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Gegenstand der Rhetorik (griechisch ρητορική [τέχνη], rhetorikè (téchne) - die Redekunst) ist im allgemeinsten Sinne die Kunst der (freien, öffentlichen) Rede. Aufgabe der Rhetorik ist es, die Möglichkeiten zu erforschen und die Mittel bereitzustellen, die nötig sind, um eine Gemeinsamkeit zwischen Redner und Zuhörern herzustellen (Identifikation), auf deren Basis es ermöglicht wird, eine subjektive Überzeugung allgemein zu machen (Persuasion).

Geschichte der Rhetorik

Die Geschichte der Rhetorik beginnt in der Antike. Im antiken Griechenland und Rom gab es ausgefeilte Rhetoriken, die die Schritte von der gedanklichen Verarbeitung des Stoffes bis zum Vortrag regelten.

Zwar hat es die praktische Beredsamkeit schon immer gegeben (vgl. etwa Homer). Theorie und Lehre dieser Kunst entwickeln sich jedoch erst im 5. Jahrhundert v. Chr aus der praktischen Notwendigkeit heraus. Streitigkeiten beispielsweise um offene Grundstücksfragen nach Tyrannenvertreibungen oder um unterschiedliche politische Positionen, die für die Allgemeinheit relevant waren, führten dazu, sich gedanklich tiefer mit der Kunst der öffentlichen Rede zu beschäftigen. Wer zu seinem Recht kommen wollte, mußte sein Anliegen vor Gericht persönlich vortragen. Da die breiten Schichten der Bevölkerung längst nicht ausreichend gebildet waren, suchten sie sich Redelehrer - wie Korax oder dessen Schüler Gorgias -, die ihnen beim Ausarbeiten der Reden halfen.

Wie Aristoteles anmerkt, befaßte sich Korax wohl als erster mit der überzeugenden Rede und dem Wahrscheinlichkeitsschluß. Wesentliche Elemente der Rhetorik wie Beweismittel, Indizien und Schlussfolgerung, Überredung und der richtige Zeitpunkt eines bestimmten Argumentes tauchen hier bereits auf, wenn auch noch nicht systematisiert.

Auch in Platons Dialogen (Gorgias) werden Auseinandersetzungen über die Redekunst geführt. Die zentrale Unterscheidung ist dabei die zwischen Philosophen und Sophisten. Der Unterschied ist ethisch: Dem Sophisten geht es nur um die Überredungskraft der Rede, selbst wenn das Gegenüber von etwas Falschem oder Widersprüchlichem überzeugt werden soll. Diese Position ist zwar erfolgreich, aber ethisch fragwürdig; dem wahren Philosophen kann es nur darum gehen, durch die Rede zur Wahrheit hinzuführen. Sokrates wird dabei die Mäeutik (im metaphorischen Sinne) zugeschrieben, die "Hebammenkunst" des geschickten Fragens und Ausdeutens von Paradoxen, durch die ein Gegenüber "von selbst" zur Wahrheit findet. Es ist jedoch heute umstritten, ob nicht die gesamten platonischen Dialoge eine Sophistik ganz eigener Art vorführen.

Aristoteles entwickelte als erster eine systematische Darstellung der Redekunst (siehe Rhetorik (Aristoteles)). Er versteht diese als das „Vermögen, für jeden einzelnen Gegenstand und Fall das zu erkennen, was in ihm an Überzeugendem (oder Glaubwürdigem) liegt“. Rhetorik ist die Kunst zu überzeugen und damit wie bei Platon unterschieden von der sophistischen Überredung. Die Rhetorik muss sich zwar nicht immer im Bereich der Wahrheit bewegen, meistens genügt auch die Wahrscheinlichkeit und Glaubwürdigkeit. Sie darf jedoch nicht zur Überredung und Verführung des Publikums gebraucht werden. Aristoteles unterscheidet auch zwischen verschiedenen Anlässen der Rede und den entsprechenden Stilebenen und Argumentationsweisen, die in jedem Falle gebraucht werden können.

Die systematische Rhetorik wurde zu einer langlebigen Textsorte. Die römischen Intellektuellen Cicero und Quintilian übersetzten und ergänzten die aristotelische "Rhetorik" und publizierten eigene Lehrbücher. Im Mittelalter wurden diese Quellen zur Grundlage des Triviums (Grammatik, Dialektik, Rhetorik), das an den Universitäten Europas das Grundstudium und die Grundlage jeder intellektuellen Tätigkeit bildete.

Im Barock verfassten Martin Opitz und Georg Philipp Harsdörffer, aber auch Hunderte von weniger bekannten Dichtern die ersten deutschen Rhetoriken. Sie waren als patriotische Anleitungen zum Gebrauch der deutschen Sprache nach Art der Latein und Griechisch sprechenden Gelehrten gedacht. Die Redekunst galt dabei noch als die Grundlage aller Literaturgattungen.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde mit dem Aufkommen der Genieästhetik unter deutschen Intellektuellen die Rhetorik abgewertet. Reden sollten nunmehr überzeugend wirken, weil sie aus dem Inneren der Seele oder des Herzens flossen, und nicht mehr, weil eine bestimmte Technik möglichst geschickt angewandt wurde. Diese Abwertung führte dazu, dass im Laufe des 19. Jahrhunderts die Rhetorik als Lehrfach zunehmend verschwand. Goethe selbst, der einer der größten Gegner der rhetorischen Kunstlehre war, hatte dabei selbst eine rhetorische Ausbildung genossen.

In Frankreich dagegen, wo seit dem Mittelalter der Einfluß der antiken Rhetoriker am meisten spürbar war (im geistlichen Bereich u.a. Bossuet und Louis Bourdaloue), wurde durch die Französische Revolution ein weiterer Aufschwung in der öffentlichen Beredsamkeit ausgelöst. In England förderte das Parlament die Ausbildung von Rhetorikern, wie William Pitt, Edmund Burke, William Ewart Gladstone, Charles James Fox und Thomas Babington Macaulay.

Im 20. Jahrhundert wurde der Begriff "Rhetorik" lange Zeit fast nur im Zusammenhang mit Demagogie gebraucht. Nur an wenigen Universitäten (z. B. der Eberhard-Karls-Universität Tübingen) wird sie noch als eigenes Fach gelehrt. Die Sprechwissenschaft und Sprecherziehung hingegen beschäftigt sich lehrend und forschend überwiegend mit der angewandten rhetorischen Kommunikation. In der modernen Linguistik werden rhetorische Fragen z. B. im Rahmen der Gesprächsanalyse behandelt. Inzwischen wurde die rhetorische Tradition auch in der Literaturwissenschaft wieder rehabilitiert. Als Gebrauchsrhetorik (Rhetorik für Manager u. a.) hat sie auch wieder ihren Platz in den Bücherregalen, wenn auch meistens auf den unmittelbaren und manchmal zweifelhaften Gebrauchswert reduziert.

Begriff der Rhetorik

Dass der Gebrauch des Begriffes "Rhetorik" heute in so unterschiedlichen Kontexten und Bedeutungen erfolgt, hat mit ihren zwei wesentlichen Dimensionen zu tun: Einerseits ist sie Praxis, andererseits ist sie Theorie. Rhetorik war immer Kunstlehre und Kunstübung zugleich. Bis ins 17. Jahrhundert erfolgte eine Differenzierung zum einen in die 'rhetorica' oder 'rhetorica docens' als Bezeichnung für die Theorie ('Redekunst'), zum anderen in die 'oratoria', 'eloquentia' oder 'rhetorica utens' für die Praxis ('Beredsamkeit'). Heute bemüht sich die Wissenschaft um eine terminologische Unterscheidung in 'Allgemeine Rhetorik' (für die Theorie) und 'Angewandte Rhetorik' (für die Praxis). Rhetorik-Trainer und Ratgeber-Autoren ignorieren dies allerdings weitgehend. Insofern ist das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Praxis hierzulande stark gekennzeichnet durch gegenseitige Arroganz und Ignoranz.

Unter "Angewandte Rhetorik" kann man die Disziplin der praktischen Rede verstehen. Dabei macht jemand bewusst oder unbewusst Gebrauch von den Regeln und Techniken, die im historisch entstandenen System der "Allgemeinen Rhetorik" formuliert sind. Als konkrete Anleitung zur mündlichen wie schriftlichen Kommunikation umfasst sie Ausbildung und Übung des wirkungsorientierten Sprechens, Verhaltens und Schreibens. Erkenntnisse der Sprechwissenschaft und Sprecherziehung fließen dabei heute ebenso ein wie Erkenntnisse der Psychologie und Linguistik. Die Angewandte Rhetorik bezieht sich vor allem auf die Redepraxis in der Wirtschaft, in der Politik und vor Gericht; doch sind auch das therapeutische Gespräch oder die private Kontroverse von ihr geprägt. Da sie sich nicht nur auf den Monolog, sondern ebenso auf das Gespräch bezieht, beschäftigt sie sich ebenso mit Dialektik (im sokratischen Sinne) und wird gelegentlich auch als 'Gesprächsrhetorik' (siehe Sprecherziehung) bezeichnet.

Systematik der Rhetorik

Produktionsstadien einer Rede

Von der Idee bis hin zum Vortrag sind fünf Schritte zu durchlaufen:

  1. inventio: Auffindung der Argumente. Wichtigstes Hilfsmittel ist dabei die Topik.
  2. dispositio: Gliederung des Vortrags
  3. elocutio: Einkleidung der Gedanken in Worte (Redeschmuck, ornatus) (die sprachliche Gestaltung (Wahl der Worte, Rhetorische Figuren, kommunikative Direktion, Satzbau, Pausen))
  4. memoria: Einprägen der Rede für den auswendigen Vortrag (Memoria); Ausweniglernen durch Mnemotechnik d.h. durch bildliche Vorstellungen
  5. pronuntiatio / actio: Öffentlicher Vortrag, bei dem stimmliche, mimische und gestische Mittel eingesetzt werden. (die stimmliche Ausführung (Lautstärke, Tempo und Pausensetzung, Artikulation, Timbre, Prosodie); Mimik, Gestik und Haltung (Blick- bzw. Augenkontakt, Physiognomie, persönliche Präsenz, Körpersprache))

In der klassischen Rhetorik gilt für die Entwicklung einer Rede die Differenz zwischen Gegenständen und Gedanken einerseits und ihrer sprachlichen Formulierung andererseits.

Redeteile

Die einzelnen gedanklichen Abschnitte einer Rede werden bezeichnet als rhetorices partes (Teile der Reden).

Wirkungsweisen einer Rede

Officia oratoris heißen die Wirkungsweisen der Rede:

Monolog und Dialog

Für den freien Vortrag (Monolog) nutzt der Redner verschiedene rhetorische Figuren, Thesen, Prämissen und Argumente. Das Argument steigert hier die Prämisse oder These durch eine gezielte Konklusion, mit der der Redner sein Gegenüber zu überzeugen sucht. Durch die Anordnung dieser Elemente in der freien Rede (Steigerung, Reihung, Dialektik etc) erzeugt der Sprecher Aufmerksamkeit und Spannung beim Publikum.

Im Dialog eines Gespräches gewinnt die Interaktion besondere Bedeutung. Weit mehr als beim Vortrag, der durchaus auch gewisse Interaktionen bilden kann, hat der Redner nun auf die verbalen und nonverbalen Reaktionen seines Gegenüber zu reagieren. Hierbei spielen gerade die körpersprachlichen Signale als Gradmesser der emotionalen Verfassung eines Gesprächspartners eine besonders große Rolle, die mitunter ja widersprüchlich sein kann). Sind nonverbale und verbale Aussage unstimming, spricht man von Inkongruenz. Die Anordnung der rhetorischen Elemente im Dialog hängt so vor allem von der Wirkung ab, die er erzielt.

Hermeneutik

Die Rhetorik ist auch literaturwissenschaftliche Hilfslehre für die zentrale Aufgabe der Hermeneutik. Hier fragt sie nach den Strategien der Darstellung, der Leserführung und der internen Wirkungsabsicht von Texten. Mit dem textkritischen Wissen der Rhetorik können schriftliche Quellen auf ihre Überzeugungsstrategien hin analysiert werden.

Ethik und Rhetorik


Cicero

Gedanken zur Ethik sind seit jeher Bestandteil der Rhetorik. Wann handelt es sich bei einer Rede (noch) um ein legitimes Beeinflussen von Einstellungen? Wo beginnt Manipulation? Heiligt der Zweck alle Mittel? Ein Konflikt um diese Fragen entwickelte sich in der Antike bereits zwischen Sophisten (etwa Gorgias, Isokrates) und Philosophen (etwa Sokrates, Platon). Damit eng verbunden war die Frage nach einer "letzten" Wahrheit, die hätte Klarheit schaffen können, wie und wovon man überzeugen darf.

Viele antike Autoren entwickelten Vorstellungen davon, welche Mittel der Rhetorik ethisch legitim sind und so die Akzeptabilität der Rede erhöhen. Bei Aristoteles etwa heißt es: "Dadurch, wie der Redner erscheint, gewinnen wir Vertrauen, und das ist dann der Fall, wenn er als rechtschaffener oder freundlich gesinnter Mensch oder als beides erscheint" (rhet. 1366a). Ethik im Sinne der charakterlichen Prägung des Redners zählt für ihn - neben Leidenschaftserregung und Argumentation - zu den drei Überzeugungsmittel. Vor ihm war es bereits Isokrates (370 v. Chr.), der in seiner Rede "Nikokles" etwa die Goldene Regel als Empfehlung für den Redner formulierte.

Im antiken Rom sind es insbesondere Cicero, Quintilian und Seneca, die ein Idealbild des Redners als "orator Perfectus" (Cicero) oder "vir bonus" (Quintilian) entwerfen und somit Beredsamkeit, Weisheit und tugendhaftes Leben miteinander verknüpfen.

Im Mittelalter zeigt sich die Ethik als Form angewandter Rhetorik etwa darin, daß Thomas von Aquin strenge Regeln für einen "Scholastischen Disput" formulierte. Diese Streitgespräche erzwangen das Zuhören (als eine Form der Wertschätzung). Denn bevor jemand seinen eigenen Standpunkt in diesen Übungsreden darstellen durfte, mußte er vorher den gegenerischen Redebeitrag sinngemäß richtig mit eigenen Worten wiedergeben (Paraphrasierung). Andernfalls wurde er disqualifiziert.

Wenn in Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahllose Vorbehalte gegenüber der Rhetorik bestanden, so ist dies auch auf ihre einseitige Instrumentalisierung durch den Nationalsozialismus zurückzuführen. Das Dritte Reich selbst und seine Gräueltaten können auch als eine (!) Konsequenz einer Rhetorik ohne einwandfreies ethisches Fundament angesehen werden (siehe Joseph Goebbels). Es gibt nach verbreiteter Ansicht keine "böse Sprache" - nur "böse Sprecher".

Kritiker würden in dieser Argumentation allerdings einerseits selbst eine rhetorische Figur erkennen, und andererseits auf das sprachwissenschaftliche Werk Victor Klemperers verweisen, der die Sprache des Dritten Reiches, ihre Euphemismen und Verschleierungen aus der Perspektive eines von Verfolgung bedrohten Juden erforschte. Schimpfworte, Diffamierungen und Kampfbegriffe sind ebenso Teil der Sprache, können jedoch kaum als neutral angesehen werden.

Dass in der deutschen Sprache das Verb "überreden" als anrüchig empfunden und statt dessen von "überzeugen" als Ziel der Rhetorik gesprochen wird - eine Differenzierung übrigens, die weder Griechen noch Römer kannten -, mag auch als Beleg für die Relevanz einer ethisch orientierten Redekultur gewertet werden.

Historische Reden

Zitate

„Rhetorik ist der Ausgang des Menschen aus gesellschaftlicher Sprachlosigkeit“ (Joachim Knape)

„Eine gute Rede hat einen guten Anfang und ein gutes Ende – und beide sollten möglichst dicht beieinander liegen.“ (Mark Twain)

„Die Redekunst ist die allerumfassendste Kunst.“ (Aurelius Augustinus)

„Daher ist es erforderlich, Kunstfertigkeit anzuwenden, ohne dass man es merkt, und die Rede nicht als verfertigt, sondern als natürlich erscheinen zu lassen – dies nämlich macht sie glaubwürdig.“ (Aristoteles)

„Beherrsche die Sache, dann folgen auch die Worte - rem tene, verba sequentur.„ (Cato der Ältere, 234–149 v. Chr.)

Siehe auch

Literatur

Klassische Texte:

Humanistische Texte:

Theorie der Rhetorik:

Praxis der Rhetorik:

Weblinks

Antikes Griechenland

Biographien, Griechische Mythologie , Kriegführung, Kunst, Architektur, Wissenschaft, Philosophie, Literatur, Sport, Leben, Geschichte, Index, Bilder/Zeichnungen

Griechenland im Mittelalter

Byzanz, Biographien, Kunst, Literatur, Orthodoxie, Byzantinische Armee, Geschichte, Index

Griechenland in der Neuzeit

Geographie, Inseln, Städte, Kunst, Musik, Biographien, Film, Sport, Wissenschaft, Literatur, Geschichte,

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Index

Zypern

Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft

Hellenica Bibliothek - Scientific Library

Index Griechisch: Αλφαβητικός κατάλογος

Referenz: "http://de.wikipedia.org/"
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