3) Von Eustathios 762, 62 ἀττικιστής genannt, Verfasser einer Sammlung von Briefen, wird wohl im ganzen richtig von Aristainetos (ep. I 5. 22) als Zeitgenosse des Lukianos angesehen. Wenn römische (Γέμελλος I 22) oder mit römischen Bestandteilen zusammengesetzte Parasitennamen (Πατελλοχάρων III 54, Τουδροσύναγος III 64) oder ein Latinismus wie πρὸ τούτων τεττάρων ἐτῶν (I 14, 2) den A. in eine etwas spätere Zeit als den Lukianos zu weisen scheinen, so wird man ihn doch nicht nach dem 3. Jhdt. n. Chr. setzen dürfen, da der Romanschreiber Longus (etwa im 4. Jhdt.) ihn nachzuahmen scheint (Rohde Griech. Rom. 502, 2. 520, 1) und die lässliche, nicht von Wortspielerei überwucherte Anmut seiner Darstellung nach der Mitte des 3. Jhdts. kaum mehr einem Sophisten in diesem Genre erreichbar gewesen sein dürfte. Die zahlreichen sachlichen und sprachlichen Gemeinsamkeiten mit Lukianos und mit den Resten besonders des Menandros weisen darauf hin, dass A. wie Lukianos die attische Komödie, namentlich die neuere, stark benützt hat; aber auch eine Benützung des Lukianos selbst durch A. wird schwerlich abzuweisen sein (für sicher kann, wiewohl Th. Kock Rh. Mus. XLIII 40ff.; Com. att. frg. III 650 Ableitung aus gemeinsamer Quelle annimmt, gelten, dass A. III 55 mit Benützung von Luc. conviv. geschrieben und dass der Name Λεξιφάνης III 71, 1 aus Lukianos übernommen ist). O. Keller (Jahrb. f. Philol. Suppl. IV 404, 109) glaubt aus einigen Anzeichen schliessen zu dürfen, A. stamme aus Syrien.
Wir haben unter A.s Namen 118 ganz und 6 fragmentarisch erhaltene fingierte Briefe. St. Bergler hat zuerst die Einteilung in drei Bücher vorgenommen. Die Editio princeps (Collectio epistular. Graec. Aldina Ven. 1499) enthält nur die zwei ersten Bücher; dazu fand Bergler in Wiener und vaticanischen Hss. weitere 72, aus denen er Buch III machte, Wagner zwei neue ganze Briefe und vier Fragmente; das fünfte ist von Abresch, das sechste von Seiler zuerst herausgegeben aus Pariser und Florentiner Hss. Die Anordnung der einzelnen Briefe in den Ausgaben ist nicht consequent sachlich (Fischerbriefe I 1–19. III 1–3; Bauernbriefe I 24–28. III [1549] 9–41. 73; Parasitenbriefe I 20–23. III 4–8. 42–72. 74; Hetärenbriefe I 29–40. II 1–4); dagegen enthält unter den Hss., deren keine die sämtlichen Briefe umfasst, z. B. Parisin. Γ 1696 saec. XII in geschlossenen Gruppen nacheinander Fischer- (I 1-10. III 1-3. I 11–19), dann Bauern- (III 10. Ι 24–28. III 11–18. 20–30. 19. 31–32), dann Parasitenbriefe (III 4–8. 42–72. I 20–22. III 74), während hier alle Hetärenbriefe fehlen (M. Schanz Rh. Mus. XXXVII 139ff.). Gegenseitige Bezugnahme zwischen verschiedenen Briefen findet nur statt I 14–16. 18–19. 27–28. 35–36. II 3–4. III 1–2. 18–19. 27–28. Sämtliche historische Persönlichkeiten, welche in den Briefen als lebend angenommen werden (Hypereides und Phryne I 30; Demetrios Poliorketes II 1; Epikuros II 2; Menandros und Glykerion II 3. 4; der Wechsler Pasion III 3. 66; Lysias und Phanostrate III 50. frg. 1; Praxiteles frg. 3) gehören dem 4. Jhdt. v. Chr. an; die Scene ist fast durchgehends Athen und Umgebung. Die Stimmungsmalerei ist zum Teil (s. bes. I 38. II 3–4) von ausserordentlicher Schönheit. Wichtig sind uns die Briefe nicht nur als Abglanz der Ethopoiie der späteren attischen Komödie, sondern auch als reiche Quelle für die Kenntnis des attischen Privatlebens im 4. Jhdt. v. Chr. Zweifelhaft ist, wie weit man in der Ausschälung eigentlicher Komikerverse aus den Briefen gehen darf; zu weit scheint, nach dem ersten Versuch von Meineke (Fragm. com. gr. IV p. 334), Kock (Herm. XXI 372ff.; vgl. Rh. Mus. XLIII 32ff.; Com. att. frg. III p. 674ff.) gegangen zu sein. Die attische Sprache des A., wenn auch nicht frei von syntaktischen und lexikalischen Verstössen, doch mit Eleganz gehandhabt, wird wesentlich die Diction des Menandros darstellen, welchen A. auch in sprachlicher Beziehung (ep. II 3. 4, 1) hochhält; daraus würde sich wieder mit Wahrscheinlichkeit ergeben, dass A. in die Zeit des Streites über den ethischen und sprachlichen Vorrang des Aristophanes oder Menandros (vgl. E. Schwabe Aelii Dionysii et Pausaniae atticistar. frg. p. 76), d. h. in das 2. Jhdt. n. Chr. gehört. Von Ausgaben sind ausser der Ed. princ. anzuführen die von St. Bergler, Leipz. 1715. J. A. Wagner, Leipz. 1798. E. E. Seiler (mit neu gesammeltem kritischem Apparat), Leipz. 1853. A. Meineke (cum adnot. crit.), Leipz. 1853. Hercher in dessen Epistolographi Graeci p. 44–97 (Paris 1873). Dazu umfänglichere kritische Bemerkungen von Cobet Mnemos. III 129ff. (Var. lect.² 30). G. A. Hirschig in den Miscell. philol. N. S. fasc. II, Amsterdam 1851. A. Nauck Ztschr. f. d. Altertumswiss. 1855, 22–28; Mélanges gréco-rom. IV 230ff. K. F. Hermann Rh. Mus. N. F. XI 58–89. Metropulos Philol. X 134ff. J. Mähly Philol. XIV 194–204. Naber in Verslagen en mededeelingen d. k. Ak. van wetenschapen, afd. letterk. II reeks 1 (1871) 28ff.; Mnem. N. S. VI 23ff. J. Stanger Bl. f. bayr. Gymn. IV 1ff.; Ztschr. f. östr. Gymn. XXI 702ff. Im allgemeinen s. F. Passows Artikel in Ersch u. Grubers Encyclopädie (= Vermischte Schriften 91ff.).
[W. Schmid.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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