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88) A. von Milet (FHG III 206–244. Susemihl Litt.-Gesch d. Alex. II 356–364), ein Grammatiker der krateteischen Schule, wurde im mithridatischen Krieg gefangen genommen und kam als Sklave eines Lentulus nach Rom (Suid.), erhielt 82 v. Chr. von Sulla das Bürgerrecht (Schol. Verg. Aen. X 388), daher sein Gentilname Cornelius (Suet. de gramm. 20. Plin. III 124. VII 155. XIII 119. XVI 16. Steph. Byz. s. Ἄραξαι, Ἀσσός), und gelangte als Grammatiker dort zu bedeutendem Ansehen. Nach einer schon in den Kreisen der alexandrinischen Grammatiker sehr verbreiteten Sitte erhielt er den Beinamen Πολυΐστωρ, nach Sueton. de gramm. 20 auch Ἱστορία. Sein Schüler und Nacheiferer war C. Iulius Hyginus (Suet. de gramm. 20). Gemäss den überlieferten Thatsachen ist seine Blüte zwischen 70 und 60 v. Chr. anzusetzen; die von Unger (Philol. XLIII 528ff. N. F. I 177ff.) aus dem byzantinischen Blödsinn des Agathias II 25 und der nicht hergehörigen Stelle des Clemens Strom. I 404 P. (s. Eupolemos) herausgesponnenen Hypothesen sind abzuweisen. Seine zahlreichen Schriften waren im wesentlichen Sammlungen von Excerpten, die lose aneinandergereiht waren; in seinen Quellen war A. alles andere als wählerisch. Folgende Titel lassen sich nachweisen: 1) Περὶ Ῥώμης βιβλία πέντε (Suid.). Um die römische Gründungssage mit der alexandrinischen Chronologie zusammenzubringen, füllte er die Lücke mit der albanischen Königsliste aus, die Livius (I 3) aus ihm entlehnt hat (Schol. Verg. Aen. VIII 330; vgl. Mommsen Röm. Chronol. 156), und ersetzte die timaeische Legende von der Weissagung der cumaeischen Sibylle an Aineias durch die Fiction eines Orakels, das die troische Sibylle, eine Erfindung des Demetrios von Skepsis, gleich nach der Abfahrt an Aineias erteilt haben sollte, eine Fiction, die bei Tibull II 5 vorliegt; vgl. Maass Herm. XVIII 321ff. Ausserdem hat Vergil das Werk benützt (Schol. Aen. X 388). 2) Über Illyrien (in eo volumine quod de Illyrico tractu composuit Valer. Max. VIII 13 ext. 7). Eine ganze Reihe von Werken A.s ist im Lexikon des Byzantiners Stephanos excerpiert, keinesfalls von diesem selbst, sondern wahrscheinlich von Oros in seinen Ἐθνικά; hierher gehören die Titel: 3) Περὶ Εὐξείνου Πόντου, nachweisbare Quelle waren die Ποντικά des Diophantos (Steph. s. Ἄβιοι, vgl. s. Λιβυστῖνοι); 4) Περὶ Βιθυνίας; 5) Περὶ Παφλαγονίας, Quelle ein unbekannter Nikostratos (Steph. s. Γάγγρα); 6) Περὶ Φρυγίας (Ps.-Plut. de mus. 5 ἐν τῇ Συναγωγῇ τῶν περὶ Φρυγίας), mindestens 3 Bücher, Quellen der Geograph Timosthenes (vgl. Wilamowitz Phil. Unters. IV 76) und Promathidas von Herakleia; 7) Περὶ Καρίας, mindestens 2 Bücher, die Fragmente sind sorgfältig gesammelt von J. Geffcken de Stephano Byzantio capita duo, Diss. Gotting. 1886, 56ff.; als Quellen vermutet Geffcken Theagenes Καρικά und Apollonios von Letopolis Καρικά [1450] 8) Περὶ Λυκίας, Λυκιακά, mindestens 2 Bücher, daneben wird ein Περίπλους Λυκίας citiert; Quellen Panyassis (Steph. s. Κράγος. Τρεμίλη, vgl. Maass de Sibyll. indic. 22), Polycharmos (Steph. s. Φελλός) und nach Geffckens Vermutung Menekrates Λυκιακά; 9) Περὶ Κιλικίας; Quellen Zopyrion (Steph. s. Ἀφροδισιάς) und wahrscheinlich Dionysios Thrax Περὶ Ῥόδου (Steph. s. Ταρσός); 10) Ἰνδικά (Clem. Strom. III 538. 539 P., bei Stephanos fehlt der Titel); 11) Περὶ Συρίας, Quelle Xenophon in Ἀναμετρήσεις τῶν ὀρῶν, die Citate des Plinius aus dem Periplus des Lampsakeners Xenophon führt C. Müller (FHG III 209) nicht ohne Wahrscheinlichkeit auf A. zurück; 12) Αἰγυπτιακά, mindestens 3 Bücher; Quelle vermutlich Aristagoras von Milet (vgl. Steph. s. Λητοῦς mit Ἑλληνικόν; s. Τάκομψος und Ψεβώ mit Εὐωνυμῖται und Ναπάται, auch Νικίου κώμη); 13) Λιβυκά, mindestens 3 Bücher. Ausserdem wird A. von Stephanos für die arabische Stadt Τάμνα und für das Ethnikon von Γάδειρα citiert. Zweifelhaft ist der Titel 14) Περὶ Κύπρου, der bei Steph. s. Χυτροί vorkommt, wo Meineke de Men. p. XXXIX Μένανδρος vermutet nach Et. M. s. Σφήκεια, welcher Artikel jedoch bis jetzt nur auf der Aldina des Etymologicums beruht. Von Sophokles, dem Commentator von Apollonios Argonautika, sind benützt 15) Κρητικά (Schol. IV 1492); 16) Περὶ Λυκωρείας (δευτέρῳ Π. Λ. Steph. s. Λύλη, d. i. ἄλλη, der Artikel gehört zum Vorhergehenden und stammt aus Schol. Apoll. IV 1490, ebenso wie Et. M. s. Λυκώρεια), vgl. Maass de Sibyll. indic. 62; 17) Περὶ τοῦ ἐν Δελφοῖς χρηστηρίου (ἐν πρώτῳ Π. τ. ἐ. Δ. χ. Steph. s. Παρνασσός aus Schol. Apoll. II 711); aus diesem Buche stammen nach dem Beweis von Maass de Sibyll. indic. 4ff. bei Pausanias der Sibyllenkatalog (X 12, 1–10) und die Urgeschichte von Delphi (X 5. 6; hinzuzurechnen ist die Einlage über Kastalia 8, 9); Quellen: die gefälschten Epen der Phemonoe und Boio, sowie die Eumolpia, das III. Sibyllinenbuch, Panyassis, Alkaios, Pindar, Hellanikos, Andron von Halikarnassos (Schol. Apoll. II 711), Hyperochos von Cumae, Demetrios von Skepsis; 18) Commentar zu Korinna (ἐν τῷ ᾱ τῶν Κορίννης Ὑπομνημάτων (Schol. Apoll. I 551, dazu gehört Schol. I 740 und Prob. zu Verg. Ecl. 2, 25 aus dem Schol. Apoll., vgl. Wilamowitz Phil. Unters. VII 343, ferner Steph. s. Βοιωτός teilweise, vgl. Maass DLZ 1887, 55); auch aus diesem Buche scheint Pausanias Einlagen gemacht zu haben, die Genealogie des Boiotos (IX 1, 1) und über Amphions Leier (IX 5, 7. 8, vgl. Wilamowitz a. a. O. und Herm. XXVI 221); Quellen Armenidas Θηβαϊκά, Dioskorides, Pherekydes, das Epos Europeia, die alexandrinische Dichterin Moiro und Phanokles. Auf A. führt Maass (DLZ a. a. O.) auch Paus. IX 27, 2. 35, 4. 5 zurück; sind seine Gründe durchschlagend, so müssen auch die Einlagen I 18, 5. VIII 21, 3. V 7, 8. II 13, 3. IX 29, 6–8. VII 21, 8. 9. I 38, 3. 39, 1. VIII 37, 9. IX 31, 9. VIII 35, 8 A. zugeschrieben werden. Zweimal wird bei Stephanos 19) ein geographischer Commentar zu Alkman citiert (ἐν τῷ Περὶ τῶν παρ’ Ἀλκμᾶνι τοπικῶς εἰρημένων [ἱστορημένων] s. Ἄραξαι, Ἀσσός, vgl. Alkman frg. 118), durch wessen Vermittlung, ist [1451] bis jetzt nicht bekannt; beachtenswert ist, dass nur an diesen Stellen bei Stephanos der Gentilname vorkommt. Von jüdischen und christlichen Schriftstellern sind benutzt 20) ein Werk über assyrische und babylonische Geschichte, in welchem namentlich Berosos, daneben Apollodors Chronik und das III. Sibyllinenbuch excerpiert waren. Eine Überarbeitung wurde in nachchristlicher Zeit von Abydenos gemacht (s. d.), benützt ist das Buch von Josephus (vgl. Freudenthal Hellenist. Stud. I 25) und besonders von Eusebios in der Chronik; 21) Περὶ Ἰουδαίων (ἐν τῇ Περὶ Ἰουδαίων συντάξει Euseb. praep. ev. IX 17 p. 418 c, ἐν τῷ Περὶ Ἰουδαίων συγγράμματι Clem. Strom. I 396; an der Sonderexistenz des Buches zu zweifeln liegt nicht der mindeste Grund vor), wie alle Schriften A.s eine Sammlung von Excerpten, aus denen eine Geschichte der Juden in chronologischer Folge mosaikartig zusammengesetzt war. Umfangreiche Bruchstücke sind durch Eusebios erhalten; ausserdem ist das Buch von Josephus und Clemens benützt. Die Fragmente sind zuerst in wissenschaftlicher Weise behandelt von Freudenthal in den Hellenistischen Studien, die Recension der Fragmente ist freilich infolge ungenügender Kenntnis der Hss. noch sehr mangelhaft. Wie viel A. beim Excerpieren weggeschnitten hat, ist schwer zu sagen, da sowohl der Text des Eusebios sehr lückenhaft ist, als auch Eusebios eine fehlerhafte Hs. A.s benützt zu haben scheint, vgl. Eus. chron. I p. 29. 30 mit dem Auszug aus Abydenos p. 35ff. Von A. excerpiert sind die griechischen Historiker Theophilos und Timochares Περὶ Ἀντιόχου, eine Vermessung Syriens (ὁ τῆς Συρίας σχοινομέτρησιν γράψας Euseb. praep. ev. IX 36 p. 452 d; ohne Grund dem Xenophon von Lampsakos zugeschrieben), sowie das Pamphlet des rhodischen Rhetors Apollonios Molon, die jüdischen Schriftsteller Demetrios, Aristeas, Eupolemos, Artapanos, die jüdischen Dichter Philon und Ezechiel, der samaritanische Theodotos und zwei unbekannte Samaritaner (s. Eupolemos). Das von Eusebios nicht direct, sondern durch Josephos Vermittlung entlehnte Excerpt aus Malchos-Kleodemos (praep. ev. IX 20, 3 p. 422 b) gehört wahrscheinlich in eine andere Schrift A.s; vgl. v. Gutschmid Kl. Schr. II 182. Zweimal nennt er die Bibel (Eus. praep. ev. IX 20. 29), die er schwerlich genauer gekannt hat. Auf die Philosophengeschichte bezogen sich 2 Werke 22) Περὶ Πυθαγορικῶν συμβόλων (Clem. Strom. I 358 P.) und 23) Φιλοσόφων διαδοχαί, aus dem Diogenes nicht selten Notizen einlegt und VIII 25ff. den Auszug aus anonymen pythagoreischen Schriften mitteilt, der ein interessantes Gemisch von Platonischem, Stoischem und Pythagoreischem darstellt und zu den ältesten Dokumenten des Neupythagoreismus gehört, vgl. Zeller III 2, 88ff. Die in dem sog. Chalcidius ad Tim. 72 dem Milesier A. zugeschriebenen Verse über die Planeten werden von Theon von Smyrna, der den griechischen Text erhalten hat (p. 138ff.), dem Aetoler, von dem sog. Herakleitos (alleg. Hom. 12) dem Ephesier beigelegt (vgl. Meineke anal. Alex. 242. 372ff. Maass Aratea 149). Sie gehören keinesfalls A. Polyhistor; zu beachten ist dass die Anordnung der Planeten vor Posidonius nicht nachweisbar und jedenfalls jünger als Chrysippos [1452] ist (vgl. P. Corssen de Posidon. Rhod. 42). Schol. in Hermog. VII 245 W. ist wohl ein anderer A. gemeint und ὁ Πολυΐστωρ ὄνομα ἔχων eine unzeitige byzantinische Reminiscenz. A. bearbeitete das ganze Feld der ἱστορία – im antiken Sinne – in weitester Ausdehnung, ohne eine Spur wissenschaftlichen Sinnes, aber mit betriebsamer Geschicklichkeit, welche auf die Bedürfnisse des römischen Publikums speculierte. Dieses verlangte bei dem mächtig emporquellenden Bildungsbedürfnis, dem empfindlichen Mangel an Bibliotheken, der aufkommenden gelehrten Poesie bequem zugängliche Sammlungen mythischen, geographischen, historischen Rohstoffes, war empfänglich für jeden Versuch, Römisches mit Griechischem zu verbinden, und interessierte sich, insonderheit die Gelehrten, für alle aus abgelegenen Winkeln aufgestöberte, nach Offenbarung schmeckende Weisheit, sei sie jüdisch, orientalisch oder pythagoreisch: Kritik wurde nicht gewünscht und wäre nicht verstanden worden.
[Schwartz.]

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