ART

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Narziss, Caravaggio, 1598-99, 110 x 92 cm, Galleria Nazionale d'Arte Antica, Rome, Italy

Narzissmus ist eine Charaktereigenschaft, die sich durch ein geringes Selbstwertgefühl bei gleichzeitig übertriebenem Gefühl der eigenen Wichtigkeit und großem Wunsch nach Bewunderung auszeichnet.

Überblick

Narzissmus ist ein geschichtetes Deutungsmuster, das auf vielfältige miteinander verbundene Erscheinungen verweist. Diese Erscheinungen sind zugleich auf unterschiedlichen Ebenen für alle Betroffenen wirksam, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Sie werden jedoch nicht immer bewusst wahrgenommen und selten miteinander in Beziehung gesetzt.

Auf der mythologischen Ebene ist Narziss ein Knabe, der sich in sein Spiegelbild verliebt. Da er das Spiegelbild nicht fassen kann, verzweifelt er an der Suche nach Identität. Es ist der Mythos der Identitätssuche. Wer weiß schon, wer er "wirklich" ist.

Im Alltagsverständnis ist ein Narzisst ein Mensch, der oder die sich mehr auf sich selbst bezieht und dabei andere (Mensch, Natur usw.) vernachlässigt. Bedingt also ein Egoist.

Manche Menschen haben in ihrer frühkindlichen Entwicklung weniger Liebe von Bezugspersonen als andere erhalten, sie leiden oft lebenslang darunter und geben ihre Reaktionen auf ihre Entbehrungen an andere weiter. Sie reagieren mit Verhaltensweisen, die von der Psychologie als narzisstische Charakterstörungen eingeordnet werden. Gelegentlich haben Menschen in ihrer frühkindlichen Entwicklung auf ihre Umgebung so reagiert, dass sie sich ein „gesundes Selbstwertgefühl“ haben bewahren können. Diese Menschen ruhen in sich selbst, haben Kontakt zum Sein und sind liebevoll zu sich und anderen.

Auf der kulturellen Ebene werden in der narzisstischen Gesellschaft Werte des Eigennutz propagiert unter Vernachlässigung von Werten des Gemeinnutzes. Das macht ein Anpassen an diese Werte (z.B. Geiz ist geil) einfach. Die in dieser narzisstischen Kultur lebenden Menschen brauchen eine willentliche Entscheidung oder alternative Vorbilder, um nach Werten zu handeln, die nicht im gesellschaftlichen Mainstream liegen. Sie müssen dann oft auf Privilegien verzichten.

Auf der spirituellen Ebene ist ein Narzisst ein Mensch, der den Kontakt zum Sein verloren hat. Dieser Mensch ist in seiner oder ihrer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur wie in einem Gefängnis eingesperrt. Das Gefängnis wird jedoch oft erst dann offensichtlich, wenn die Sehnsucht nach dem „Sinn des Lebens", nach dem „eigentlichen“ und nach dem „Glück“ nicht verstummen will.

Umgangssprachlich heften dem Wort "Narzissmus" nur negative Bedeutungen an. Alice Miller sieht den Begriff hingegen als Eigenschaft, wie sie es unter anderem in Das Drama des Begabten Kindes erläutert. Narzisstisch zu sein ist für sie etwas normales, gesundes und meint jemanden, der seine Interessen verfolgen kann. Eine narzisstische Störung entsteht laut Miller, wenn ein Kind seine eigenen Gefühle und Interessen nicht artikulieren durfte und später dafür ein "Ventil" braucht. Das äußert sich meistens in Depression oder Gefühlen der Großartigkeit, die aber nur zwei Seiten der selben Medaille darstellen.

Psychiatrie / Psychologie

In der Psychiatrie und der Psychologie findet der Narzissmus Ausdruck in der so genannten narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die aber klar abzugrenzen ist von der allgemeinsprachlichen Verwendung des Begriffs Narzissmus als 'Selbstverliebtheit'.

Narzisstische Personen sind gekennzeichnet durch einen Mangel an Einfühlungsvermögen und Überempfindlichkeit gegenüber Kritik, welches sie mit einem großartigen äußeren Erscheinungsbild zu kompensieren versuchen. Häufig hängt das mit ihrem brüchigen Selbstwertgefühl zusammen. Sie besitzen aber auch einen Blick für das Besondere, können leistungsstark (in Schule, Beruf, Hobby) sein und haben oft gepflegte und statusbewusste Umgangsformen. Neben Prädispositionierung ist das Elternhaus ein entscheidender Faktor für narzisstische Persönlichkeiten. Es finden sich überwiegend sehr unempathische, wenig akzeptierende Eltern, die das Kind nicht selten schon früh überfordern. So findet in der kindlichen Erziehung vor allem ein Verhalten Beachtung und Verstärkung, das in gewisser Intoleranz gegenüber anderen (Menschen) die eigenen Fähigkeiten und Wertigkeit betont und diese auch nach außen gut darstellen kann, und zwar ohne dass das tatsächlich gezeigte Verhalten dieser Selbstpräsentation auch nur annähernd entsprechen muss.

Jeder Mensch durchläuft narzisstische Zustände. Nach Sigmund Freud unterscheidet man den primären und sekundären Narzissmus. Beim primären Narzissmus richtet das Kleinkind seine sexuelle Energie (Libido) ganz auf sich selbst. Beim sekundären Narzissmus wird die sexuelle Energie von äußeren Objekten wieder abgezogen und auf sich selbst bezogen (Regression). Dieser Zustand trete vor allem nach enttäuschter Liebe oder Selbstwertkränkungen auf.

Erich Fromm bezeichnet Narzissmus als Gegenpol zur Liebe und unterscheidet neben dem Narzissmus des Einzelnen auch den Gruppennarzissmus (siehe Patriotismus bzw. Fanatismus).

Der "moderne" Narzissmus

Heute bezeichnet der Begriff Narzissmus nicht nur eine krankhafte Bezogenheit auf sich selbst, sondern ist auch Ausdruck eines gesunden Selbstwertes. Vor allem die selbstpsychologische Schule (innerhalb der Psychoanalyse) von Heinz Kohut hat diesen Wechsel in der Bewertung des Narzissmus als bedeutendes Modell für die psychische Gesundheit eingeleitet. So bezeichnet der Narzissmus ein System von Libidobesetzungen. Hier werden allerdings nicht Objekte wie die eigenen Eltern oder ein Liebespartner libidonös besetzt, sondern eine eigene innerpsychische Instanz. Diese Instanz wird sowohl von Kohut als auch von Kernberg das Selbst genannt. Kohut versteht darunter ein von Beginn an vorhandenes psychisches System, welches dem gesamten psychischen Apparat als auch dem Körper ein Gefühl der Einheit und Zusammengehörigkeit verleiht. Die Besetzung mit psychischer/sexueller Energie dieses Selbstes wird von Kohut als Narzissmus angesehen. Diese Besetzung kann pathologische Züge annehmen, wenn die Instanz des Selbst aus verschiedenen Gründen nicht gesund entwickelt ist. Eine große Rolle spielt hierbei die frühe Beziehung zwischen Kind und Bezugsperson. Wenn die Bezugsperson dem Säugling nicht genügend Einfühlungsvermögen und Bestätigung entgegenbringt, kann es zu einer Fehlentwicklung kommen. So kommt es zu den Erscheinungsformen von pathologischem Narzissmus.

Kernberg sieht den Narzissmus ebenfalls mit dem Selbst verbunden (im Gegensatz zu Freud, der noch kein Selbst kannte, und im Narzissmus die Besetzung des Ichs sah). Für Kernberg ist das Selbst ein Teil des Ichs. Dieses Selbst ist ein Resultat aus den frühen Objektbeziehungen. Kommt es zu Störungen in der miteinander verknüpften Entwicklung von frühen Objektbeziehungen und Selbst, kann dies zu dem beschriebenen pathologischen Narzissmus führen. Auch hier spielt die erste Bezugsperson eine ähnliche Rolle.

Klassifikation der narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) nach ICD und DSM

ICD-10

Die narzisstische Persönlichkeitsstörung wird im ICD 10 nur unter der Rubrik "Andere spezifische Persönlichkeitsstörungen (F 60.8)" aufgeführt, jedoch nicht weiter charakterisiert, obwohl sie als Persönlichkeitsdiagnose häufig gebraucht wird.

DSM-IV

Ein tief greifendes Muster von Großartigkeit (in Fantasie oder Verhalten), Bedürfnis nach Bewunderung und Mangel an Empathie. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter und zeigt sich in verschiedenen Situationen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit (übertreibt z.B. die eigenen Leistungen und Talente; erwartet, ohne entsprechende Leistungen als überlegen anerkannt zu werden),

ist stark eingenommen von Fantasie grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz, Schönheit oder idealer Liebe,

glaubt von sich "besonders" und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen Personen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder nur mit diesen verkehren zu können,

verlangt nach übermäßiger Bewunderung,

legt ein Anspruchdenken an den Tag, d.h. übertriebenen Erwartungen an eine besonders bevorzugte Behandlung oder automatisches Eingehen auf die eigenen Erwartungen,

ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch, d.h. zieht Nutzen aus anderen, um eigene Ziele zu erreichen,

zeigt einen Mangel an Empathie: ist nicht willens, die eigenen Gefühle oder Bedürfnisse anderer zu erkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren,

ist häufig neidisch auf andere oder glaubt, andere seien neidisch auf ihn/sie,

zeigt arrogante, überhebliche Verhaltensweisen oder Handlungen.

Literatur

Psychologische Fachliteratur

Otto F. Kernberg, Hans-Peter Hartmann: Narzissmus Grundlagen - Störungsbilder - Therapie, 2010, ISBN 978-3608426977

Hans-Jürgen Wirth: Narzissmus und Macht August 2002, ISBN 3898060446

Heinz Kohut: Narzißmus, 2002, ISBN 351827757X

Rainer Sachse: Histrionische und Narzisstische Persönlichkeitsstörungen, April 2002, ISBN 3801714462

Otto F. Kernberg: Borderline-Störungen und pathologischer Narzißmus, 2000, ISBN 3518280295

Stephen M. Johnson: Der narzisstische Persönlichkeitsstil, August 2000, ISBN 3926176164

Klassische Märchen mit Narzissmus-Inhalten

Gebrüder Grimm, Der Eisenofen (Gutenberg Projekt)

Siehe auch

Narziss

Diskussion des Begriffs und seiner Verwendung in der Psychoanalyse

Weitere Informationen im Forum für und über narzisstische Persönlichkeitsstörungen

Narzissmus, Prof. Dr. med Volker Faust, Psychiatrie Heute. Umfassend zu Narzissmus, Persönlichkeitsstörung und Behandlungsmöglichkeiten

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