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Edictum Theoderici. I. Grundlage unserer Kenntnis des Edictum Theoderici. Die Hss. des E. Th. sind heutzutage nicht mehr auffindbar. Im 16. Jhdt. waren jedenfalls noch zwei erhalten, deren eine Pierre Pithou dem Buchhändler Nivellius zum Abdrucke im Anhange der Cassiodorausgabe (Paris 1579) überließ; durch Molé erhielt der letztere noch ein zweites Manuskript, welches bei der Editio princeps gleichfalls verwertet wurde.
Inhaltsverzeichnis

I. Grundlage unserer Kenntnis
II. Wesen und Zweck
III. Verfasser des Edictum Theoderici
IV. Entstehungszeit
V. Quellen
VI. Rechtsgeschichtliche Bedeutung
VII. Ausgaben des Edictum Theoderici
VIII. Literatur

II. Wesen und Zweck des Edictum Theoderici. Das E. Th. enthält in 154 Artikeln eine systemlose Zusammenstellung jener Rechtssätze des privaten und öffentlichen Rechtes, welche im Reiche Theoderichs für Römer und Goten (barbari) Gesetzeskraft besitzen sollten (vgl. Epilog). Es ist nicht eine didaktische Arbeit (so Glöden 141f.), sondern, wie schon der Name edictum, die ausdrückliche Betonung seiner Geltung für die Angehörigen beider Nationen, der Publikationsbefehl und die Strafandrohung gegen den seine Vorschriften nicht beachtenden Richter zeigen, ein von Theoderich ohne Mitwirkung des Volkes erlassenes Gesetz. Das Edictum verfolgt nicht den Zweck, das gesamte geltende Recht in abstrakten Rechtssätzen zu kodifizieren (vgl. Prolog und Epilog), es will nur dem Richter (dem ostgotischen Grafen, der über eine geringe Kenntnis des römischen Rechts verfügt) eine feste Handhabe zur Entscheidung der alltäglichen Rechtsfragen bieten; in allen im Edikte nicht geregelten Materien hat das bisherige Recht zur Anwendung zu gelangen, für Römer das römische, für Goten das gotische (Savigny 175. Halban 146f.).

III. Verfasser des Edictum Theoderici. Der Verfasser läßt sich nicht bestimmen; er war jedenfalls ein im römischen Recht wohlunterrichteter Römer (Savigny 181. Dahn 4. Stobbe 96). Ausgeschlossen ist die Autorschaft Cassiodors; denn das Edict ist in den Variae nicht aufgenommen und weist auch einen ganz anderen Stilcharakter als die auf Cassiodor zurückgehenden legislativen Arbeiten auf (Dahn 4f. Gaudenzi 46f.). [1958]

IV. Entstehungszeit des Edictum Theoderici. Die Entstehungszeit des Edictes ist kontrovers. Allgemein zugegeben wird, daß das Edict nicht vor 493 entstanden sein kann, da bis dahin Theoderich noch nicht Herr von Italien war. Im übrigen gehen die Meinungen der Gelehrten sehr auseinander.

1. Die ältere Ansicht, welche noch von Savigny 172 vertreten wird, glaubt beweisen zu können, daß das Edict 500 v. Chr. (in welchem Jahre Theoderich sein zehnjähriges Regierungsjubiläum in Rom feierlich begangen habe) erlassen wurde. Diese Lehre gründet sich auf die Kombination höchst unzuverlässiger Angaben des Anonym. Vales. und des Chron. Pasch., welche überdies noch falsch interpretiert oder willkürlich emendiert werden (Glöden 5. Walch 61. Dahn 7f. Gaudenzi 29ff.). Der Bericht des Anonym. Vales. 79, Theoderich habe sich im zehnten Jahre seiner Regierung eine Metallplatte anfertigen lassen, um sich ihrer als Schablone zu bedienen, so oft er etwas zu unterschreiben hatte, wird grundlos auf die Unterzeichnung eines Ediktes (des E. Th.) bezogen. Die ganze Erzählung ist übrigens mit den sonstigen Zeugnissen über Theoderichs hohe geistige Begabung und seine frühere legislative Tätigkeit nicht in Einklang zu bringen. Die mit ihr in Verbindung gebrachte Notiz derselben Quelle (66. 67) über Theoderichs Feier der Tricennalia in Rom könnte selbst dann nicht für die Datierung des E. Th. verwertet werden, wenn die Emendation per decennalem für per tricennalem als zulässig erachtet würde; denn der Anonymus rechnet die Regierungszeit Theoderichs vom J. 493, mußte also das zehnjährige Regierungsjubiläum in das J. 503 versetzen. Ebensowenig geht es an, die im Chron. Pasch. p. 604 Dind. zum J. 485 (!) erwähnte διάταξις περὶ ἑκάστου νόμου mit dem (nach der hier besprochenen Ansicht im J. 500 erlassenen) E. Th. zu identifizieren. Die Annahme, daß die Quelle des Chron. Pasch. lediglich die Angabe der (VIII.) Indiktion enthielt, dieses aber den Erlaß der διάταξις irrig an ihren Anfang statt das Ende setze, wäre immerhin möglich; gegen die Identifizierung mit dem E. Th. sprechen aber ganz besonders Inhalt und Wesen des Edictum (s. o. II.), welches keineswegs als eine διάταξις περὶ ἐκάοτου νόμου bezeichnet werden kann. Viel wahrscheinlicher ist es, daß darunter Theoderichs feierliche Anerkennung des römischen Rechtes gelegentlich seines römischen Aufenthaltes im J. 500 zu verstehen ist (Dahn 7. Gaudenzi 7).

2. Eine zweite Ansicht bezeichnet das J. 505 als Terminus post quem für die Entstehung des E. Th. (Glöden 18ff. Stobbe 97); sie geht dabei von der Voraussetzung aus, daß dem Verfasser des E. Th. an einzelnen Stellen die interpretatio zur Lex Romana Visigothorum als Vorlage gedient habe. Indes ist eine unmittelbare Benützung des letzteren nicht nachweisbar (s. u. V) und damit der ganzen Lehre die Grundlage entzogen.

3. Gaudenzi 37 vermutet, gestützt auf den Epilog und die Bestimmung des Art. 148 über die aus der Gefangenschaft zurückgekehrten servi und coloni, daß das Edict nach Beendigung des gallischen Krieges entstanden sei; er versetzt die Promulgation in den Zeitraum von 511–515. in welchem Theoderich eine Konsolidierung der tristen [1959] Zustände in Gallien und Pannonien auf dem Wege der Gesetzgebung erstrebte, nach Aufhebung des Breviars das römische Recht in toto in Gallien restaurierte und auch sonst eine intensive politische und legislative Tätigkeit entfaltete. Gaudenzi bezeichnet das J. 510 als Terminus a quo, weil damals die (im Edictum 15 verbotene) Klageerhebung in den Ostertagen noch gestattet war (Cassiod. var. IV 21), das J. 515 als Terminus ad quem, weil in dem Erlasse Var. V 33 (von 515) auf die Bestimmungen des Edictes über den Ehebruch (Art. 7. 38) Bezug genommen wird.

V. Quellen des Edictum Theoderici. Das Edictum ist vorzugsweise ex novellis legibus et veteris iuris sanctimonia zusammengestellt. Daneben kommen noch einige, das bisherige (römische) Recht abändernde Gesetze Theoderichs als Quellen in Betracht (Quellenanalyse bei Dahn 45ff. Bluhme 176). Nachweisen läßt sich die Benützung der drei großen Constitutionensammlungen, des Cod. Gregorianus, Cod. Hermogenianus (aus deren verlorenen Partien offenbar einige sonst nur im Cod. Iust. enthaltene Vorschriften stammen; Savigny 178) und Cod. Theodosianus, einzelner posttheodosischen Novellen (von Theodosius II., Valentinian II. und Maiorian), sowie von Paulus sententiae; bei anderen Schriften der classischen Juristen (Paulus responsorum libri, Ulpian libri de officio proconsulis, Gaius, Papinianus, Callistratus, Macer) ist es zweifelhaft, ob unmittelbare Benützung oder Entlehnung aus den verlorenen Partien der sententiae des Paulus vorliegt (für letztere Annahme Krüger 317).

Strittig ist, ob die interpretatio zur Lex Romana Visigothorum benutzt ist. Die Annahme einer solchen wird von Glöden 22 (dem Stobbe 97 und auch Fitting Ztschr. für Rechtsgeschichte XI 244, 42 sich angeschlossen haben) auf die an mehreren Stellen nachweisbare Übereinstimmung beider Quellen im Ausdrucke und in der Wortstellung, sowie auf den Wortlaut zweier, angeblich aus einem Mißverständnisse der interpretatio (zu Cod. Theod. III 81 und II 33, 4) entstandenen Artikel des E. Th. (134. 137) gegründet. Walch 50 (ebenso Dahn 9ff.) hält die erwähnte sprachlich-stilistische Übereinstimmung für eine rein zufällige; andere (so auch Karlowa 949. Krüger 312. 317) führen sie auf die Benützung einer dem E. Th. und der interpretatio gemeinsamen Quelle (eine in den Rechtsschulen der damaligen Zeit dem Unterrichte zu Grunde gelegte Bearbeitung des römischen Rechtes), die angeblich auf einem Mißverständnisse der interpretatio beruhende Textierung von Art. 134. 137 auf die Benützung von Gesetzen Theodosius des Großen aus den J. 380 und 381, sowie eine verlorene Constitution des Cod. Theod. zurück.

Die obzitierten Constitutionen und Stellen aus den Iuristenschriftstellern sind nicht im Wortlaute, sondern mit starken Änderungen in Form und Inhalt aufgenommen worden, wodurch die Bedeutung des Edictes als Erkenntnisquelle für das classisch-römische Recht auf ein Minimum herabsinkt (Savigny I 33. II 179f.).

VI. Rechtsgeschichtliche Bedeutung des Edictum Theoderici. Das im E. Th. geschaffene, für Römer und Goten verbindliche Königsrecht ist in [1960] der Hauptsache römisches Recht (s. o. V). Theoderich hat die Ausgleichung der Gegensätze zwischen Römern und Goten auf Kosten des germanischen Rechtes durchgeführt (Halban 117f.); fraglich bleibt es allerdings, ob die Grundsätze des Edictes im außergerichtlichen Verkehr zur Geltung gelangt sind.

Das E. Th. ist ein Gelegenheitsgesetz, welches mit dem Ende der ostgotischen Herrschaft jede Bedeutung verlieren mußte; vermöge seiner ganzen Anlage (s. o. II) konnte es auf die Rechtsentwicklung der Folgezeit keinen Einfluß üben.

VII. Ausgaben des Edictum Theoderici. Die neueste Ausgabe von Bluhme in den Monum. Germ. hist. Leges tom V 1, 145ff., woselbst die älteren Editionen verzeichnet sind.

VIII. Literatur: Savigny Gesch. des röm. Rechtes im M. A. II (1834). Glöden Das römische Recht im ostgot. Reiche (1843), dazu die wertvolle Rezension von Walch Jen. Lit.-Ztg. 1845, 59ff. Dahn Die Könige der Germanen IV (1866) Anhang I (mit ausführlichem Commentar). Gaudenzi Ztschr. f. Rechtsgesch. germ. Abt. VII 29ff. (verbesserte Bearbeitung der Schrift desselben Verfassers: Gli editti di Teodorico e Ahalarico e il diritto romano nel regno degli Ostrogoti [1884]). Halban Das röm. Recht in den germanischen Volksstaaten I (1899) in Gierkes Unters. zur deutschen Staats- u. Rechtsgesch. Vgl. dazu noch: Stobbe Gesch. der deutschen Rechtsquellen I. Karlowa Röm. Rechtsgesch. I und Krüger Gesch. der Quellen und Literatur des röm. Rechts sowie die übrigen Lehrbücher der Gesch. und Institutionen des röm. Rechts.
[Brassloff.]

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