ART

2) Im Privatprocesse.

a) Im gesetzlichen und amtsrechtlichen Formularprocess (Gai. IV 103–105) ist das Urteil des oder der Geschworenen entweder condemnatio oder A. (Freisprechung) des Beklagten (Mod. Dig. XLII 1, 1). Nur für die Praejudicien (s. diesen Art.) trifft dies nicht zu. Jedes Urteil, das condemnatorische wie das absolutorische, entbindet zunächst den Beklagten von der durch die Litiscontestatio dem Kläger gegenüber begründeten processrechtlichen Verpflichtung (Gai. III 180, vom condemnari oportere); weiter aber sichert es ihn gegen jeden erneuten, dieselbe Rechtssache (eadem res) betreffenden Angriff des Klägers, u. zw. je nach der Beschaffenheit des Processes (ob er legitim oder amtsrechtlich war), bald nach gesetzlicher Regel, bald nach ziemlich feststehender Praxis der Praetoren (Gai. IV 106. 107. Wlassak Röm. Prozessgesetze II 355. 356. 75. 87. 362; Litt. betreffs der sog. „positiven Funktion der exceptio rei iudicatae“ bei Keller-Wach Civilproz. § 72 N. 849. Windscheid Pandekten I § 130 N. 23. 23ª, dazu Dernburg Pand. I § 162). Das Eigentümliche der A. besteht nur darin, dass der Beklagte hier ganz frei ausgeht, während im Fall der Condemnation für ihn eine neue (Judicats-) Verpflichtung entsteht. Ob nicht der fälschlich aberkannte Klaganspruch trotz der A. einige Bedeutung behielt (als naturale debitum, Iul. Dig. XII 6, 60 pr.), darüber [123] waren die Meinungen der röm. Juristen geteilt (Litt. bei Windscheid Pand. I § 129 N. 7, dazu Dernburg Pand.² II § 5 N. 12). Vgl. im Übrigen, insbesondere wegen des Urteils im Legisactionenprocess Art. Sententia im Privatprocess.

b) Die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Geschworene zu absolvieren hatte, lässt sich nicht erschöpfend in einem Satz beantworten. Nur die gewöhnlichsten Fälle sind hier zu nennen. In erster Linie war für den Iudex die Processformel (s. Formula) massgebend. Auf dem condemnatio genannten Formelteil beruhte seine Ermächtigung wie zur Verurteilung so auch zur A. (Gai. IV 43. 47: Titius iudex esto. Si paret ...... condemnato, si non paret absoluito). Hatte der Kläger bei der Litiscontestatio in seiner Formel ein eigentliches (legitimes) Recht (ius) oder eine so geartete Verpflichtung (oportere) des Beklagten behauptet (formula in ius concepta, Gai. IV 45), so hing der Ausgang des Processes von dem Beweis dieses Rechtes, bezw. dieser Pflicht ab; hatte er in der Formel Thatsachen behauptet (f. in factum concepta, Gai. IV 46), von dem Beweis dieser Thatsachen. Indess musste trotz erbrachten Beweises A. eintreten, wenn der Beklagte mit einer Exceptio (s. d.) durchdrang, mochte sie nun peremptorischer oder dilatorischer Art sein (Gai. IV 123). Ob der Kläger im Rechte war oder nicht, das hatte der Iudex grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Litiscontestatio zu beurteilen. Der Beklagte war zu condemnieren, wenn er nur iudicii accipiendi (= Litiscontestation) tempore in ea causa fuerit, ut damnari debeat (Gai. IV 114). Ereignisse, die ohne den Process den Beklagten befreit hatten, wirkten nicht mehr befreiend, wenn einmal Lis contestiert war. Von diesem strengen Satz kannte schon das Recht der Republik Ausnahmen, und die Zahl der Ausnahmen mehrte sich in der classischen Zeit. Insbesondere sollte Befriedigung des Klägers und satisfactio nach der Streitbefestigung richterliche A. zur Folge haben, allerdings, wie die Proculianer lehrten, nur in Processen mit arbitrarischer oder Bonaefideiformel, hingegen nach sabinianischer Lehre allgemein; daher das Sprichwort bei Gai. IV 114 (Inst. Iust. IV 12, 2) omnia iudicia (d. h. mit jedweder Formel begründete Processverhältnisse, s. Wlassak R. Prozessgesetze II 13–15. 35) absolutoria esse. Übrigens ist, wie es scheint, selbst die spätclassische Jurisprudenz über die einschlagenden Fragen nicht ganz einig geworden (vgl. R. Römer Das Erlöschen des klägerischen Rechts nach der Einleitung des Processes. Dernburg Heidelb. Krit. Ztschr. f. Rechtswissenschaft I 259–264 und jetzt Pand. I § 154, ferner Keller Litiscontestation 180–188. Bekker Aktionen II 175–179. 141 N. 17. 143. Brinz Pand.² I § 95 S. 323. M. Voigt Ius naturale III 1077f. und Die Zwölftafeln I 563. 566f. II 457). Wo die Befriedigung des Klägers auf einem, vor dem Urteil ergehenden Bescheid des Richters beruhte, da endigte der Process mit der A. des Beklagten und doch mit dem Sieg des Klägers.

c) Sind mehrere Geschworene zur Judication berufen, so entscheidet die Stimmenmehrheit; [124] bei gleich geteilten Stimmen ist A. anzunehmen (Paul. Dig. XLII 1, 38 pr., wo iudices wohl interpoliert ist für recuperatores, s. Mommsen St.-R. II³ 608, 1). Condemnierten die Richter auf verschiedene Summen, so war die kleinste massgebend (was Paul. l. c. § 1 nur auf Iulians Autorität stützt; vgl. Wlassak Prozessges. II 312, 32).

d) Im Iustinianischen Process kommt neben der bisher behandelten A. (der einzigen, die der Formularprocess kennt) eine von den Neueren (vgl. Ulp. Dig. V 1, 73, 2) sog. A. ab instantia (Gegensatz: A. ab actione) vor. Solche A. entscheidet nicht den Rechtsstreit, sondern entbindet den Beklagten blos von der Verpflichtung, das eingeleitete Verfahren fortzusetzen. Mit Unrecht nennt man A. ab instantia auch das Urteil über die Streitsache selbst, welches den Kläger wegen einer ex tempore dilatorischen Einrede („zur Zeit“) abweist, ohne doch, wie im classischen Recht, die Verfolgung desselben Anspruchs in einem neuen Process für immer auszuschliessen (vgl. Iust. Inst. IV 13, 9 [Kr. 10]. Bethmann-Hollweg Civilprozess III 266f. 292. 309f. O. Bülow Prozesseinreden 274–284).

Litteratur (weitere Angaben s. z. Art. Sententia im Privatprocess): Puchta Institut. I § 175. Keller-Wach Röm. Civilprozess⁶ § 66 (S. 334 bis 336). 67. 71–73. Bethmann-Hollweg Civilprozess II § 109–111, ferner die bei Windscheid Pandekten⁷ I vor § 124, 127 und 128 N. 1 angef. Schriften.
[Wlassak.]

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