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Baubo (altgriechisch Βαυβώ) ist eine Gestalt der griechischen Mythologie, die besonders in den Mythen der frühen Orphiker auftaucht. Sie gehört zum Mythos der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter. Die Gestalt Iambe aus den Homerischen Hymnen wird mit ihr identifiziert.

Mythos

Baubo ist eine Einwohnerin von Eleusis, ist mit Dysaules verheiratet und die Mutter von Triptolemos und Eubuleus[1] sowie der Töchter Protonoe und Nesa (oder Nisa)[2] oder nach der Lesung von Karl Müller der Mise.[3]

Schon ihr Name weist auf die Verbindung zum eleusinischen Mysterienkult hin: Βαυβώ bedeutet „Schoß“. Gemeinsam mit Baubon wird sie – wie das Paar Iambe/Iambos – nach Ansicht von Charles Picard, Marie-Joseph Lagrange und Alfred Loisy als Personifikation der Sexualität gedeutet. Nach Ansicht anderer hatten die ihr zugeordneten Kulthandlungen apotropäische Bedeutung. Ludwig Radermacher, Erwin Rohde und Robert Eisler vermuten den Ursprung der Gestalt Baubo in einem hundsgestaltigen, weiblichen Schreckdämon aus dem Gefolge der Hekate analog zu Gorgo, Gello, Mormo und anderen.[4]

Aus ihrer Rolle im eleusinischen Mysterienkult ergibt sich auch Baubos Aufgabe als Begleiterin der Demeter: Nach der Entführung ihrer Tochter Persephone durch den Unterweltsgott Hades trauert Demeter und wird von Baubo durch obszöne Scherze aufgemuntert. Konkret gehörte zu diesen Scherzen das Entblößen der Vulva.

Bei Arnobius wird beschrieben,[5] wie Baubo, eine Einwohnerin von Eleusis, die von der Suche nach ihrer Tochter völlig erschöpfte Demeter (Ceres bei Arnobius) bei sich aufnimmt, sie bittet, sich nicht ganz zu vernachlässigen, ihr Kykeon bringt, einen Mischtrank aus Wein und Getreide, den die Göttin aber ablehnt und sich in keiner Weise in ihrer Trauer ermuntern lässt. Da greift Baubo zu anderen Mitteln: Sie geht und macht ihren Unterleib glatt und weich wie ein Kind (d. h. wohl, dass sie die Schambehaarung rasiert), dann kehrt sie zurück, beginnt Scherze zu treiben und deckt schließlich ihren glatten Unterleib auf.

Und Clemens von Alexandria zitiert aus den Orphika die entsprechende Stelle:[6]

Sprach’s und raffte empor die Gewänder und zeigte
die ganze Bildung des Leibs und schämte sich nicht.
Und der kleine Iakchos
Lachte und schlug mit der Hand der Baubo unter die Brüste.[7]
Wie nun die Göttin dies merkte,
da lächelte gleich sie von Herzen,
Nahm dann das blanke Gefäß, in dem ihr der Mischtrank gereicht war.[8]

Arnobius bemerkt ausdrücklich, dass die Geste der Baubo als Parallele und Entsprechung zur Präsentation des Phallos im Kult des Dionysos zu sehen ist. Dementsprechend hat man gefolgert, dass die Baubo-Darstellung (also Frauenbildnisse mit entblößtem Unterleib, meist mit weit gespreizten Schenkeln) eine apotropäische Vulva sei, so wie das Fascinum ein apotropäischer Phallos ist.[9]

Einige Terrakottafiguren aus dem Demeter-Heiligtum von Priene zeigen Frauen mit nacktem Unterleib, der als Gesicht gestaltet ist.[10] Man hat daher spekuliert, dass es sich um Darstellung der Baubo handele, dass also der Scherz der Baubo darin bestand, dass sie sich ein Bauchgesicht aufgemalt hat und dieses Gesicht das im orphischen Fragment erwähnte (bartlose) Kind Iakchos sei.[11]

Als kunstgeschichtlicher Begriff werden als Baubo-Figurinen oder kurz Baubos eine Gruppe relativ kleiner Terrakotta-Figurinen bezeichnet, die vorwiegend aus dem griechisch-römischen Ägypten stammen und kauernde Frauen mit entblößter Vulva zeigen. Man vermutet, dass sie dem Kult der Isis bzw. der synkretistischen Verschmelzung von Isis und Demeter sowie von Osiris und Dionysos zuzuordnen sind.[12] Die Bezeichnung geht wohl auf eine von Margaret Murray in einem Artikel über Darstellungen weiblicher Fruchtbarkeit geprägte Klassifizierung zurück.[13]
Rezeption

Moderne Rezeption erfuhr Baubo am prominentesten in Goethes Drama Faust: Der Tragödie erster Teil, wo sie als Teilnehmerin in der Walpurgisnacht erscheint:[14]

Stimme.
Die alte Baubo kommt allein,
Sie reitet auf einem Mutterschwein.
Chor.
So Ehre dem, wem Ehre gebürt!
Frau Baubo vor! und angeführt!
Ein tüchtig Schwein und Mutter drauf,
Da folgt der ganze Hexenhauf.

Goethes Beschreibung war vielleicht von römischen Terrakottastatuen inspiriert, die eine nackte, auf einem Schwein reitende Frau, möglicherweise Baubo, zeigen.[15][16] Goethes Zitat wird aufgenommen bei Settembrini in Thomas Manns Der Zauberberg.[17]

Eine moderne Rezeption im Sinne der Rückbesinnung auf Mythologie in der DDR-Literatur der 80er Jahre ist die Erzählung Baubo von Franz Fühmann.[18]
Siehe auch

Anasyrma
Sheela-na-Gig

Clemens von Alexandria, Protreptikòs eis toùs Héllenes (II, 20-21).

Literatur

Olga R. Arans: Iambe and Baubo. A study in ritual laughter. Ann Arbor, MI. 1988, OCLC 231037073 (Dissertation, University of Illinois at Urbana-Champaign 1988).
Wolfgang Fauth: Baubo. In: Der Kleine Pauly (KlP). Band 1, Stuttgart 1964, Sp. 843–845.
Georges Devereux: Baubo. Die mythische Vulva. Aus dem Französischen übersetzt von Eva Moldenhauer. Syndikat, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-434-46063-2.
Fritz Graf: Baubo. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 2, Metzler, Stuttgart 1997, ISBN 3-476-01472-X, Sp. 499.
Monika Gsell: Die Bedeutung der Baubo. Kulturgeschichtliche Studien zur Repräsentation des weiblichen Genitales. Stroemfeld, Frankfurt am Main/Basel 2001, ISBN 3-86109-147-X.
Otto Kern: Baubo 1. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band III,1, Stuttgart 1897, Sp. 150 f.
M. Marcovich: Demeter, Baubo, Iacchus, and a Redactor. In: Vigiliae Christianae. Band 40, Nr. 3, September 1986, ISSN 0042-6032, S. 294–301, doi:10.1163/157007286X00130.
Mithu M. Sanyal: Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts. Wagenbach, Berlin 2009, ISBN 978-3-8031-3629-9.

Einzelnachweise
Pausanias Beschreibung Griechenlands 1.14.2.
Suda s. v. Δυσαύλης und Valerius Harpokration Lexikon zu den zehn Rednern s. v. Δυσαύλης.
Karl Müller Fragmenta historicorum graecorum. Band 2, S. 339.
Wolfgang Fauth: Baubo. In: Der kleine Pauly. Sp. 843.
Arnobius adversus nationes 5.25–29.
Clemens Protreptikus 20–21, auch Orphische Fragmente 52 (Kern: Orphicorum fragmenta. Weidmannsche Buchhandlung, Berlin 1922.)
Das hier mit „Brüste“ übersetzte κόλπος hat auch die Bedeutung „Vulva“, siehe z. B. Euripides Helena 1159.
Übersetzung von Otto Stählin aus: Des Clemens von Alexandreia ausgewählte Schriften. J. Kösel & F. Pustet, Kempten & München 1934 (unifr.ch).
Vor allem Devereux widmete diesem Aspekt eine breit angelegte Untersuchung.
Heute in der Antikensammlung Berlin.
Hermann Diels: Arcana Cerealia in Miscelanea Salinas. Palermo 1907, S. 8.
Marcella Pisani: The Collection of Terracotta Figurines in the British School at Athens. In: The Annual of the British School at Athens. Band 101, 2006, S. 290, doi:10.1017/S006824540002133X.
M. A. Murray: Female Fertility Figures. In: The Journal of the Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland. Band 64 (1934), ISSN 1359-0987, S. 93–100, doi:10.2307/2843950, JSTOR 2843950.
Faust I, Vers 3962–3967: Text siehe Wikisource.
Fritz Graf: Baubo. In: Der Neue Pauly. Abbildung in Devereux: Baubo, S. 75.
Zur Rezeption bei Goethe siehe auch Rolf Cantzen: Saugute Geschichten. Das Schwein in der Literatur. (PDF; 54 kB) Sendung: Donnerstag, 13. November 2008, 8.30 Uhr, SWR 2. Südwestrundfunk. SWR2 Wissen – Manuskriptdienst, S. 3–4 („Johann Wolfgang von Goethe verbindet im ‚Faust‘ nordische Schweinemythen und griechische Fruchtbarkeitskulte.“ / „Und diese Baubo taucht bei Goethe als Hexenweib auf, sie reitet auf einem fruchtbaren Mutterschwein“).
Thomas Mann: Der Zauberberg. Roman (= Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke, Briefe, Tagebücher). Hrsg. von Michael Neumann. Fischer, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-10-400300-9, S. 405 (Vorschau in der Google-Buchsuche). –
Laura Baginski – von Baubo zu Vulviva. In: feuilletonfrankfurt.de, 18. August 2012, abgerufen am 28. März 2020 („Schriftsteller-Übervater Thomas Mann wiederum greift in seinem von uns so sehr geschätzten Jahrhundertroman „Der Zauberberg“, Fünftes Kapitel, in dem auf den „Totentanz“ folgenden Abschnitt „Walpurgisnacht“ – leider offensichtlich kritiklos – auf die Goethe’sche Walpurgisnacht zurück.“).
Franz Fühmann: Das Ohr des Dionysios. Erzählungen. Hinstorff Verlag, Rostock 1985, S. 54–72, die Erzählung selbst stammt aus dem Jahr 1984.

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