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Als Nestorbecher benennt man einerseits das mythische Trinkgefäß Nestors von Pylos, wie es Homer in der Ilias beschrieb und andererseits sowohl einen in Mykene ausgegrabenen Goldbecher als auch ein auf der Insel Ischia entdecktes Trinkgefäß.
Der Nestorbecher in der Ilias
Im elften Gesang (V. 632 – 635) der Ilias beschreibt Homer den Nestorbecher als einen stattlichen Kelch mit vier Henkeln, die mit je zwei “pickenden” Goldtauben verziert sind. Zwei Tauben bilden zudem den Boden des Gefäßes.
Im homerischen Epos bringt Nestor den Kelch aus Pylos mit in den Trojanischen Krieg. Dieser steht zusammen mit einem ehernen Korb und gelblichem Honig auf einer schönen geglätteten Tafel mit stahlblauem Gestell. Hekamede, eine Dienerin Nestors aus Tenedos, füllt den Kelch mit pramnischem Wein und streut weißes Mehl und geraspelten Ziegenkäse darüber. Dieses Weinmus trinken Nestor und seine Gäste aus dem Kelch, der sich gefüllt nur schwer heben lässt (siehe V. 636).
Der “Nestorbecher” von Mykene
Nestorbecher (Quelle)
Die frühhistorische Ruinenstätte Mykene besuchte Heinrich Schliemann erstmals 1869. Hier suchte er – im Gegensatz zu Anderen – die Grablege Agamemnons (des sagenhaften Königs und Oberbefehlshabers der griechischen Streitmacht vor Troja) nicht außerhalb, sondern innerhalb der Burgmauern. Er begann 1876 mit den Ausgrabungen. In Grab IV fand Schliemann schließlich einen goldenen Becher, der ihn an den Nestorbecher aus der Ilias erinnerte.
Dieser hat allerdings wenig mit dem König von Pylos zu tun, da er auf 1600 v. Chr. datiert wurde – die Ilias wurde etwa 850 Jahre später verfasst. Schliemann selbst erkannte auch die deutlichen Ungleichheiten zwischen dem Goldbecher und dem Kelch aus Homers Epos: Sie unterscheiden sich durch Größe, Zahl der Henkel (zwei bzw. vier) und die auf diesen liegenden Tauben (je eine statt je zwei).
Der Goldbecher befindet sich derzeit im Archäologischen Nationalmuseum von Athen.
Der “Nestorbecher” von Ischia
Trinkgefäß aus der griechischen Kolonie Pithekusai (Ischia)
In einer Nekropole nahe dem Monte Vico auf der italienischen Insel Ischia [ˈiskia] fand der dort lebende Archäologe Giorgio Buchner 1954 bei Ausgrabungen ein Trinkgefäß (Kotyle). Es stammt aus dem letzten Drittel des 8. Jahrhunderts vor Christus, wurde vermutlich auf Rhodos hergestellt und gelangte höchstwahrscheinlich durch Handel nach Ischia, wo es letztendlich als Grabbeigabe eines Jungen verwendet wurde.
Das Fundstück befindet sich heute im Museo Archeologico di Pitecusa auf Ischia.
Die Inschrift
Das Gefäß trägt eine dreizeilige Inschrift, die allerdings lange Zeit nach der Herstellung eingeritzt wurde. Die Inschrift in einer euböischen (von rechts nach links geschriebenen) Form des Griechischen Alphabets ist nur fragmentarisch erhalten, da einige Bruchstücke fehlen. Der Text lautet:
ΝΕΣΤΟΡΟΣ:...:ΕΥΠΟΤΟΝ:ΠΟΤΕΡΙΟΝ
ΗΟΣΔΑΤΟΔΕΠΙΕΣΙ:ΠΟΤΕΡΙ..:ΗΥΤΙΚΑΚΕΝΟΝ
ΗΙΜΕΡΟΣΗΑΙΡΕΣΕΙ:ΚΑΛΛΙΣΤΕΦΑΝΟ:ΑΦΡΟΔΙΤΕΣ
Dies wird in die klassische Schreibweise wie folgt übersetzt:
Νέστορός εἰμι εὔποτον ποτήριον•
ὃς δ’ ἂν τοῦδε πίησι ποτηρίου αὐτίκα κῆνον
ἵμερος αἱρήσει καλλιστεφάνου Ἀφροδίτης.
Die deutsche Übersetzung lautet:
Berühmt ist der Becher des Nestor.
Wer aber aus diesem Becher trinkt, wird sofort
Vom Verlangen nach der schönen Aphrodite ergriffen.
Vergleicht man den reich verzierten Nestorbecher aus Homers Epos mit diesem simplen Gefäß, kann die Inschrift als humorige Anspielung auf die Ilias verstanden werden. Gleich in zweifacher Hinsicht ist dies von großer historischer Bedeutung: Zum einen handelt es sich um eine der frühesten relativ sicher datierbaren griechischen Inschriften in Alphabet-Form. Da die Zeichen schon deutlich von den phönizischen abwichen, muss die Übernahme des Alphabets schon einige Zeit vorher erfolgt sein. Zum anderen beweist die Inschrift, dass die Griechen des 8. Jahrhunderts v. Chr. sehr gut die Sagen vom und um den Nestorbecher kannten, was für eine sehr schnelle Verbreitung der homerischen Epen spricht.
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