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Der Melierdialog ist eine Bezeichnung für eine Episode im Geschichtswerk Der Peloponnesische Krieg des griechischen Historikers Thukydides. Der Dialog zwischen Vertretern Athens und Melos gilt nach den Regeln des Thukydides nicht als wörtliche, sondern als sinngemäße Wiedergabe.

Der Melierdialog (Buch V, Kap. 84-116) nimmt vom Umfang her einen sehr kleinen Teil des Werkes ein, seine Bedeutung ist jedoch immens, da in ihm die Triebfedern der Hegemonialpolitik des antiken Athens verdeutlicht werden. Es treten darin auch die durch den Krieg bedingte Verrohung und Verachtung für Sitten und Werte deutlich hervor, sowie die Grenzen der Macht, eben durch die darauf folgende Sizilienexpedition.

Die Situation

Die Episode handelt im Jahr 416 v. Chr., im sechzehnten Jahr des Peloponnesischen Krieges. Die Athener waren mit 38 Trieren und 3.000 Hopliten -- einer großen Übermacht vor Melos erschienen, um diese militärisch unbedeutende Insel zu unterwerfen, die sich bis dahin als einzige Insel der Kykladen neutral verhalten und den Beitritt zum Attischen Bund verweigert hatte (und eine Kolonie Spartas war). Sie schickten Unterhändler in die Stadt, mit dem Ziel, die Melier von den Vorteilen einer freiwilligen Unterwerfung zu überzeugen.

Die Regeln

Thukydides entwickelte den darauf folgenden Dialog nach den Regeln der Sophisten: jedem Argument folgt unmittelbar sein Gegenargument.

In den Konflikt gab es drei mögliche Lösungen:

  • Melos unterwirft sich freiwillig
  • Melos bleibt neutral
  • Athen unterwirft Melos gewaltsam

Diese drei Lösungen wurden im Dialog nacheinander erörtert, nach den sophistischen Regeln: ob ein Plan anzunehmen oder zu verwerfen war, richtete sich nach diesen Kriterien:

  • Gerechtigkeit
  • Nutzen (Gewinn, Sicherheit) vs. Schaden (Verlust, Gefahr)
  • Realisierbarkeit
  • Schönheit (Ehre vs. Schande)

Der Dialog

Das erste Kriterium, die Gerechtigkeit, wurde von den Athenern gleich zu Beginn ausgeschlossen: Recht könne nur zwischen gleich Starken gelten, bei ungleichen Kräfteverhältnissen tue der Starke was er könne, und erleide der Schwache was er müsse. Rechtliche Gesichtspunkte sollten daher keine Rolle spielen, sondern allein die Nützlichkeit.

Dem entgegneten die Melier, dass das Recht an sich auch für den Starken nützlich sei, da auch der Starke dereinst fallen und sich in der Position des Schwachen wiederfinden könne - ein Risiko, das die Athener nicht schreckte.

Die drei Handlungsmöglichkeiten wurden dann auf ihren jeweiligen Vor- und Nachteile für beide Seiten untersucht:

Unterwerfung: Eine freiwillige Unterwerfung erspare den Meliern die Vernichtung und erhalte den Athenern ihre Ressourcen, sei also für beide Seiten von Nutzen - so das Argument der Athener.

Neutralität: Die Athener erklärten, eine fortdauernde Neutralität Melos' nicht hinnehmen zu können, weil ihre Untertanen in dieser Hinnahme ein Zeichen der Schwäche sehen würden. Dem erwiderten die Melier, dass ein Angriff auf einen Neutralen andere Neutrale gegen Athen aufbringen würde. Darauf meinten die Athener, Neutralität an sich erwecke ihr Misstrauen und könne daher nicht geduldet werden.

Krieg: Auf das Argument der Melier, Widerstand erspare ihnen immerhin die Schande der Unterwerfung, erwiderten die Athener, es sei keine Schande sich einem soviel Stärkeren zu ergeben. Der Erwägung der Melier, dass Widerstand zumindest theoretische Hoffnung bedeute, Unterwerfung aber völlige Aufgabe derselben, entgegneten die Athener, dass dies um so törichter sei, je größer die Gefahr. Als die Melier sich auf die Götter beriefen, die ihnen als den Unschuldigen wohl helfen würden, sowie auf die Spartaner, mit denen sie verwandt seien, erwiderten die Athener dass sie selbst noch viel mehr auf die Götter zählen könnten, da sie ja letztlich nur nach dem Gesetz der Götter handelten: es sei des Menschen Natur, zu herrschen (und die Melier würden dasselbe tun, wenn sie die Macht hätten), während die Spartaner zu eigennützig seien, um den Meliern zu helfen.

Nachdem auf diese Weise alle Handlungsmöglichkeiten auf ihre Vor- und Nachteile für beide Seiten untersucht waren, erklärten die Athener den Dialog für beendet und ermahnten die Melier, ihre Entscheidung nicht auf trügerische Hoffnungen zu gründen, sondern auf die Vernunft.

Das Ergebnis

Nach einer Beratung erklärten die Melier, dass sie ihre 700 Jahre alte Freiheit nicht aufgeben sondern sich dem Beistand der Götter und der Spartaner anvertrauen und sich einer Unterwerfung widersetzen wollten.

Die Athener begannen daraufhin mit der Belagerung der Stadt, die nach einem halben Jahr durch Verrat endete. Die Athener richteten alle Männer aus Melos hin und verkauften die Frauen und Kinder in die Sklaverei.

Thukydides setzte sein Werk mit der Sizilienexpedition der Athener fort, bei dem die Athener das Gegenteil von dem tun, zu dem sie die Melier ermahnt hatten, nämlich auf die Vernunft zu hören und nicht leichtsinnig auf Kriegsglück zu vertrauen.

Bedeutung

Die darwinistisch anmutende Grundthese vom Recht des Stärkeren dient für Thukydides gleichzeitig als eine Offenlegung der Triebfedern der Machtpolitik, vor allem des Machterhalts. Der daraus gewonnene Schluss, nur durch Gewalt könne eine Hegemonialmacht sich vor seinen Feinden schützen, gipfelt in der Dialektik von Machtausübung und der daraus folgenden gleichzeitigen Vermehrung der Feinde. In kaum einem anderen Werk wurde das von Machtstreben bedingte Wesen des Menschen offener zu Tage gebracht als im Melierdialog.

Durch die von Thukydides vorgenommene Art und Weise der Darstellung der Athener Motive, nämlich vollständig befreit von der üblichen Rhetorik über edle Moral und Gerechtigkeit, mit der Kriege oft begründet werden, sondern stattdessen völlig reduziert auf das nüchterne Kalkül der Machtausübung und des Machterhalts, legt er Wahrheiten offen, die auch heute noch so aktuell sind wie vor 2.400 Jahren.


Literatur

Quellen:

  • Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, hrsg. von Georg Peter Landmann, Artemis & Winkler, Düsseldorf 2002, ISBN 3760841031 (Seiten 362-370)

Sekundärliteratur:

  • ebenda: Fußnote I zu Seite 362
  • M. G. Seaman: The Athenian Expedition to Melos in 416 B.C., in: Historia 46 (1997), S. 385 ff. Grundlegende Studie mit Literaturangaben.

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