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Ἀσεβείας γραφή,[WS 1] Klage wegen Gottlosigkeit. Die grosse Mannigfaltigkeit der Fälle, in denen diese Klage zur Anwendung kam, erklärt sich aus der Unbestimmtheit und Dehnbarkeit des Begriffs der Asebie selbst (ἀσέβημα εἶναι τὸ εἰς τοὺς θεοὺς καὶ τοὺς γονεῖς καὶ τοὺς τεθνεῶτας ἁμαρτάνειν, Polyb. XXXVII 1 c). Zunächst ist es natürlich directe Verletzung der den Göttern schuldigen Ehrfurcht, welche als solche betrachtet wurde, sei es, dass einer sich an den ihnen geweihten Tempeln, Altären, Bildern oder sonstigen heiligen Gegenständen vergriff (Dittenberger[WS 2] Syll. 76, 21f.), oder die zu ihrer Verehrung gestifteten Feste und Gebräuche entweihte, wie Alkibiades durch Verspottung der Mysterien (Plut. Alkib. 22), oder bei Vollziehung der Opfer den vorgeschriebenen Ritus nicht beobachtete (Demosth. LIX 116), oder die Existenz der vom Staate anerkannten Götter in Frage stellte und ketzerische Ideen äusserte und verbreitete, ein Fall, der zahlreichen Philosophen gerichtliche Verfolgung zuzog, ausser Sokrates auch Diagoras (Diod. XIII 6. Schol. Arist. Ran. 323), Anaxagoras (Diog. Laert. II 12), Protagoras (ebd. IX 52), Aristoteles (Athen. XV 696 a. Diog. Laert. V 6), Stilpon (ebd. II 116), Theophrastos (ebd. V 37) u. s. w. Sodann aber konnten auch Handlungen, die nur indirect eine Verletzung der Pflichten gegen die Götter enthielten, unter den Gesichtspunkt der Asebie gebracht werden, wie wenn Andokides unter diesem Titel belangt wurde, weil er sich erlaubt hatte, Tempel zu besuchen und [1530] heilige Handlungen zu vollziehen, ohne angeblich der über ihn verhängten Atimie, wodurch ihm dies verwehrt war, enthoben zu sein, ein anderer, weil er mit einem, der angeblich seinen Vater ums Leben gebracht, Gemeinschaft pflog (Demosth. XXII 2), die Zauberin Theoris wegen Giftmischerei (Harpokr. s. Θεωρίς) u. a. Gesetzliche Bestimmungen waren in Athen anfangs schwerlich vorhanden, vgl. noch die Anklage gegen Alkibiades bei Plut. Alk. 22; gegen die Gottesleugner wurde erst im J. 432 eine Strafe festgesetzt (Plut. Dem. 32), doch versuchte man auch später noch auf das ungeschriebene Priesterrecht zurückzugreifen (Lys. VI 10. And. I 115). Das regelmässige Verfahren bei dieser Klage war die beim Archonkönig als Gerichtsvorstand einzureichende γραφή (Hypereid. Euxen. Col. XXI. Arist. resp. Ath. 57), doch waren unter Umständen auch die Formen der Endeixis, wie gegen Andokides, der Eisangelie, wie gegen Alkibiades (Plut. Alkib. 22), und der Apagoge (s. d. Demosth. XXII 27) zulässig. Wenn aber Demosthenes a. a. O. noch den doppelten Modus des δικάζεσθαι πρὸς Εὐμολπίδας und des φράζειν πρὸς τὸν βασιλέα hinzufügt, so ist beides unklar und vielleicht nur auf ganz besondere Fälle zu beziehen, wie etwa das erste auf gewisse Mysteriensachen, in denen die Eumolpiden vermöge ihrer Vorstandschaft zugleich als Untersuchungs- und Richterbehörde zuständig gewesen sein mögen, das letzere auf solche Fälle der Asebie, in denen, da das Verbrechen nicht zur juristischen Gewissheit gebracht werden konnte, infolge blosser Anzeige ein Verfahren des Basileus von Amtswegen veranlasst werden sollte (vgl. Platner Proc. II 147). Entschieden ward die Klage in der Rednerzeit, wie von denen gegen Andokides und Sokrates, sowie von den bei Demosthenes XXII 2. [XXV] 79, vgl. Plut. Demosth. 14. [Demosth.] LIX 116 u. Athen. XIII 590e erwähnten feststeht, von einem heliastischen Gerichtshof, nicht aber, wie man gewöhnlich angenommen (so noch Meier Att. Proc. 305. Platner Proc. II 146. Schömann Griech. Altert. I³ 528; doch s. dagegen Böttiger Opusc. lat. 69. C. F. Hermann De theoria Del. 12), auch vom Areopag. Denn die Stellen, aus denen man die Zuständigkeit des letzteren hatte erschliessen wollen, wie Diog. Laert. II 101. 116. Aelian. v. h. VIII 12. Act. Apost. 17, 19, beziehen sich auf eine spätere Zeit, wo die Befugnisse des Areopags wieder erweitert waren, und die gleiche Vermutung äussert v. Wilamowitz Arist. und Athen II 188 für die ältere Zeit. In der Rednerzeit gehörte nur ein Fall der ἀ. vor den Areopag, das Ausroden heiliger Ölbäume (Lys. VII), und zwar deshalb, weil diese beständig unter der Aufsicht des Areopags standen. Dieser Frevel war unschätzbar, und es wurde die Beseitigung eines heiligen Ölbaumes mit dem Tode, ja sogar die eines Stumpfes mit Verbannung bestraft (Arist. resp. Ath. 60. Lys. VII 3. 25. 32. 41). Sonst war die Klage schätzbar, die Strafe nach Befinden Güterverlust, Verbannung oder Tod, und nicht einmal die Gebeine durften in heimischer Erde bestattet werden (Teles bei Stob. flor. XL 8). Für den Kläger dagegen scheint der Verlust der Klage, wenn er nicht den fünften Teil der Stimmen erhielt, ausser den gewöhnlichen dafür angeordneten Bussen keinen weiteren rechtlichen Nachteil nach [1531] sich gezogen zu haben; denn dass ein solcher auch ferner öffentliche Ämter verwalten konnte, zeigt das Beispiel bei Demosth. LVII 8. Ganz vereinzelt steht die Angabe bei Andok. I 33, dass der Verlust einer Klage auf Asebie zugleich den Verlust des Rechts, gewisse Heiligtümer zu betreten, mit sich bringe. Im allgemeinen vgl. Meier-Lipsius Att. Proc. 367ff. Platner Proc. u. Kl. bei den Attikern II 138ff. H. Wiskemann De impietatis actione, Hersfeld 1846. Osiander Behandlung der Religionsvergehen in Athen, Korrespondenzblatt f. Württemberg 1888 hat aus Lys. VI 10 und And. I 85 irrige Schlüsse gezogen.
[Thalheim.]
Anmerkungen (Wikisource)

↑ transkribiert: Asebeias graphe.
↑ Wilhelm Dittenberger

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