehr verschiedenartige Wissensgebiete streifenden populären Zusammenfassung des damaligen Wissens für allgemeine Bildungszwecke. Am deutlichsten läßt sich die Quadratur des Kreises fassen, die A. durch eine dichotomische Teilung von Seiten eines eingeschriebenen Quadrates oder gleichseitigen Dreieckes bis zu möglichster Annäherung an die Peripherie versucht hat: Diels B 13: Arist. phys. A 1, 185a, 14. Soph. el. 11, 172a. 7. Simpl. Phys. 54, 12. Themist. phys 4. 2. – Alles bisher Behandelte steht in dem ersten Buche der Ἀλήθεια, das Diels mit ,Erkenntnistheorie und Prinzipienlehre‘ überschreibt, auch das neue große Bruchstück: dieses stand jedenfalls nicht weit vom Anfang der Rolle (Diels Sitz.-Ber. 931). Über [40] die Disposition urteilt Diels Intern. Mon. 85, ,daß die paradoxen Sätze des naturrechtlichen Abrisses nur eine Episode im Rahmen des ganzen Buches bilden‘. Hier ist versucht worden, den Zusammenhang etwas enger zu fassen, doch kann über eine der historischen geistigen Lage angemessene Präzisierung des Grundgedankens hinaus kaum im einzelnen etwas ausgemacht werden. Das zweite Buch, von Diels ,Physik und Anthropologie‘ überschrieben, frg. 22–44, läßt noch weniger den Zusammenhang erkennen; allgemeine Begriffe, die ebensogut der Erkenntnislehre zugewiesen werden könnten, aber ausdrücklich als ἐν Ἀληθείας δευτέρῳ zitiert werden, eröffnen die Reihe der Fragmente bei Diels (22–25); es folgen Astronomisches (26–28), Meteorologisches (29), Erdgeschichtliches (30. 31: γρυπάνιον scheint hier ohne Bezug auf das Krumme lediglich = γερόντιον [vgl. Hesych.] das vom Alter Runzelige zu bezeichnen), Biologisches, Medizinisches machen den Beschluß; das letzte (44) steht in dem neuen Bruchstück und sicherte die Zuweisung an A. auch äußerlich.
2. Περὶ ὁμονοίας. Allgemeine Charakteristik Philostr. v. soph. I 15, 4. Diels B 44a σοφιστικώτατος λόγος, ἐν ᾧ γνωμολογίαι τε λαμπραι καὶ φιλόσοφοι σεμνή τε ἀπαγγελία καὶ ἐπηνθισμένη ποιητικοῖς ὀνόμασι καὶ τὰ ἀποτάδην ἑρμηνευόμενα παραπρλήσια τῶν πεδίων τοῖς λείοις. Versuch einer Rekonstruktion mit der erreichbaren – sehr geringen – Wahrscheinlichkeit im Anhang von Altweggs Dissertation. Der Inhalt bei v. Wilamowitz Arist. u. Athen I 173, 77. Über den Sinn des Titels vgl. das Diels 44a abgedruckte Stück Iambl. ep. περὶ ὁμονοίας [Stob. II 33, 15] – besonders die philosophisch außerordentlich wichtige ὁμογνωμοσύνη ἑνὸς ἑκάστου πρὸς ἑαυτόν: ὑφ’ ἑνὸς μὲν γάρ τις νοήματος καὶ μιᾶς γνώμης κυβερνώμενος ὁμονοει πρὸς ἑαυτὸν διχογνωμονὼν δε πρὸς ἑαυτὸν καὶ ἀνόμοια λογιζόμενος διαστασιάζει … ὁ ἄστατος τοῖς λογισμοῖς καὶ ἄλλοτε ὑπ’ ἄλλης δόξης φερόμενος ἀστάθμητός ἐστι καὶ πολέμιος πρὸς ἑαυτόν. Parallelen bei Diels, weitere bei Jacoby 18ff. Obwohl diese Seite der ὁμόνοια bei A. nicht ausdrücklich ausgesprochen ist, bildet sie doch die Grundlage aller der scheinbar zusammenhangslosen psychologischen und ethischen Lehren. So vertieft sich sofort der Sinn des zunächst trivial sich gebenden langen Fragmentes von der Ehe (über seinen höchst raffinierten rhetorischen Bau Jacoby 64), wenn beobachtet wird, daß (Vorsokr.³ 300, 10) die Ehe als eine Verdoppelung des eigenen Selbst aufgefaßt wird und deshalb als eine besonders schwere Prüfung der ὁμόνοια πρὸς ἑαυτόν erscheint: ἐγὼ γάρ, εἴ μοι γένοiτο σῶμα ἕτερον τοιοῦτον ⟨ἐπιμελὲς ὂν Diels. Jacoby 64, 120⟩ οἷον ἐγὼ ἐμαυτῷ οὐκ ἂν δυναίμην ζῆν, οὕτως ἐμαυτῷ πολλὰ πράγματα παρέχων .... τί οὖν. εἰ γυνῆ γένοιτο σῶμα ἕτερον τοιοῦτον, ὅ γέ μοι οὕτως ἐπιμελὲς εἴη: οὐκ οὖν δῆλον, ὅτι γυνὴ ἀνδρί, ἔαν ᾗ καταθυμία, οὐδὲν ἐλάττους τὰς φιλότητας παρέχεται καὶ τὰς ὀδύνας ἢ αὐτὸς ἑαυτῷ .... Nicht die triviale Rede von den zueinander passenden Gatten, sondern ein bestimmtes psychologisches Problem steckt hinter diesem scheinbar in rhetorischen Spitzfindigkeiten sich bewegenden Gedankengang; [41] das tritt noch stärker hervor, wenn man sich an die Bedeutung σῶμα = Person erinnert (vgl. Hirzel Die Person, S.-Ber. Akad. Münch. phil.-hist. Kl. 1914, 10. Abh. 6ff.). Hiernach gewinnt auch der Anfang: die Ehe καινοῦ δαίμονος ἄρχει, καινοῦ πότμου eine prägnantere Bedeutung, indem die Vorstellung des δαίμων, dessen οἰκητήριον ψυχή, hineinspielt. Merkwürdig übrigens am Schluß des Abschnittes der Gebrauch von πρόσωπον; vgl. Hirzel 40. Parallelen zu diesem Fragment aus den Tragikern, die freilich sich meist in der vageren oben abgelehnten Bedeutungssphäre halten, bei Jacoby 34ff. Altwegg 22ff. Diels selbst bringt Parallelen, fügt aber hinzu: ,an Entlehnung des einen oder anderen ist nicht zu denken‘; bei den kümmerlichen Resten gerade dieser sophistischen Literatur muß man sich begnügen, die geistige Atmosphäre, in der von den Tragikern besonders Euripides lebte, durch Parallelen zu bezeichnen.
Von demselben Grundgedanken, der ὁμόνοια πρὸς ἑαυτόν, sind schließlich auch die folgenden psychologisch-ethischen Fragmente zu verstehen. Sofern es sich ums Wollen handelt, ist die Aufgabe: seiner γνώμη treu zu bleiben, nicht trotz guter Vorsätze, ἐὰν τὸ ἔργον παρῇ, ὀκνεῖν (frg. 56. 57): ,νόσος δειλοῖσιν ἑορτή‘. οὐ γὰρ ἐκπορεύονται ἐπὶ πρᾶξιν. Noch deutlicher tritt die Einheit mit sich selbst als treibendes Motiv im frg. 58 hervor, Jacoby 11. 41. Altwegg 42. So wenig ein Zaudern empfohlen wird, so wenig eine Überstürzung: die Zeit zeigt die wahren θελήματα; wer fürchtet, das, was er tun will, zu verfehlen und das, was er nicht will, zu erhalten, der ist besonnen, insofern er sich selbst bezwingt und nicht den παραχρῆμα ἡδοναί nachgibt. In der rhetorischen Antithese μή, ἃ θέλει ποιῆσαι, ἁμαρτὼν τούτων, ἃ μὴ θέλει, ἀπενέγκηται (Interpunktion nach Altwegg) verbirgt sich das Kernproblem noch der sokratischen Ethik: der Mensch will gar nicht das Böse; das ist ein Widerspruch in sich; über ihn braucht die γνώμη bloß aufgeklärt zu werden, die Einheit der Seele mit sich selbst nur hergestellt zu werden; es führt ein gerader kurzer Weg zu dem βούλεσθαι stets = ἀγαθὰ βούλεσθαι des platonischen Gorgias und dem οὐδεὶς ἑκὼν ἁμαρτάνει. Wenn Diels den Sinn von frg. 59: ὅστις τῶν αἰσχρῶν ἢ τῶν κακῶν μήτε ἐπεθύμησε μήτε ἥψατο, οὐκ ἔστι σώφρων· οὐ γὰρ ἐσθ’ ὅτου κρατήσας αὐτὸς ἑαυτὸν κόσμιον παρέχεται so wiedergibt: ,er hat nichts, woran er seine autonome Sittlichkeit bewähren kann‘, so liegt die Parallele mit Kant noch mehr in dem auch bei ihm entscheidenden Gedanken, daß aus den widerstreitenden θελήματα eine Einheit, eine ὁμόνοια mit sich selbst hergestellt wird: was A. mit dem prägnanten ἀὐτὸς ἑαυτὸν κόσμιον παρέχεται bezeichnet. So viel näherliegender es scheint, die ὁμόνοια zuerst in dem trivialen Sinne der Eintracht verschiedener Menschen zu fassen, so würde doch diese für den utilitaristischen, egoistischen Standpunkt gar kein letzter Wert sein, wenn nicht der wohlverstandene Vorteil, der ὀρθὸς λόγος die richtige Rechnung, die γνώμη, sicher bestimmte – auf andere Triebfedern ist ja nach dem ganzen Standpunkte des A. kein Verlaß. Dieser wirklich gewollte Vorteil, [42] zu dem die ἡδονή, wie wir oben sahen, unabtrennbar gehört, ist freilich einer Fassung fähig, die ihm eine nahezu altruistische Färbung geben kann und die ὁμόνοια in dem uns zunächstliegenden Sinne herstellt. Der Mittelbegriff ist für A. die χάρις, τὸ χαρίζεσθαι. Der Geizhals in dem schönen Gleichnis bei Stob. III 16, 30. frg. 54 bereut es, nicht ,gefällig‘ gewesen zu sein; aber dieser Ausdruck gibt das οὐ χαρισαμένῳ, ἀλλ’ ἀχαριστήσαντι nur sehr von ferne wieder. Demokritos B 255 D, dessen Ethik der des A. ja auch sonst nahesteht, beleuchtet die Fabel des A. aufs beste und zeigt, worauf es hier ankommt, Stob. [flor.] IV t. 1, 46 H.: ὅταν οἱ δυνάμενοι τοῖς μὴ ἔχουσι καὶ προτελεῖν τολμέωσι καὶ ὑπουργεῖν καὶ χαρίζεσθαι, ἐν τούτῳ ἤδη καὶ τὸ οἰκτίρειν ἔνεστι καὶ μὴ ἐρήμους εἶναι καὶ τὸ ἑταίρους γίγνεσθαι, καὶ τὸ ἀμύνειν ἀλλήλοισι καὶ τοὺς πολιήτας ὁμονόους εἶναι καὶ ἄλλα ἀγαθά, ἅσσα οὐδεὶς ἂν δύναιτο καταλέξαι; vgl. auch Demokr. B 92. 93. 94. 96. In der χάρις liegt stets die Freude an dem Verhältnis, in das man durch das Tun tritt. Sie ist also sehr geeignet, von einer individualistischen Ethik aus den Zugang zu den κοινά zu gewinnen, wie sie in Familie, Freundeskreis, Gesellschaft, Staat vorliegen – auf alle diese Kreise scheint A. seine Betrachtung ausgedehnt zu haben. Parallele Gedanken bei Jacoby 18ff.; vgl. Altwegg 45ff. Der von Diels wiederholt hervorgehobene Pessimismus – bes. frg. 51: εὐκατηγόρητος πᾶς ὁ βίος θαυμαστῶς usw. – widerstreitet einer in gewissem Sinne hedonistischen Lehre durchaus nicht, wie schon bemerkt: auch bei A. finden sich die später typischen Motive der Mahnung, die Gegenwart zu genießen. Nur gegen den Mißbrauch oder die nicht kluge Ausnützung des Lebens richten sich die frg. 52–54; es läßt sich nicht wie ein verfehltes Spiel von neuem beginnen: ἀναθέσθαι δὲ ὥσπερ πεττὸν τὸν βίον οὐκ ἔστιν frg. 52; ähnliche Gedanken, bei Tragikern Jacoby 39. Zur Disposition des Ganzen tragen auch die scharfsinnigen Beobachtungen Jacobys nur wenig bei: jedenfalls ist die Deutung des προελθέτω im Anfang von frg. 49 auf eine dramatische Fiktion nicht wahrscheinlich (v. Wilamowitz Herm. XV 515. Norden Ant. Kstpr. I 72, 2. 129, 1). Mag demnach auch von einem ,Weiterschreiten‘ des Lebens, später von dem ,Mannesalter‘ ἀνδρεία ἡ τῶν ἀνδρῶν ἡλικία Harp. die Rede sein: damit ist für die Anordnung der übrigen Gedanken wenig gewonnen.
3. Über die Zuweisung des Πολιτικός an diesen A. gehen die Meinungen auseinander, v. Wilamowitz schrieb ihn (Arist. u. Athen I 170) dem Politiker zu gegen Hermogenes de ideis II 11. 7 (A 2): dieser Überlieferung schließt sich jetzt Diels an: anderer Meinungen darüber Jacoby 7. Entscheidung aus den wenigen Fragmenten 72–77 gegen Hermogenes kaum möglich.
4. Περὶ κρίσεως ὀνείρων frg. 78–81 a. Allgemeine Charakteristik: Cic. de div. I 116 hic magna quaedam exoritur neque ea naturalis. sed artificiosa somniorum Antiphonis interpretatio eodemque modo et oraclorum et vaticinationum. sunt enim explanatores, ut grammatici poetarum.
[43] Frg. 82–118 kurze, zwischen dem Redner und Sophisten strittige Fragmente.
Sprache und Stil. Hermog. de ideis II 118 Diels A 2): ὁ δ’ ἕτερος Ἀ., οὗπερ οἱ τῆς Ἀληθείας εἰσὶ λεγόμενοι λόγοι, πολιτικὸς μὲν ἥκιστά ἐστι, σεμνὸς δὲ καὶ ὑπέρογκος τοῖς τε ἄλλοις καὶ τῷ δι’ ἀποφάνσεων περαίνειν τὸ πᾶν, ὃ δὴ τοῦ ἀξιωματικοῦ τε λόγου ἐστὶ καὶ πρὸς μέγεθος ὁγῶντος, ὑψηλὸς δὲ τῇ λέξει καὶ τραχύς, ὥστε καὶ μὴ πόρρω σκληρότητος εἶναι. καὶ περιβάλλει δὲ χωρὶς εὐκρινείας, διὸ καὶ συγχεῖ τὸν λόγον καὶ ἔστιν ἀσαφὴς τὰ πολλά. καὶ ἐπιμελὴς δὲ κατὰ τὴν συνθήκην καὶ ταῖς παρισώσεσιν χαίρων, οὐ μὴν ἤθους γέ τι οὐδ’ ἀληθινοῦ τύπου μέτεστι τῷ ἀνδρί, φαίην δ’ ἂν ὡς οὐδὲ δεινότητος πλὴν τῆς φαινομένης μέν, οὐ μὴν οὔσης γε ὡς ἀληθῶς. Dazu Jacoby 65–69, der auf S. 48–69 den Wortschatz und Sprachgebrauch untersucht. Er stellt zusammen: Altattisches neben Ionischem; poetische, ungebräuchliche Worte, Neubildungen, ungewöhnliche Zusammensetzungen, gebräuchliche Worte in abweichender Bedeutung; Metaphern; allmähliches Vordringen von Verbalsubstantiven für Verben (dazu Diels S.-Ber. Akad. Berl. 1901, 191ff.), gorgianischen Gebrauch von Synonymen – doch hierbei sind in dem oben S. 37 angedeuteten Sinne vielleicht Einschränkungen zu machen – und sonstige rhetorische Figuren. Die von Jacoby 61ff. behandelte Wiederholung gleicher Worte ist für die Herstellung des Textes mitunter wichtig – Diels Ergänzung frg. 49 Mitte ἐπιμελὲς ὄν; vgl. aber Jacoby 120a. Über die von Platon so oft verspottete sophistische Manier, versöhnlich zu schreiben S. 65ff. – Zum Stil des neuen Bruchstückes Diels Intern. Monatsschrift XI (1917) 99; es bestätigt sich das Urteil des Hermogenes a. O. von dem abweichenden Stil dieser Rede, der erst in dem großen Bruchstück zu fassen ist. Diels erklärt die selbst im gorgianischen Stil unerhörte ,Pedanterie‘ der ,schulmeisterlich gleichgebauten Satzgefüge‘ als Einwirkung des mathematischen Stils und erinnert an den Mos geometricus des Spinoza und Hobbes; er sieht diese Form in Aristoteles gipfeln. Der Vorwurf, daß ,dieses Bestreben nach Exaktheit stellenweise Unklarheit und Überspringen der Verbindungsglieder‘ nicht ausschließt, scheint mir gerade an der oben S. 35, 63 behandelten Stelle zu hart.
Zum Ganzen vgl. die schon genannte Charakteristik Gomperz Sophistik und Rhetorik 57–68. Praechter Grundriß11 142, 64*. 237*, dort weitere Literatur.
[Stenzel.]
15) Sophist im 5. Jh. v. Chr. (E) S IV; vgl. A. Nr. 14 (I 2527. S I 93. S III 125).
[Hans Gärtner.]
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