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Aithiopis (Αἰθιοπίς). 1) Ein Gedicht des epischen Kyklos, nach des Proklos Chrestomathie und der Tabula Iliaca (Jahn-Michaelis Griechische Bilderchroniken Taf. 1) vom Milesier Arktinos in fünf Büchern gedichtet, im Schol. Pind. I. III 58 jedoch ohne Autornamen angeführt, wie alle alten Epen ausser Ilias und Odyssee bei antiken Gelehrten: v. Wilamowitz Homer. Unters. 328ff. Die Inhaltsangabe und Umgrenzung der A. bei Proklos und auf der Tabula Iliaca sind unzuverlässig: Bethe Herm. XXVI 593ff.
Das Vertrauen auf sie hat zur Annahme genötigt, dass der erste Teil der A. den Kampf Achills mit der Amazone Penthesileia erzählt habe: Welcker Ep. Cyclus² I 199. II 169. O. Müller Kl. Schr. I 401. Robert Hom. Becher 27 u. A. Jedoch hatte schon Lobeck (Aglaophamus 417) die Penthesileiageschichte als den Inhalt eines selbständigen Epos erklärt und auf dies den bei Suidas s. Ὅμηρος überlieferten Titel Ἀμαζονία (vgl. Nitzsch Histor. Hom. I 114. 152) bezogen. Für die Selbständigkeit dieses Epos spricht die völlig in sich abgeschlossene Geschichte, wie Penthesileia mit ihren Amazonen den Troern zu Hülfe kommt, durch Achilleus in ihrem Siegeslaufe gehemmt und getötet wird. Voraussetzung für diesen vermutlich nicht grossen Gesang war der Tod Hektors: deshalb wurde er hinter die Ilias gestellt. So konnte er, durch seine Kleinheit anlehnungsbedürftig, leicht mit der folgenden A. verbunden werden, aber ebenso leicht mit der Ilias selbst. Und diese Verbindung ist uns älter und besser überliefert. Denn Schol. Twl. zu Il. XXIV 804 bemerkt: τινὲς γράφουσιν·
Ὣς οἵ γ’ ἀμφίεπον τάφον Ἕκτορος· ἦλθε δ’ Ἀμαζών, Ἄρηος θυγάτηρ μεγαλήτορος ἀνδροφόνοιο,
verbindet also unmittelbar das Penthesileialied mit dem letzten Gesange der Ilias, ebenso der homerische Becher D bei Robert (50. Berliner Winckelmannsprogr. 26); vgl. Robert Sarkophage II Taf. 24 S. 67.
Der Inhalt dieses Penthesileialiedes ist bisher nicht genauer festzustellen. Litteratur und bildliche Überlieferung s. u., ferner Loeschcke Bonner Studien 1890, 248ff. Robert Die antiken Sarkophagreliefs II Taf. 29 nr. 60. Taf. 36–44 nr. 86–109, S. 77. 84. 105. 108ff.
Andererseits hat die Überlieferung, Arktinos habe eine Iliupersis gedichtet (Proklos, Dionys. [1104] Halic. Ant. I 69 etc.) zur Vermutung geführt, des Arktinos A. und Iliupersis seien ein und dasselbe Gedicht, wofür Schol. B zu Il. XI 515 als Bestätigung angeführt wird: O. Müller Zeitschr. f. Alt. W. 1835, 1163; Griech. Litt.-Gesch. I⁴ 107. Robert Bild und Lied 223. Noack Iliupersis 78. Vgl. v. Wilamowitz Hom. Unters. 341, 14.
Sicher für die A. ist allein, was aus ihrem Titel und ihrem einzigen Fragmente im Schol. Pind. I. III 58 geschlossen werden kann: ὁ τὴν Αἰθιοπίδα γεγραφὼς περὶ τὸν ὄρθρον φησὶ τὸν Αἴαντα ἑαυτὸν ἀνελεῖν. So ergiebt sich, dass den Mittelpunkt dieses Epos der Kampf des Aithiopen Memnon, des Sohnes der Eos und des Troers Tithonos, mit Achilleus bildete, es aber nicht mit jenes Tode schloss, sondern auch seine Folgen umfasste, nämlich den Tod des Achilleus selbst, Kampf um seine Leiche, seine Bestattung, den bei ihr ausgetragenen Streit des Odysseus und Aias um seine Waffen, schliesslich den Selbstmord des letzteren aus Wut über seine Zurücksetzung; ähnlich wie das Lied vom Zorne Achills nicht nur Entstehung und Beilegung desselben, sondern auch seine Folgen, den Tod des Patroklos, die Rache an Hektor u. s. w. erzählt.
Andere Punkte lassen sich mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit feststellen. Sicher aus einem alten Epos, also wohl der A., obgleich sie nicht genannt wird, stammt die Motivierung des Kampfes zwischen Achilleus und Memnon durch die Tötung des Antilochos, des Sohnes Nestors, durch letzteren. Inschriftlich gesichert ist der Kampf beider über der Leiche des Antilochos auf zwei Vasen des 6. Jhdts. [1) in Florenz aus Chalkis s. Loeschcke Spartan. Basis (Dorpater Progr.) 12, 2) bei Gerhard a. V. III 205 ionisch]. Schon Od. IV 187 ist der Tod des Antilochos durch Memnon erwähnt. Nach Pind. P. VI 28ff. hatte sich Antilochos, um seinen Vater zu schützen, dem Memnon entgegengeworfen, was Boeckh Pind. II 2, 299 der A. zuschreibt, der kleinen Ilias (vgl. Schol. Pind. I. VI 85) v. Wilamowitz Homer. Unters. 154. Schröder Herm. XX 494. Auf Grund eines Kraters des Duris (15. Hallisch. Winckelmannsprogr. 1891 Taf. I) hat Robert eine andere Version der Sage schwerlich mit Recht angenommen. Dass Zeus während des Kampfes des Achilleus und Memnon für die Entscheidung ihre κῆρε wägen liess, hat Robert Bild und Lied 143ff. als vortragische Version nachgewiesen (vgl. Vogel Scenen euripideischer Tragödien auf Vasen 19), jedoch wendet Luckenbach Jahrb. f. Philol. Supplbd. XI 616 ein, dass sich diese ψυχοστασία nicht mit dem Wortlaut der sog. Hypothesis der A. bei Proklos vereinigen lasse, da nach dieser Thetis ihrem Sohne τὰ κατὰ τὸν Μέμνονα vorausgesagt hat. Nach Proklos giebt Eos dem Memnon die Unsterblichkeit. Damit könnten eventuell verbunden werden die Bilder der sf. Amphora Overbeck Her. Gall. Taf. 22, 8 und der Schale des Duris Wien. Vorlegebl. VI Taf. 7: Eos die Leiche des Memnon tragend. Memnon von Hypnos und Thanatos (teils im Beisein der Eos) getragen erkennt Brunn Ber. Akad. Münch. 1880 I 167ff. in mehreren Vasenbildern, welche Robert Thanatos 39. Berlin. Winckelmannsprogr. 1879 auf [1105] Sarpedon deutet. Genaueres über Achilleus Tod in der A. ist nicht sicher festzustellen (s. besonders die chalkidische Amphora Mon. d. Inst. I 51); dass Aias seinen Leichnam aus dem Getümmel getragen, Odysseus den Rückzug gedeckt habe, ist für die kleine Ilias durch Schol. Aristoph. Eq. 1056 bezeugt, dasselbe daher für die A. trotz Proklos bedenklich. Über die Waffen des Achilleus entbrennt zwischen Aias und Odysseus Streit. Nach der kleinen Ilias (Schol. Aristoph. Eq. 1056) entscheiden die Aussagen der Troerinnen diese ὅπλων κρίσις, nach Pind. N. VIII 26, Sophokles Aias und auf mehreren Vasenbildern die Achaeer durch Abstimmung: desshalb hat letztere Robert Bild und Lied 221 mit grösster Wahrscheinlichkeit der A. zugesprochen.
Auch über den Tod des Aias ist doppelte Überlieferung von Lobeck zu Sophokles Aias² S. 207f. zu v. 285 nachgewiesen. Pindar erzählt nämlich I. III 54, ebenso wie die A. (s. Scholion), Aias habe sich zwischen Nacht und Morgen entleibt, erwähnt jedoch nicht, dass er die Herden gemordet. Ganz ausgeschlossen ist der Herdenmord bei Ovid. met. XIII 390, wo Aias sich in der Versammlung unmittelbar nach dem Urteil ersticht. Vgl. Lukian de saltat. 83. Dass auch in der Ἰλίου πόρθησις des Arktinos, die meist mit der A. identificiert wird, des Aias Wahnsinn schon in der Versammlung sich gezeigt habe, vermutet Lobeck aus den erhaltenen Versen im Schol. BTwl. zu Il. XI 515. Nach der zweiten von Sophokles befolgten, bei Proklos der kleinen Ilias zugeschriebenen Version stürzt sich Aias im Wahnsinn auf die Herden, ohne dass die Griechen eine Ahnung von der Gefahr hatten. Vgl. Lykophr. 454. Horat. serm. II 3, 211. Apollod. Epit. Vatic. 21. 2 = Sabb. Rh. Mus. XLVI 171, 25. Hyg. fab. 107. Quintus Smyrn. V 450.
Die A. ist für ein junges Epos erklärt von Robert Bild u. Lied 114. 119; v. Wilamowitz Homer. Unters. 153, 14 hielt sie für älter als die kleine Ilias.
Die bildliche Überlieferung ist zusammengestellt bei Overbeck Heroische Gallerie S. 491ff. Arthur Schneider Der troische Sagenkreis in der älteren griech. Kunst 135. 141ff. Robert Scenen der Ilias und Aithiopis, Halle 1891; Die antiken Sarkophagreliefs II 70 Taf. 25. Brunn Rilievi delle Urne Etrusche I 67ff. Schlie Darstellungen des troischen Sagenkreises auf etr. Aschenkisten 127ff. Luckenbach Jahrb. f. Philol. Suppl. XI 614ff. Heydemann Archäol. Ztg. XXIX 168. XXX 36, dazu Athen. Mitt. XIV 14. XV 243. Loeschcke Bonner Studien 257. Arch. Ztg. 1871 S. 61.
Litteratur: Welcker Ep. Cyklus² I 199. II 169ff. R. Wagner Apollodori Epitoma Vaticana 209ff. Kehmptzow De Quinti Smyrnaei fontibus ac mythopoeia, Diss. Kiel 1891.
[Bethe.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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